Polen: Geschichtsschreibung per Gesetz
Nationale Geschichtspolitik: Die Regierung in Polen sieht ihr Land von äußeren Feinden umringt und durch innere Feinde bedroht. Mithilfe eines kruden Nationalmythos will sie die Spaltung zwischen Traditionalisten und Modernisten überwinden – und so ihre Macht für lange Zeit festigen.
Schon seit Herbst raunte man, dass die polnische Regierungsmannschaft erneut aufgeräumt werden würde. Von einer großen Kabinettsumbildung war die Rede. Nachdem sich der Widerstand des polnischen Präsidenten Andrzej Duda gegen Teile der Justizreform als Sturm im Wasserglas entpuppte, ahnte man zudem, dass die Entscheidungsmacht über solche Veränderungen weiterhin bei Jaroslaw Kaczynski liegen würde, der gewöhnlich aus dem Hintergrund agiert.
Im Dezember dann wurde Ministerpräsidentin Beata Szydło abgesetzt. Im Januar mussten auch einige für ihre Unfähigkeit berüchtigte Minister die Plätze räumen, darunter der nachgerade vorsintflutliche Außenminister Waszczykowski und der mehr als dubiose Verteidigungsminister und Smolensk-Fanatiker Antoni Macierewicz.
Regierungsumbau soll Unterstützung der Wähler sichern
Der neue Ministerpräsident Tadeusz Morawiecki und der neue Außenminister Jacek Czaputowicz ließen Hoffnungen aufkeimen, dass nun pragmatische Vertreter des PIS-Lagers in die erste Reihe der Regierung vorrücken würden. Wer diese Hoffnung hegte, übersah allerdings, dass mit Justizminister Zbigniew Ziobro ein Hardliner auf seinem Platz blieb, der für den Umbau des gesamten Justizapparates und den weiteren Abbau der Gewaltenteilung steht. Die Leistungen und Fähigkeiten des neuen Ministerpräsidenten auf dem Feld der Wirtschafts- und Sozialpolitik sollen vor allem die Wähler bei der Stange halten; der Spielraum des neuen Außenministers dürfte begrenzt bleiben, Jarosław Kaczynski bezeichnete ihn öffentlich als „Minister auf Probe”.
Mithilfe ihre Geschichtspolitik hofft die polnische Regierung eine motivierende und identitätsstiftende Doktrin zu entwickeln, die zugleich den traditionellen und den modernen Teil der Gesellschaft anspricht.
Es waren junge und moderne Wähler die, enttäuscht vom Versagen und den Versäumnissen der Politik der „Bürgerplattform“ (PO), der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PIS) zum Wahlsieg verholfen hatten. Das traditionalistisch ausgerichtete Stammklientel der Partei hingegen war es, das Jarosław Kaczynski zwischen 2010 und 2015 bedingungslos die Treue hielt und ihn über insgesamt sieben Niederlagen bei Präsidentschafts‑, Parlaments‑, Europa- und Regionalwahlen hinwegtrug. Um an der Macht zu bleiben, darf die Spitze der PIS keine der beiden Wählergruppen verprellen. Die Stammwähler, zumeist älter und häufig auch sozial benachteiligt, sind zusammengeschweißt durch die Vorstellung Polens als einer belagerten Festung, die von äußeren Feinden umringt und inneren Feinden unterwandert ist. Das aus ihrer Sicht „wahre Polen“ ist katholisch, verschließt Ausländern die Tür und muss sich vor einem angeblich dekadenten Westen schützen. Die Stilisierung als ewige Opfernation, die Heroisierung der eigenen Geschichte und aller Arten des Widerstandes wurde durch die Tragödie von Smolensk – dem Absturz eines polnischen Regierungsflugzeugs vor acht Jahren – genährt und befeuert.
Die Regierung strickt ein krudes Geschichtsbild
Die Regierungspartei entwirft ein krudes, von Verschwörungstheorien geprägtes und die polnische und europäische Wirklichkeit verzerrendes Geschichtsbild. Ihre Geschichtspolitik zielt darauf ab, eine identitätsstiftende Doktrin zu entwickeln, die zugleich den traditionellen und den modernen Teil der Gesellschaft anspricht.
Dafür wurden seit dem Machtantritt der PIS immer mehr Ressourcen mobilisiert. Ein im Geist des Nationalismus umgeschriebener Lehrplan, gesäuberte und umgestaltete öffentliche Medien und großangelegte Kampagnen zur staatsbürgerlichen Erziehung zählen dazu.
Zahlreiche polnische Intellektuelle, Künstler und Historiker, wie der aus dem Amt gedrängte Direktor des Weltkriegs-Museums in Gdańsk, Paweł Machcewicz, stellen sich diesen Tendenzen entgegen. Sie benennen die deutliche Grenze zwischen Patriotismus, der Stolz auf die Leistungen der polnischen Nation einschließt, sich aber zugleich den „dunklen“ Seiten der eigenen Geschichte stellt und einem Nationalismus, der kritische Positionen mit Verboten und Gerichtsurteilen belegt. Einzelne katholische Priester warnen vor dem „Gift des Nationalismus“, der derzeit nicht nur in Polen um sich greift.
