Die Anti-Sarrazins: Neue Bücher von Aladin El-Mafaalani und Ahmad Mansour

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Aladin El-Mafaalani und Ahmad Mansour haben zwei kluge Bücher über die Einwan­de­rungs­ge­sell­schaft geschrieben. Der eine plädiert für Vielfalt, der andere für Anpassung. Unser Rezensent Richard C. Schneider arbeitet Stärken und Schwächen der beiden Autoren heraus. Wenn man sie zusam­men­liest, ergeben sie den perfekten Anti-Sarrazin.

Wer eine vernünftige alter­native Lektüre zu Thilo Sarrazins „Feind­liche Übernahme“ sucht, kann ohne weiteres fündig werden. Zwei Autoren mit „Migra­ti­ons­hin­ter­grund“ haben sich des Themas Integration angenommen. Sie kommen zu unter­schied­lichen Ergeb­nissen, doch ihre Kennt­nisse sind fundiert, sind, anders als bei Sarrazin, Außen- und zugleich Innen­an­sichten, denen man Zeit und Raum geben sollte, um sich dem komplexen Thema zu stellen.

Portrait von Richard C. Schneider

Richard C. Schneider ist Buchautor und Dokumen­tar­filmer. Er war Leiter der ARD-Studios in Rom und in Tel Aviv, und bis Ende 2022 Editor-at-Large beim BR/​ARD. Er schreibt heute als freier Korre­spondent für den SPIEGEL aus Israel und den Paläs­ti­nen­si­schen Gebieten..

Schwächen liberal-demokra­ti­scher Identität

Ahmad Mansour, ein paläs­ti­nen­si­scher Israeli, der mit 28 Jahren nach Deutschland kam und als Psychologe und Gruppen­leiter des Neuköllner Gewalt­prä­ven­ti­ons­pro­jektes „Heroes“ bekannt wurde, nennt sein neues Buch „Klartext zur Integration“. Doch erst der Unter­titel gibt einen Hinweis, worauf Mansour hinauswill: „Gegen falsche Toleranz und Panik­mache“. Mansour spricht über Probleme der Integration aus eigenem Erleben, aber mehr noch aus der Erfahrung bei seiner Arbeit mit proble­ma­ti­schen Fällen. Da schreibt also ein „Street­worker“, einer, der die gesamt­ge­sell­schaft­liche Proble­matik auf das Indivi­duelle herun­ter­bricht. Er sieht die Migranten in einer „Bring­schuld“ gegenüber dem Staat, der sie aufge­nommen hat. Für Mansour ist der gemeinsame Nenner, um Integration möglich zu machen, das Grund­gesetz. Er zeigt aber an vielen Beispielen auf, wie die Mehrheits­ge­sell­schaft versagt, die ethischen Normen und Werte des Grund­ge­setzes zu vermitteln, einzu­fordern oder auch für sie einzu­stehen. Der Psychologe zeigt die Schwächen deutscher oder besser: liberal-demokra­ti­scher Identität auf, die in falsch verstan­dener Rücksicht­nahme auf den „Fremden“ oder aber gar aus Angst und Unsicherheit zu einer Ungleich­be­handlung des Einzelnen führt. Insofern ist Mansours Analyse eine schonungslose Abrechnung mit einer Gesell­schaft, die stolz auf die Errun­gen­schaften des freiheit­lichen Systems sein könnte, die allen Grund hätte, diese „aggressiv“ zu vertreten. Mansour hält dem liberalen Teil der „Biodeut­schen“ somit einen Spiegel vor. Und das ist gut so.

Doch er tappt dabei in eine Falle, die zugleich die Schwäche des Buches ist. Er fordert zurecht eine Anpassung der Migranten an die neue Gesell­schaft, eine Offenheit gegenüber einem neuen Werte­system, das dem tradi­tio­nellen islami­schen oder arabi­schen Denken häufig diametral entge­gen­ge­setzt ist. Doch er versäumt zugleich der „alten“ Gesell­schaft im Lande zu zeigen, daß auch sie sich anzupassen hat, daß auch sie Wege finden muß, wie sie mit einer verän­derten gesell­schaft­lichen Situation umzugehen hat. Gewiß, der Autor erklärt, wo Politik und Sozial­arbeit anders und besser ansetzen müßten, aber  er drückt sich um eine  dringend notwendige Neude­fi­nition dessen, was „deutsch“ oder „Deutschland“ heute sein soll und kann. So lässt Mansour den Leser mit dem Gefühl zurück, die eigent­liche Arbeit müsse von den Migranten gemacht werden, die Mehrheits­ge­sell­schaft müsse lediglich das Grund­gesetz besser vorleben.

