Die Offene Gesell­schaft ist die bessere Antwort auf den Klimawandel

Foto:Shutterstock, Alexander Kirch
Foto:Shutterstock, Alexander Kirch

Nur offene Gesell­schaften werden die Innova­tionen hervor­bringen, um dem Klima­wandel effektiv zu begegnen. Das funktio­niert nicht trotz, sondern mit wirtschaft­lichem Wachstum, erklärt Jan Schnellenbach.

Sie lesen diesen Text wahrscheinlich gerade an Ihrem Schreib­tisch auf einem sehr leistungs­fä­higen Computer, oder vielleicht auch im Sessel sitzend, auf einem Tablet. Irgendwo in Ihrer Nähe liegt sicherlich Ihr Smart­phone. Dieses Smart­phone hat, auch das werden Sie sicher schon einmal irgendwo gelesen haben, ein Vielfaches der Rechen­leistung sämtlicher Computer, die im Sommer 1969 Apollo 11 zum Mond leiteten. Damals lagen die heutigen Smart­phones sogar jenseits des Vorstel­lungs­ver­mögens der Ausstatter der Fernseh­serie Star Trek.

Wenn Sie mit kurzem Zeitab­stand erst in ein Auto aus dem Jahr 2020 und dann in ein Auto aus dem Jahr 2000 steigen, bemerken Sie plötzlich, was sich in diesen 20 Jahren alles getan hat. Dass Sie keine CDs mehr ins Autoradio schieben, dass dutzende Assis­tenz­systeme Ihnen Sicherheit bieten und dass Sie auch wesentlich emissi­ons­ärmer fahren als früher, fällt Ihnen vermutlich erst im direkten Kontrast mit dem alten Modell auf.

Techni­scher Fortschritt erscheint uns selbst­ver­ständlich und wird selten bewusst wahrge­nommen. Spätestens wenn wir das neue Smart­phone zwei Tage benutzt haben, oder das neue Auto einmal in den Urlaub gefahren haben, können wir uns gar nichts anderes mehr vorstellen. Erst wenn wir in alten Filmen sehen, wie das alles früher funktio­nierte, wissen wir für einen kurzen Moment wieder zu schätzen, was Ingenieurs­kunst, Erfin­der­geist und auch Gewinn­streben alles ermöglichen.

Wenn wir die Entwicklung nicht im Rückspiegel sehen, sondern uns die Zukunft vorstellen, wird es noch schwie­riger. So wenig, wie wir im Jahr 2000 mit den Smart­phones des Jahres 2021 gerechnet haben, können wir uns jetzt präzise vorstellen, was der technische Fortschritt in den verschie­densten Branchen und Sektoren bis zum Jahr 2030 oder 2040 noch alles hervor­bringen wird.

Auf diese Offenheit der Zukunft gibt es zwei mögliche Reaktionen. Man kann sich entscheiden, neugierig zu bleiben. Man kann sehen, dass markt­wirt­schaft­liche Anreize den Erfin­dungs­reichtum der Ingenieure in Bahnen lenken, die für die meisten von uns zu einem besseren, angeneh­meren Leben führen. Oder man kann sich etwas phanta­sielos fragen, was da eigentlich noch kommen soll, ein umfas­sendes Sätti­gungs­gefühl pflegen – und den Abschied vom Wachstum predigen.

Wenn man aber den Begriff der offenen Gesell­schaft ernst nimmt, dann spricht viel dafür, diesem Sätti­gungs­gefühl nicht nachzu­geben. Denn es geht da nicht nur um politische Offenheit, um sozialen Fortschritt. Offenheit von Gesell­schaften ist auch mit der indivi­du­ellen Freiheit verbunden, technische Ideen oder neue Geschäfts­mo­delle reali­sieren zu können, mit Innova­tionen zu experi­men­tieren, sie auf Märkten anzubieten und dort die Resonanz zu testen.

Mehr oder weniger schnelles Wachstum ist die Begleit­erscheinung einer Welt, die eine solche Offenheit gewährt. Auch wenn ihre Befür­worter dies nicht offen zugeben, gehen Degrowth-Visionen vom Ende des Wachstums doch immer damit einher, dass die Offenheit der Zukunft, und die mit ihr verbundene indivi­duelle Freiheit, aufge­geben werden zugunsten der schein­baren Berechen­barkeit zentral­pla­ne­ri­scher Ansätze.

Die Aufgabe besteht also darin, nach Wegen zu suchen, die offene Gesell­schaft zu erhalten, und zwar auch dann, wenn eine große Heraus­for­derung wie der Klima­wandel zu bewäl­tigen ist. Solange wir indivi­duelle Freiheit hoch gewichten, können Degrowth-Strategien keine Lösung sein, da diese stets vom Kollektiv her denken, dessen Zielen sich das Individuum unter­zu­ordnen hat.

Die Umwelt­öko­nomik stellt dagegen einen Werkzeug­kasten bereit, der helfen kann, den angestrebten Spagat zwischen Freiheit und Klima­po­litik zu schaffen. Die Instru­mente sind inzwi­schen weithin bekannt und müssen hier wahrscheinlich nicht noch einmal im Detail disku­tiert werden. Im Zentrum steht natürlich eine Bepreisung von negativen externen Effekten, also insbe­sondere des CO2-Ausstoßes, aber auch von anderen klima­re­le­vanten Emissionen.