Der Einwand, dass jeder demokratische Staat Geschichtspolitik betriebe, wenn er politische Bildung fördere und Lehrpläne konzipiere, übersieht, dass historische Bildung im demokratischen Sinne ein breites Spektrum an kontroversen Positionen einschließt, deren Äußerung geschützt wird. Der PIS geht es eindeutig um gelenkte Geschichtspolitik mit gravierenden Folgen für das Verhältnis zu den Nachbarn.
Streit mit der Ukraine
Ein gutes Beispiel dafür ist die zerrüttete Beziehung zum Nachbarn Ukraine. Hier ruiniert die nationalistische Geschichtspropaganda die jahrzehntelang mühsam aufgebauten Ansätze einer wechselseitigen Verständigung und Versöhnung. Dass freilich auch ukrainische Nationalisten ihren Anteil an der Krise haben, steht auf einem anderen Blatt.
Ein Beispiel: In dem 2016 entstandenen Film „Wołyn” (Wolhynien), des polnischen Regisseurs Wojciech Smarzowski wird eines der schwierigsten Kapitel der gemeinsamen Geschichte im Jahre 1943 behandelt. Smarzowski selbst ist kein Nationalist, doch die einseitige Beratung durch Historiker führte zu einem fragwürdigen Ergebnis: Wenn man das Kino verlassen hat, möchte man keinem Ukrainer mehr begegnen. Adam Balcer, ein Warschauer Osteuropaexperte bemerkt dazu: „Ein polnischer Zuschauer muss aus dem Film Wołyn den Schluss ziehen, dass die Ukrainer bis auf wenige Ausnahmen Bestien und Kollaborateure der Deutschen und der Sowjets sind. Die überwiegende Mehrheit der Polen wird in dem Film von einem betrunkenen ukrainischen Mob mit unvorstellbarer Grausamkeit umgebracht. Das Motto des Films könnte mit den Worten der polnischen Hauptfigur lauten: Die Ukrainer sind schlimmer wie die Tiere –Tiere foltern ihre Opfer nicht.“
Polen galt lange Zeit als ein wichtiger Förderer der Annäherung von Ukraine und Europäischer Union, wohingegen sich die deutsche Seite damit schwerer tat. Trotz der weiterhin zögernden Haltung Deutschlands, dreht sich dieses Verhältnis um. Hoffnungen auf ein deutsch-polnisches Tandem, das die Ukraine in schwieriger Lage unterstützt, rückt durch die geschichtspolitische Blockade in weite Ferne.
Polen wehrt sich mit vollem Recht gegen alle Versuche, die deutsche Verantwortung für die Verbrechenslast des Holocaust und den Betrieb von Vernichtungslagern zu relativieren. Der Begriff „polnische Vernichtungslager“ kann nicht hingenommen werden. Ebenso wenig Versuche, die Erscheinungsformen des polnischen Antisemitismus in die Nähe des deutschen antijüdischen Vernichtungswillens zu rücken, der ja auch immer ein antislawischer war.
Die neue Gesetzesinitiative der PIS-Regierung hat jedoch ein anderes Ziel. In einer Erklärung des Polnischen PEN-Clubs dazu wird festgehalten, dass es hier nicht um die Bekämpfung der Auschwitzlüge und des Neofaschismus geht. Mit dem Argument der Beleidigung des polnischen Staates und des polnischen Volkes würde hier die Tradition der Majestätsbeleidigung aufgenommen. Willkürlich definierte „Fälschungen der Geschichte“ mit Freiheitsberaubung zu ahnden entspräche der Gesetzgebung in Putins Russland. Der Aufruf des polnischen PEN-Clubs schließt mit den Worten: „Möge das unabhängige Polen diesen selbstmörderischen hysterischen Anfall überleben“
Unabhängigkeitstag im November
Welche geschichtlichen Kräfte in Polen aufeinanderprallen, wird sich in diesem Jahr mit aller Deutlichkeit zeigen. Am 11. November begeht Polen den hundertsten Jahrestag seiner wiedergewonnenen Unabhängigkeit. Ein Datum, auf das die Polen stolz sein können: Am Ende des ersten Weltkrieges musste die Unabhängigkeit erkämpft und verteidigt werden. In den 20 Jahren der Zweiten Polnischen Republik war sie bedroht und gefährdet. Das Ende der Souveränität durch den gemeinsamen Überfall Hitlerdeutschlands und der Sowjetunion unter Stalin markiert einen der tragischsten Momente in der Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Polnische Patrioten, die sich vom Nationalismus nicht hinreißen lassen, werden den Jahrestag mit Stolz und Würde begehen; sie werden den Nachbarn Deutschland nicht als ewigen Gegner darstellen, der lediglich die Mittel gewechselt hat, von militärischer Besatzung zu ökonomischer Präsenz. Die Gefolgsleute der PIS und ihre Verbündeten aber werden das Andenken der Zweiten Republik plakativ heroisieren und jedes Nachdenken über Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus, der eben auch zur polnischen Geschichte gehört, tabuisieren.
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