Lenin, Bannon, Köppel: Das gefährliche Spiel mit dem Volkszorn
In Zürich prophezeite Steve Bannon den Siegeszug der populistischen Bewegung. Die stilisiert er zum Retter der weißen Arbeiterklasse. Bannon flirtet mit Lenin, er beherrscht das Repertoire revolutionärer Rhetorik. Auf einer Tour durch Europa wirbt er für den Aufbau einer antiliberalen Internationale. Karen Horn hat sich für LibMod den Auftritt näher angesehen.
„Ihr nennt Euren Staat frei, in Wirklichkeit aber ist euer Staat […] nichts anderes als eine Maschine zur Unterdrückung der Arbeiter, und je freier der Staat ist, umso deutlicher kommt das zum Ausdruck. Ein Beispiel dafür sind in Europa die Schweiz, in Amerika die Vereinigten Staaten. Nirgends herrscht das Kapital so zynisch und rücksichtslos, und nirgends kann man dies mit solcher Klarheit sehen wie gerade in diesen Ländern, obwohl dies demokratische Republiken sind.“ Diese Worte stammen von Lenin, aus einem Vortrag, den er unter dem Titel „Über den Staat“ vor fast hundert Jahren in der Zentralschule für Sowjetfunktionäre gehalten hat. Sie könnten auch von Steve Bannon stammen, dem nach seiner Entlassung sowohl aus dem Weißen Haus als auch aus seinem Medienunternehmen Breitbart News tief gefallenen Strategen und Propagandisten der amerikanischen Rechten. Bannon ist bekennender Leninist.
Der einstige Berater Donald Trumps beherrscht das Repertoire revolutionärer Agitation: das Spiel mit dem Volkszorn, das bewusste Schockieren, die Hassreden, das Konstruieren von Sündenböcken, die einfachen „Wahrheiten“, die Lügen. Auch inhaltlich ist dieser Spagat zwischen rechts und links nicht so absurd, wie man auf ersten Blick denken mag: Bannon will ebenfalls das bestehende System der „Knechtschaft“ zermalmen und auf dessen Ruinen eine autoritäre „Volksherrschaft“ errichten; mit der Nuance, dass er vom „Establishment“ spricht, das es zu zerstören gelte, um den Arbeitern die Erlösung zu bringen, und vom historisch vorbestimmten Sieg der populistischen Bewegung. Nach dem Vorbild der kommunistischen Internationale malt sich Bannon in den schönsten Farben die „symbiotische Verbindung“ der Rechtspopulisten aller Länder aus, von Amerika bis in die Schweiz, von Polen und Ungarn bis Österreich, von Italien bis nach Deutschland.
„Es geht gerade erst los! Die Gezeiten der Geschichte sind auf unserer Seite!“, feuerte der amerikanische Einpeitscher seine Zuhörern am vergangenen Dienstag in Zürich an, just in jener Stadt, in der seinerzeit Lenin Unterschlupf gefunden hatte, bis er seine Revolutionspläne in Russland verwirklichen konnte. Bannon sprach auf einer zum „Free Speech Summit“ hochgejazzten Großveranstaltung des aggressiv rechtspopulistischen Schweizer Magazins „Weltwoche“, das der SVP-Abgeordnete Roger Köppel als Eigentümer, Herausgeber und Chefredakteur verantwortet. Der leidenschaftliche Provokateur Köppel, einst ein Liberaler, war von 2004 bis 2006 Chefredakteur der deutschen Zeitung „Die Welt“.
Die „Weltwoche“ hatte Bannon auf einer Reise nach Europa und Asien abgepasst, wo er sich ein Bild über die jeweiligen populistischen Parteien verschaffen will. Zuvor hatte er sich in Italien aufgehalten, wo er die „Lega“ auf den letzten Metern des Wahlkampfs unterstützte. Auf der Reise nach Zürich hatte er in Lugano im Anwesen des früheren Eigentümers der „Weltwoche“, des Anwalts und Financiers Tito Tettamanti, Station gemacht. In Zürich traf er dann unter anderem mit der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel zusammen. Weidel, die mit ihrer Familie in Bern wohnt, holte sich von ihm Rat für den geplanten Aufbau eines Newsrooms.
Dass mitunter links außen wieder ankommt, wer sich im politischen Rondell nur hinreichend nach rechts bewegt, führte Bannon den gut 1400 zahlenden und mehrheitlich offensichtlich der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP) nahestehenden Gästen vor. Mit den entsprechenden Tiraden gegen die „Finanzelite“ und die neoliberal-kapitalistische Logik der Shareholder-Value-Maximierung erntete er allerdings in der Schweizer Bankenmetropole betretenes Schweigen. Doch das machte er locker wett, indem er alle Säue durchs Dorf trieb, die man auch in der Schweiz unter Rechtspopulisten so liebt: dass die „politische Klasse“ zutiefst korrupt sei; dass die „Mainstream“-Medien eine einzige „Opposition party“ seien, im Dienste der „Eliten“ stünden und „Fake news“ verbreiteten; dass die Wirtschaft des eigenen Landes nicht der „radikalen“ Idee des Freihandels geopfert werden dürfe; dass die Probleme Afrikas auch dort gelöst werden müssten und nicht hier; dass Zuwanderung bloß die Löhne der Einheimischen in den Keller treibe; dass die Rücksichtnahme auf Minderheiten wie Ausländer, Andersgläubige und Homosexuelle nichts anderes sei als eine „Identitätspolitik“, die an den legitimen Interessen der Mehrheit vorbeigehe. Vertretern des liberaleren Flügels der SVP dürfte seine Kritik an Null- und Negativzinsen ebenso gefallen haben wie der Lobgesang auf die unregulierten Kryptowährungen, die im Schweizer Kanton Zug gedeihen und die es nach seiner Überzeugung dereinst ermöglichen sollten, die Zentralbanken abzuschaffen. Selbst die Erläuterung des glühenden „ökonomischen Nationalisten“, Amerikas Stahlzölle seien bloß eine notwendige Strafmaßnahme gegen das unfaire totalitär-merkantilistische Regime Chinas, schien vielen einzuleuchten.
