Fücks: „Der Kreml zielt auch gegen die Bundesregierung“

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Russland hat das Zentrum Liberale Moderne in Berlin zur „unerwünschten Organi­sation“ erklärt. Die DW sprach mit dessen Mitbe­gründer Ralf Fücks über Motive und Folgen dieses Verbots.

Die russische Justiz­mi­nis­terium hat Ende Mai drei deutsche NGOs zu „unerwünschten Organi­sa­tionen“ erklärt, darunter das Zentrum Liberale Moderne (LibMod) in Berlin. „Das zielt auch gegen die Bundes­re­gierung, denn sie hat unsere bishe­rigen Koope­ra­ti­ons­pro­jekte mit russi­schen Partnern finan­ziert“, so der geschäfts­füh­rende Gesell­schafter des unabhän­gigen Thinktanks, Ralf Fücks. Die DW sprach mit ihm über Moskaus Motive und die Folgen dieses fakti­schen Verbots für das bilaterale Forschungs­projekt „Klima­wandel und ökono­mische Moder­ni­sierung Russlands“.

DW: Herr Fücks, warum hat der Kreml gerade das Zentrum Liberale Moderne verbieten lassen? War es Rache für die Ablehnung der russi­schen Gaspipeline Nord Stream‑2? Wurde LibMod für wissen­schaft­liche Studien bestraft, die belegen sollen, dass Russlands gegen­wär­tiges Geschäfts­modell keine Zukunft hat, da es auf fossilen Energie­trägern beruht? 

Ralf Fücks: Die genannten Gründe haben sicherlich eine Rolle gespielt. Aber es gab auch andere Faktoren. Das Zentrum Liberale Moderne ist eine sehr vernehmbare kritische Stimme in der deutschen Russland-Debatte, bei der es darum geht, ob die Zusam­men­arbeit mit dem Kreml um jeden Preis fortge­setzt werden soll oder ob wir Prinzipien und Werte vertei­digen müssen, wenn sie von der russi­schen Politik verletzt werden. Diese Entscheidung ist zudem Teil einer generellen Verhärtung im deutsch-russi­schen Verhältnis. Sie hat spätestens dann einge­setzt, als Bundes­kanz­lerin Angela Merkel nach dem Giftan­schlag auf Nawalny demons­trativ Partei für ihn ergriff und das russische Narrativ nicht übernommen hat, der (russische Geheim­dienst) FSB habe damit nichts zu tun. Man spürt seitdem, dass sich die Tonlage verändert hat, dass der Kreml mögli­cher­weise nicht länger auf eine deutsch-russische Sonder­be­ziehung setzt, sondern stärker auf Konfron­tation geht.

Aller­dings hat sich wohl keine andere deutsche NGO so intensiv mit der russi­schen Wirtschaft und konkret mit dem russi­schen fossilen Energie­sektor beschäftigt, wie LibMod. Im letzten halben Jahr wurden auf Ihrer Inter­net­seite fünf Studien zu diesem Thema veröf­fent­licht. Warum ist eine in Berlin ansässige NGO dermaßen an der russi­schen Energie­wirt­schaft interessiert? 

Für unser Institut und für mich persönlich spielen ökolo­gische Fragen eine zentrale Rolle. Ich bin seit mehr als 30 Jahren umwelt­po­li­tisch engagiert. Der Klima­wandel ist heute wohl die zentrale globale Heraus­for­derung, und Russland ist der weltgrößte Exporteur fossiler Brenn­stoffe, wenn man Öl, Erdgas und Kohle zusam­men­nimmt. Dadurch heizt Russland den Klima­wandel weiter an. Zudem erzeugt es hohe Treib­hausgas-Emissionen im eigenen Land – es ist für etwa fünf Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verant­wortlich. Auch in meiner früheren Eigen­schaft als Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung arbeitete ich viele Jahre lang mit Umwelt­in­itia­tiven und ökolo­gi­schen Insti­tuten in Russland zusammen. Insofern war es für uns nur folge­richtig, uns intensiv mit diesem Thema zu befassen. Wir hatten dabei von vornherein einen konstruk­tiven Ansatz. Es ging uns nicht darum, Russland auf die Ankla­gebank zu setzen, sondern darum, Alter­na­tiven zum jetzigen fossilen Wirtschafts­modell aufzu­zeigen und Szenarien zu entwerfen, wie eine ökolo­gische Moder­ni­sierung der russi­schen Wirtschaft gelingen könnte.

