Marie­luise Beck: „Für Stein­meiers Rede hätte ich mir einen anderen Ort gewünscht“

Im Gespräch mit Jasper Barenberg vom Deutsch­landfunk lobte die Direk­to­rin Ostmitteleuropa/​​Osteuropa des Zentrum Liberale Moderne die Rede, welche Bundes­prä­sident Stein­meier anlässlich des 80. Jahrestags des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf die Sowjet­union hielt. Doch das Deutsch-Russische Museum sei nicht der richtige Ort für die Veran­staltung. Hier finden Sie das Origi­nal­in­terview auch im Audio, welches wir hier dokumentieren.

Barenberg: Frau Beck, Frank-Walter Stein­meier, der Bundes­prä­sident hat in seiner Rede die Monstro­sität der Verbrechen damals ein ums andere Mal mit sehr deutlichen Worten benannt und immer wieder in den Mittel­punkt seiner Gedenkrede gestellt. War das wichtig, war das richtig?

Beck: Das war wichtig und das ist richtig. Ich finde auch diese Formu­lie­rungen, die Sie einge­spielt haben, alle treffend, überzeugend. Sie sind mit seiner Person und mit seiner Glaub­wür­digkeit verbunden. Daran gibt es keinen Zweifel.

Das Entschei­dende ist – und das habe ich auch von ihm nicht anders erwartet – dass er erinnert an den Überfall auf die Sowjet­union und nicht auf Russland, und dabei sind wir bei dem schwie­rigen Punkt, weil bei uns in Deutschland sehr weit verbreitet die Formu­lierung ist, der 22. Juni war der Überfall auf Russland. Und dann wird gesagt, und kein Volk hat so gelitten unter den Deutschen wie Russland und wir sind verant­wortlich für den Tod von 27 Millionen Russen. Das trifft einen hoch sensiblen Teil der Länder und der Völker, die zwischen Russland und Deutschland von diesem Krieg ganz besonders betroffen worden sind, die heute nicht mehr Sowjet­union sind, die auch nicht Russland sind, sondern die heute heißen Belarus, Ukraine, die balti­schen Staaten mit Haupt­städten wie Minsk, Kiew, Riga, Vilnius.

Der Kreml arbeitet aber syste­ma­tisch an diesem Ausspruch, an dieser Formu­lierung, es war ein Krieg gegenüber Russland, so wie auch die Alliierten und deren Betei­ligung ausge­blendet werden an der Befreiung von Deutschland und von Europa. Deswegen ist der Ort so proble­ma­tisch, denn noch mal ganz kurz: Es ist das Deutsch-Russische Museum von Karlshorst.

Barenberg: Nun hat Frank-Walter Stein­meier ja zu dem Konflikt, zu der Kontro­verse unter anderem mit dem ukrai­ni­schen Botschafter gar nichts gesagt, hat unser Korre­spondent berichtet. Er hat aber die Bemerkung gemacht, dass diese Verbrechen im kollek­tiven Gedächtnis nicht so verankert seien, wie er das für nötig halten würde. Muss man an diesem Punkt konsta­tieren, was Sie auch angedeutet haben, es gibt in der Erinne­rungs­kultur eine Schieflage, die Russland in den Vorder­grund stellt und die anderen Staaten, die anderen Bevöl­ke­rungen, Ukraine, Belarus, die balti­schen Staaten, eher an den Rand drängt?

Beck: Ja, das erlebe ich so. Ich bin ja nun seit dem Maidan viel unterwegs für die Ukraine und mir wird häufig entge­gen­ge­halten, dass ich doch bitte beachten solle, das wir als Deutsche uns zurück­zu­halten hätten in der Bewertung der Lage vor Ort, denn keiner habe so viel Verant­wortung und so viele Opfer in der russi­schen Bevöl­kerung zu verant­worten wie wir, und dann kommt diese Zahl von 27 Millionen, die Bundes­prä­sident Stein­meier heute genannt hat.

Und es gibt etwas zweites. Ich sage hier Polen. Der Zweite Weltkrieg hat ja nicht am 22. Juni begonnen, sondern er hat begonnen am 1. September 1939 mit einem koordi­nierten Überfall auf Polen zwischen der Wehrmacht und der Roten Armee. Insofern gibt es da ein weiteres Kapitel, das ist für uns in Deutschland schwierig. Wir wollen nicht unsere Verant­wortung relati­vieren und sagen, ach ja, die sowje­tische Armee war ja genauso beteiligt an den Verbrechen wie wir. Es kann nicht um Relati­vierung gehen. Aber es gab eine Phase, in der Hitler und Stalin gemeinsame Sache gemacht haben, und das gehört zum großen histo­ri­schen Bild mit hinzu.

Barenberg: Was die Kontro­verse selbst angeht, da stören sich der ukrai­nische Botschafter und auch die balti­schen Staaten, die auch nicht teilge­nommen haben, an der Ortswahl, weil sie sagen, das Deutsch-Russische Museum, das sogenannte Deutsch-Russische Museum ist dafür nicht der geeignete Platz. Nun hat Frank-Walter Stein­meier, hat das Bundes­prä­si­di­alamt diese Kritik zurück­ge­wiesen und gesagt, in diesem Museum, an diesem Museum sind auch Museen aus der Ukraine, aus den balti­schen Staaten beteiligt. Würden Sie trotzdem sagen, dass das Bundes­prä­si­di­alamt da einen Fehler gemacht hat?

Beck: Ich fühle mich trotzdem sehr ungemütlich. Ich habe mir noch mal sehr genau angeschaut, wie dieses Museum, was es für eine Geschichte hat und wie es jetzt zusam­men­ge­setzt ist. Es ist entstanden als Außen­stelle des Zentral­mu­seums der Streit­kräfte der UDSSR in Moskau 1967. Es ist dann wieder­eröffnet worden 1995 als Deutsch-Russi­sches Museum Karls­horst. Es ist ein Verein, es sitzen Ukrainer und Belarussen in dem Verein, aber der wissen­schaft­liche Beirat besteht aus fünf deutschen und fünf russi­schen Vertretern. Insofern würde ich doch denken, ich hätte mir gewünscht für diese gute, ehrliche, wichtige Rede des Bundes­prä­si­denten, dass es einen anderen Ort gegeben hätte.

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