Die Ampel nimmt die berufliche Qualifizierung in den Blick
Die 2020er sind ein Transformationsjahrzehnt. Das wird auch und ganz zentral den Arbeitsmarkt betreffen. Was die Ampelkoalition sich in diesem Bereich vorgenommen hat und ob es ausreicht, hat sich die New-Work-Expertin Alice Greschkow für uns angesehen.
Der Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP soll Fortschritt und die Transformation in die Zukunft einleiten. Die sozial-ökologisch-liberale Koalition möchte in ihrer Legislaturperiode Themen anpacken, die schon lange unter der gesellschaftlichen Oberfläche brodeln. Ob bei der Energiewende oder der Wohnungsknappheit in den urbanen Regionen des Landes – ein Ruck soll durch das Land gehen. Ähnlich sieht es im Bereich Arbeit aus. Die Koalition möchte die Weichen stellen, damit die Politik in der Gegenwart des modernen Arbeitens ankommt und bereit ist für die Zukunft.
Qualifizierung soll zugänglicher werden
Den Ampelparteien ist klar: Digitalisierung und Dekarbonisierung werden die Wirtschaft massiv verändern. Die Gefahr, dass Menschen bei dieser Transformation abgehängt werden, ist entsprechend groß. Die Ampel möchte dies vor allem mit besseren Qualifizierungsmöglichkeiten verhindern.
Das heißt konkret: Um Weiterbildungen für Menschen jenseits des typischen Berufsqualifizierungsalters zu ermöglichen, soll ein Lebenschancen-BAföG eingerichtet werden. Zwar ist nicht exakt beschrieben, wie das Modell funktionieren soll, jedoch dürfte es klar an den Vorschlag für ein „Midlife-BAföG“ aus dem FDP-Wahlprogramm angelehnt sein, ein Kontenmodell mit staatlichen Zuschüssen für Geringverdienende. Im Wahlprogramm der Liberalen wird die Idee als punktuelle staatlich finanzierte Förderung formuliert.
Gleichzeitig soll das Bildungssparen erleichtert, beziehungsweise subventioniert werden. Einkommensschwache Personen erhalten dafür jährliche Zuschüsse. Zudem soll eine Bildungs(teil)zeit nach österreichischem Vorbild ermöglicht werden. Dabei behalten Beschäftigte ihren Arbeitsplatz, können sich jedoch Zeit für Qualifizierungsprogramme nehmen.
Diese Maßnahmen sollen es ermöglichen, dass Menschen auch in der Mitte ihres Lebens die Möglichkeit haben, sich berufliche Qualifizierungsmaßnahmen zu leisten. Um den Prozess zu unterstützen, soll die Bundesagentur für Arbeit mit weiteren Kompetenzen ausgestattet werden und einen stärkeren Fokus auf Qualifizierung nehmen. Dies könnte dabei helfen mehr Orientierung auf dem höchst zersplitterten Weiterbildungsmarkt zu geben.
Die Impulse der Ampel könnten zu einer großen Verbesserung bei der beruflichen Qualifizierung führen. Allerdings ist ungewiss, ob insbesondere die Gruppen, die am stärksten von der Transformation der Wirtschaft betroffen wären, auch mit diesen Maßnahmen zu mehr Weiterbildung kommen. Deutschlands Niedriglohnsektor umfasst rund ein Fünftel der Beschäftigten und Studien zeigen, dass insbesondere Menschen in diesem Bereich selten Weiterbildungen in Anspruch nehmen. Es ist fraglich, ob die finanziellen Anreize eines Lebenschancen-BAföG die notwenigen Impulse setzt, um diese vulnerable Gruppe zukunftsfest zu machen. Zudem setzt die Ampel stark auf Individualismus und proaktives Handeln.
In der Praxis müssen die Konzepte niedrigschwellig gestaltet werden – insbesondere was die Bürokratie und den Zugang zu Information betrifft. Für Gruppen, die keine Nähe zu Bildungsangeboten haben, könnte der Aufwand zu groß sein.
