Zieht jetzt in Hongkong die Gewalt ein?

Foto: Shut­ter­stock /​ Jimmy Siu

Erst sticht ein Hong­konger einen Poli­zisten auf offener Straße nieder. Dann behauptet die Polizei, ein Bomben­at­tentat vereitelt zu haben. Wie real die Gefahr gewesen ist, ist nicht klar. Klar ist nur: Von der Eska­la­tion profi­tiert Peking.

Es ist dieser Tage so gut wie unmöglich, von Horror­mel­dungen aus Hongkong aufge­rüt­telt zu werden. Fast täglich über­schlagen sich die Nach­richten. Fest­nahmen, Anklagen, Angriffe auf die freie Presse. In der Menge der Schre­ckens­mel­dungen droht das große Ganze unter­zu­gehen. Das Schicksal Hongkongs droht im Unge­fähren zu verschwimmen.

Aber diese Woche drangen Nach­richten aus Hongkong, die so erschüt­ternd sind, das sie sich zu einem Eindruck verdichten:

Die Gewalt zieht in die Stadt ein. Hongkong steckt in einer Spirale der Eska­la­tion. Und ein Ausweg ist nicht in Sicht.

Es begann am 1. Juli.

Der 1. Juli ist aus zwei Gründen ein symbol­träch­tiger Tag. Zum einen jährt sich an ihm die Rückgabe Hongkongs an China. Die Hafen­stadt war von 1843 bis 1997 eine britische Kron­ko­lonie. Für Anhänger eines freien Hongkongs steht das Datum für den Anfang vom Ende. Mit ihm, so das Argument, begann die schlei­chende Erosion der Freiheitsrechte.

Zum anderen ist der 1. Juli aber auch der Jahrestag des chine­si­schen „Sicher­heits­ge­setzes“. 2020 führte Peking in Hongkong das Gesetz ein, um damit, so Pekings Darstel­lung, nach den Stra­ßen­pro­testen von 2019 Recht und Ordnung wieder­her­zu­stellen. Doch die Wahrheit ist: Peking nutzt das „Sicher­heits­ge­setz“, um jedwede Oppo­si­tion zu krimi­na­li­sieren und wegzu­sperren. Inzwi­schen sitzt so gut wie die gesamte parla­men­ta­ri­sche und außer­par­la­men­ta­ri­sche Oppo­si­tion im Gefängnis. Wer nicht einsitzt, ist aus der Stadt geflohen. Für Anhänger eines freien Hongkongs steht das Datum für den Beginn des staat­li­chen Terro­rismus. Mit ihm, so das Argument, setzte der Herztod Hongkongs ein.

Es begann also am 1. Juli. An diesem doppelt symbol­träch­tigen Jahrestag stach ein Hong­konger auf offener Straße einen Poli­zisten nieder. Anschlie­ßend nahm sich der Atten­täter das Leben.

Die Behörden reagierten auf das Attentat, indem sie den Angreifer als einen „einsamen Wolf“ darstellten, der sich politisch radi­ka­li­siert und „inlän­di­schen Terro­rismus“ begangen habe. Auch gaben sie zu Protokoll, dass die Polizei in der Wohnung des Angrei­fers Zeitungen gefunden hätten, die „fake infor­ma­tion“ enthalten und zum Hass aufge­sta­chelt hätten. Um was für Infor­ma­tionen es sich handelte, ließen die Behörden offen. Es muss befürchtet werden, dass sie den Fall bald instru­men­ta­li­sieren werden, um noch stärker gegen die freie Presse – bezie­hungs­weise das, was von ihr übrig ist – vorzugehen.

Aber für viele in Hongkong stand schnell fest, wer der eigent­liche Schuldige ist: Am Wochen­ende gedachten Menschen dem Atten­täter sowohl am Ort des Anschlags als auch im Internet. Auf LIHKG, einem bei radikalen Peking-Gegnern beliebten Inter­net­forum, erhielt ein Artikel, der besagte, dass sich der Zustand des verwun­deten Poli­zisten stabi­li­siert habe, 44 „Gefällt mit“-Klicks und fast 3000 „Gefällt mir nicht“-Klicks. Daraufhin sah sich die Polizei genötigt, eine Pres­se­mel­dung heraus­zu­geben, in der sie die Gewalttat verur­teilte – und auch alle Menschen, „die versuchen, die verab­scheu­ungs­wür­dige Tat in aufrüh­re­ri­scher Absicht zu roman­ti­sieren oder zu verherr­li­chen, um Hass in der Gesell­schaft zu schüren“.

Noch düsterer wurde es dann diese Woche. Am Dienstag gab die Polizei bekannt, dass sie neun Personen im Alter zwischen 15 und 39 Jahren, darunter sechs Jugend­liche, verhaftet habe und sie beschul­dige, ein Bomben­at­tentat in Planung gehabt zu haben. Demnach planten die Beschul­digten, Bomben in Gerichts­sälen, Bahnhöfen und an anderen öffent­li­chen Orten explo­dieren zu lassen. Nach eigenen Angaben stellte die Polizei Geräte und Rohma­te­ria­lien zur Herstel­lung des Spreng­stoffes TATP sowie eine „geringe Menge“ des Spreng­stoffs selbst sicher. TATP wird oft von Isla­misten genutzt. Der Spreng­stoff kam etwa bei den Anschlägen von Paris 2015 und in Brüssel 2016 zum Einsatz.

Noch ist unklar, wie real die Bedrohung war. Die Polizei könne, so raunt man in Hongkong, den Fall über­trieben haben, um die prode­mo­kra­ti­sche Bewegung zu dämo­ni­sieren. Seit dem Ausbruch der Anti-Peking-Proteste im Jahr 2019 behaup­tete die Polizei mehrmals, Bomben­an­schläge vereitelt zu haben. Aller­dings landeten nur wenige Verdäch­tige vor Gericht – was es schwierig macht einzu­schätzen, wie real die von ihnen ausge­hende Gefahr tatsäch­lich war.

Und so versinkt Hongkong dieser Tage in einem Kreislauf aus Gewalt und Gegen­ge­walt. Doch wie echt die Gewalt ist, die von der Demo­kra­tie­be­we­gung ausgeht, ist dabei nicht immer klar.

Die Regierung Hongkongs versucht, ihr auto­ri­täres Vorgehen in Hongkong zu recht­fer­tigen, indem sie behauptet, die prode­mo­kra­ti­sche Bewegung sei gewalt­tätig“, sagt Luke de Pulford von der briti­schen Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tion Hong Kong Watch: „Das ist ein falsches Narrativ und die Menschen sollten nicht darauf hereinfallen.“

Die Wort­führer der Bewegung wie Joshua Wong, Nathan Law und Margaret Ng seien alle, so de Pulford, Befür­worter des fried­li­chen Wider­stands. Die verzwei­felten Aktionen einiger Weniger seien nicht repräsentativ.

Ange­sichts der Droh­ku­lisse, die Peking in Hongkong aufgebaut hat, findet es de Pulford sogar beacht­lich, dass die Demo­kra­tie­be­we­gung immer noch für Fried­fer­tig­keit eintritt. „Es ist unglaub­lich ist, dass die Bewegung weiterhin mit über­wäl­ti­gender Mehrheit für fried­li­chen Wider­stand ist“, sagt er, „obwohl ihre Rechte vor ihren Augen dezimiert werden und die inter­na­tio­nale Gemein­schaft nichts unter­nommen hat, um China für seine scho­ckie­rende Behand­lung Hongkongs zur Rechen­schaft zu ziehen.“

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