Klimaproteste: Kampf um die Mitte statt Endzeit-Getöse
Die Proteste von „Fridays for Future“ haben das Klimaproblem ins Zentrum von Politik und Gesellschaft gerückt. Eine Radikalisierung der Proteste nach dem Muster von „Extinction Rebellion“ würde diesen Erfolg gefährden. Es kommt darauf an, neue Mehrheiten für eine konsequente Klimapolitik zu bilden.
Robert Habeck stand am Brandenburger Tor rum und streikte für Klimapolitik, als die „Klimapaket“ genannten Beschlüsse der Bundesregierung nach und nach bekannt wurden. „Die Leute um mich herum hatten Tränen in den Augen vor Enttäuschung und Fassungslosigkeit“, schreibt der Bundesvorsitzende der Grünen in seinem Blog über den 20. September.
Ich stand da auch irgendwo. Bei mir heulte niemand. Ich will mich aber gar nicht lustig machen, sondern zugeben, dass ich vor Ort schon auch von der Verknüpfung eines nüchternen politischen Ziels und der neuen Emotionalität angefasst war, die Klimapolitik zumindest derzeit zu haben scheint. Es braucht diese Verknüpfung von Wissen und Fühlen, es braucht eine „emotionale Klima-Intelligenz“, sonst wird die Mehrheitsgesellschaft den Arsch nicht hochkriegen, weil das aus verschiedenen Gründen einfach sehr, sehr viel verlangt ist.
Weil die Gegner von Klimapolitik das größte Interesse haben, Radikalisierung, Freiheitsberaubung, Moral, Tugend, Verzicht und den ganzen Ablenkungskanon durchzukauen, ist es der Job der Klimapolitik-Befürworter sich auf keinen Fall wieder aus der liberalen Mitte drängen zu lassen.
Die große Frage lautet: Wie geht es jetzt weiter? Oder präziser: Wie geht es weiter, damit es wirklich los geht? Bisher wurden die Gefühle aktiviert oder intensiviert, nicht aber die Politik.
Die Klima-Aktivistin Greta Thunberg hatte im Angesicht dieses Mißverhältnisses mit ihrer Rede vor der UN in New York mit dem konfrontativen „How dare you?“ die rhetorische Schlagzahl erhöht. Um klarzumachen, dass mehrheitliches Kopfnicken zwar ein wichtiger Schritt ist, aber halt nur der erste. Die strategische Reaktion des nicht an Klimapolitik interessierten Rands der Gesellschaft besteht erwartungsgemäß darin, Thunberg und die Fridays for Future-Bewegung Richtung Radikalisierung schubsen zu wollen. Tenor: Erst Schule schwänzen, dann sooo gemein mit uns sprechen, was kommt als Nächstes: Autoschlüssel wegnehmen?
Ökologie steht nicht über Demokratie
Nun ist es ja so, dass apokalyptisches Sprechen schon in den letzten 40 Jahren nicht zu Klimapolitik geführt hat, insofern ist das Konzept der rhetorischen Radikalisierung längst gescheitert. Und wenn nun Extinction Rebellion radikaleren Protest verspricht, um die Leute „wachzurütteln“ oder was man da so zu sagen pflegt, dann ist auch das eine Frage der Balance. In Zeiten, in denen der demokratische Rechtsstaat von autoritären Kräften bedroht wird, ist es eine ganz schlechte Idee, ihn im Namen einer höheren Öko-Wahrheit anzugreifen. Und sonst auch.
Greta Thunberg, Luisa Neubauer und FFF sind Game-Changer, weil sie eben nicht die radikal erfolglosen Rollenspiele der Vergangenheit nachspielen, weil sie nicht selbstgerecht das „Wir müssen“ moralistisch rausschreien, sondern das Praktische „wir wollen“ mehrheitsfähig machen – und zwar in dem Wissen um die Komplexität einer sozialökologischen Transformation und der Notwendigkeit, es miteinander hinzukriegen, gerade mit den Arschlöchern und denen, für die wir Arschlöcher sind.
Der „Calvinismus“, also die religiös aufgeladene Moralisierung des Klimaproblems, ist jetzt die Kultur oder Strategie derer, die keine Klimapolitik wollen und sich mit Moralismus dagegen wehren, weil das ihren Status Quo bedroht, der freie Verschmutzungsrechte beinhaltet. Das betrifft nicht nur die AfD, sondern auch die erstaunlich populistisch-hilflose FDP, deren Vorsitzender Lindner mit auf Blockade zielenden Moral- und Ideologievorwürfen nur so um sich wirft, weil er bisher keine Erzählung denken kann, die Zukunft beinhaltet – und die FDP.
