„Es ist im Interesse der EU, der Ukraine, Moldau und Georgien eine reale Beitritts­per­spek­tive aufzuzeigen“

Foto: Alex Sun/​shutterstock

Über Beitritts­per­spek­tiven und Stand der Reformen des asso­zi­ierten Trios disku­tierten Mitglieder des Deutschen Bundes­tages, der Bundes­re­gie­rung und Vertreter der Zivil­ge­sell­schaft auf der zusammen mit dem Auswär­tigen Amt veran­stal­teten Podi­ums­dis­kus­sion „Chal­lenges and Perspec­tives on the Road to the European Union“

Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 unternahm die Euro­päi­sche Union den bemer­kens­werten Schritt, der Ukraine und Moldau einen EU-Kandi­da­ten­status zu gewähren und Georgien den Weg zu ebnen, sofern das Land eine Reihe von Verpflich­tungen erfüllt. Dieser Schritt erfolgte ange­sichts der russi­schen Bedrohung, die Kontrolle über Osteuropa wieder­zu­er­langen. Die EU signa­li­sierte damit eindeutig, dass der Inte­gra­ti­ons­pro­zess trotz der russi­schen Aggres­sion fort­ge­setzt wird und die euro­päi­sche Sicher­heit unteilbar ist.

Auf dem ersten Panel disku­tierten Anna Lührmann, Staats­mi­nis­terin im Auswär­tigen Amt, Knut Abraham (MdB, CDU) und Johannes Schraps (MdB, SPD) zusammen mit der Mode­ra­torin Marie­luise Beck, (Senior Fellow, LibMod), wie die nächsten Schritte für das asso­zi­ierte Trio in Richtung der Euro­päi­schen Union aussehen und welche Möglich­keiten die EU bzw. Deutsch­land haben, diesen komplexen EU-Inte­gra­ti­ons­pro­zess zu unter­stützen. Die Erwar­tungen an die EU sind in dieser Krisen­zeit sehr hoch und die Heraus­for­de­rung wird darin bestehen, die EU gleich­zeitig zu refor­mieren und zu erweitern.

„Die Aufgabe der Politiker in Berlin sollte sein, das histo­ri­sche Momentum für alle drei Staaten zu erhalten, um den Fehler mit den Ländern des West­bal­kans nicht zu wiederholen“

Der Bundes­tags­ab­ge­ord­nete Knut Abraham wies darauf hin, dass im Sommer 2022 eine epochale Entschei­dung getroffen wurde, denn im Jahr 2009 war das Ziel, lediglich eine wie auch immer geartete Verbin­dung zwischen der Östlichen Part­ner­schaft und der EU herzu­stellen. Heute hingegen herrscht der Gedanke vor, dass diese Länder auch tatsäch­lich Mitglieder der Euro­päi­schen Union werden. Die Aufgabe der Politik in Berlin muss deshalb sein, dieses Momentum für alle drei Staaten zu erhalten, und die im Zusam­men­hang mit dem Inte­gra­ti­ons­pro­zess der Länder des West­bal­kans gesche­henen Fehler nicht zu wiederholen.

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Johannes Schraps, Mitglied des EU-Ausschusses, räumte ein, dass die Rolle des Bundes­tages bei der Unter­stüt­zung des EU-Inte­gra­ti­ons­pro­zesses noch wachsen müsse, um die Bundes­re­gie­rung im Euro­päi­schen Rat mit Argu­menten zu stärken.

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 „Die Aufgabe der Regierung muss sein, den Gedanken des “more for more“- Prinzips mit Leben zu füllen, damit es zu einer sicht­baren EU-Annä­he­rung kommt“ 

Der Beitritts­pro­zess der West­bal­kan­länder sei in den letzten Jahren nicht gut verlaufen und die zentrale Heraus­for­de­rung beim asso­zi­ierten Trio sei derzeit, einer­seits die Glaub­wür­dig­keit der EU zu gewähr­leisten und ande­rer­seits aber auch dem Wunsch der drei Länder nach einer EU-Mitglied­schaft Rechnung zu tragen, so die Staats­mi­nis­terin im Auswär­tigen Amt, Anna Lührmann – ein hoch­kom­plexer Prozess, der zu Unrecht als lediglich technisch bezeichnet werde. Es gehe in erster Linie um die Umsetzung der rechts­staat­li­chen Standards, die vor allem vom poli­ti­schen Willen abhängig sind. Sie betonte die Bedeutung des „more for more“- Prinzips, was dazu dienen sollte, nach Abschluss der einzelnen Kapitel weitere Inte­gra­ti­ons­schritte für die Menschen vor Ort sofort spürbar zu machen. Die Aufgabe der Bundes­re­gie­rung sollte sein, diesen Gedanken mit Leben zu füllen, damit es zu einer sicht­baren EU-Annä­he­rung kommt. Auch die Refor­mie­rung der EU sei notwendig, insbe­son­dere bei der Frage der Einstim­mig­keit des EU-Rates zu den einzelnen Zwischen­schritten der Beitrittsprozesse.

