Wo sind Peng Shuai und all die anderen verschwun­denen Chinesen?

Foto: Shut­ter­stock, Oleksandr Osipov

Das Verschwinden von Peng Shuai sorgt inter­na­tional für Schlag­zeilen. Doch der Tennis­star ist kein Einzel­fall. Schau­spieler, Unter­nehmer, Funk­tio­näre: In China sind schon viele bekannte Gesichter ganz plötzlich von der Ober­fläche verschwunden. Eine sehr unvoll­stän­dige Auswahl.

Peng Shuai, Tennisspielerin

Anfang November warf Peng Shuai dem ehema­ligen chine­si­schen Vize­pre­mier Zhang Gaoli vor, sie verge­wal­tigt zu haben. Für einen Augen­blick sah es so aus, als wäre der Moment für ein chine­si­sches #MeToo gekommen, also für eine Bewegung, die sexuelle Über­griffe von mächtigen Männern gegen Frauen aufdeckt.

Doch das Gegenteil geschah. Die chine­si­schen Zensoren tilgten Pengs Nachricht aus dem Netz. Mehr noch: Die ehemalige Welt­rang­lis­ten­erste im Doppel verschwand von der Ober­fläche. Wurde nicht mehr gesehen und nicht mehr gehört.

Aber auf Twitter formierte sich unter dem Hashtag #WhereI­s­PengS­huai eine Gruppe von Unter­stüt­zern. Selbst inter­na­tio­nale Stars wie die US-Tennis­spie­lerin Serena Williams und der spanische Fußballer Gerard Piqué schlossen sich der Bewegung an – was die Volks­re­pu­blik unter Druck setzte.

Schließ­lich startete Peking eine PR-Offensive. Erst veröf­fent­lichte das Staats­fern­sehen eine E‑Mail, die angeblich von Peng stammte. Dann teilten mit den Staats­me­dien verbun­dene Accounts Fotos und Videos, die Peng angeblich in Freiheit zeigten.

Am Sonntag tele­fo­nierte schließ­lich Thomas Bach, der Chef des Inter­na­tio­nalen Olym­pi­schen Komitees (IOC) mit Peng – und veröf­fent­lichte ein Foto des Video­calls, das die Tennis­spie­lerin fröhlich lächelnd zeigte. Bach hat ein Interesse daran, den Fall Peng schnell abzuhaken. Schließ­lich finden im Februar die Olym­pi­schen Winter­spiele in China statt.

Doch die Video­schalte zwischen Bach und Peng warf mehr Fragen auf als sie beant­wor­tete. Hat sich der Sport­funk­tionär aus Angst vor einem Boykott der Winter­spiele für Pekings Propa­ganda einspannen lassen? Die Sport­ler­ver­ei­ni­gung Global Athlete warf Bach vor, sich „mitschuldig an der bösar­tigen Propa­ganda der chine­si­schen Behörden und deren mangelndem Interesse an grund­le­genden Menschen­rechten und Gerech­tig­keit“ gemacht zu haben.

Zhao Wei, Schauspielerin

Im August wurde Zhao Wei über Nacht aus dem chine­si­schen Internet ausra­diert. Alle Filme und Fern­seh­sen­dungen mit Zhao verschwanden von chine­si­schen Video-Streaming-Diensten. Ihre Fan-Seiten mit Millionen Followern wurden gelöscht. Und mit ihr befreun­dete Schau­spieler löschten Fotos aus sozialen Netz­werken, die sie gemeinsam mit Zhao zeigten.

Zhao ist nicht irgendein Sternchen, sondern ein milli­ar­den­schwerer Star. Im Jahr 2015 setzte sie das US-Magazin „Forbes“ auf Platz sieben einer Liste der 100 bekann­testen chine­si­schen Promis. 2016 war sie Jury­mit­glied der Film­fest­spiele von Venedig.

Für das Ausra­dieren von Zhao gaben die chine­si­schen Behörden keinerlei Erklärung ab. Aber der Hinter­grund ist: Seit einiger Zeit betreibt der chine­si­sche Staat eine Kampagne gegen die Unter­hal­tungs­in­dus­trie. Dekadent sei sie, von west­li­chen Werten durch­drungen und ein schlechtes Vorbild für die chine­si­sche Jugend, so der Vorwurf. Wahr­schein­lich ist Zhao unter die Räder dieser sozia­lis­ti­schen Kampagne gekommen.

