Operation Prometheus – Befreiungskampf gegen das russische Imperium
Die Frage nach dem Zerfall des imperialen Russlands und der Souveränität seiner Nachbarstaaten ist von dramatischer Aktualität. Historisch neu sind diese Fragen nicht – Zaur Gasimov zeichnet den Weg des russischen Expansionsstrebens und den Kampf der europäischen „Prometheisten“ für nationale Selbstbestimmung nach.
Aktuell hat die Frage nach dem Zerfall des imperial getriebenen Russlands, nach der Zukunft einer souveränen Ukraine, eines freien souveränen Georgiens und der anderen Kaukasusrepubliken eine dramatische Aktualität gewonnen. Und nicht zu vergessen: Die Frage nach der Zukunft einer nichtimperialen Russländischen Föderation und ihrer inneren Ausgestaltung.
Das Streben der Prometheisten nach Unabhängigkeit vom russischen Imperium
Historisch neu sind diese Fragen indes nicht: In den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts sammelten sich die Prometheisten – Veteranen nationalen Unabhängigkeitsstrebens, die den ersten Weltkrieg in der Emigration oder ihren Heimatländern überstanden hatten – unter dem Namen und Symbol des antiken Prometheus.
Was sie verband, war das Ringen um politische Visionen und Konzepte für die eigene Zukunft, für die Zukunft eines nichtimperialen Russlands, nach dem Zerfall der Sowjetunion. Ein Zerfall, der in den ersten Jahren der kommunistischen Macht in Russland keinesfalls auszuschließen war. Zum Kern der mehr oder weniger lockeren Netzwerke zählten Vertreter aus den nichtrussischen Gebieten des Zarenreiches. Es waren aber auch Russen darunter, die für eine nichtimperiale Zukunft ihres Vaterlandes eintraten.
Zu den „Prometheisten“ zählten politische Aktivisten, Diplomaten, Intellektuelle und Wissenschaftler. Sie sammelten sich um Redaktionen und Zeitschriften, in Klubs und akademischen Zentren, hielten Tagungen und Kongresse ab und kommunizierten intensiv miteinander.
Gesamtbild der prometheistischen Bewegung: Spannender Erkenntnisgewinn
In seiner aktuellen Arbeit zeichnet der Historiker Zaur Gasimov ein Gesamtbild der Vorläufer und der klassischen Phasen der prometheistischen Bewegung in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts. Auf die Entwicklung der „Neoprometheisten“ nach dem Zweiten Weltkrieg und deren aktuelle Bedeutung gibt er einen kurzen Ausblick.
Und wer sich als Leser nicht vom akademischen Gewicht der Arbeit Gazimovs abschrecken lässt, hat einen unerwarteten und spannenden Erkenntnisgewinn.
Der Autor durchstöberte dafür europäische und außereuropäische Archive und Quellensammlungen, traf auf Veteranen der Bewegung, nahm an Tagungen, Konferenzen und Kongressen teil, die diesem Thema gewidmet waren. Sein eigener Ausgangspunkt ist die Bakuer Staatsuniversität. Ein Studium der osteuropäischen Geschichte an der katholischen Universität Eichstätt-Ingolstatt folgte, dem sich Forschungsaufenthalte in Warschau, Paris und Istanbul anschlossen.
Russlands Entwicklung zur europäischen Großmacht
In seiner Entwicklung zur europäischen Großmacht ging Russland einen ganz eigenen Weg. Sie beginnt mit dem Moskauer Großfürsten Iwan Kalita, der sich 1530 zum Zaren krönen ließ – und ob seiner Grausamkeit als Iwan der Schreckliche in die Geschichte einging.
Er schüttelte die jahrhundertelang andauernde, mongolisch-tatarische Oberherrschaft erfolgreich ab und brachte konkurrierende russische Stadtrepubliken, wie das stolze Nowgorod und die damit verbundenen Territorien unter seine Kontrolle. Sein Herrscheranspruch verband Elemente asiatischer Despotie, die in Russland Fuß gefasst hatten, mit oströmisch-byzantinischer orthodoxer Tradition.
