„Bibis“ Bromance

© U.S. Embassy Tel Aviv

Israel hat, nach einem Tweet von Donald Trump, zwei demo­kra­ti­sche US-Poli­ti­ke­rinnen nicht ins Land einreisen lassen. Der Vorfall wirft ein Schlag­licht auf die entgleisten Bezie­hungen zwischen Benjamin Netanyahu und den Demo­kraten – und auf „Bibis“ ideo­lo­gi­sche Kumpanei mit dem US-Präsidenten.

Wir leben in Zeiten, in denen man stets davon ausgehen muss, dass die Politik das sowieso schon extrem niedrige Niveau, auf dem sie sich bewegt, noch weiter unter­bietet. Manchmal denkt man: Nun, schlimmer kann’s nicht werden. Doch in Wochen wie der vergan­genen muss man selbst in Israel erkennen: Es geht immer noch ein bisschen schlimmer. 

Portrait von Richard C. Schneider

Richard C. Schneider ist Buchautor und Doku­men­tar­filmer. Er war Leiter der ARD-Studios in Rom und in Tel Aviv, und bis Ende 2022 Editor-at-Large beim BR/​ARD. Er schreibt heute als freier Korre­spon­dent für den SPIEGEL aus Israel und den Paläs­ti­nen­si­schen Gebieten..

Die beiden ersten musli­mi­schen Abge­ord­neten des US-Kongresses, Ilhan Omar und Rashida Tlaib, haben vor einiger Zeit ange­kün­digt, nach Israel und in die paläs­ti­nen­si­schen Gebiete reisen zu wollen. Omar machte sich in den USA einen Namen mit zahl­rei­chen anti­se­mi­ti­schen Äuße­rungen, für die sie sich immer wieder entschul­digen musste. Sie und Tlaib unter­stützen die anti-israe­li­sche Boykott­be­we­gung BDS, die zum Teil mit anti­se­mi­ti­schen Argu­men­ta­ti­ons­mus­tern gegen Israel hetzt. Tlaib will nur einen einzigen Staat zwischen Mittel­meer und Jordan haben, was im Klartext bedeutet: Der jüdische Staat würde aufhören zu existieren.

Dennoch hat Israel den beiden Poli­ti­ke­rinnen grünes Licht zur Einreise gegeben. Klar, das ist zunächst einmal eine demo­kra­ti­sche Entschei­dung, in einem liberalen Land, das die „einzige Demo­kratie im Nahen Osten ist“, wie Premier Benjamin Netanyahu nicht müde wird zu betonen. Schließ­lich – das wussten selbst die extre­mis­tischsten Natio­na­listen in der Knesset – kann man gewählten Volks­ver­tre­tern des besten Freundes und Verbün­deten nicht die Tür vor der Nase zuknallen.

Peng

So weit, so gut. Doch dann kam alles anders. Netanyahu, den sie in Israel „Bibi“ nennen, entschied persön­lich, die beiden doch nicht nach Israel einreisen zu lassen. Peng. Man musste so etwas befürchten, im Hinter­grund deutete sich bereits an, dass US-Präsident Donald Trump Einwände gegen die Einreise hatte. Nachdem er aber einen Tweet abge­feuert hatte, war klar: Netanyahu wird, nein, er muss nach­ziehen. Der Tweet lautete:

„Es würde große Schwäche ausdrü­cken, wenn Israel Rep. Omar und Rep. Tlaib erlauben würde, das Land zu besuchen. Sie hassen Israel und das gesamte jüdische Volk und nichts kann gesagt oder getan werden, um ihre Meinung zu ändern.“

„Bibi“ unter­sagte also die Einreise der US-Demo­kra­tinnen. Tlaib wurde der Besuch des West­jor­dan­landes aus huma­ni­tären Gründen schließ­lich doch gestattet. Doch sie sagte den Besuch wegen der von Israel aufer­legten Einrei­se­be­din­gungen ab. Nach dem Hickhack blieb: viel verbrannte Erde.

Was Trump treibt, ist klar. Er befindet sich bereits im Wahl­kampf­modus und hat sich schon seit Längerem auf die beiden Poli­ti­ke­rinnen und andere Demo­kra­tinnen of color einge­schossen, etwa den jungen Politstar Alex­an­dria Ocasio-Cortez. Erst kürzlich hat er einige von ihnen rassis­tisch beschimpft. Seine Klientel will genau das hören. Trump will sein Land immer weiter spalten, will die Demo­kraten als Fremde, Anti­se­miten und Isla­mismus-Unter­stützer darstellen, um so seine Wieder­wahl im November 2020 zu sichern.

„Bibis“ Kalkül ist ein anderes – wenn man noch von Kalkül reden kann. Denn alles begann in den Jahren 2009/​2010, als Barack Obama als junger, liberaler, demo­kra­ti­scher US-Präsident den paläs­ti­nen­sisch-israe­li­schen „Frie­dens­pro­zess“ auf neue Schienen setzen wollte. Zwischen Netanyahu und Obama stimmte von Anfang an die Chemie nicht. Politisch sowieso nicht, aber auch mensch­lich waren sich die beiden nie grün. Netanyahu demütigte den Präsi­denten immer wieder. Vor laufenden Kameras gab er ihm eine Unter­richts­stunde über den Nahen Osten, im zweiten Wahlkampf Obamas bezog er eindeutig Position für den repu­bli­ka­ni­schen Kandi­daten und versuchte, sich in die US-Wahl einzu­mi­schen. Der Höhepunkt war 2015 eine Einladung der Repu­bli­kaner an Netanyahu, auf Capitol Hill gegen das geplante Atom­ab­kommen mit den Iranern zu sprechen. John Boehner, damals Sprecher des Reprä­sen­tan­ten­hauses, hatte die Einladung hinter dem Rücken seines Präsi­denten ausge­spro­chen. Und Jerusalem hatte mitgemacht.