Das Migra­tions-Paradox

Aladin El-Mafaalani geht in seinem Buch „Das Integra­ti­ons­pa­radox“ einen Schritt weiter. El-Mafaalani, in Deutschland geborenes Kind syrischer Migranten, Professor für Politik­wis­sen­schaft und politische Sozio­logie, arbeitet heute in NRW im Minis­terium für Kinder, Familie, Flücht­linge und Integration. Der Unter­titel seines Buches verwirrt zunächst: „Warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt“. Das scheinbare Paradox ist jedoch genau der Schritt weiter, der bei Mansour fehlt. El-Mafaalani findet dafür das Bild eines Tisches, an dem eine Familie sitzt. Allmählich setzen sich aber immer mehr Menschen hinzu – Migranten, deren Kinder und Kindes­kinder: der Platz am Tisch wird enger. Alle wollen mitreden und sogar mitbe­stimmen, was auf den Tisch kommt, was gegessen wird. Klar, daß dadurch die Familie, die schon immer da saß, sich wehrt, sie hat aber keine Wahl als sich gleich­zeitig auf die neue Situation einstellen. Gerade das Anwachsen der Konflikte zwischen Altein­ge­ses­senen und den Migranten und deren Kindern zeigt, daß die Integration – so der Autor – gut voran­ge­kommen ist. Daß die Migranten eben Platz genommen haben am Tisch und nicht mehr am „Katzen­tisch“ oder gar am Boden sitzen, wie noch vor vierzig, fünfzig Jahren die sogenannten „Gastar­beiter“, für die es keinerlei Integra­ti­ons­pro­gramme gab, da man sie nicht behalten wollte. Die Konflikte seien gerade der Beweis für eine zunehmend gelungene Integration und El-Mafaalani weist anhand eindeu­tiger Zahlen und Beispiele nach, daß den Migranten und anderen Minder­heiten in Deutschland heute mehr Chancen und Möglich­keiten offen stehen als jemals zuvor – und sie diese Chancen auch nutzen. Das aber zwingt die „Einhei­mi­schen“ in der Ausein­an­der­setzung mit den „Zugereisten“ und deren bereits in Deutschland geborenen Kindern ein neues Verhältnis zur eigenen Identität zu finden. Die deutsche Gesell­schaft insgesamt beginnt sich zu verändern, ein Zurück in die „gute, alte Zeit“, die gerade in Deutschland objektiv so gut gar nicht war, ist unmöglich. Die Abschot­tungs­ten­denzen, wie sie heute vor allem die AfD, aber auch linke Randgruppen predigen, sind psycho­lo­gisch nachvoll­ziehbar, aber sie werden von El-Mafaalani als Folge der Verän­derung darge­stellt. Eine Verän­derung, die übrigens lange vor 2015, vor dem Zustrom von rund einer Millionen Flücht­lingen, begonnen hatte.

Super­di­versity oder Anpassung?

Die Unter­schiede im Denkansatz der beiden Autoren Mansour und El-Mafaalani sind an ein- und demselben Beispiel zu erkennen. Während Mansour eher ein Kopftuch­gegner ist und zumindest für ein Kopftuch­verbot bei Kindern plädiert, weil sie damit einem patri­ar­cha­li­schen, frauen­feind­lichen System unter­worfen wären, das zutiefst demokra­tie­feindlich sei, erklärt El-Mafaalani, daß es eine gehörige Portion Mut und Selbst­be­wußtsein der Frauen brauche, im deutschen Umfeld ein Kopftuch zu tragen.

El-Mafaalani wünscht sich daher eine Akzeptanz der „Super­di­versity“, wie sie in den westlichen Großstädten längst die Regel ist und eine Chance für alle bedeutet, weil somit die Globa­li­sierung im Lokalen auch mehr Möglich­keiten anbietet als eine monokul­tu­relle Gesellschaft.

In einem Punkt aber ist Mansour aufgrund seiner Arbeit als Sozial­ar­beiter präziser und problem­be­wußter: Was tun mit islami­schen, extre­mis­ti­schen Gruppie­rungen, die das Prinzip der liberalen Demokratie grund­sätzlich nicht akzep­tieren, wo also Dialog und Integration nicht möglich sind? Mansour macht deutlich, daß es Grenzen der Verstän­digung gibt, daß es Gesprächs­ver­wei­gerung gibt unter vielen Migranten, daß Gewalt­be­reit­schaft existiert und sich verbreitet und der Staat konse­quent sein muß, solchen Extre­misten keinen Platz in Deutschland zu gewähren. El-Mafaalani kommt zwar kurz auf solche Gruppen, wie etwa die Salafisten, zu sprechen, doch er sieht in ihnen nur Verwei­gerer einer Entwicklung, die nicht aufzu­halten ist. Doch sein Gesell­schafts­modell geht nur dann auf, wenn alle bereit sind, sich an den Tisch zu setzen. Was aber geschieht eben, wenn „der Tisch“ als solches grund­sätzlich abgelehnt wird? Eine unbeant­wortete Frage bei El-Malaafani. Genau diese Frage wird die öffent­liche Diskussion aber auch in Zukunft bestimmen und weiter anheizen, ganz unabhängig davon, wie gut Integration tatsächlich voran­kommt. Und es ist und bleibt Aufgabe des Staates, allen Seiten – Populisten wie Islamisten – eben auch die Grenzen des liberal-freiheit­lichen Systems aufzuzeigen.

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