Die Ampel nimmt die beruf­liche Quali­fi­zierung in den Blick

shutter­stock inc./akophotography

Die 2020er sind ein Trans­for­ma­ti­ons­jahr­zehnt. Das wird auch und ganz zentral den Arbeits­markt betreffen. Was die Ampel­ko­alition sich in diesem Bereich vorge­nommen hat und ob es ausreicht, hat sich die New-Work-Expertin Alice Greschkow für uns angesehen. 

Der Koali­ti­ons­vertrag von SPD, Bündnis 90/​ Die Grünen und FDP soll Fortschritt und die Trans­for­mation in die Zukunft einleiten. Die sozial-ökolo­gisch-liberale Koalition möchte in ihrer Legis­la­tur­pe­riode Themen anpacken, die schon lange unter der gesell­schaft­lichen Oberfläche brodeln. Ob bei der Energie­wende oder der Wohnungs­knappheit in den urbanen Regionen des Landes – ein Ruck soll durch das Land gehen. Ähnlich sieht es im Bereich Arbeit aus. Die Koalition möchte die Weichen stellen, damit die Politik in der Gegenwart des modernen Arbeitens ankommt und bereit ist für die Zukunft.

Quali­fi­zierung soll zugäng­licher werden

Den Ampel­par­teien ist klar: Digita­li­sierung und Dekar­bo­ni­sierung werden die Wirtschaft massiv verändern. Die Gefahr, dass Menschen bei dieser Trans­for­mation abgehängt werden, ist entspre­chend groß. Die Ampel möchte dies vor allem mit besseren Quali­fi­zie­rungs­mög­lich­keiten verhindern.

Das heißt konkret: Um Weiter­bil­dungen für Menschen jenseits des typischen Berufs­qua­li­fi­zie­rungs­alters zu ermög­lichen, soll ein Lebens­chancen-BAföG einge­richtet werden. Zwar ist nicht exakt beschrieben, wie das Modell funktio­nieren soll, jedoch dürfte es klar an den Vorschlag für ein „Midlife-BAföG“ aus dem FDP-Wahlpro­gramm angelehnt sein, ein Konten­modell mit staat­lichen Zuschüssen für Gering­ver­die­nende. Im Wahlpro­gramm der Liberalen wird die Idee als punktuelle staatlich finan­zierte Förderung formuliert.

Gleich­zeitig soll das Bildungs­sparen erleichtert, bezie­hungs­weise subven­tio­niert werden. Einkom­mens­schwache Personen erhalten dafür jährliche Zuschüsse. Zudem soll eine Bildungs(teil)zeit nach öster­rei­chi­schem Vorbild ermög­licht werden. Dabei behalten Beschäf­tigte ihren Arbeits­platz, können sich jedoch Zeit für Quali­fi­zie­rungs­pro­gramme nehmen.

Diese Maßnahmen sollen es ermög­lichen, dass Menschen auch in der Mitte ihres Lebens die Möglichkeit haben, sich beruf­liche Quali­fi­zie­rungs­maß­nahmen zu leisten. Um den Prozess zu unter­stützen, soll die Bundes­agentur für Arbeit mit weiteren Kompe­tenzen ausge­stattet werden und einen stärkeren Fokus auf Quali­fi­zierung nehmen. Dies könnte dabei helfen mehr Orien­tierung auf dem höchst zersplit­terten Weiter­bil­dungs­markt zu geben.

Die Impulse der Ampel könnten zu einer großen Verbes­serung bei der beruf­lichen Quali­fi­zierung führen. Aller­dings ist ungewiss, ob insbe­sondere die Gruppen, die am stärksten von der Trans­for­mation der Wirtschaft betroffen wären, auch mit diesen Maßnahmen zu mehr Weiter­bildung kommen. Deutsch­lands Niedrig­lohn­sektor umfasst rund ein Fünftel der Beschäf­tigten und Studien zeigen, dass insbe­sondere Menschen in diesem Bereich selten Weiter­bil­dungen in Anspruch nehmen. Es ist fraglich, ob die finan­zi­ellen Anreize eines Lebens­chancen-BAföG die notwe­nigen Impulse setzt, um diese vulnerable Gruppe zukunftsfest zu machen. Zudem setzt die Ampel stark auf Indivi­dua­lismus und proak­tives Handeln.

In der Praxis müssen die Konzepte niedrig­schwellig gestaltet werden – insbe­sondere was die Bürokratie und den Zugang zu Infor­mation betrifft. Für Gruppen, die keine Nähe zu Bildungs­an­ge­boten haben, könnte der Aufwand zu groß sein.