Unklar ist, ob Zhao unter Haus­ar­rest steht oder dazu gedrängt wurde unter­zu­tau­chen. Öffent­lich ist sie seit einer Weile nicht mehr aufge­treten. Aber im chine­si­schen Internet kursieren Fotos von privaten Trips. Über­prüfen lässt sich deren Echtheit nicht.

Jack Ma, Unternehmer

Jack Ma ist der chine­si­sche Steve Jobs. Er ist der Gründer und lang­jäh­rige Chef der Alibaba Group, einer Gruppe von Internet-Unter­nehmen. Als erster Chinese schaffte er es auf das Cover des US-Magazins „Forbes“.

Im Oktober 2020 kriti­sierte er bei einem öffent­li­chen Auftritt das chine­si­sche Wirt­schafts­system scharf. Kurz darauf sagten die chine­si­schen Aufsichts­be­hörden nicht nur den Börsen­gang der Alibaba-Tochter Ant Group ab. Auch verschwand Ma aus der Öffentlichkeit.

Erst im Januar 2021 trat der Unter­nehmer wieder per Video­schalte bei einer öffent­li­chen Veran­stal­tung auf. Nach Medi­en­be­richten wurde er im Februar auf der chine­si­schen Insel Hainan beim Golfen gesichtet.

Auch bei Ma sind die Hinter­gründe unklar. Er könnte von den Behörden aus dem Verkehr gezogen worden sein. Er könnte aber auch dazu gedrängt worden sein, für eine Weile abzutauchen.

Meng Hongwei, Ex-Interpol-Chef

Meng Hongwei erlangte 2016 Bekannt­heit, als er zum Präsi­denten von Interpol gewählt wurde, der Orga­ni­sa­tion, die die weltweite poli­zei­liche Zusam­men­ar­beit fördert. Menschen­rechts­or­ga­ni­sa­tionen waren entsetzt. Sie befürch­teten, dass Interpol unter dem Chinesen Fahn­dungs­aus­schrei­bungen nutzen könnte, um chine­si­sche Dissi­denten zu jagen.

Doch es kam ganz anders. Denn Meng geriet ins Faden­kreuz des chine­si­schen Staates.

2018 verschwand er während eines Besuchs in China spurlos. Später wurde er beschul­digt, Bestechungs­gelder ange­nommen zu haben. 2020 wurde er zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt.

Auch im Fall Meng sind die Hinter­gründe unklar. Aber wahr­schein­lich ist: Meng war in der Vergan­gen­heit Vize­mi­nister für öffent­liche Sicher­heit – und gehörte damit einem poli­ti­schen Netzwerk an, das in Gegner­schaft zu Partei- und Staats­chef Xi Jinping steht.

Gui Minhai, Buchhändler

Gui Minhai, ein in Hongkong lebender Verleger, der sich auf Enthül­lungs­bü­cher über Chinas poli­ti­sche Elite spezia­li­siert hatte, verschwand 2015 aus seinem thai­län­di­schen Feri­en­haus. Erst 2016 tauchte er wieder auf – und zwar im chine­si­schen Staats­fern­sehen. In einem ganz offen­sicht­lich insze­nierten Geständnis erklärte Gui, sich wegen eines Auto­un­falls selbst den chine­si­schen Behörden gestellt zu haben.

Gui hat nicht nur die chine­si­sche, sondern auch die schwe­di­sche Staats­bür­ger­schaft. Eine zweite Staats­bür­ger­schaft ist für Kritiker des chine­si­schen Staates gewöhn­lich ein Schutzmantel.

Doch im Fall Gui igno­rierte Peking die schwe­di­sche Staats­bür­ger­schaft. Sie hielt schwe­di­sche Diplo­maten von ihm fern und verur­teilte ihn 2020 zu zehn Jahren Gefängnis. Das Urteil führte zu einem schweren diplo­ma­ti­schen Bruch mit Schweden – und weckte in Europa die Befürch­tung, dass sich Peking noch weitere Chinesen mit euro­päi­schen Staats­bür­ger­schaften schnappen könnte.

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