Geordnete Flexibilität im modernen Arbeitsleben ermöglichen
Seit Beginn der Pandemie vor fast zwei Jahren hat sich für Millionen von Menschen der Arbeitsalltag verändert. Viele arbeiten mobil und auch zeitlich flexibel. Für Familien war dieser Schritt insbesondere angesichts des Homeschoolings nötig: Nachmittags Kinder betreuen, abends Berufliches erledigen. Arbeitsrechtlich hat man sich in vielerlei Hinsicht in einer Grauzone bewegt – die Ruhezeiten wurden nicht eingehalten und auch versicherungsrechtlich gab es Lücken für die Arbeit im Homeoffice. Überhaupt war nicht klar, wer Homeoffice in Anspruch nehmen darf.
Nun möchte die Ampel geordnete Flexibilität ermöglichen: Zum einen soll beim Thema Homeoffice das niederländische Modell greifen. Ein Recht auf Erörterung soll gelten. Das heißt: Beschäftigte dürfen Homeoffice erbitten und Arbeitgeber dürfen diese Bitte nur ablehnen, wenn das mobile Arbeiten betriebliche Belange negativ beeinflussen würde.
Gleichzeitig bekennt sich die Ampel zum 8‑Stunden-Tag, öffnet allerdings die Tür für flexible Arbeitszeitmodelle. In Kooperation mit den Sozialpartnern soll es möglich sein, individualisierte Lösungen zu finden. Angesichts der Heterogenität des deutschen Arbeitsmarktes, wird dieser Weg möglicherweise kreative und innovative Berufsgruppen stören, doch sie schützt diejenigen, die beispielsweise schwer körperlich arbeiten.
Den Menschen mit flexiblen Arbeitsmöglichkeiten möchte die Ampel entgegenkommen und das EU-weite mobile Arbeiten leicht ermöglichen. In diesem Zusammenhang darf man erwarten, dass die versicherungsrechtlichen Fragen endlich geklärt werden, die Beschäftigte sowie Arbeitgeber in den vergangenen Monaten beschäftigt haben.
Darüber hinaus soll eine der flexibelsten Gruppen stärker ins Visier genommen werden: Das Statusfeststellungsverfahren für Selbstständige soll reformiert werden, damit diese Beschäftigten in keine rechtlichen Graubereiche abrutscht. Zudem soll der Zugang in eine freiwillige Arbeitslosenversicherung erleichtert werden.
Die sozialliberale Symbiose ist gelungen
Im Kapitel zu Arbeit liest sich der Koalitionsvertrag wie ein guter Kompromiss zwischen den klassischen sozialdemokratischen Themen und liberalen Impulsen. Man hat sich auf 12 Euro Mindestlohn und Pilotversuche zur Online-Betriebswahl geeinigt. Mitbestimmung soll weiterhin gestärkt bleiben. Die Midi- und Minijobgrenzen werden entsprechend des Mindestlohns angehoben. Gleichzeitig finden sich auch Themen, die aus einem liberalen Wertekontext geboren wurden.
Fraglich ist, wie die Integration in den Arbeitsmarkt von Menschen gelingen soll, die aus unterschiedlichen Faktoren aus dem Raster fallen. Mit einem neuen Bürgergeld möchte die Ampel zwar eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration erreichen und auch die Integration von Menschen mit Behinderungen ist explizit erwähnt, doch bei den konkreten Veränderungen bleiben die Parteien noch vage.
Es ist beachtlich, dass die Ampelkoalition weiterhin die Vollbeschäftigung unter der 40-Stunden-Woche anzuvisieren scheint – dies ist eine optimistische Sicht, die mögliche Automatisierungsprozesse nicht als Bedrohung sieht. Dieser Mut ist zu begrüßen. Dennoch hätte ein wenig mehr Mut bei Arbeitszeitregelungen Gruppen wie Müttern und älteren Beschäftigten geholfen, ihr Leben selbstbestimmter zu gestalten
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