Fortgesetzte territoriale Expansion
Nach außen lebte das „große, ewige Russland“ von fortgesetzter territorialer Expansion. Peter der Große (1672–1725) betrieb als einer der entscheidenden Nachfolger auf dem Zarenthron die Öffnung nach Westeuropa als Teil einer Modernisierungsstrategie, die jedoch den despotischen Charakter des Systems weitgehend unangetastet ließ.
Südukrainische Territorien als „heilige russische Erde“
Unter Katharina der Großen (1729–1796) rückte Russland im späten achtzehnten Jahrhundert endgültig in die Reihe der entscheidenden europäischen Großmächte auf. Die aus Deutschland stammende Zarin sicherte sich in den Teilungen Polens den Löwenanteil an Territorien. Ihr gelang es nach ihrem Sieg über die Türken, das tatarische Krim-Khanat und die umgebenden südukrainischen Territorien in Besitz zu bringen. Sie wurden zur „heiligen russischen Erde“ erklärt. Ihr Traum war der Griff nach Konstantinopel und die Erhöhung des Russischen Reiches zu einem dritten Rom.
Die westeuropäischen Großmächte und die russische Despotie
Die westeuropäischen Großmächte akzeptierten die russische Despotie als entscheidenden Teil der europäischen Ordnungsarchitektur des neunzehnten Jahrhunderts, blockierten jedoch ihren weiteren Eroberungsweg nach Süden. Der Krimkrieg von 1852–1856 endete mit einer Niederlage Russlands. Territoriale Zugewinne Russlands in Transkaukasien und Mittelasien folgten. Die bereits im 18. Jahrhundert einsetzende Eroberung Sibiriens wurde forciert, erreichte die Grenzen des Chinesischen Reiches und die Interessenssphäre der aufstrebenden fernöstlichen Großmacht Japan. Der ungebremste Expansionismus Russlands provozierte damit den Russisch-Japanischen Krieg von 1904/05, der mit einer Niederlage Russlands endete. Die Despotie hatte sich zu dieser Zeit zu einem gewaltigen, europäisch-asiatischen Völkergefängnis entwickelt.
„Die Ukraine war nicht bereit, sich als „Kleinrussen“ in den Bestand des imperialen Russlands einzufügen“
Die Ukraine hatte bis auf die Phasen freier Kosakenrepubliken ohne eigene staatliche Existenz eine lange Tradition mentaler, kultureller, sprachlicher Eigenständigkeit entwickelt – und war nicht bereit, sich als „Kleinrussen“ in den Bestand des imperialen Russlands einzufügen. Das gleiche galt für krimtatarische, kaukasische, baltische, und in späterer Zeit auch mittelasiatische und fernöstliche Nationen und Völker.
Deren Protagonisten und Vertreter kamen in den europäischen Emigrationszentren zusammen, suchten Formen der Kooperation, waren mit den Folgen der jeweiligen Aufstände und Erhebungen konfrontiert und hatten nie ein einheitliches Programm – wohl aber eine ganze Anzahl gemeinsamer Forderungen.
Das kommunistische Herrschaftsmodell schloss nationale Selbstbestimmung aus
Der jähe Zerfall des zaristischen Imperiums in Folge des Ersten Weltkrieges ließ für wenige Monate die Hoffnung aufkommen, dass sich Russland in eine Republik nach westeuropäischem Vorbild oder eine konstitutionelle Monarchie verwandeln könne.
Die Machtübernahme durch die Bolschewiki im Herbst und Winter 1917/18 machte den Großteil dieser Hoffnungen zunichte. An die Stelle des „Weißen“ zaristischen Imperiums, trat das „Rote Imperium“, dass unter anderem Vorzeichen nach europäischer und weltweiter Vorherrschaft strebte.
Die in den Verlautbarungen der Bolschewiki propagierte nationale Selbstbestimmung angeschlossener Völker und Nationen war durch das kommunistische Herrschaft- und Gesellschaftsmodell letztlich ausgeschlossen.
