Umfrage zeigt: Das Misstrauen in die Politik ist erheblich
Das Zentrum für politische Forschung an der Pariser Sciences Po (CEVIPOF) hat mit einer Umfrage in Frankreich, Deutschland, dem Vereinigten Königreich und Italien das Vertrauen in die Politik untersucht. Die Ergebnisse sind vor allem für Frankreich beunruhigend. Wir haben uns die Zahlen für Deutschland näher angesehen.
Im Vergleich zu anderen westlichen Demokratien scheint das Vertrauen in staatliche Institutionen in Deutschland noch gefestigt. Dennoch kann man durchaus besorgt sein, wenn Regierung, Bundestag, Bundesrat, Gemeinden bei uns nicht mehr als plus-minus 60 Prozent Vertrauen genießen, die EU noch 50 Prozent und das Bundesverfassungsgericht immerhin 70 Prozent. In Frankreich liegen die Institutionen auf nationaler Ebene alle unter 40 Prozent. Die EU genießt in Frankreich noch bei 42 Prozent Vertrauen.
Auch politische Organisationen und Medien stehen in Deutschland besser da als in Frankreich – wobei 46 Prozent Vertrauen in die Medien und 39 Prozent Vertrauen in Parteien keine wirklich guten Werte sind. Soziale Medien halten nur 23 Prozent für vertrauenswürdig. Da fragt man sich, wem die Leute überhaupt noch glauben. In Frankreich sind die Zahlen noch dramatischer: Das Vertrauen in die Justiz liegt bei 48 Prozent, Gewerkschaften: 32 Prozent, Medien: 28 Prozent, Parteien: sogar nur 16 Prozent, soziale Medien: 17 Prozent.
Frankreich ist, so scheint es, in einer tiefen Krise, was die Legitimation von Institutionen und Organisationen des Gemeinwesens angeht. In Deutschland ist die Lage noch relativ robust.
Erschreckend ist allerdings, dass auch 42 Prozent der Deutschen Politiker für „eher korrupt“ halten (Frankreich: 65 Prozent). Lediglich 55 Prozent halten Politiker für eher ehrlich (Frankreich 31 Prozent). Die Aussage ist nicht weiter differenziert – womöglich meint sie auch den Vorwurf, Politiker würden sich nur um die eigenen Interessen kümmern und nicht für die Probleme der Leute interessieren. Mehr Aufschluss geben die Zustimmungswerte zu bestimmten Aussagen über Politiker: „Zu abgehoben und nur an Eigeninteressen interessiert“: 56 Prozent, „Unterschiede zwischen Bürgern und Eliten sind größer als zwischen den Bürgern“: 66 Prozent, „Das Volk und nicht Politiker sollten entscheiden“: 51 Prozent, „Statt professionelle Politiker sollen lieber normale Leute repräsentieren“ 44 Prozent. Atemberaubend ist, wie gering Kompromisse angesehen sind. 41 Prozent sind der Meinung, wer Kompromisse schließt, gibt seine Prinzipien auf. Die Leute beschweren sich, dass sie nicht gehört werden und sind zugleich kaum zu Kompromissen bereit. Für die demokratische Aushandlung von Konflikten ist das ein Problem.
In Deutschland beschreiben die eigene politische Ausrichtung 22 Prozent als links, 32 Prozent als rechts und 29 Prozent als „Mitte“. Eine linke Mehrheit sieht anders aus. In Frankreich sehen sich 19 Prozent links, 31 Prozent rechts, 17 Prozent in der Mitte, während 21 Prozent sich keiner politischen Verortung zurechnen, was wohl ein in Frankreich traditionell hoher Wert ist.
Im Hinblick auf Verteilungsgerechtigkeit gibt es aber deutliche Mehrheiten, die man traditionell als links bezeichnen würde: 80 Prozent der Deutschen meinen, die Einkommensunterschiede sollten verringert werden, 73 Prozent sind für geringere Unterschiede des Lebensstandards. Das bedeutet aber nicht eine besondere Empathie gegenüber den ärmeren Teilen der Bevölkerung: 68 Prozent meinen, dass Leute von Sozialhilfe profitieren, die nichts dazu beigetragen haben und 60 Prozent glauben, Arbeitslose würden Arbeit finden, wenn sie nur wollten. In Sachen Einwanderung gibt es klare Mehrheiten „rechts der Mitte“: 60 Prozent meinen es gäbe zu viele Einwanderer (gleicher Wert in Frankreich). 23 Prozent befürworten eine Öffnung für Migration, 54 Prozent dagegen sind für Abschottung gegenüber Migration. 51 Prozent der Deutschen sind für eine stärkere wirtschaftliche Öffnung, während 22 Prozent mehr Abschottung befürworten.
