Achse Peking-Moskau: „Wir werden die Folgen zu spüren bekommen“

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Xi Jinping in Moskau: Eine Kampf­an­sage an den Westen und die normative inter­na­tio­nale Ordnung. In der Ukraine wird sich zeigen, ob die west­li­chen Demo­kra­tien vor der Heraus­for­de­rung durch auto­ri­täre Mächte zurück­wei­chen oder ihr mit Stärke begegnen. Wenn der Westen versagt, wird der Preis hoch sein, nicht nur für die Ukraine, sagt Ralf Fücks im t‑online-Interview.

Herr Fücks, mit Wladimir Putin und Xi Jinping sind kürzlich in Moskau zwei Politiker aufein­an­der­ge­troffen, die die Geschichte ihrer Länder umschreiben wollen. Wie gefähr­lich ist die Achse Moskau-Peking?

Wir sollten uns in Acht nehmen. Xi Jinpings Besuch in Russland war eine demons­tra­tive Geste zur Bekräf­ti­gung der chine­sisch-russi­schen Allianz. Damit sind auch alle Träu­me­reien dahin, dass China als eine Art neutrale Macht eine Vermitt­ler­rolle im russisch-ukrai­ni­schen Krieg einnehmen könnte.

Ganz im Gegenteil, China will seine Macht massiv ausbauen.

Xi Jinping hat in Moskau gesagt, dass sich die Welt im Augen­blick stärker verändere als in den vergan­genen 100 Jahren. China und sein Juni­or­partner Russland seien die treibende Kraft dieser Verän­de­rung. Das ist eine klare Kampf­an­sage an die liberalen Demo­kra­tien – Xi Jinping formu­liert sehr offen, dass es ihm um eine neue Welt­ord­nung geht.

Eine Welt­ord­nung, in der die USA und der Westen keine große Rolle mehr spielen.

Ja, Xi will die Dominanz der USA und des Westens brechen, aber nicht nur das. Peking möchte die „Global Liberal Order“, also die Welt­ord­nung, die auf univer­sellen Normen und Regeln basiert, abschaffen. An ihre Stelle sollen Einfluss­zonen treten, die von einer Handvoll Groß­mächte beherrscht werden.

Das wäre ein Fron­tal­an­griff auf Völker­recht, Demo­kratie und Menschenrechte.

So ist es. China will eine Welt, in der das Recht des Stärkeren gilt. Um die normative Ordnung zu schwächen, richtet sich die Stoß­rich­tung gegen die liberalen Demo­kra­tien dieser Welt. Wenn wir diese Kampf­an­sage nicht ernst nehmen, werden wir überrollt.

Nun ist diese Demontage der Welt­ord­nung keine graue Theorie, sondern wird von China bereits seit längerer Zeit in der Praxis betrieben.

Peking betreibt diese Strategie lang­fristig und syste­ma­tisch, es schafft weltweit ökono­mi­sche und tech­no­lo­gi­sche Abhän­gig­keiten, in Afrika, Latein­ame­rika und in Asien. Das gilt auch für Europa – Peking wie Moskau wollen den Kontinent aus dem trans­at­lan­ti­schen Bündnis heraus­bre­chen. Den vermeint­li­chen Partnern wird in der Regel zu spät bewusst, dass China andere Staaten niemals auf Augenhöhe behandelt. Stra­te­gi­sches Ziel ist die chine­si­sche Dominanz. Es wäre gren­zenlos naiv, diese Strategie nicht ernst zu nehmen.

Wladimir Putin will das russische bezie­hungs­weise sowje­ti­sche Imperium restau­rieren, worin liegt aber Xi Jinpings Ziel? Terri­to­riale Erwer­bungen bis auf das von Peking als abtrünnig betrach­tete Taiwan sind es doch eher nicht?

China will seinen alten Platz als „Reich der Mitte“ zurück. Über viele Jahr­hun­derte war es eine Weltmacht, wirt­schaft­lich wie politisch und mili­tä­risch. Das galt bis zur Indus­tri­ellen Revo­lu­tion in Groß­bri­tan­nien, Europa und den USA, die an China größ­ten­teils vorbei­ge­zogen ist. Das hat zum Über­ge­wicht der Europäer und Ameri­kaner geführt.

