Wo sind Peng Shuai und all die anderen verschwundenen Chinesen?
Das Verschwinden von Peng Shuai sorgt international für Schlagzeilen. Doch der Tennisstar ist kein Einzelfall. Schauspieler, Unternehmer, Funktionäre: In China sind schon viele bekannte Gesichter ganz plötzlich von der Oberfläche verschwunden. Eine sehr unvollständige Auswahl.
Peng Shuai, Tennisspielerin
Anfang November warf Peng Shuai dem ehemaligen chinesischen Vizepremier Zhang Gaoli vor, sie vergewaltigt zu haben. Für einen Augenblick sah es so aus, als wäre der Moment für ein chinesisches #MeToo gekommen, also für eine Bewegung, die sexuelle Übergriffe von mächtigen Männern gegen Frauen aufdeckt.
Doch das Gegenteil geschah. Die chinesischen Zensoren tilgten Pengs Nachricht aus dem Netz. Mehr noch: Die ehemalige Weltranglistenerste im Doppel verschwand von der Oberfläche. Wurde nicht mehr gesehen und nicht mehr gehört.
Aber auf Twitter formierte sich unter dem Hashtag #WhereIsPengShuai eine Gruppe von Unterstützern. Selbst internationale Stars wie die US-Tennisspielerin Serena Williams und der spanische Fußballer Gerard Piqué schlossen sich der Bewegung an – was die Volksrepublik unter Druck setzte.
Schließlich startete Peking eine PR-Offensive. Erst veröffentlichte das Staatsfernsehen eine E‑Mail, die angeblich von Peng stammte. Dann teilten mit den Staatsmedien verbundene Accounts Fotos und Videos, die Peng angeblich in Freiheit zeigten.
Am Sonntag telefonierte schließlich Thomas Bach, der Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) mit Peng – und veröffentlichte ein Foto des Videocalls, das die Tennisspielerin fröhlich lächelnd zeigte. Bach hat ein Interesse daran, den Fall Peng schnell abzuhaken. Schließlich finden im Februar die Olympischen Winterspiele in China statt.
Doch die Videoschalte zwischen Bach und Peng warf mehr Fragen auf als sie beantwortete. Hat sich der Sportfunktionär aus Angst vor einem Boykott der Winterspiele für Pekings Propaganda einspannen lassen? Die Sportlervereinigung Global Athlete warf Bach vor, sich „mitschuldig an der bösartigen Propaganda der chinesischen Behörden und deren mangelndem Interesse an grundlegenden Menschenrechten und Gerechtigkeit“ gemacht zu haben.
Zhao Wei, Schauspielerin
Im August wurde Zhao Wei über Nacht aus dem chinesischen Internet ausradiert. Alle Filme und Fernsehsendungen mit Zhao verschwanden von chinesischen Video-Streaming-Diensten. Ihre Fan-Seiten mit Millionen Followern wurden gelöscht. Und mit ihr befreundete Schauspieler löschten Fotos aus sozialen Netzwerken, die sie gemeinsam mit Zhao zeigten.
Zhao ist nicht irgendein Sternchen, sondern ein milliardenschwerer Star. Im Jahr 2015 setzte sie das US-Magazin „Forbes“ auf Platz sieben einer Liste der 100 bekanntesten chinesischen Promis. 2016 war sie Jurymitglied der Filmfestspiele von Venedig.
Für das Ausradieren von Zhao gaben die chinesischen Behörden keinerlei Erklärung ab. Aber der Hintergrund ist: Seit einiger Zeit betreibt der chinesische Staat eine Kampagne gegen die Unterhaltungsindustrie. Dekadent sei sie, von westlichen Werten durchdrungen und ein schlechtes Vorbild für die chinesische Jugend, so der Vorwurf. Wahrscheinlich ist Zhao unter die Räder dieser sozialistischen Kampagne gekommen.
Unklar ist, ob Zhao unter Hausarrest steht oder dazu gedrängt wurde unterzutauchen. Öffentlich ist sie seit einer Weile nicht mehr aufgetreten. Aber im chinesischen Internet kursieren Fotos von privaten Trips. Überprüfen lässt sich deren Echtheit nicht.
Jack Ma, Unternehmer
Jack Ma ist der chinesische Steve Jobs. Er ist der Gründer und langjährige Chef der Alibaba Group, einer Gruppe von Internet-Unternehmen. Als erster Chinese schaffte er es auf das Cover des US-Magazins „Forbes“.
Im Oktober 2020 kritisierte er bei einem öffentlichen Auftritt das chinesische Wirtschaftssystem scharf. Kurz darauf sagten die chinesischen Aufsichtsbehörden nicht nur den Börsengang der Alibaba-Tochter Ant Group ab. Auch verschwand Ma aus der Öffentlichkeit.
Erst im Januar 2021 trat der Unternehmer wieder per Videoschalte bei einer öffentlichen Veranstaltung auf. Nach Medienberichten wurde er im Februar auf der chinesischen Insel Hainan beim Golfen gesichtet.
Auch bei Ma sind die Hintergründe unklar. Er könnte von den Behörden aus dem Verkehr gezogen worden sein. Er könnte aber auch dazu gedrängt worden sein, für eine Weile abzutauchen.
Meng Hongwei, Ex-Interpol-Chef
Meng Hongwei erlangte 2016 Bekanntheit, als er zum Präsidenten von Interpol gewählt wurde, der Organisation, die die weltweite polizeiliche Zusammenarbeit fördert. Menschenrechtsorganisationen waren entsetzt. Sie befürchteten, dass Interpol unter dem Chinesen Fahndungsausschreibungen nutzen könnte, um chinesische Dissidenten zu jagen.
Doch es kam ganz anders. Denn Meng geriet ins Fadenkreuz des chinesischen Staates.
2018 verschwand er während eines Besuchs in China spurlos. Später wurde er beschuldigt, Bestechungsgelder angenommen zu haben. 2020 wurde er zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt.
Auch im Fall Meng sind die Hintergründe unklar. Aber wahrscheinlich ist: Meng war in der Vergangenheit Vizeminister für öffentliche Sicherheit – und gehörte damit einem politischen Netzwerk an, das in Gegnerschaft zu Partei- und Staatschef Xi Jinping steht.
Gui Minhai, Buchhändler
Gui Minhai, ein in Hongkong lebender Verleger, der sich auf Enthüllungsbücher über Chinas politische Elite spezialisiert hatte, verschwand 2015 aus seinem thailändischen Ferienhaus. Erst 2016 tauchte er wieder auf – und zwar im chinesischen Staatsfernsehen. In einem ganz offensichtlich inszenierten Geständnis erklärte Gui, sich wegen eines Autounfalls selbst den chinesischen Behörden gestellt zu haben.
Gui hat nicht nur die chinesische, sondern auch die schwedische Staatsbürgerschaft. Eine zweite Staatsbürgerschaft ist für Kritiker des chinesischen Staates gewöhnlich ein Schutzmantel.
Doch im Fall Gui ignorierte Peking die schwedische Staatsbürgerschaft. Sie hielt schwedische Diplomaten von ihm fern und verurteilte ihn 2020 zu zehn Jahren Gefängnis. Das Urteil führte zu einem schweren diplomatischen Bruch mit Schweden – und weckte in Europa die Befürchtung, dass sich Peking noch weitere Chinesen mit europäischen Staatsbürgerschaften schnappen könnte.
Spenden mit PayPal
Wir sind als gemeinnützig anerkannt, entsprechend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spendenbescheinigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adressdaten bitte an finanzen@libmod.de
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regelmäßig Neuigkeiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.