Donald ist „Bibis“ Buddy

Dies und vieles andere haben die Demo­kraten „Bibi“ nicht vergessen. Dieser hat nun eigent­lich gar keine andere Wahl, als auf Trump zu setzen. Und nachdem Trump ihm all das gab, wovon er bislang träumte – die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem, die Aner­ken­nung der Golan-Höhen als israe­li­sches Staats­ge­biet, einen Frie­dens­plan, der zwar noch nicht veröf­fent­licht ist, in dem aber nicht mehr die Rede von einem paläs­ti­nen­si­schen Staat ist – wusste „Bibi“: Donald ist mein Buddy. Auch im Poli­tik­stil: Fake News produ­zieren und die etablierte Presse und den poli­ti­schen Gegner als „Feind“ denun­zieren, all das hat „Bibi“ zwar schon vor der Amtszeit des aktuellen US-Präsi­denten betrieben. Doch mit Trump als Rücken­de­ckung konnte „Bibi“ in der israe­li­schen Innen­po­litik die Hand­schuhe ablegen. Er musste nicht mehr befürchten, von den USA gemaß­re­gelt zu werden, wenn er’s denn allzu anti­li­beral angehen lässt.

Das Fatale an dem Einrei­se­verbot ist, dass „Bibi“ damit wohl Israel als bipar­tisan issue in der ameri­ka­ni­schen Politik erledigt hat. Auch wenn Demo­kraten und Repu­bli­kaner in ihren poli­ti­schen Ansichten stets diffe­rierten, wenn es um Israel ging, waren sich beide Parteien in vielen Grund­zügen einig. Das bedeutete: poli­ti­sche, wirt­schaft­liche und mili­tä­ri­sche Unter­stüt­zung und Zusam­men­ar­beit mit dem wich­tigsten Verbün­deten im Nahen Osten ohne Wenn und Aber. Das könnte sich in Zukunft womöglich erledigt haben. Natürlich wissen alte poli­ti­sche Hasen bei den Demo­kraten, dass Netanyahu nicht Israel ist. Und ganz gewiss dürfte ein Nach­folger „Bibis“ im Amt des israe­li­schen Premiers gerade jetzt von den Demo­kraten mit viel Vorschuss­lor­beeren begrüßt werden – in der Hoffnung, die entgleisten Bezie­hungen zu retten.

Doch solange entweder Netanyahu oder ein anderer aus dem ultra­rechten Lager in Israel das Sagen hat, kann sich das Verhältnis zu den USA als Staat nicht wieder verbes­sern. Die USA verändern sich seit Langem. Die jungen Gene­ra­tionen sind in der Mehrheit Menschen of color, das Zeitalter des weißen Mannes geht zu Ende. Die Jüngeren sind daher ganz auto­ma­tisch auf der Seite der Underdogs, der Paläs­ti­nenser, sie fühlen sich aufgrund ihrer eigenen Geschichte mit ihnen verbunden. Ebenso junge ameri­ka­ni­sche Juden, die mit dem natio­na­lis­ti­schen Judentum Israels und der Okku­pa­ti­ons­po­litik nichts mehr zu tun haben wollen. Für sie symbo­li­siert das Judentum Libe­ra­lismus, Menschen­rechte, Freiheit, also so ziemlich das Gegenteil dessen, was Netanyahu seit nun einem Jahrzehnt nonstop propagiert.

Weiß Netanyahu das alles nicht? Man kann ihm vieles vorwerfen, aber nicht, dass er dumm ist. Und leider ist es auch so, dass sich sein düsteres Weltbild allmäh­lich zu bewahr­heiten scheint. Anders gesagt: Immer häufiger kommen Politiker weltweit an die Macht, die ähnlich denken wie „Bibi“. Insofern ist der Mann einer­seits überzeugt, für Israel das Richtige zu tun. Ande­rer­seits, und das wiegt im Moment wohl schwerer, versucht er, sich zu entlasten. Denn er steht massiv unter Druck. Nicht wegen der Hamas oder der Fatah, nicht wegen Hizbollah oder des Irans, sondern schlicht deswegen, weil ihm eine Anklage wegen Korrup­tion in drei Fällen und damit mögli­cher­weise eine lange Haft­strafe in einem israe­li­schen Gefängnis droht.

„Bibi“ kämpft mit dem Rücken zur Wand. Lange Jahre war er für Israel ein durchaus erfolg­rei­cher Premier, hat das Land wirt­schaft­lich voran­ge­bracht, hat es geschafft, den jüdischen Staat aus den nahöst­li­chen Bürger­kriegen weitest­ge­hend heraus­zu­halten. Doch gerade in der letzten Legis­la­tur­pe­riode hat „Bibi“ alle Scham­grenzen fallen lassen. Auch dank Donald Trump im Weißen Haus. Er hat sein Schicksal mit diesem Mann verknüpft. Mit diesem Mann, nicht mit den USA. Er könnte Israel in eine noch größere Krise stürzen als die, in der sich das Land bereits befindet.

Textende

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