Im 19. und 20. Jahr­hun­dert ist China mehrmals von anderen Groß­mächten gede­mü­tigt worden, wie in den Opium­kriegen von 1839 und 1856 durch Großbritannien.

Daraus speist sich bis heute die „anti­im­pe­ria­lis­ti­sche“ Rhetorik Pekings. Dabei ist China inzwi­schen selbst auf dem Weg zu einer impe­rialen Macht. Die chine­si­sche Politik zielt auf Revision der Geschichte. Darin ist sie Russland unter Wladimir Putin ähnlich. Im Unter­schied zu Moskau geht es aber weniger um terri­to­riale Erobe­rungen – mit Ausnahme von Taiwan. Ziel ist vielmehr globale Dominanz, ökono­misch wie politisch. Dafür hat China etwas geschafft, das lange als Ding der Unmög­lich­keit galt: die Kombi­na­tion eines harten auto­ri­tären Regimes mit ökono­mi­scher Dynamik und Hoch­tech­no­logie. Das ist Russland niemals gelungen.

Mit dem Begriff „Reich der Mitte“ ist der Anspruch verbunden, sowohl in kultu­reller als auch poli­ti­scher Hinsicht das Zentrum der Welt zu sein.

Diese Ambition macht China so gefähr­lich. Es geht um Umsturz der inter­na­tio­nalen Ordnung im Zusam­men­spiel mit anderen Mächten, die ebenfalls revi­sio­nis­ti­sche Ziele verfolgen. Zusammen mit Russland und dem Iran bildet China ein geopo­li­ti­sches Dreieck, das vor allem gegen die USA als Anker­macht der „liberalen Welt­ord­nung“ gerichtet ist. Getrennt von Amerika sehen sie Europa als leichte Beute.

Eine Zeit lang schien durch die Proteste im Iran ein Wandel möglich.

Eine demo­kra­ti­sche Wende im Iran würde den Nahen Osten drama­tisch verändern. Wenn Putin in der Ukraine scheitert, wäre das auch ein Wende­punkt. Einen erzwun­genen Rückzug aus der Ukraine – vor allem von der Krim – würde das Putin-Regime nicht lange überstehen.

Der Westen kann aber im globalen System­kon­flikt nicht nur darauf warten, dass die Frei­heits­be­we­gung im Iran oder die Ukrai­ne­rinnen und Ukrainer die liberale Ordnung vertei­digen. Was muss nun getan werden?

Vor allem muss in allen west­li­chen Regie­rungs­zen­tralen endlich eine Erkenntnis reifen: Wir befinden uns in einer welt­weiten Ausein­an­der­set­zung zwischen liberaler Demo­kratie und Auto­ri­ta­rismus. Auf dem Spiel stehen das Völker­recht, die Menschen­rechte und die univer­selle Geltung frei­heit­li­cher Prinzipien.

Was China von Menschen­rechten hält, demons­triert es tagtäg­lich in seiner Provinz Xinjiang an den Uiguren.

Ja. Univer­selle Menschen­rechte denun­ziert Peking als eine Art Macht­in­stru­ment des Westens, um seine Vorherr­schaft zu sichern. Das ist ein Rückfall hinter die Charta der Vereinten Nationen. Richtig ist: Das kurze „unipolare“ Zeitalter mit den USA als globaler Ordnungs­macht ist vorbei. Künftig wird es mehrere Macht­zen­tren auf der Welt geben. Die entschei­dende Frage ist aber, ob diese Macht­zen­tren durch univer­selle Normen eingehegt werden. Peking lehnt das kate­go­risch ab, auch wenn sich die chine­si­sche Führung rheto­risch auf das UN-System beruft.

Wie kann der Westen China nun aber ganz praktisch entgegentreten?

