Was Brecht mit China-Politik zu tun hat
Darum sei der Sinologe auch bedankt: China-Wissenschaftler sind, mit Bertolt Brecht gesprochen, Zöllner der Wissensvermittlung. Für die Vermittlung von Meinungen sind sie nicht zuständig. Ein Essay zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik.
Laotse, der chinesische Weise des Altertums, hat uns noch immer einiges zu sagen. Und Bertolt Brecht auch, sogar uns Sinologen. Zum Beispiel, dass dem sinologischen Schuster die Bescheidenheit gut ansteht, bei seinem Leisten zu bleiben und nicht die Welt der China-Politik aus den Angeln heben zu wollen.
Die Volksrepublik China hat sich innerhalb von vierzig Jahren von einem durch Maoismus und innere Machtkämpfe in den Ruin getriebenen Armenhaus zur Weltmacht entwickelt. Das hat Folgen, die den Rest der Welt direkt und massiv berühren. Chinesische Unternehmen expandieren und suchen ihren Platz in der Welt. Dass sie dabei vom chinesischen Staat finanziell und mithilfe von politischem Druck unterstützt werden, führt zu Reibungen – besonders dort, wo China bisher nur als Lieferant von Billigwaren bekannt war, etwa in Südostasien. Es führt aber auch in Europa zu Reibungen, wo die Märkte ausländischen Investoren gegenüber offener sind als das umgekehrt in China der Fall ist. Und Donald Trump hält die Überflutung der USA mit chinesischen Waren für so gefährlich, dass er einen Handelskrieg losgetreten hat. Keine Frage, dass der Umgang mit dieser Entwicklung ein kompliziertes Thema für die deutsche und die europäische Politik ist. Von der Antwort hängt unser künftiger Wohlstand ab. So ist es nur richtig, dass darüber diskutiert wird.
Nicht nur von einem Handelskrieg ist in Amerika inzwischen die Rede, sondern von einem Kalten, vielleicht sogar einem echten Krieg zwischen den beiden Großmächten. Denn China rüstet auf, richtet Militärstützpunkte in seiner näheren Umgebung und sogar in Afrika ein, und droht, falls Taiwan nicht willig sei, die Vereinigung mit der Volksrepublik mit Gewalt zu erzwingen. Was, wenn China tatsächlich zu den Waffen greift? Vermutlich werden die USA Taiwan zu Hilfe kommen. Und auf welcher Seite steht Europa dann? Gerade in einer Zeit, in der über stärkeres sicherheitspolitisches Engagement, ja, seit Emmanuel Macrons Vorstoß sogar über europäische Streitkräfte diskutiert wird, muss auch über Europas Haltung in einem möglichen militärischen Konflikt geredet werden, der fatale Konsequenzen für uns hätte.
China hat seinen Einfluss in der EU ausgeweitet
Schon Außenminister Sigmar Gabriel hat beklagt, China respektiere die Einheit Europas nicht. Seitdem hat das neue, starke China seinen Einfluss in der Europäischen Union noch ausgeweitet. Es gibt EU-Staaten, die sich, wie Griechenland, gemeinsamer europäischer Kritik an Chinas Menschenrechtspolitik verweigern, weil das den griechisch-chinesischen Beziehungen schaden könnte. Ungarn und andere osteuropäische EU-Mitgliedsstaaten suchen – entgegen Brüsseler Vorgaben – eigene Wirtschaftsarrangements mit China. Und Italien hofft auf finanzielle Wohltaten im Gegenzug dafür, dass es aus der Gruppe der G7 ausgeschert ist und das chinesische Infrastrukturnetzwerk der „Neuen Seidenstraße“ (Belt and Road Initiative) unterstützt. Kann dieser robust-aggressiven chinesischen Beeinträchtigung unserer Interessen begegnet werden? Und wenn, dann wie? Hierzu braucht es genaue Analysen, die Abwägung von Strategien, Entschlussfähigkeit und schließlich auch die Einigkeit, europäische Interessen zu wahren.
Und es bedarf auch des Verständnisses für die Volksrepublik und der Kenntnis des Landes.
Das Zentrum Liberale Moderne (LibMod) hat dazu eine interessante Diskussion angestoßen. Die deutschen Sinologen, die die Regierung beraten, seien „Spätorientalisten“, kritisierte Didi Kirsten Tatlow im ersten einer Serie von Artikeln; ihr „postkolonialer Exotismus“ hindere sie daran, nach einer Strategie zum Umgang mit chinesischer Machtpolitik zu fragen. Nein, so Thorsten Benner, es seien doch eher die Realisten unter den China-Wissenschaftlern, welche die Regierung zur Beratung heranziehe – nur gebe es davon viel zu wenige. Die Debatte kranke insgesamt an zu wenig Expertise, so wiederum Marina Rudyak: Über China reden könne nur, wer auch Chinesisch beherrsche – fließend in Wort und Schrift vermutlich.
Wer darf was kritisieren?
