Die Anti-Sarrazins: Neue Bücher von Aladin El-Mafaalani und Ahmad Mansour
Aladin El-Mafaalani und Ahmad Mansour haben zwei kluge Bücher über die Einwanderungsgesellschaft geschrieben. Der eine plädiert für Vielfalt, der andere für Anpassung. Unser Rezensent Richard C. Schneider arbeitet Stärken und Schwächen der beiden Autoren heraus. Wenn man sie zusammenliest, ergeben sie den perfekten Anti-Sarrazin.
Wer eine vernünftige alternative Lektüre zu Thilo Sarrazins „Feindliche Übernahme“ sucht, kann ohne weiteres fündig werden. Zwei Autoren mit „Migrationshintergrund“ haben sich des Themas Integration angenommen. Sie kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, doch ihre Kenntnisse sind fundiert, sind, anders als bei Sarrazin, Außen- und zugleich Innenansichten, denen man Zeit und Raum geben sollte, um sich dem komplexen Thema zu stellen.
Schwächen liberal-demokratischer Identität
Ahmad Mansour, ein palästinensischer Israeli, der mit 28 Jahren nach Deutschland kam und als Psychologe und Gruppenleiter des Neuköllner Gewaltpräventionsprojektes „Heroes“ bekannt wurde, nennt sein neues Buch „Klartext zur Integration“. Doch erst der Untertitel gibt einen Hinweis, worauf Mansour hinauswill: „Gegen falsche Toleranz und Panikmache“. Mansour spricht über Probleme der Integration aus eigenem Erleben, aber mehr noch aus der Erfahrung bei seiner Arbeit mit problematischen Fällen. Da schreibt also ein „Streetworker“, einer, der die gesamtgesellschaftliche Problematik auf das Individuelle herunterbricht. Er sieht die Migranten in einer „Bringschuld“ gegenüber dem Staat, der sie aufgenommen hat. Für Mansour ist der gemeinsame Nenner, um Integration möglich zu machen, das Grundgesetz. Er zeigt aber an vielen Beispielen auf, wie die Mehrheitsgesellschaft versagt, die ethischen Normen und Werte des Grundgesetzes zu vermitteln, einzufordern oder auch für sie einzustehen. Der Psychologe zeigt die Schwächen deutscher oder besser: liberal-demokratischer Identität auf, die in falsch verstandener Rücksichtnahme auf den „Fremden“ oder aber gar aus Angst und Unsicherheit zu einer Ungleichbehandlung des Einzelnen führt. Insofern ist Mansours Analyse eine schonungslose Abrechnung mit einer Gesellschaft, die stolz auf die Errungenschaften des freiheitlichen Systems sein könnte, die allen Grund hätte, diese „aggressiv“ zu vertreten. Mansour hält dem liberalen Teil der „Biodeutschen“ somit einen Spiegel vor. Und das ist gut so.
Doch er tappt dabei in eine Falle, die zugleich die Schwäche des Buches ist. Er fordert zurecht eine Anpassung der Migranten an die neue Gesellschaft, eine Offenheit gegenüber einem neuen Wertesystem, das dem traditionellen islamischen oder arabischen Denken häufig diametral entgegengesetzt ist. Doch er versäumt zugleich der „alten“ Gesellschaft im Lande zu zeigen, daß auch sie sich anzupassen hat, daß auch sie Wege finden muß, wie sie mit einer veränderten gesellschaftlichen Situation umzugehen hat. Gewiß, der Autor erklärt, wo Politik und Sozialarbeit anders und besser ansetzen müßten, aber er drückt sich um eine dringend notwendige Neudefinition dessen, was „deutsch“ oder „Deutschland“ heute sein soll und kann. So lässt Mansour den Leser mit dem Gefühl zurück, die eigentliche Arbeit müsse von den Migranten gemacht werden, die Mehrheitsgesellschaft müsse lediglich das Grundgesetz besser vorleben.
