Lenin, Bannon, Köppel: Das gefähr­liche Spiel mit dem Volkszorn

By Gage Skidmore from Peoria, AZ, USA [CC BY-SA 2.0], via Wikimedia Commons

In Zürich prophe­zeite Steve Bannon den Siegeszug der populis­ti­schen Bewegung. Die stili­siert er zum Retter der weißen Arbei­ter­klasse. Bannon flirtet mit Lenin, er beherrscht das Reper­toire revolu­tio­närer Rhetorik. Auf einer Tour durch Europa wirbt er für den Aufbau einer antili­be­ralen Inter­na­tionale. Karen Horn hat sich für LibMod den Auftritt näher angesehen.

„Ihr nennt Euren Staat frei, in Wirklichkeit aber ist euer Staat […] nichts anderes als eine Maschine zur Unter­drü­ckung der Arbeiter, und je freier der Staat ist, umso deutlicher kommt das zum Ausdruck. Ein Beispiel dafür sind in Europa die Schweiz, in Amerika die Verei­nigten Staaten. Nirgends herrscht das Kapital so zynisch und rücksichtslos, und nirgends kann man dies mit solcher Klarheit sehen wie gerade in diesen Ländern, obwohl dies demokra­tische Republiken sind.“ Diese Worte stammen von Lenin, aus einem Vortrag, den er unter dem Titel „Über den Staat“ vor fast hundert Jahren in der Zentral­schule für Sowjet­funk­tionäre gehalten hat. Sie könnten auch von Steve Bannon stammen, dem nach seiner Entlassung sowohl aus dem Weißen Haus als auch aus seinem Medien­un­ter­nehmen Breitbart News tief gefal­lenen Strategen und Propa­gan­disten der ameri­ka­ni­schen Rechten. Bannon ist beken­nender Leninist.

Der einstige Berater Donald Trumps beherrscht das Reper­toire revolu­tio­närer Agitation: das Spiel mit dem Volkszorn, das bewusste Schockieren, die Hassreden, das Konstru­ieren von Sünden­böcken, die einfachen „Wahrheiten“, die Lügen. Auch inhaltlich ist dieser Spagat zwischen rechts und links nicht so absurd, wie man auf ersten Blick denken mag: Bannon will ebenfalls das bestehende System der „Knecht­schaft“ zermalmen und auf dessen Ruinen eine autoritäre „Volks­herr­schaft“ errichten; mit der Nuance, dass er vom „Estab­lishment“ spricht, das es zu zerstören gelte, um den Arbeitern die Erlösung zu bringen, und vom histo­risch vorbe­stimmten Sieg der populis­ti­schen Bewegung. Nach dem Vorbild der kommu­nis­ti­schen Inter­na­tionale malt sich Bannon in den schönsten Farben die „symbio­tische Verbindung“ der Rechts­po­pu­listen aller Länder aus, von Amerika bis in die Schweiz, von Polen und Ungarn bis Öster­reich, von Italien bis nach Deutschland.

„Es geht gerade erst los! Die Gezeiten der Geschichte sind auf unserer Seite!“, feuerte der ameri­ka­nische Einpeit­scher seine Zuhörern am vergan­genen Dienstag in Zürich an, just in jener Stadt, in der seinerzeit Lenin Unter­schlupf gefunden hatte, bis er seine Revolu­ti­ons­pläne in Russland verwirk­lichen konnte. Bannon sprach auf einer zum „Free Speech Summit“ hochge­jazzten Großver­an­staltung des aggressiv rechts­po­pu­lis­ti­schen Schweizer Magazins „Weltwoche“, das der SVP-Abgeordnete Roger Köppel als Eigen­tümer, Heraus­geber und Chefre­dakteur verant­wortet. Der leiden­schaft­liche Provo­kateur Köppel, einst ein Liberaler, war von 2004 bis 2006 Chefre­dakteur der deutschen Zeitung „Die Welt“.