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Für die EU ist es auch aus geopo­li­ti­schen Gründen wichtig, nicht in eine Erwei­te­rungs­mü­dig­keit zu verfallen

Eine zentrale Frage der Diskus­sion war, mit welchen Instru­menten die EU die schwie­rigen Reform­pro­zesse in Georgien, Moldau und der Ukraine unter­stützen könnte.

Die Podi­ums­gäste waren sich einig, dass es dabei in erster Linie darum geht, mehr Trans­pa­renz und die tatsäch­liche Umsetzung der rechts­staat­li­chen Reformen zu gewähr­leisten. Darüber hinaus ist auch eine enge Zusam­men­ar­beit der euro­päi­schen Beamten und Experten vor Ort in den jewei­ligen Minis­te­rien, aber auch eine enga­gierte Zivil­ge­sell­schaft entschei­dend, die die jewei­ligen Regie­rungen kritisch begleitet und die Beamten der EU sowie der Mitglied­staaten regel­mäßig über den tatsäch­li­chen Reform­stand infor­miert. Es ist im Interesse der EU, diese Länder und die Bevöl­ke­rung eng an die EU zu binden und eine reale Perspek­tive aufzu­zeigen. Ebenso ist es aus geopo­li­ti­schen Gründen für die EU elementar, nicht in eine Erwei­te­rungs­mü­dig­keit zu verfallen.

 Die Perspek­tive der Zivilgesellschaft

Im dem zweiten Panel disku­tierten die Vertreter und Vertre­te­rinnen der Zivil­ge­sell­schaft aus den Ländern des asso­zi­ierten Trios (Olena Halushka, Board member at the Anti-Corrup­tion Action Center, Ukraine; Denis Cenusa, Expert-Group, Moldova; Sergi Kapanadze, GRASS; Vano Chkhik­vadze, OSFG) mit der Mode­ra­torin Rebecca Harms (Senior Adviser, Libmod) über die in jedem Land unter­schied­li­chen, notwen­digen Reformschritte.

Olena Halushka betonte, dass die ukrai­ni­sche Zivil­ge­sell­schaft den bevor­ste­henden Reform­pro­zess trotz des Krieges opti­mis­tisch betrachtet. Durch den Erhalt des Kandi­da­ten­status und der damit verbun­denen Bedin­gungen (Kondi­tio­na­lität) habe die poli­ti­sche Elite einen stärkeren Hebel bekommen, um die eigene Regierung während des Beitritts­pro­zesses zu kontrol­lieren und den Reform­pro­zess zu steuern. Denis Cenusa, räumte ein, dass die Regierung wegen der sicher­heits- und ener­gie­po­li­ti­schen Krise unter enormen Druck stünde, die die Reformen im Bereich der Rechts­staat­lich­keit verhinderten.

Warum Georgien, einst der Reform­treiber in der Östlichen Part­ner­schaft, nur eine „Perspek­tive“ erhalten hat, begrün­deten Sergi Kapanadze und Vano Chkhik­vadze in erster Linie mit den schwer­wie­genden Rück­schritten bei der Demo­kra­ti­sie­rung und dem Aufbau unab­hän­giger staat­li­cher Insti­tu­tionen. Gleich­zeitig stellten sie die Glaub­wür­dig­keit der vorhan­denen Kondi­tio­na­lität seitens der EU in Frage und schlugen die Einfüh­rung klarer Kriterien, insbe­son­dere für Bedin­gungen wie Depo­la­ri­sie­rung und Deolig­ar­chi­sie­rung vor.

Abschlie­ßend formu­lierten die Diskus­si­ons­teil­neh­menden ihre prio­ri­tären Erwar­tungen an die EU. Während aus der Perspek­tive Georgiens dies eindeutig die Verlei­hung des Kandi­da­ten­status ist, steht für die moldaui­sche Gesell­schaft die Bewäl­ti­gung der Ener­gie­krise im Vorder­grund. Für die Ukraine ist die höchste Priorität den Aggres­si­ons­krieg Russlands siegreich zu beenden.

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