Die Zukunft Europas in Zeiten des russischen Angriffskriegs
Am 16. Oktober 2023 diskutierten Orysia Luzewitsch, Ralf Fücks, Miroslav Wlachovsky und Jaroslaw Kurfürst die Zukunft Europas in Zeiten des russischen Angriffskriegs. Die gleich lautende Podiumsdiskussion fand im Rahmen der Forum 2000-Konferenz in Prag statt und war eine deutsch-tschechische Kooperation zwischen dem Zentrum Liberale Moderne und der Forum 2000 Stiftung.
Jaroslav Kurfürst, Generaldirektor Europa im tschechischen Außenministerium, führte durch die Diskussion und bat Ralf Fücks eingangs um Erläuterung, wie sich der viel zitierte Ausspruch von Bundeskanzler über die „Zeitenwende“ konkret auf die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik auswirke. Ralf Fücks vom Zentrum Liberale Moderne betonte, dass trotz der proklamierten „Zeitenwende“ die deutsche Unterstützung für die Ukraine von einer gewissen Ambiguität geprägt sei. Die zeige sich auch im vom Kanzler geprägten Paradigma, nach dem die Ukraine nicht verlieren und Russland nicht gewinnen dürfe. Niemals jedoch habe der Kanzler gesagt, die Ukraine solle diesen Krieg gewinnen, damit sie ihre territoriale Integrität wieder vollständig herstellen könne. Die Folge sei eine zögerliche Haltung bei den Waffenlieferungen an die Ukraine, die gerade ausreichend seien, nicht zu unterliegen, aber unzureichend, um erfolgreich eine Gegenoffensive zu führen. Bei den Waffenlieferungen laute das Resumée: „Too little, too late“. Das gebe jedoch Putin Manöverfreiheit. Denn dessen Strategie sei es, auf Zeit zuspielen in der Hoffnung, dass der Westen eines Tags der Unterstützung für die Ukraine müde werde.
Orysia Luzewitsch, stellvertretende Leiterin des Eurasien-Programms von Chatham House, wies darauf hin, dass Russland nicht nur Krieg gegen die Ukraine führe. Dessen Truppen seien in Syrien und Afrika aktiv. Für Russland gehe es um ein globales Handlungsfeld. Der Krieg gegen die Ukraine sei nur ein Teil eines größeren Plans Russlands, den es einzudämmen gelte.
Für die Ukrainerinnen und Ukrainer gehe es in dem Krieg nicht nur um Territorium, dass man drohe zu verlieren, so Luzewitsch. Putin habe erklärt, dass er die Ukraine als Ganzes vernichten wolle. Die Ukrainer wüssten also, wofür sie kämpften. Während die Ukraine für die Zukunft kämpfe, kämpfe Russland für die Vergangenheit.
Ralf Fücks ergänzte, dass es in dem Krieg in der Ukraine um einen grundlegenden Konflikt über die europäische Friedensordnung gehe, wenn nicht um die Zukunft der internationalen Ordnung an sich. Der slowakische Außenminister Miroslav Wlachovsky mahnte an, man müsse sich vergegenwärtigen, was der Preis für Nichthandeln in diesem Konflikt sei. Ein Problem sei auch, dass man immer noch keine ausreichenden Herstellungskapazitäten für Waffen und Munition habe und teilweise auch deshalb die Ukraine nicht im nötigen Maß unterstützen könne.
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Mehr InformationenJaroslav Kurfürst fragte die Diskussionsteilnehmer, für wie realistisch sie die Pläne für einen EU-Beitritt der Ukraine einschätzten. Ralf Fücks betonte, man müsse die Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine beschleunigen. Die Ukraine sei hierfür bereit. Wir sollten die Ukraine nicht als Bürde, sondern als Gewinn für die EU verstehen, so Fücks. Der Beitritt der Ukraine sei für beide Seiten ein win-win. Das gelte für die eigene Sicherheit der EU, denn die Ukraine stelle ein Bollwerk gegen die russische Aggression dar. Aber auch wirtschaftlich könne die EU von der Ukraine profitieren. Insbesondere die lebendige Zivilgesellschaft der Ukraine sei ein Gewinn für die EU.