Das Migrations-Paradox
Aladin El-Mafaalani geht in seinem Buch „Das Integrationsparadox“ einen Schritt weiter. El-Mafaalani, in Deutschland geborenes Kind syrischer Migranten, Professor für Politikwissenschaft und politische Soziologie, arbeitet heute in NRW im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration. Der Untertitel seines Buches verwirrt zunächst: „Warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt“. Das scheinbare Paradox ist jedoch genau der Schritt weiter, der bei Mansour fehlt. El-Mafaalani findet dafür das Bild eines Tisches, an dem eine Familie sitzt. Allmählich setzen sich aber immer mehr Menschen hinzu – Migranten, deren Kinder und Kindeskinder: der Platz am Tisch wird enger. Alle wollen mitreden und sogar mitbestimmen, was auf den Tisch kommt, was gegessen wird. Klar, daß dadurch die Familie, die schon immer da saß, sich wehrt, sie hat aber keine Wahl als sich gleichzeitig auf die neue Situation einstellen. Gerade das Anwachsen der Konflikte zwischen Alteingesessenen und den Migranten und deren Kindern zeigt, daß die Integration – so der Autor – gut vorangekommen ist. Daß die Migranten eben Platz genommen haben am Tisch und nicht mehr am „Katzentisch“ oder gar am Boden sitzen, wie noch vor vierzig, fünfzig Jahren die sogenannten „Gastarbeiter“, für die es keinerlei Integrationsprogramme gab, da man sie nicht behalten wollte. Die Konflikte seien gerade der Beweis für eine zunehmend gelungene Integration und El-Mafaalani weist anhand eindeutiger Zahlen und Beispiele nach, daß den Migranten und anderen Minderheiten in Deutschland heute mehr Chancen und Möglichkeiten offen stehen als jemals zuvor – und sie diese Chancen auch nutzen. Das aber zwingt die „Einheimischen“ in der Auseinandersetzung mit den „Zugereisten“ und deren bereits in Deutschland geborenen Kindern ein neues Verhältnis zur eigenen Identität zu finden. Die deutsche Gesellschaft insgesamt beginnt sich zu verändern, ein Zurück in die „gute, alte Zeit“, die gerade in Deutschland objektiv so gut gar nicht war, ist unmöglich. Die Abschottungstendenzen, wie sie heute vor allem die AfD, aber auch linke Randgruppen predigen, sind psychologisch nachvollziehbar, aber sie werden von El-Mafaalani als Folge der Veränderung dargestellt. Eine Veränderung, die übrigens lange vor 2015, vor dem Zustrom von rund einer Millionen Flüchtlingen, begonnen hatte.
Superdiversity oder Anpassung?
Die Unterschiede im Denkansatz der beiden Autoren Mansour und El-Mafaalani sind an ein- und demselben Beispiel zu erkennen. Während Mansour eher ein Kopftuchgegner ist und zumindest für ein Kopftuchverbot bei Kindern plädiert, weil sie damit einem patriarchalischen, frauenfeindlichen System unterworfen wären, das zutiefst demokratiefeindlich sei, erklärt El-Mafaalani, daß es eine gehörige Portion Mut und Selbstbewußtsein der Frauen brauche, im deutschen Umfeld ein Kopftuch zu tragen.
El-Mafaalani wünscht sich daher eine Akzeptanz der „Superdiversity“, wie sie in den westlichen Großstädten längst die Regel ist und eine Chance für alle bedeutet, weil somit die Globalisierung im Lokalen auch mehr Möglichkeiten anbietet als eine monokulturelle Gesellschaft.
In einem Punkt aber ist Mansour aufgrund seiner Arbeit als Sozialarbeiter präziser und problembewußter: Was tun mit islamischen, extremistischen Gruppierungen, die das Prinzip der liberalen Demokratie grundsätzlich nicht akzeptieren, wo also Dialog und Integration nicht möglich sind? Mansour macht deutlich, daß es Grenzen der Verständigung gibt, daß es Gesprächsverweigerung gibt unter vielen Migranten, daß Gewaltbereitschaft existiert und sich verbreitet und der Staat konsequent sein muß, solchen Extremisten keinen Platz in Deutschland zu gewähren. El-Mafaalani kommt zwar kurz auf solche Gruppen, wie etwa die Salafisten, zu sprechen, doch er sieht in ihnen nur Verweigerer einer Entwicklung, die nicht aufzuhalten ist. Doch sein Gesellschaftsmodell geht nur dann auf, wenn alle bereit sind, sich an den Tisch zu setzen. Was aber geschieht eben, wenn „der Tisch“ als solches grundsätzlich abgelehnt wird? Eine unbeantwortete Frage bei El-Malaafani. Genau diese Frage wird die öffentliche Diskussion aber auch in Zukunft bestimmen und weiter anheizen, ganz unabhängig davon, wie gut Integration tatsächlich vorankommt. Und es ist und bleibt Aufgabe des Staates, allen Seiten – Populisten wie Islamisten – eben auch die Grenzen des liberal-freiheitlichen Systems aufzuzeigen.
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