Didi Kirsten Tatlow hat Recht – bei ein paar Sinologen. Diese sind deshalb Sinologen, weil ihr Fach ein weites Feld ist: Eine über 3000 Jahre alte Kultur hat uns einiges zu sagen, durch ihre Poesie, ihre Geschichte, ihre Wirtschaft, ihre Technologie und nicht zuletzt durch ihren gegenwärtigen Zustand. Da braucht es jeden, der Interesse dafür hat. Und wenn jemand seine wirtschaftliche Existenz darauf gründet, für das Objekt seiner Studien Sympathien zu entwickeln, so ist das in der Sinologie ebenso legitim wie in anderen Berufen auch.
Thorsten Benner hat aber auch Recht – bei ein paar anderen Sinologen. Wer das China Xi Jinpings kennt, mag eine politische Meinung dazu haben. Muss er aber nicht. Was ihre Meinungsbildung und ihr Engagement angeht, gleich ob „KP-Versteher“ oder „KP-Kritiker“, sind Sinologen weder privilegiert noch dienstverpflichtet.
Deshalb habe ich bei Marina Rudyaks Artikel die größten Zweifel. Das Argument, dass jemand nur dann zur Auseinandersetzung mit einem Land befähigt sei, wenn er dessen Sprache beherrsche, hinkt. Denn es gilt dann ja wohl überall. Mit der arabischen Welt darf sich nur auseinandersetzen, wer Arabisch beherrscht, mit Estland oder Ungarn nur jemand, der..., und so weiter. Wer darf Premierminister Alexis Tsipras von Griechenland Recht oder Unrecht geben? Und wie ist es um die Englischkenntnisse – die richtigen, in die Tiefe reichenden – all derjenigen bestellt, die sich zu Donald Trump äußern? Dürfen die das? Und dürfen umgekehrt nur diejenigen Nichtdeutschen über unser Land und uns reden, die Deutsch beherrschen?
Politik liegt nicht in der Verantwortung der Sinologie
Es geht, um es noch einmal zu betonen, um ein Problem, das für Europa von existentieller Bedeutung ist: Wir wollen die Unabhängigkeit, die Demokratie, die Offenheit Europas, seine normative Kraft, seinen liberalen wirtschaftlichen Charakter erhalten und eher noch stärken als schwächen. Dieses Ziel ist gefährdet durch eine historisch ganz und gar neue Entwicklung: Den zunehmenden Einfluss einer Macht, die sich in ihrer Verfassung als „Diktatur des Volkes“ bezeichnet und ihre Ordnungsvorstellungen in die internationale Gesellschaft trägt. Wie also damit umgehen?
Zweifellos erleichtert es die Verständnisfähigkeit ungemein, wenn man die Sprache eines Landes beherrscht, über das man sich ein Urteil bilden will. Aber wichtiger ist es, einen klaren und klugen Kopf zu haben, um nämlich das zu beurteilen, was die Experten und Sprachkenner an Fakten, Hintergründen, Analysen und Erklärungen vermitteln. Hier kommen – endlich! – Laotse und Bert Brecht ins Spiel. In Brechts Gedicht „Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration“ will der chinesische Philosoph seine Heimat verlassen. Ein Zöllner hält ihn aber auf, wissbegierig, und lässt ihn erst weiterziehen, nachdem der Philosoph all seine Weisheit einem kleinen Jungen in den Pinsel diktiert hat. Was wüssten wir, ohne den Zöllner, von Laotses Weisheit? Brecht: „Darum sei der Zöllner auch bedankt. Er hat sie ihm abverlangt.“
Will sagen: Sinologen und Kenner des Chinesischen sind unabdingbar, um China zu verstehen, um es zu kritisieren und es vielleicht sogar zu lieben. Aber sie sind nicht deshalb, weil sie Schriftzeichen auswendig gelernt haben, schon die Hohepriester der Chinakenntnis. Chinesisch ist schwer – der Autor weiß, wovon er redet –, es zu lernen füllt ein Menschenleben aus, und zwar auf höchst beglückende Weise. Wenn man mit diesem hart errungenen Wissen denen helfen kann, die nach Wegen suchen, mit China politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich umzugehen, dann liegt der Lohn dafür in ebendieser Wissensvermittlung. Zur Vermittlung von Meinungen – dafür sind die Zöllner nicht da. Die lebendige, faszinierende Landschaft der Sinologie lässt sich nur zu ihrem Schaden über den Kamm politischer Wirksamkeit scheren. Aber ihre Vielfalt dient jenen, die lesen wollen, was in China vor 3000 Jahren gedacht oder gedichtet wurde. Und sie nutzt auch allen, die wissen wollen, was es mit der neuen Weltmacht auf sich hat, die dann ihre eigenen Gedanken entwickeln, Schlussfolgerungen ziehen und Politik zum richtigen Umgang mit der KP entwerfen wollen. Selbst wenn sich Politiker für einen feindseligen oder einen abschreckend liebedienerischen Umgang mit dem China Xi Jinpings entscheiden: Die Verantwortung der Sinologen ist das nicht.
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