Fossiles Imperium Russland: Keine Energie­wende in Sicht

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Russlands Wirtschaft ist durch Sanktionen bereits stark geschwächt und wird weiter schrumpfen. Dies lässt auch eine ökolo­gische Moder­ni­sierung in weite Ferne rücken, analy­sieren Lukas Daubner und Aysel Aliyeva.

Russland hat die Ukraine in einen brutalen Angriffs­krieg hinein­ge­zogen – und die westlichen Staaten haben schnell reagiert. Die Folgen des Angriffs für Russland und die Welt werden erst langsam absehbar. Aber es ist so gut wie sicher, dass der Krieg die bereits in der Vergan­genheit stagnie­rende russische Wirtschaft langsam auslaugt. Die Wirtschafts- und Finanz­sank­tionen isolieren Russland von wichtigen Teilen der Weltwirt­schaft. So schätzt der Föderale Staat­liche Statis­tik­dienst (Rosstat), dass Russland im Jahr 2022 etwa zwölf Prozent seines Brutto­in­lands­pro­dukts (BIP) verlieren wird, während die aktuelle Infla­ti­onsrate bei fast 20 Prozent liegt und die Verbrau­cher­preise in die Höhe schnellen.

Die meisten aktuellen Analysen lenken die Aufmerk­samkeit auf die Folgen der Sanktionen gegen Russland und ihre Auswir­kungen auf den Verlauf des Krieges in der Ukraine.  In Verges­senheit gerät dabei, dass Russland zu den weltweit größten Verur­sa­chern von klima­schäd­lichen Gasen gehört und nach wie vor ein fossiles Imperium ist, das für seine rigorose, wenig reform­freudige politische und wirtschaft­liche Kultur bekannt ist.

Der Krieg verur­sacht nicht nur unend­liches Leid in der Ukraine, die Kämpfe verur­sachen auch verhee­rende Umwelt­schäden auf ukrai­ni­schem Boden. Wie der Beitrag zeigt, werden auch langfristige negative Folgen für eine ökolo­gische Moder­ni­sierung der russi­schen Wirtschaft deutlich.

Russlands Abhän­gigkeit von fossilen Brennstoffen

In den vergan­genen drei Jahren hat sich der Kreml zaghaft dem Thema Klima­schutz geöffnet. Die russische Regierung hat 2019 das Pariser Klima­ab­kommen ratifi­ziert, und Russland strebt an, bis 2060 klima­neutral zu sein. Unter dem Druck der export­ori­en­tierten Wirtschaft, der Zivil­ge­sell­schaft, inter­na­tio­naler Klima­ab­kommen und Projekten wie dem europäi­schen Green Deal unter­stützte Präsident Wladimir Putin Programme zur Effizi­enz­stei­gerung und Emissi­ons­re­duktion. Doch diese Initia­tiven sind nun Makulatur. Neben der dringend notwen­digen Reduzierung des russi­schen Beitrags zum Klima­wandel wären diese Maßnahmen auch wichtig gewesen, um die russische Wirtschaft unabhän­giger vom dominie­renden „fossilen Komplex“ zu machen. Diver­si­fi­zierung und Moder­ni­sierung wären notwendig gewesen, um die Wirtschaft zu trans­for­mieren, die struk­turell im 20. Jahrhundert stecken­ge­blieben ist.

“Der auf fossilen Brenn­stoffen basie­rende post-sowje­tische Staats­ka­pi­ta­lismus hat die überfällige Moder­ni­sierung und Diver­si­fi­zierung der Wirtschaft bisher blockiert.”

Als einer der weltweit größten Expor­teure von Öl, Gas und Kohle basiert das Geschäfts­modell Russlands auf der Förderung und dem Export fossiler Brenn­stoffe. Obwohl Russland – bis jetzt – nur drei Prozent zum globalen BIP beiträgt und zwei Prozent der Weltbe­völ­kerung ausmacht, produ­ziert das Land zehn und verbraucht fünf Prozent der weltweiten fossilen Energie­res­sourcen. Der auf fossilen Brenn­stoffen basie­rende postso­wje­tische Staats­ka­pi­ta­lismus hat bisher eine überfällige Moder­ni­sierung und Diver­si­fi­zierung der Wirtschaft blockiert. Im Gegensatz zu der sich in der EU beschleu­ni­genden Energie­wende haben die russi­schen Staats­un­ter­nehmen erst vor kurzem begonnen zu handeln. Akteure wie die Bank von Russland, die Sberbank, Rosneft und die staat­liche Entwick­lungs­ge­sell­schaft Vneshe­co­nombank haben begonnen, in eine klima­neu­trale Pilot­region auf der Insel Sachalin zu inves­tieren. Der Kernener­gie­riese Rosatom stieg 2018 in den Windener­gie­markt ein. Leider sind diese optimis­ti­schen Entwick­lungen durch den Krieg und das autoritäre innen­po­li­tische Klima zunichte gemacht worden.