41 Prozent der Franzosen wollen den Kapitalismus grundlegend reformieren, 46 Prozent halten Reformen in einigen Punkten für nötig. In Deutschland halten nur 19 Prozent eine grundlegende Reform des Kapitalismus für nötig, 62 Prozent wollen den Kapitalismus in einigen Punkten reformieren.
Die Hälfte der Deutschen sehen die Nation als relativ geeint an, die andere Hälfte sieht in der Nation eher mehrere Gemeinschaften, die nebeneinander koexistieren. Immerhin sind nur 29 Prozent für die Wiedereinführung der Todesstrafe im Gegensatz zu 46 Prozent in Frankreich. Die Zustimmung zur Todesstrafe ist in Frankreich zwischen 2011 und 2013 von 35 auf 50 Prozent gestiegen.
Auf die Frage nach der Präferenz für ein politisches System gibt es solide Mehrheiten für die Demokratie: 84 Prozent in Frankreich, 85 Prozent in Deutschland, 83 Prozent im Vereinigten Königreich und 91 Prozent in Italien halten die Demokratie für eine gute Form, ein Land zu regieren. Dazu passt allerdings nicht die Zahl derjenigen, die sich „für einen starken Mann, der sich keine Sorgen um Parlament und Wahlen machen muss“ aussprechen: 34 Prozent in Frankreich, 42 Prozent in Deutschland, 49 Prozent im Vereinigten Königreich und 46 Prozent in Italien halten diese Form der Regierung für sehr gut bzw. eher gut. Aufgelöst wird dieser Widerspruch in der Umfrage nicht. Jedoch waren bei dieser Frage Mehrfachnennungen vorgesehen. Die Befragten sollten alle genannten Regierungsformen als gut oder schlecht bewerten
78 Prozent der Deutschen glauben daran, durch Wahlen etwas verändern zu können, und stimmen der Aussage zu, die Demokratie sei unverzichtbar und die bestmögliche Regierungsform. 69 Prozent wollen mehr direkte Demokratie. 36 Prozent stimmen der Aussage zu, in der Demokratie gehe nichts voran und es wäre besser, wenn es weniger Demokratie und mehr Effizienz gäbe. Auch hier waren Mehrfachnennungen vorgesehen.
Die Umfrage wurde zu Beginn des Jahres 2021 mitten in der Pandemie erhoben. Deshalb wurde auch untersucht, wie sehr die Befragten zu Verschwörungstheorien neigen. Immerhin gut ein Drittel der Deutschen (32 Prozent) halten es für wahrscheinlich, dass das Gesundheitsministerium mit der Pharmaindustrie zusammenarbeitet, um die Wahrheit über die Schädlichkeit der Impfungen zu verbergen. Zwei Drittel (64 Prozent) glauben das eher nicht. 39 Prozent glauben, dass die Gesundheitskrise der Regierung die Möglichkeit biete, die Bürger zu überwachen und zu kontrollieren, während 58 Prozent das für unwahrscheinlich halten. Die Zahlen fallen in allen vier befragten europäischen Staaten ähnlich aus und machen deutlich, wie groß das Misstrauen in die Entscheidungsträger in den westlichen Demokratien ist.
Am Rande: Nur 22 Prozent der Deutschen sind dafür, das Wirtschaftswachstum für den Klimaschutz zu stoppen. Das mag manche Klimaschützer enttäuschen, ist aber eher beruhigend, wenn man bedenkt, dass „Nullwachstum“ den Klimawandel allenfalls leicht verzögern, aber nicht stoppen würde.
Alles in allem sind die Umfrageergebnisse alles andere als eine Einladung, sich beruhigt zurückzulehnen. Die westlichen Demokratien müssen ihre Leistungsbilanz verbessern und neue Formen politischer Partizipation ermöglichen. Nicht zuletzt müssen die Parteien jedem Anzeichen von Korruption entschieden entgegentreten, um den Vertrauensverlust zu stoppen.
Die CEVIPOF-Umfrage “En qu(o)i les Françaisont-ils confiance aujourd’hui? – Le baromètre de la confiance politique” kann unter diesem Link in französischer Sprache als PDF heruntergeladen werden.
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