Chinas Tentakel reichen von Budapest bis zur Universität Cambridge
Edward Lucas sieht die Forschungsfreiheit an westlichen Universitäten in Gefahr durch chinesische Einflussnahme. Mittels Zuwendungen, Personal und Studenten versucht das Regime, kritische Forschung zu Themen, die Peking unangenehm sind, zu unterbinden, wie er an zwei Beispielen zeigt.
Im Oktober 1965 marschierten Studenten durch die Straßen Budapests und riefen „Wir werden nie wieder Sklaven sein!“ Das war der Beginn des ungarischen Aufstands gegen die sowjetische Besatzung, der von Panzern zermalmt und vom freien Westen im Stich gelassen werden sollte.
Fünfundsechzig Jahre später demonstrieren wieder Studenten in den Straßen. Dieses Mal protestieren sie gegen eine andere Art der Besatzung: Chinas kulturelle Hegemonie. Die ungarischen Behörden haben zuerst unter einem bürokratischen Vorwand die liberale Central European University zum Umzug ins Exil gezwungen und dann Chinas Fudan University eingeladen, ihren ersten Campus in Europa in der ungarischen Hauptstadt zu eröffnen.
Ein Stadtviertel, das für studentisches Wohnen konzipiert war, wird nun die chinesischen Gäste beherbergen. Der finanziell extrem gut ausgestattete Koloss wird mit den unterfinanzierten lokalen Universitäten auch im Wettbewerb um Personal stehen. Ungarn demonstrierten am vergangenen Wochenende gegen das Projekt mit Bannern, auf denen „Verrat“ stand. Ein Teilnehmer äußerte sich gegenüber Reuters: „Ich bin nicht einverstanden, dass unser Land die feudale Beziehung zu China stärkt.“
Straße der Uigurischen Märtyrer
Das mag eine Übertreibung sein. Mit Sicherheit lässt sich aber sagen, dass Victor Orbáns Regierung mit China flirtet. Sie hat mehrfach EU-Protestnoten gegen das harte Durchgreifen Chinas in Hong Kong und andere umstrittene Themen verhindert (laut ungarischen Regierungsvertretern, weil solche Gesten nichts ändern würden). Aber weder chinesische Kommunisten noch Kleptokraten im Kreml regieren Ungarn. Herr Orbán und seine Fidesz-Partei halten die Macht fest in Händen, jedenfalls auf der nationalen Ebene. (Die Opposition regiert einige der wichtigsten Städte, inklusive Budapest.)
Die hat bereits für einige Hindernisse für das Fudan-Projekt gesorgt. Die Stadtverwaltung hat Straßen um das vorgesehene Campusgelände umbenannt, z.B. in die „Straße der Uigurischen Märtyrer“. Andere Durchfahrtsstraßen werden Hongkongs Demokratieaktivisten ehren, den Dalai Lama und andere tabubrechende Themen.
Kritik in Cambridge „nicht hilfreich“
Die Stadtoberen der britischen Universitätsstadt Cambridge sollten ebenfalls schon mal ihre Farbeimer und Pinsel bereithalten. Seit Jahren rumoren dort Sorgen wegen des chinesischen Einflusses. Doch dieses Wochenende verbreitete sich die Nachricht, dass Peter Nolan, ein führender Chinawissenschaftler, im November versuchte, per Veto öffentliche Diskussionen von Themen zu verhindern, die die chinesische Führung verärgern würden. Er sagte Kollegen am Jesus College, dass öffentliche Veranstaltungen zu Themen wie Hongkong und dem Umgang mit den Uiguren dem öffentlichen Bild des Colleges schaden würden und daher „nicht hilfreich“ seien.
Ich habe in privaten Konversationen von mehreren Wissenschaftlern in Cambridge gehört, dass sie sich von den Verbindungen der Universität zu China eingeschränkt fühlen. Einer wurde gebeten in seinen Vorlesungen seine Kritik an staatlich finanzierten chinesischen Infrastrukturprojekten abzumildern, da diese Studenten aus Festlandchina in eine schwierige Situation brächte. Andere beklagten, es sei schwierig, Mittel für Forschungsthemen einzuwerben, die als „antichinesisch“ angesehen werden. Cambridge mauerte gegenüber Journalisten, die versuchten, den Verbindungen der Universität zu China nachzugehen.)
Globale Diskurskontrolle durch die KP
Das mag nach kleinen Problemen klingen. Aber sie sind die Zutaten eines großen Siegs für den chinesischen Parteistaat. Sein Ziel ist einfach: Jede Diskussion über China, überall auf der Welt, soll von Peking kontrolliert werden. Das betrifft Medien, Unterhaltungsindustrie, Verlage, akademische Arbeit und Politik. Dabei ist irrelevant, dass es sich bei der Freiheit auf diesen Gebieten um ein absoluter Kernstück des politischen Systems demokratischer Staaten handelt. Eine vierzehnseitige Note, die Australien im vergangenen November überreicht wurde, wies den Staat nicht nur, China nicht zu kritisieren, sondern darüber hinaus, sicherzustellen, dass jegliche Kritik aufhört. Dies ist ein großer Unterschied.
Chinas Hebel ist seine schiere Größe: Als Absatzmarkt, als Exporteur und als Spender. In den meisten westlichen Ländern wird von Universitäten unternehmerisches Handeln erwartet. China bietet sowohl die Fördermittel für die Forschung als auch die Studenten und das Lehrpersonal, dass diese Universitäten anziehen sollen. Je mehr auf diesen Ebenen aus China kommt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass chinesischer Druck akademische Freiheit beschneidet. Noch können wir das in Englisch, auf Ungarisch oder jeder anderen Sprache beklagen. Genießen wir diese Freiheit, so lange wir noch können!
Dieser Text ist i englischen Original bei CEPA erschienen.
Ergänzung 09.06.2021: Orban signalisiert, beim Fudan-Projekt zurückzurudern (reuters).
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