Geordnete Flexi­bi­lität im modernen Arbeits­leben ermöglichen

Seit Beginn der Pandemie vor fast zwei Jahren hat sich für Millionen von Menschen der Arbeits­alltag verändert. Viele arbeiten mobil und auch zeitlich flexibel. Für Familien war dieser Schritt insbe­sondere angesichts des Homeschoo­lings nötig: Nachmittags Kinder betreuen, abends Beruf­liches erledigen. Arbeits­rechtlich hat man sich in vielerlei Hinsicht in einer Grauzone bewegt – die Ruhezeiten wurden nicht einge­halten und auch versi­che­rungs­rechtlich gab es Lücken für die Arbeit im Homeoffice. Überhaupt war nicht klar, wer Homeoffice in Anspruch nehmen darf.

Nun möchte die Ampel geordnete Flexi­bi­lität ermög­lichen: Zum einen soll beim Thema Homeoffice das nieder­län­dische Modell greifen. Ein Recht auf Erörterung soll gelten. Das heißt: Beschäf­tigte dürfen Homeoffice erbitten und Arbeit­geber dürfen diese Bitte nur ablehnen, wenn das mobile Arbeiten betrieb­liche Belange negativ beein­flussen würde.

Gleich­zeitig bekennt sich die Ampel zum 8‑Stunden-Tag, öffnet aller­dings die Tür für flexible Arbeits­zeit­mo­delle. In Koope­ration mit den Sozial­partnern soll es möglich sein, indivi­dua­li­sierte Lösungen zu finden. Angesichts der Hetero­ge­nität des deutschen Arbeits­marktes, wird dieser Weg mögli­cher­weise kreative und innovative Berufs­gruppen stören, doch sie schützt dieje­nigen, die beispiels­weise schwer körperlich arbeiten.

Den Menschen mit flexiblen Arbeits­mög­lich­keiten möchte die Ampel entge­gen­kommen und das EU-weite mobile Arbeiten leicht ermög­lichen. In diesem Zusam­menhang darf man erwarten, dass die versi­che­rungs­recht­lichen Fragen endlich geklärt werden, die Beschäf­tigte sowie Arbeit­geber in den vergan­genen Monaten beschäftigt haben.

Darüber hinaus soll eine der flexi­belsten Gruppen stärker ins Visier genommen werden: Das Status­fest­stel­lungs­ver­fahren für Selbst­ständige soll refor­miert werden, damit diese Beschäf­tigten in keine recht­lichen Graube­reiche abrutscht. Zudem soll der Zugang in eine freiwillige Arbeits­lo­sen­ver­si­cherung erleichtert werden.

Die sozial­li­berale Symbiose ist gelungen 

Im Kapitel zu Arbeit liest sich der Koali­ti­ons­vertrag wie ein guter Kompromiss zwischen den klassi­schen sozial­de­mo­kra­ti­schen Themen und liberalen Impulsen. Man hat sich auf 12 Euro Mindestlohn und Pilot­ver­suche zur Online-Betriebswahl geeinigt. Mitbe­stimmung soll weiterhin gestärkt bleiben. Die Midi- und Minijob­grenzen werden entspre­chend des Mindest­lohns angehoben. Gleich­zeitig finden sich auch Themen, die aus einem liberalen Werte­kontext geboren wurden.

Fraglich ist, wie die Integration in den Arbeits­markt von Menschen gelingen soll, die aus unter­schied­lichen Faktoren aus dem Raster fallen. Mit einem neuen Bürgergeld möchte die Ampel zwar eine nachhaltige Arbeits­markt­in­te­gration erreichen und auch die Integration von Menschen mit Behin­de­rungen ist explizit erwähnt, doch bei den konkreten Verän­de­rungen bleiben die Parteien noch vage.

Es ist beachtlich, dass die Ampel­ko­alition weiterhin die Vollbe­schäf­tigung unter der 40-Stunden-Woche anzuvi­sieren scheint – dies ist eine optimis­tische Sicht, die mögliche Automa­ti­sie­rungs­pro­zesse nicht als Bedrohung sieht. Dieser Mut ist zu begrüßen. Dennoch hätte ein wenig mehr Mut bei Arbeits­zeit­re­ge­lungen Gruppen wie Müttern und älteren Beschäf­tigten geholfen, ihr Leben selbst­be­stimmter zu gestalten

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