Zudem war Bannon äußerst großzügig mit Schmeicheleien: Die Schweiz sei eine finanzielle Supermacht, frei und wohlhabend, „ein wahres Leuchtfeuer für die Welt“. Das verdanke sie einzig dem Unternehmer und Politiker Christoph Blocher, dem Vordenker, Sponsor und langjährigen starken Mann der SVP. „Ganz allein ist Dr. Blocher im Jahr 1992 gegen das Establishment aufgestanden“, pries ihn Bannon. Im Alleingang habe er den Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verhindert. So habe Blocher heldenhaft die Souveränität der Schweiz gerettet – so rezitierte Bannon, was ihm sein Gastgeber Roger Köppel, Blochers Intimus und politischer Ziehsohn, erst kurz zuvor beigebracht haben dürfte. „Blocher war Trump vor Trump“, rief Bannon unter dem Jubel der Zuhörer. Blocher selbst war bei der Veranstaltung nicht anwesend. Nicht nur zog er sich am selben Tag aus dem SVP-Parteileitungsausschuss zugunsten seiner Tochter Magdalena Martullo-Blocher zurück; er scheut die Verbindung mit Populisten aus anderen Ländern ohnehin. Die Zürcher Bühne überließ er allein Köppel, der gar nicht erst versuchte, sein Frohlocken zu verhehlen.
Mit der Einladung an Steve Bannon war Köppel im Kampf um Aufmerksamkeit für sein seit Jahren an Auflage verlierendes, zum Parteiblatt verkommenes Heft ein Coup gelungen. In der Veranstaltungshalle im Zürcher Industrie-Vorort Oerlikon hatte er volles Haus, etwa 70 Pressevertreter im Saal, ein respektables Polizeiaufgebot vor der Tür, Sicherheitsschleusen wie am Flughafen, eine unangemeldete Demonstration um die Ecke auf dem Marktplatz – und „einen der interessantesten Menschen“ schlechthin auf der Bühne, wie er stolz verkündete. Deshalb hängte er in seiner Propaganda-Show jeden noch verbliebenen Rest an journalistischem Ethos an den Nagel und stellte Bannon im Gespräch keine einzige kritische Frage. Stattdessen gab er den Steigbügelhalter: „Sind Sie Rassist? Ein ‚White supremacist‘?“ Aber nein, so beteuerte Bannon treuherzig, und richtete sich an ein SVP-Publikum, zu dessen kognitiv dissonantem Mantra es gehört, „nicht in die rechte Ecke gestellt“ werden zu wollen: Wem wie ihm Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vorgeworfen werde, sagte er, der brauche sich nicht einmal zu ducken, er stehe weit oberhalb der Flugbahn der Geschosse.
Er sei auch kein Antisemit, versicherte Bannon, sondern im Gegenteil christlicher Zionist. Als Beleg für seine untadelige Gesinnung sollte herhalten, dass Bannon seinerzeit einen Ableger von Breitbart News in Israel gegründet hatte. Weil solche Abwehr genau war, was Köppel hören wollte, hakte dieser wieder nicht nach. Und so entging vielen Zuhörern wahrscheinlich, wie mühelos sich in der eklektischen Gedankenwelt eines Steve Bannon und der extremen Rechten („Alt-Right“), der er mit Breitbart eine Plattform gegeben hat, das eine mit dem anderen verbinden lässt. Die neue Time‘s‑up-Bewegung jedenfalls, hervorgegangen aus „Me too“ im Kampf gegen sexistische Übergriffe und damit, wie Bannon interpretierte, „in Wahrheit gegen das Patriarchat“, verkörpert ihm zufolge den Ungeist des „kulturellen Marxismus“ in Reinform – eine Variation des Nazi-Kampfbegriffs des „Kulturbolschewismus“, der sich speziell gegen jüdische Intellektuelle richtete.
Bannon glaubt an feste Gezeiten der Geschichte. Auf dieser Grundlage schloss er in Zürich mit einer drastischen Kampfansage. Er kündigte den unmittelbar bevorstehenden Zusammenstoß der „alles auf den Kopf stellenden Revolutionäre“ von Time’s up mit seiner rechtspopulistischen, bald wohl auch international enger vernetzten Bewegung an. In dieser entscheidenden Schlacht, soviel ist klar, will er auf der Gewinnerseite stehen.
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