Das notwendige Handwerk der klimapolitisch-Progressiven wird also darin bestehen, den Calvinismus beim Protest-Rand zu belassen. Keinesfalls den Mehrheits-Mainstream zu verlassen, um selbst wieder Schreihals-Rand zu werden. Sondern mit einem breiter gewordenen ökoliberalen Mainstream nun eine sachliche Diskussion zu führen, mit welcher Ordnungspolitik die Klimaziele von Paris tatsächlich oder zumindest annähernd in der Bundesrepublik und der EU eingehalten werden können.
Die Bundesgrünen in Deutschland sind, anders als das gern behauptet wird, NICHT mit Fridays for Future und Klimapolitik zur zweiten führenden politischen Kraft im Land geworden. Ihre Relevanzsteigerung begann unmittelbar nachdem Lindner Ende 2017 eine Bundesregierung aus Union, Wahlgewinner FDP und der marginalsten Partei im Bundestag absagte, weil die ihm zu stark erschien. Danach ging es für die FDP abwärts, während die Grünen 2018 erwachsen wurden oder zumindest so aussehen und damit – wie es Robert Habeck geplant hatte – die Sozialdemokratie als „führende Kraft der linken Mitte“ abgelöst haben.
Die Grünen müssen fachliche Orientierung geben
Was die Grünen in 40 Jahren nicht schafften und das auch, weil sie selbst immer anderes zu tun hatten, gelang Fridays for Future innerhalb weniger Monate: Ernsthafte Klimapolitik in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Weil sie es eben nicht als Teil eines emanzipatorisch-ideologischen Umbaus verstehen, sondern als physikalische Grundlage unser aller Zukunft.
Nun ist es aus Sicht der Mehrheitsgesellschaft ganz offenbar die Aufgabe der neuen Grünen, der Diskussion um das Wie einer Klimapolitik, fachliche Orientierung und auch Dynamik zu geben.
Es geht darum, Paris in zweierlei Hinsicht als Zukunftschance ernster als bisher zu nehmen: Erstens den Klimavertrag, zweitens Macron. Die Grünen haben die dialektische Aufgabe, das Klimapäckchen der Bundesregierung in den Bereichen zu stützen, wo es ein Anfang ist. Und Vorschläge zu entwickeln, die die Sache nach der nächsten Wahl deutlich voranbringen, ihr eine europäische Dimension geben – und damit um eine Mehrheit zu werben.
Weil die Gegner von Klimapolitik das größte Interesse haben, „Radikalisierung“, Freiheitsberaubung, Moral, Tugend, Verzicht und den ganzen Ablenkungskanon durchzukauen, ist es der Job der Klimapolitik-Befürworter, sich auf keinen Fall im Zuge einer aufgeheizten Extinction Rebellion-Diskussion wieder aus der liberalen Mitte drängen zu lassen.
Sozial-ökologische Innovation statt Endzeit-Getöse
Es geht stattdessen darum, jetzt über knallharte Wirtschafts- und Ordnungspolitik zu sprechen. Aber eben nicht nach dem alten christ- und sozialdemokratischen Denken, dass „Umwelt“ ein Nebenwiderspruch ist, der Pause hat, wenn die Wirtschaft weniger wächst. Sondern dass sozialökologische Innovation die Antwort auf eine kommende Rezession sein wird.
Jetzt kann man sagen, das sei ein bisserl viel eierlegende Wollmilchsau. Aber sagen wir so: Wir wissen nicht, ob das wirklich alles so toll hinhaut. Aber wir wissen definitiv, dass es mit der alten Logik überhaupt nicht mehr weitergeht. Und sicher ist auch: Klimapolitik mit Endzeitgetöse über alles zu stellen, das geben weder die deutsche Gesellschaft her, der es dafür einfach mehrheitlich zu gut geht. Und auch nicht ihre komplexen Sytemlogiken.
Das Nötige und das Mögliche wird man nicht parallel schalten können. Zum Beispiel: Die notwendigen Flächen für schnellen onshore-Windkraftausbau müsste man sich ohne Bürgerbeteiligung oder gar durch Enteignung holen. Das ist mit den Grünen eben genau nicht zu machen. Hoffe ich.
Das alte bundesrepublikanische Verständnis von „Maß und Mitte“ kann man nicht aufheben, aber man kann jetzt verschieben, was Maß und Mitte klimapolitisch bedeuten. Und dass wir immer nur um uns Deutsche kreisen und die Franzosen um Frankreich, das kann man jetzt noch überwinden, solange Macron steht. Die Grünen, wenn sie es denn wirklich drauf haben sollten, müssen in dieser Lage nicht im alten Sinne utopistisch werden.
Sie müssen europa- und weltpolitikfähig sein. Und zwar radikal. Das gilt auch für den Teil der Gesellschaft, der Klimapolitik ernsthaft umsetzen will.
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