Die „Weltwoche“ hatte Bannon auf einer Reise nach Europa und Asien abgepasst, wo er sich ein Bild über die jewei­ligen populis­ti­schen Parteien verschaffen will. Zuvor hatte er sich in Italien aufge­halten, wo er die „Lega“ auf den letzten Metern des Wahlkampfs unter­stützte. Auf der Reise nach Zürich hatte er in Lugano im Anwesen des früheren Eigen­tümers der „Weltwoche“, des Anwalts und Finan­ciers Tito Tettamanti, Station gemacht. In Zürich traf er dann unter anderem mit der AfD-Vorsit­zenden Alice Weidel zusammen. Weidel, die mit ihrer Familie in Bern wohnt, holte sich von ihm Rat für den geplanten Aufbau eines Newsrooms.

Dass mitunter links außen wieder ankommt, wer sich im politi­schen Rondell nur hinrei­chend nach rechts bewegt, führte Bannon den gut 1400 zahlenden und mehrheitlich offen­sichtlich der rechts­po­pu­lis­ti­schen Schwei­ze­ri­schen Volks­partei (SVP) naheste­henden Gästen vor. Mit den entspre­chenden Tiraden gegen die „Finanz­elite“ und die neoli­beral-kapita­lis­tische Logik der Share­holder-Value-Maximierung erntete er aller­dings in der Schweizer Banken­me­tropole betre­tenes Schweigen. Doch das machte er locker wett, indem er alle Säue durchs Dorf trieb, die man auch in der Schweiz unter Rechts­po­pu­listen so liebt: dass die „politische Klasse“ zutiefst korrupt sei; dass die „Mainstream“-Medien eine einzige „Opposition party“ seien, im Dienste der „Eliten“ stünden und „Fake news“ verbrei­teten; dass die Wirtschaft des eigenen Landes nicht der „radikalen“ Idee des Freihandels geopfert werden dürfe; dass die Probleme Afrikas auch dort gelöst werden müssten und nicht hier; dass Zuwan­derung bloß die Löhne der Einhei­mi­schen in den Keller treibe; dass die Rücksicht­nahme auf Minder­heiten wie Ausländer, Anders­gläubige und Homose­xuelle nichts anderes sei als eine „Identi­täts­po­litik“, die an den legitimen Inter­essen der Mehrheit vorbeigehe. Vertretern des libera­leren Flügels der SVP dürfte seine Kritik an Null- und Negativ­zinsen ebenso gefallen haben wie der Lobgesang auf die unregu­lierten Krypto­wäh­rungen, die im Schweizer Kanton Zug gedeihen und die es nach seiner Überzeugung dereinst ermög­lichen sollten, die Zentral­banken abzuschaffen. Selbst die Erläu­terung des glühenden „ökono­mi­schen Natio­na­listen“, Amerikas Stahl­zölle seien bloß eine notwendige Straf­maß­nahme gegen das unfaire totalitär-merkan­ti­lis­tische Regime Chinas, schien vielen einzuleuchten.

Zudem war Bannon äußerst großzügig mit Schmei­che­leien: Die Schweiz sei eine finan­zielle Super­macht, frei und wohlhabend, „ein wahres Leucht­feuer für die Welt“. Das verdanke sie einzig dem Unter­nehmer und Politiker Christoph Blocher, dem Vordenker, Sponsor und langjäh­rigen starken Mann der SVP. „Ganz allein ist Dr. Blocher im Jahr 1992 gegen das Estab­lishment aufge­standen“, pries ihn Bannon. Im Alleingang habe er den Beitritt der Schweiz zum Europäi­schen Wirtschaftsraum (EWR) verhindert. So habe Blocher heldenhaft die Souve­rä­nität der Schweiz gerettet – so rezitierte Bannon, was ihm sein Gastgeber Roger Köppel, Blochers Intimus und politi­scher Ziehsohn, erst kurz zuvor beigebracht haben dürfte.  „Blocher war Trump vor Trump“, rief Bannon unter dem Jubel der Zuhörer. Blocher selbst war bei der Veran­staltung nicht anwesend. Nicht nur zog er sich am selben Tag aus dem SVP-Partei­lei­tungs­aus­schuss zugunsten seiner Tochter Magdalena Martullo-Blocher zurück; er scheut die Verbindung mit Populisten aus anderen Ländern ohnehin. Die Zürcher Bühne überließ er allein Köppel, der gar nicht erst versuchte, sein Frohlocken zu verhehlen.