Erstens müssen wir unsere stra­te­gi­sche Abhän­gig­keit von China drastisch redu­zieren, das betrifft vor allem Rohstoffe und kritische Tech­no­logie. Dann sollten wir ökono­mi­sche und poli­ti­sche Allianzen in aller Welt schließen. Realis­tisch gesehen werden solche Bündnisse nicht nur mit muster­gül­tigen Demo­kra­tien möglich sein, aber doch immerhin mit Staaten, die am Fort­be­stand einer norma­tiven Ordnung inter­es­siert sind.

Oder sich einfach vor China fürchten.

Auch das. An dieser Stelle kommt der dritte Punkt ins Spiel: Wir brauchen dringend die Fähigkeit zur mili­tä­ri­schen Abschre­ckung. China, Russland und Iran nutzen jede Schwäche syste­ma­tisch aus. Wenn sie Europa und den Westen als schwach erleben, dann werden wir das bitter bereuen. Das wäre die Einladung, das Kräf­te­ver­hältnis weiter zu ihren Gunsten zu verändern.

Der russische Krieg gegen die Ukraine ist nun die Gele­gen­heit für den Westen, Stärke und Geschlos­sen­heit zu demonstrieren.

Der Ausgang dieses Krieges wird weit­rei­chende Auswir­kungen haben. In der Ukraine wird sich beweisen, ob der Westen den russi­schen Überfall als stra­te­gi­sche Heraus­for­de­rung begreift und entspre­chend handelt.

Diese Erkenntnis scheint noch nicht aller­orten gereift zu sein, so etwa im Bundes­kanz­leramt und in Teilen der Regie­rungs­partei SPD.

Dann wird es dafür höchste Zeit. Die kommenden Monate werden entschei­dend sein. Wir müssen der Ukraine endlich die Mittel zur Verfügung stellen, mit denen sie den Krieg zu ihren Gunsten entscheiden kann. Bislang floss die mili­tä­ri­sche Unter­stüt­zung so zögernd, dass die Ukraine in einen verlust­rei­chen Abnut­zungs­krieg gezwungen wurde – den sie auf Dauer nicht durch­halten kann. Das würde sie am Ende zu einem von Russland diktierten Frieden zwingen.

Genau dies soll nach Aussage von Olaf Scholz nicht passieren.

Deshalb müssen wir nun alles in die Waag­schale werfen, damit die Ukraine die Oberhand gewinnt. Dass man mit Putin zu einem nach­hal­tigen Inter­es­sen­aus­gleich kommen könnte, ist reines Wunsch­denken. Ich bin nicht sicher, ob diese Erkenntnis im Kanz­leramt und im Pariser Élysée-Palast ange­kommen ist. Falls die Ukraine sich den russi­schen Forde­rungen beugen muss, kann Deutsch­land seine Hände jeden­falls nicht in Unschuld waschen. Und wir werden die Folgen zu spüren bekommen.

Spielen Putins atomare Drohungen etwa immer noch eine Rolle bei der zöger­li­chen Unter­stüt­zung der Ukraine?

Putin ist keinen Milli­meter von seinen Zielen abgerückt. Die nukleare Option dürfte jedoch von Anfang an ein Droh­ma­növer gewesen sein. Ja, Putin hat den Rubikon über­schritten. Aber der Griff zur Atomwaffe hätte einen enormen poli­ti­schen und mili­tä­ri­schen Preis. In diesem Punkt waren die USA sehr klar: Ein solcher Schritt hätte verhee­rende Folgen für Russland.

Nun lässt Russland die takti­schen Atom­waffen im Arsenal, atta­ckiert statt­dessen aber zivile Ziele in der Ukraine. Hätte der Westen Putin nicht ebenso klar­ma­chen können, dass diese Art der Kriegs­füh­rung bestraft werden würde?

Aber ja. Russland führt einen Vernich­tungs­krieg gegen die Ukraine. Wohn­quar­tiere werden bombar­diert, Ener­gie­ver­sor­gung und Wasser­werke syste­ma­tisch zerstört. Warum kündigen die USA und Europa nicht an, dass sie nach jedem solchen Angriff ihre Waffen­lie­fe­rungen ausweiten werden? Das ist die einzige Sprache, die Putin versteht.


Das Interview führte Marc von Lüpke für t‑online, wo es zuerst schienen ist.

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