Der polnische Staatsgründer Piłsudski
Eine erneuerte polnische Republik kam im November 1918 durch den Zusammenbruch und Zerfall aller Teilungsmächte zustande. Der junge polnische Staat war vom ersten Tag seiner Existenz an mit dem Revanchedruck und erneutem Eroberungsdrang seines russischen Nachbarn konfrontiert. Es lag im elementaren Überlebensinteresse der polnischen Staatsgründer unter der Führung des ehemaligen Sozialisten Józef Piłsudski, alle anderen, weiter im russischen Herrschaftsgebiet festgehaltenen Nationen und Völker, in ihren Autonomie- und Unabhängigkeitsbestrebungen zu unterstützen.
„Der junge polnische Staat wurde zum Zentrum einer auf nationale Emanzipation gerichteten Bewegung“
Bis zum Abschluss der Versailler Verträge konnte sich die junge polnische Republik noch nicht einmal der eigenen Grenzen sicher sein und wurde vom ersten Moment an mit dem Vorrücken einer millionenfachen sowjetrussischen „Roten Armee“ konfrontiert. Nach dem Willen Lenins und seiner Mitstreiter sollte die Fackel der Weltrevolution in die Zentren Westeuropas getragen werden.
Der Weg dahin führte über Polen, dem eine Zukunft als Vasallenstaat oder polnische Sowjetrepublik drohte. Der russisch-polnische Krieg endete mit einer entscheidenden Kriegsniederlage Russlands und der junge polnische Staat wurde zum Zentrum einer auf nationale Emanzipation gerichteten Bewegung.
Piłsudski und die Prometheisten
Der polnische Staatsgründer und sein unmittelbares Umfeld lassen sich nicht als alleiniger Initiator und dominierendes Zentrum der Prometheisten definieren, so sehr sie auch die international vielgestaltige Bewegung und ihre Netzwerke unterstützten und dabei ihre eigenen Interessen hatten. Für eine solche Dominanz waren die Eigenkräfte prometheistischer Akteure in den verschiedensten Zentren zu stark, die Quellen ihrer Unterstützung zu vielfältig.
Arrangement mit dem sowjetrussischen Gegenüber
Woran sie letztlich scheiterten, war der Widerstand rechtsnationaler Kreise um Roman Dmowski, der beträchtliche Kräfte des politischen Spektrums der ungefestigten jungen Republik hinter sich wusste. Sie waren eher bereit sich mit dem sowjetrussischen Gegenüber zu arrangieren, dem sie sich überlegen wähnten und strebten ein ethnisch homogenes und möglichst judenfreies Polen an. Sie hassten und verachteten den „Litauer“ und Freigeist Piłsudski, selbst wenn sie sich hinter ihm als Vater der Nation duckten und ihn umgekehrt zu vereinnahmen suchten. Das gilt auch für ihre aktuellen Nachfolger.
Es waren jüngere Anhänger der Konzeption einer modernen, liberalen, nach Europa geöffneten polnischen Staatsbürgernation, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Kreis der Pariser Exilzeitschrift Kultura um Jerzy Giedroyc diesem Ziel folgten. Sie gaben den vielfach zersplitterten und widersprüchlichen Bemühungen der Prometheisten im Nachkriegseuropa einen Kompass, der Jahrzehnte nach den Befreiungsrevolutionen von 1989 in eine neue Phase osteuropäischer Befreiung führt.
Krieg gegen die Ukraine als letztes Aufbäumen des russischen totalitären Imperiums
Der mörderische Krieg gegen die Ukraine wird zum letzten Aufbäumen des russischen totalitären Imperiums. Eine demokratische russländische Föderation, die sich all ihren Nachbarn in Partnerschaft zuwendet, muss kein Zukunftstraum bleiben. Russen und Angehörige anderer Völker und Nationen, die sich dieser Umgestaltung stellen, sind in den Reihen der Neoprometheisten zu finden.
Zaur Gasimov: „Warschau gegen Moskau. Prometheistische Aktivitäten zwischen Polen, Frankreich und der Türkei 1918–1939“ Franz Steiner Verlag 2022. 371 S.
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