Mit der Einladung an Steve Bannon war Köppel im Kampf um Aufmerk­samkeit für sein seit Jahren an Auflage verlie­rendes, zum Partei­blatt verkom­menes Heft ein Coup gelungen. In der Veran­stal­tungs­halle im Zürcher Industrie-Vorort Oerlikon hatte er volles Haus, etwa 70 Presse­ver­treter im Saal, ein respek­tables Polizei­auf­gebot vor der Tür, Sicher­heits­schleusen wie am Flughafen, eine unange­meldete Demons­tration um die Ecke auf dem Markt­platz – und „einen der inter­es­san­testen Menschen“ schlechthin auf der Bühne, wie er stolz verkündete. Deshalb hängte er in seiner Propa­ganda-Show jeden noch verblie­benen Rest an journa­lis­ti­schem Ethos an den Nagel und stellte Bannon im Gespräch keine einzige kritische Frage. Statt­dessen gab er den Steig­bü­gel­halter: „Sind Sie Rassist? Ein ‚White supre­macist‘?“ Aber nein, so beteuerte Bannon treuherzig, und richtete sich an ein SVP-Publikum, zu dessen kognitiv disso­nantem Mantra es gehört, „nicht in die rechte Ecke gestellt“ werden zu wollen: Wem wie ihm Rassismus und Fremden­feind­lichkeit vorge­worfen werde, sagte er, der brauche sich nicht einmal zu ducken, er stehe weit oberhalb der Flugbahn der Geschosse.

Er sei auch kein Antisemit, versi­cherte Bannon, sondern im Gegenteil christ­licher Zionist. Als Beleg für seine untadelige Gesinnung sollte herhalten, dass Bannon seinerzeit einen Ableger von Breitbart News in Israel gegründet hatte. Weil solche Abwehr genau war, was Köppel hören wollte, hakte dieser wieder nicht nach. Und so entging vielen Zuhörern wahrscheinlich, wie mühelos sich in der eklek­ti­schen Gedan­kenwelt eines Steve Bannon und der extremen Rechten („Alt-Right“), der er mit Breitbart eine Plattform gegeben hat, das eine mit dem anderen verbinden lässt. Die neue Time‘s‑up-Bewegung jeden­falls, hervor­ge­gangen aus „Me too“ im Kampf gegen sexis­tische Übergriffe und damit, wie Bannon inter­pre­tierte, „in Wahrheit gegen das Patri­archat“, verkörpert ihm zufolge den Ungeist des „kultu­rellen Marxismus“ in Reinform – eine Variation des Nazi-Kampf­be­griffs des „Kultur­bol­sche­wismus“, der sich speziell gegen jüdische Intel­lek­tuelle richtete.

Bannon glaubt an feste Gezeiten der Geschichte. Auf dieser Grundlage schloss er in Zürich mit einer drasti­schen Kampf­ansage. Er kündigte den unmit­telbar bevor­ste­henden Zusam­menstoß der „alles auf den Kopf stellenden Revolu­tionäre“ von Time’s up mit seiner rechts­po­pu­lis­ti­schen, bald wohl auch inter­na­tional enger vernetzten Bewegung an. In dieser entschei­denden Schlacht, soviel ist klar, will er auf der Gewin­ner­seite stehen.

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