Nach Corona: Globalisierung am Ende?
Seit Ausbruch der Corona-Krise häufen sich die Stimmen, die einen Abgesang auf die Globalisierung anstimmen. Deren Krise zeichnete sich allerdings schon lange zuvor ab. Das Globalisierungsmodell der 90er Jahre ist tot – aber was ist die Alternative, wenn wir einen Rückfall in ökonomischen Nationalismus vermeiden wollen? Ein Diskussionsbeitrag von Roderick Kefferpütz.
Die Globalisierung, wie wir sie kannten, ist tot. Friede, Freude, Freihandel – das war die Devise in den Neunziger- und Nullerjahren. Die Globalisierung würde die Nationalstaaten zusammenbringen, Frieden stiften, und für Wohlstand und Freiheit sorgen. Aber diese Art der Schulbuch-Globalisierung funktioniert nur unter geordneten Machtverhältnissen. Es ist kein Wunder, dass sie sich in Zeiten amerikanischer Unipolarität etablierte. Aber diese Zeiten sind vorbei. Zentrale Entwicklungen erschüttern die Globalisierung.
Erstens, die Rückkehr des geopolitischen Wettbewerbs. Revisionistische Kräfte, wie China und Russland, versuchen die Welt neu zu ordnen. Die Vereinigten Staaten und die Volksrepublik befinden sich längst in einem hegemonialen Systemwettbewerb.
Die Globalisierung ist kein machtfreies Spiel. Sie vernetzt und schafft zugleich Abhängigkeiten und macht verletzlich. Solange man einander vertraut, sich an die Regeln hält und keinen Hegemonialkonflikt austrägt, mag das kein größeres Problem sein. An die Regeln hält man sich in den internationalen Beziehungen schon länger nicht. Die Machthaber in Peking waren Spieler im System, die nur so taten, als würden sie mitspielen. China nutzte die Globalisierung zu seinem Vorteil, drang in alle offenen Räume ein und hielt gleichzeitig seinen Markt größtenteils geschlossen. Der ökonomische Effizienzdenken spielte der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) in die Karten. Über Jahre hat sich die Welt engmaschig mit der chinesischen Volkswirtschaft aus Kosteneffizienzgründen verflochten. Damit wurden stille Dependenzen geschaffen. China erkaufte sich politische Freundschaften, so wie es Yan Xuetong, geostrategischer Vordenker Pekings, in einem Meinungsbeitrag “Wie China Amerika besiegen kann” der Regierung empfahl.
Gleichzeitig hat sich die Trump-Administration von der maßgeblich durch die USA geschaffenen offenen Weltwirtschaft verabschiedet. „America first“ ist ökonomische Machtpolitik. Die USA tragen einen Hegemonialkonflikt mit einem Kontrahenten aus, mit dem sie gleichzeitig eng verflochten sind. Eine isolierte, binäre Blockkonfrontation, wie zu Zeiten des Kalten Krieges, ist nicht möglich. Im Clinch lässt es sich nicht boxen.
Wirtschaftliche Abhängigkeit als politische Waffe
Damit wird, zweitens, die Interdependenz der Globalisierung zum Machtmittel. “Wirtschaftliche Netzwerke und grenzüberschreitende Finanz‑, Daten- und Energieströme können sich eben auch in Waffen verwandeln”, schreibt Jana Puglierin, Leiterin des ECFR-Berlin. Interdependenz vermischt die Grenze zwischen Front und zivilem Hinterland. Das verstärkt Bestrebungen nach Eigenständigkeit. Wenn Trump chinesische High-Tech-Firmen zittern lässt, indem er deren Halbleiter-Importe verbietet, arbeitet China an einer eigenständigen Halbleiterproduktion. Wenn Trump den Dollar als Waffe gegen den Iran einsetzt und europäische Unternehmen damit unter Druck setzt, stärkt dass die Stimmen, die den Euro als Leitwährung neben den Dollar etablieren wollen.
Eine politische Antwort Washingtons auf Pekings Vernetzungsstrategie ist Entkopplung – „decoupling“. Denn das erlaubt eine offenere, einfachere Art der Konfrontation. Auch die KPCh fuhr jahrelang zweigleisig: sie vernetzten sich mit der Welt und verringerten zugleich die eigene Abhängigkeit. Bis 2025 soll der einheimische Marktanteil chinesischer Unternehmen in Schlüsselbranchen 70 Prozent betragen. Das ist kein Staatsgeheimnis, sondern Kernziel der Made in China 2025 Strategie. Laut Alicia Garcia-Herrero, Chefökonomin für den asiatisch-pazifischen Raum bei der französischen Investmentbank Natixis, ist “die Welt heute mehr denn je mit China verbunden...während China rasant weniger abhängig vom Rest der Welt wird.” Und die Volksrepublik gibt jetzt Vollgas. Bis 2022 will die kommunistische Führung ausländische Computer sowie Softwareanwendungen aus sämtlichen Behörden entfernen. Xi Jinping hat Maos altes Konzept der Autonomie und Eigenständigkeit (zili gengsheng) wiederbelebt.