Russland hätte eine grüne Trans­for­mation dringend nötig. Im Jahr 2019 setzte sich nach Angaben der Inter­na­tio­nalen Energie­agentur die russische Strom­erzeugung zu 46 Prozent aus Erdgas, zu 19 Prozent aus Kernenergie, zu 16 Prozent aus Kohle, zu 18 Prozent aus Wasser­kraft und nur zu etwa einem Prozent aus Wind- und Sonnen­en­ergie zusammen. Im Gebäude- und Wärme­sektor waren es 65 Prozent Erdgas, 21 Prozent Kohle und 14 Prozent andere Energie­quellen. Der Effizi­enzgrad der Anlagen ist trotz Anstren­gungen weiterhin sehr niedrig, sodass viel Energie verschwendet wird. Angesichts des Krieges und eines abseh­baren wirtschaft­lichen Rückgangs ist es unwahr­scheinlich, dass sich die Zusam­men­setzung der Strom- und Energie­er­zeugung in den nächsten Jahrzehnten ändern wird. Dies wird Ökosys­temen und mensch­licher Gesundheit weiter enorm schaden.

Russlands „umgekehrte Industrialisierung”

Die verschie­denen Sanktionen des Westens haben bereits starke Auswir­kungen auf das allge­meine Wirtschafts­wachstum Russlands. Ein wichtiger Grund ist der entstandene Mangel an neuen Inves­ti­tionen und Techno­lo­gie­im­porten. Am empfind­lichsten auf diesen Mangel reagieren Sektoren, die ihrer Produk­ti­ons­an­lagen regel­mäßig moder­ni­sieren müssen, etwa die Energie‑, Automobil- und IT-Branche. Zwei von drei Akteuren auf dem russi­schen Windener­gie­markt – die finnische Fortum und die italie­nische Enel – haben ihre neuen Inves­ti­ti­ons­pro­jekte seit dem Ausbruch des Krieges gestoppt, wobei Enel beabsichtigt, das Land innerhalb weniger Monate zu verlassen. Die dänische Firma Vestas, die in Russland Windrad­flügel für Fortum-Projekte produ­ziert hat, will sich ebenfalls zurückziehen.

Auch die zugäng­lichen Ölvor­kommen, etwa in der Gegend um Chanty-Mansijsk, sind nahezu erschöpft. Ohne spezielle Bohrtech­no­logien, die von den auslän­di­schen Ölgesell­schaften zur Verfügung gestellt werden, könnten die kürzlich gebohrten Ölquellen unbrauchbar werden. Die letzte Hoffnung Russlands ist China, das in den letzten vier Jahren seine techno­lo­gische Unter­stützung verstärkt hat, z. B. durch die chine­si­schen Nanhai-Bohran­lagen, die in den arkti­schen Gewässern um Murmansk aktiv waren. Aufgrund des Krieges wurden jedoch auch diese Opera­tionen einge­stellt. Im Gegensatz zum Energie­markt ist der russische Markt für Techno­logien zu klein, als dass sich China hier besonders engagieren würde – auch aus Sorge, von den westlichen Sanktionen betroffen zu werden.

“Führende russische Staats­öko­nomen fordern eine „обратная индустриализация“, eine „umgekehrte Indus­tria­li­sierung“, d.h. eine verstärkte Konzen­tration auf die Entwicklung weniger fortschritt­licher Techno­logien, eine Kreis­lauf­wirt­schaft und Importsubstitution.”

Alles in allem zeichnet sich ein düsteres Bild für die Zukunft der russi­schen Wirtschaft ab. Ebenso düster sieht es für eine ökolo­gische Trans­for­mation aus: Es fehlen technische Innova­tionen, Maßnahmen zur Anpassung an den Klima­wandel sowie an Techno­logien zur CO2-Abscheidung. Die notwendige Moder­ni­sierung der Energie­infra­struktur sowie der Import und die Instal­lation von Elektro­ly­seuren zur Wasser­stoff­er­zeugung, die Entwicklung von E‑Mobilität oder die Instal­lation von Wärme­pumpen sind auf Eis gelegt. Doch es fehlt nicht nur an Kapital. Neben dem Fachkräf­te­mangel wird es bald auch an Hightech-Geräten, innova­tiven Anwen­dungen und wissen­schaft­lichem Know-how mangeln, aber auch an einfachen Ersatz­teilen, von Autoteilen bis hin zu Haushalts­ge­räten. Schon jetzt gibt es Berichte über Engpässe bei wichtigen Kompo­nenten für die Luft- und Raumfahrt und die Automo­bil­in­dustrie, bei Papier und zahnme­di­zi­ni­schem Bedarf.

Als Gegen­maß­nahme zur Bekämpfung der aktuellen Krise fordert die populis­tische russische Führung eine „обратная индустриализация“, eine „umgekehrte Indus­tria­li­sierung“, die sich verstärkt auf die Entwicklung weniger fortschritt­licher Techno­logien, sowie auf eine “Kreis­lauf­wirt­schaft”, die aller­dings nicht auf werterhalt, sonder auf die Degra­dierung von Stoffen setzt. Chancen rechnet sich die Führung außerdem durch Import­sub­sti­tution aus. So wird zum Beispiel erwartet, dass der sowje­tische Automo­bil­her­steller Avtovaz (Lada) mit seinen eher techno­lo­gie­armen Fahrzeugen ein Comeback feiert.