Die Bepreisung führt dazu, dass die Haushalte und Unter­nehmen die tatsäch­lichen gesell­schaft­lichen Kosten ihres Handelns berück­sich­tigen und es vorteil­hafter finden, selbst Emissionen zu vermeiden. Das kann sich bei Haushalten in verän­dertem Konsum­ver­halten zeigen, aber auch in Inves­ti­tionen etwa in klima­neu­trale Haustechnik. Und auch bei den Unter­nehmen führen die neuen Preise zu erheb­lichen Investitionsanreizen.

Dabei ist es auch klar, dass der CO2-Preis mittel- und langfristig schneller steigen muss als die Politik es derzeit plant. Da Inves­ti­ti­ons­an­reize oft lange Zeiträume betreffen, wäre es wichtig, schon jetzt einen klaren politi­schen Fahrplan zu schneller steigenden Preisen (oder spiegel­bildlich zu schneller sinkenden Mengen im Emissi­ons­handel) für die Zukunft festzulegen.

Daneben gibt es natürlich auch öffent­lichen Inves­ti­ti­ons­bedarf, etwa in Strom­netze oder in eine Wasser­stoff-Infra­struktur. Auch Inves­ti­tionen, die für die privaten Haushalte die Emissi­ons­ver­meidung preis­werter und leichter machen, können sinnvoll öffentlich unter­stützt werden. Zu denken wäre etwa an den Ausbau der Ladesäulen-Infra­struktur oder des Hochgeschwindigkeits-Schienennetzes.

Wichtig ist, dass eine solche Strategie indivi­duelle Freiheit mit indivi­du­eller Verant­wortung verbindet. Die Bepreisung sorgt dafür, dass Individuen verant­wortlich handeln, aber sie lässt ihnen die Freiheit, selbst zu entscheiden, wie genau sie auf verän­derte Preise reagieren wollen. Und vor allem sorgt eine solche Strategie dafür, dass die Aufmerk­samkeit der eingangs angespro­chenen Innova­ti­ons­ma­schi­nerie der Markt­wirt­schaft in Richtung der Emissi­ons­ver­meidung gelenkt wird.

Den Ansatz könnte man sinnvol­ler­weise noch erweitern, indem man verspricht, einen hinrei­chend hohen CO2-Preis für negative Emissionen zu erstatten. Denn die Klima­for­scher gehen mit hoher Wahrschein­lichkeit davon aus, dass wir auch Techno­logien benötigen werden, die CO2 aus der Atmosphäre zurück­holen. Hierzu wird das Pflanzen von Bäumen nicht reichen, sondern es werden neue technische Lösungen nötig sein. Der Anreiz, diese zur Markt­reife zu entwi­ckeln, hängt aber wesentlich von der Existenz eines negativen CO2-Preises ab.

Kapita­lis­mus­kri­tiker wie der britische Anthro­pologe Jason Hickel argumen­tieren häufig, dass eine Entkopplung von Wachstum und Emissionen nicht möglich sei, so dass Degrowth als einzig gangbarer Weg zum Stopp des Klima­wandels bleibe. Sie argumen­tieren dabei jedoch auf der Basis von Daten für die Vergan­genheit. Damit vernach­läs­sigen sie, welche Anpas­sungs- und Innova­ti­ons­leistung eine tatsächlich signi­fi­kante CO2-Bepreisung hervor­rufen kann, die wir aber erst in der Zukunft bekommen werden. Außerdem zeigt auch die beträcht­liche Senkung der CO2-Emissionen in der EU in den letzten 30 Jahren bei gleich­zei­tiger Steigerung der Wirtschafts­leistung, dass Entkopplung keine Schimäre ist.

Solche Kritiker unter­liegen auch einem politi­schen Irrtum, wenn sie argumen­tieren, dass man auf Degrowth setzen müsse, weil wir bisher noch keine ausrei­chend hohen CO2-Preise sehen. Die Vorstellung, dass man einen funda­men­talen System­wechsel, der die Abschaffung der offenen Gesell­schaft impli­ziert, politisch leichter durch­setzen kann als einen höheren CO2-Preis, erscheint schlicht bizarr.

Für die Politik besteht die Heraus­for­derung darin, eine richtige Kombi­nation von Mut und Zurück­haltung zu finden. Während bei der Durch­setzung höherer Emissi­ons­preise wesentlich mehr Mut nötig ist, wäre gleich­zeitig Zurück­haltung gefragt, wenn es um das Design und die Durch­setzung detail­reicher Master­pläne geht. Sektor­ziele helfen beispiels­weise nicht dabei, den Klima­wandel so effizient wie möglich unter Kontrolle zu bringen, ebenso wenig wie eine lange Liste von Verboten, die direkt in den Lebensstil der Individuen hineinregieren.

Es ist verständlich, dass es für Politiker ungewohnt ist, zu beschließen, dass man bis zu einem bestimmten Zeitpunkt Klima­neu­tra­lität erreichen will, ohne einen Detailplan zu haben, welcher Sektor bis dahin welchen Beitrag dazu leisten wird. Aber gerade diese Ambiguität im Detail muss man aushalten, wenn man auf die Innova­ti­ons­kraft der Markt­wirt­schaft und der offenen Gesell­schaft setzt. Und dazu gibt es keine realis­tische Alternative.

 

 

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