Die globalisierten Verflechtungen stehen im Zentrum geopolitischer Spiele. Konnektivität – das Ausmaß und die Art der Vernetzung – ist Macht. Das stellt Lieferketten unter politischen Rechtfertigungsdruck, denn diese wurden die letzten Jahrzehnte unter dem Gesichtspunkt der Kosteneffizienz, nicht der gesellschaftlichen Resilienz, etabliert.
Corona-Krise als Wendepunkt
Drittens zerreißt das Coronavirus die Lieferketten. Die Pandemie führt die Anfälligkeit einer vom Effizienzgedanken beherrschten Globalisierung vor Augen. Wenn in China die Fließbänder stillstehen, hat das Auswirkungen auf die ganze Welt. Zahlreiche internationale Automobilhersteller, wie Toyota und Nissan, müssen wegen mangelnder Vorräte ihre Produktion drosseln. Das Coronavirus wird zum Auslöser der lange befürchteten Rezession.
Die Art der Globalisierung, alles dorthin zu legen, wo die Produktion am effizientesten ist, ist vorbei“
Brisant wird für viele Staaten vor allem die hohe Abhängigkeit von Medikamentenimporten. So ist Frankreich zum Beispiel zu 80 Prozent von Lieferungen aus dem Ausland abhängig. Unternehmen und Regierungen müssen sich dringend fragen, wie sie Lieferketten diversifizieren und elementare Produkte sicherstellen wollen. Wir erleben das Endspiel der bisherigen Globalisierung. “Die Art der Globalisierung, alles dorthin zu legen, wo die Produktion am effizientesten ist, das ist vorbei”, meint Jörg Wuttke, Präsident der europäischen Handelskammer in China.
Die Vorstellung, dass eine globalisierte Welt die Staaten zwangsläufig näher zusammenbringt und Frieden, Freiheit und Liberalismus befördert, ist fragwürdig geworden.
Es ist unklar, ob Europas Entscheidungsträger diese Realität vollständig verstanden haben. Am deutlichsten erkennt es bislang Emmanuel Macron. In seiner verteidigungspolitischen Grundsatzrede wies der französische Präsident daraufhin, dass wir uns „mit den direkten und indirekten Auswirkungen der Globalisierung auf unsere Souveränität und Sicherheit auseinandersetzen [müssen]...Die Kontrolle materieller und immaterieller Ressourcen und Ströme ist der Schlüssel zu neuen Machtstrategien...und schließlich ist die Grenze zwischen Konkurrenz und Konfrontation, die es uns ermöglicht hatte, zwischen Friedens- und Krisen- oder Kriegszeiten zu unterscheiden, heute völlig verwischt. Es gibt jetzt mehr Grauzonen, in denen hybride oder asymmetrische Aktionen zur Einflussnahme, Störung oder gar Einschüchterung eingesetzt werden...Ein Erwachen ist notwendig.”
Wenn wir auf eine unübersichtliche, verflochtene Welt partieller Ordnungen zusteuern, in der es unterschiedliche Wirtschaftsblöcke gibt, in der es einen amerikanischen und einen chinesischen Technik-Orbit mit unterschiedlichen Standards gibt, dann steht Europa unter Zugzwang und muss sich unbequemen Fragen stellen. Was bedeutet europäische Souveränität im vernetzten 21. Jahrhundert? Was ist das richtige Maß an Globalisierung? Wie gewährleisten wir offene Märkte und die liberale Gesellschaft, ohne uns erpressbar zu machen? Und was wollen wir in dieser Welt eigentlich sein? Ein eigenständiger Akteur der weltpolitikfähig ist, ein global Player im Verbund mit den USA, ein Akteur, der eine Schaukelpolitik zwischen den Supermächten betreibt, oder ein Spielfeld für andere Mächte?
Die systemische Herausforderung, vor der China uns stellt, könnte durchaus der Klebstoff der transatlantischen Allianz im 21. Jahrhundert sein, der die europäisch-amerikanischen Beziehungen stärkt. Diese Debatte müssen wir auf beiden Seiten des Atlantiks führen.
Der Text gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.
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