Jaroslav Kurfürst verwies auf die Diskussion, ob die EU sich zuerst selbst reformieren müsse, bevor sie für die Aufnahme neuer Mitglieder bereit sei. Schließlich sei die Union in der bestehenden Größe häufig bereits am Rande ihrer Handlungsfähigkeit angelangt. Insbesondere das Vetorecht der Mitgliedstaaten stelle mitunter eine erhebliche Hürde dar, wie sich am Beispiel Ungarns im Umgang mit Sanktionsbeschlüssen gegen Russland zeige.
Ralf Fücks betonte, man dürfe nicht in die Falle tappen, die Reform der EU gegen die Erweiterung auszuspielen. Dies würde endloses Warten für die Ukraine zur Folge haben. Gleichwohl sei die Reform der EU eine enorme Herausforderung. Die Frage sei, wie man Einigkeit in Vielfalt in einer größeren EU herstellen können. Orysia Luzewitsch verwies darauf, dass für die Ukraine die Mitgliedschaft in EU und NATO Teil des angestrebten Sieges sei. Sie zähle zu den Motiven, wofür man unter anderem in dem Krieg kämpfe.
Jaroslav Kurfürst fragte die Podiumsteilnehmer, wie der Westen mit den nuklearen Drohungen Putins umgehen solle. Außenminister Miroslav Wlachovsky betonte, das Spiel mit der Angst vor einer nuklearen Eskalation sei Teil der russischen Strategie. Ralf Fücks pflichtete ihm bei und wies darauf hin, dass der Westen über ausreichend Kapazitäten zur nuklearen Abschreckung verfüge. Die USA hätten Putin deutlich zu verstehen gegeben, dass der Einsatz von Nuklearwaffen keinerlei Option darstelle. Der Westen dürfe sich von Putins Drohungen nicht einschüchtern lassen. Politisch sei dies auch unser Krieg, so Fücks. Hier gehe es um Frieden und Demokratie in Europa und die regelbasierte internationale Ordnung.
Aus dem Publikum meldete sich Toomas Hendrik Ilves, der ehemalige Präsident Estlands, zu Wort. Er betonte, man müsse diesen Krieg in seiner Dringlichkeit verstehen. Schließlich hätten wir im nächsten Jahr Präsidentschaftswahlen in den USA. Als Folge könnte sich Europa sehr schnell in einer Situation wiederfinden, die der französische Präsident einmal als „strategische Autonomie Europas“ umschrieben habe. Jedoch komme dieser Schritt vielleicht schneller, als beabsichtigt, und könne Europa völlig unvorbereitet treffen, sollte eine neue Administration in den USA beschließen, nicht länger mit seinem Verteidigungsbudget die Sicherheit Europas finanzieren zu wollen. Es gehe für Europa im Krieg Russlands gegen die Ukraine also um Zeit und Dringlichkeit. Nichtstun sei gefährlich. Dass Nichtstun einen Preis habe, können man zweifelsfrei an der sogenannten Surowikin-Linie, dem verminten Verteidigungswall der russischen Armee, sehen. Indem man der Ukraine nicht ausreichend Waffen für die Gegenoffensive im Herbst 2022 geliefert habe, habe Russland Zeit gewonnen die Surowikin-Linie aufzubauen. Nun stelle diese Linie ein schwer überwindbares Hindernis für die ukrainische Gegenoffensive dar, so Ilves.
Jaroslav Kurfürst fragte Ralf Fücks, ob die „Zeitenwende“ am nötigen Geld scheitere. Letztlich sei das keine Frage des Geldes, meinte Fücks. Es gehe um politischen Willen und Führung. Das Ergebnis des Krieges werde eine entscheidende Bedeutung für unsere eigene Zukunft haben. Und leider sei die Zeit nicht auf unsere Seite, sondern spiele in Putins Hände. Wir sollten also unsere Bemühungen verstärken, so Fücks.
Ebenfalls aus dem Publikum meldete sich der russischen Menschenrechtsverteidiger Juri Dschibladse zu Wort. Er warnte, Russland habe noch eine Menge weiterer Instrumente in seinem Arsenal, um weitere Regionen zu destabilisieren. Dies könne man auf dem Westbalkan, im Nahen Osten und in Afrika beobachten.
Wir müssten mutiger und schneller werden, fasste Jaroslav Kurfürst die Ergebnisse der Podiumsdiskussion zusammen.
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