Darüber hinaus ist Russland beispiels­weise von der Einfuhr von Saatgut, Pesti­ziden, Tierarz­nei­mitteln und Bruteiern abhängig. Angesichts der Sanktionen nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 hat die russische Regierung Schritte unter­nommen, um diese Abhän­gig­keiten zu verringern, etwa durch die Einrichtung natio­naler Saatgut­banken und die Förderung der heimi­schen Pesti­zid­pro­duktion. Um diese Sektoren zu entwi­ckeln, sind aller­dings Inves­ti­tionen in Bildung und Innovation erfor­derlich, was ohne den Austausch von Wissen und Erfah­rungen mit der inter­na­tio­nalen Gemein­schaft sehr schwierig sein wird. Die globale Isolation wird dazu führen, dass modernere Techno­logien nur schwer zugänglich und durch weniger effiziente Alter­na­tiven ersetzt werden, was zu einer ineffi­zi­enten Produktion, einer Verschlech­terung der Produkt­qua­lität und höheren Preisen führt.

Eine grüne Zukunft ist unwahrscheinlich

Es wird deutlich, dass Russland die notwendige ökolo­gische Trans­for­mation durch gezielte Reformen in den nächsten Jahren und wahrscheinlich Jahrzehnten nicht erreicht. Umwelt- und Klima­po­litik werden nach dem Ende des Ukraine-Krieges in der Innen­po­litik kaum einen Platz haben. Die bishe­rigen Erfolge bei der Verrin­gerung der Luft- und Wasser­ver­schmutzung werden zunichte gemacht. Vermutlich haben lediglich der wirtschaft­liche Niedergang und die reduzierten Exporte von Öl, Gas und Kohle aufgrund des fehlenden techno­lo­gi­schen Know-hows und der sinkenden globalen Nachfrage zur Folge, dass die Klima­be­lastung durch Russland geringer wird.

Das Beispiel Russlands zeigt, dass eine ökolo­gische Trans­for­mation der Gesell­schaft ohne Wirtschafts­wachstum, politi­schen Wandel und inter­na­tionale Zusam­men­arbeit kaum zu erreichen ist. In der gegen­wär­tigen tiefen Rezession sind Politik und Wirtschaft nicht in der Lage, einen Wandel herbei­zu­führen. Russland wird somit zu einem armen Land, ohne Entwick­lungs­chancen und mit einer veral­teten und ineffi­zenten Wirtschaft.

Unter Putin wird es keine ökolo­gische Trans­for­mation geben

Solange Putin an der Macht ist, ist es unwahr­scheinlich, dass die wenigen innen­po­li­ti­schen Kräfte, die bisher die Moder­ni­sierung der Gesell­schaft und die wirtschaft­liche Diver­si­fi­zierung unter­stützt haben, nach dem Krieg eine Rolle spielen werden. Auch die Zivil­ge­sell­schaft wird nicht die Kraft haben, sich für solche Reformen einzu­setzen, da sie bereits stark unter Druck steht. Die politisch teilweise einfluss­reiche Mittel­schicht wird mit der Bewäl­tigung des Alltags beschäftigt sein. Umwelt­pro­teste haben es aufgrund der harschen politi­schen Unter­drü­ckung schwer.

Mittel­fristig wird eine gewisse Zusam­men­arbeit zwischen Russland und den westlichen Ländern notwendig werden. Aller­dings ist es gut möglich, dass Putin auf der nächsten inter­na­tio­nalen Klima­kon­ferenz versuchen wird, eine Lockerung der Sanktionen im Gegenzug für eine Reduzierung der Treib­haus­gas­emis­sionen auszu­handeln. Damit wird Russland seine hohen CO2- und Methan­emis­sionen als Geisel nehmen. Dies wäre keine gute Grundlage für multi­la­terale Klima­ver­hand­lungen. Eine der wenigen Möglich­keiten für eine mögliche Zusam­men­arbeit nach dem Ende des Krieges könnte darin bestehen, dass Putin den Klima­wandel als Sicher­heits­risiko wahrnimmt. Diese Wahrnehmung könnte die Grundlage für eine Zusam­men­arbeit bei der Bekämpfung der globalen Erwärmung sein. Aller­dings wird es lange dauern, bis Russland der Klima­po­litik innen- und außen­po­li­tisch einen angemes­senen Stellenwert einräumt.

Dieser Beitrag ist leicht überar­beitet und im Original auf Englisch unter dem Titel Russias Green Future Suspended bei Inter­na­tional Politics and Society veröffentlicht.

Dr. Lukas Daubner ist Programm­di­rektor „Grüne Moderne“ und Aysel Aliyeva Programm-Managerin am Berliner Think-Tank „Zentrum für Liberale Moderne“.

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