Aber in Russland steht selbst die intel­lek­tuelle Elite einer Dekar­bo­ni­sierung der Wirtschaft skeptisch gegenüber, was eine im Mai veröf­fent­lichte Studie des russi­schen Meinungs­for­schungs­in­stituts Lewada-Zentrum im Auftrag von LibMod belegt.

Es gibt offen­kundig eine deutliche Diskrepanz zwischen der inter­na­tio­nalen und der russi­schen klima­po­li­ti­schen Diskussion. Es gibt in Russland immer noch deutlich mehr skeptische Stimmen, darunter auch solche, die wissen­schaft­liche Erkennt­nisse schlichtweg leugnen oder sie als bösartige Intrige gegen die Wirtschafts­in­ter­essen Russlands brand­marken. Doch ich bin mir sicher, dass auch Russland sich nicht auf Dauer den klima­po­li­ti­schen Einsichten und Konse­quenzen wird verweigern können, auch weil es selbst massiv vom Klima­wandel betroffen sein wird. Man denke nur an das Auftauen der Perma­f­rost­böden, zuneh­mende Dürre­pe­rioden in den südlichen Regionen Russlands oder die gigan­ti­schen Waldbrände.

Gerade jetzt, im Juni, hatte LibMod vor, mit russi­schen Experten eine Serie aus mindestens sechs Studien zu starten, die sich mit verschie­denen Aspekten der ökono­mi­schen und ökolo­gi­schen Moder­ni­sierung Russlands beschäf­tigen sollten. Was wird nun aus diesem Projekt? 

Wir können dieses Projekt nicht weiter­führen, weil jede Zusam­men­arbeit mit LibMod für russische Bürge­rinnen und Bürger eine Straftat wäre. Wenn Moskau uns zur unerwünschten auslän­di­schen Organi­sation erklärt und uns faktisch die Zusam­men­arbeit mit langjäh­rigen Freunden und Partnern in Russland unmöglich macht, dann zielt das auch gegen die deutsche Bundes­re­gierung, denn sie hat diese Koope­ra­ti­ons­pro­jekte finanziert.

Wird sich LibMod nun aus der Russland­the­matik zurück­ziehen und sich mögli­cher­weise auf andere postso­wje­tische Länder fokus­sieren, beispiels­weise auf die Ukraine? 

Wir sind ohnehin in der Ukraine sehr engagiert, weil wir dieses Land als ein Testfeld für die demokra­tische Trans­for­mation postso­wje­ti­scher Gesell­schaften sehen. Aber wir werden Russland sicher nicht den Rücken zukehren, sondern uns stärker auf Russland-Analysen und auf die Debatte um eine angemessene Russland­po­litik des Westens konzen­trieren. Aus den inter­na­tio­nalen Exper­ten­netz­werken verab­schieden wir uns nicht.

Ralf Fücks leitet das Zentrum Liberale Moderne in Berlin, das er mit seiner Frau Marie­luise Beck 2017 gegründet hat. Davor gehörten beide über mehrere Jahrzehnte zu den führenden Köpfen der Partei Bündnis 90/​Die Grünen. LibMod versteht sich als eine unabhängige und partei­über­grei­fende Denkwerkstatt.

Das Gespräch führte Andrey Gurkov. Es erschien zuerst hier bei der DW.

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