Liberale Politik muss liefern. Probleme gibt’s genug
Es macht wenig Sinn, Freiheit und Sicherheit gegeneinander auszuspielen. Ein handlungsfähiger Rechtsstaat gewährleistet beides. Der Liberalismus muss verlorengegangenes Vertrauen zurückgewinnen, indem er die besseren Lösungen für komplexe Probleme wie die Energiewende aufzeigt. Wer bestehende Regelsysteme wie das Erneuerbare Energien Gesetz ablehnt, muss Alternativen vorschlagen. Ein Gastbeitrag von Susanne Günther, studierte Philosophin, praktizierende Landwirtin und Mitglied der FDP.
Der frühere Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, hat kürzlich in der Zeitung „Die Welt“ eine Debatte angestoßen, wie sich der moderne Liberalismus weiterentwickeln müsste und dabei den Fokus auf die Bedeutung von (sozialer) Sicherheit als Bedingung von Freiheit gelegt. Ein zeitgenössischer Liberalismus müsse Freiheit und Sicherheit, Verschiedenheit und Gemeinsamkeit unter einen Hut bringen. In einer Replik antwortet Karl-Heinz Paqué, Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, dass der Liberalismus keiner Erneuerung bedarf. Mut würde den Liberalismus auszeichnen. Dabei müssen Sicherheit und Mut keine Gegensätze sein. Ich bin seit 2013 Mitglied der FDP und frage mich, warum die Attraktivität der Partei momentan so begrenzt ist.
„Populisten bekämpft man am besten, indem man Probleme löst“, sagt Christian Lindner. Das kann ich nur unterstützen. Und wenn die FDP zeigt, dass sie Probleme lösen kann, dann wird sie auch Vertrauen zurückgewinnen. Nota bene: Der Beweis, Probleme lösen zu können, erfüllt das Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit. Nur wer sich sicher fühlt, kann vertrauen. Probleme lösen heißt für mich erst einmal: Antworten geben. Nur auf technologischen Fortschritt zu verweisen nach dem Motto „wird schon irgendwie klappen“, reicht mir persönlich nicht. Wo sind die Innovationen, die unsere Energieerzeugung zukunftsfähig machen? Während Wälder für Windkraft gerodet und somit Fakten geschaffen werden, sind am Horizont keine Sprunginnovationen zu erkennen, die uns zeitnah aus der Patsche helfen könnten. Wir brauchen aber jetzt Antworten auf die Frage, wie wir die Energieerzeugung der Zukunft gestalten wollen, damit wir die richtigen Weichen stellen können.
Energiewende: Der Markt allein wird’s nicht richten
Die Frage danach, wie wir in Zukunft Energie erzeugen wollen, ist eine zentrale Zukunftsfrage. Seit dem Beschluss, aus der Kernenergie auszusteigen, ist es nicht mehr gelungen, den CO2-Ausstoß bei der Energieerzeugung deutlich zu drosseln. Nach wie vor lässt sich Strom nicht speichern wie etwa Getreide. Das heißt, der Strom muss dann erzeugt werden, wenn er verbraucht wird. Darüber können auch positive Import-/Export-Bilanzen nicht hinwegtäuschen. Hinzu kommt, dass mit dem Ausbau der Elektro-Mobilität in Zukunft mehr Strom benötigt werden wird. Die Marktwirtschaft mag einiges leisten, aber wenn ein bestimmter Energiemix in der Zukunft gewünscht ist, wird es ohne regulatorische Eingriffe nicht gehen. Hier öffnet sich ein Spannungsfeld voller Zielkonflikte: Klimaschutz vs. Sicherung bestehender Arbeitsplätze, beschleunigte CO2-Reduktion vs. beschlossener Atomausstieg, Energiewende vs. Naturschutz, Klimaschutz vs. erschwingliche Energiepreise, Umstieg auf regenerative Energien vs. Versorgungssicherheit.
In den sozialen Netzwerken entfaltet sich dieses Konfliktpotenzial mit einem enormen Aufgebot von vermeintlichen Fakten: „Windkraft schadet Greifvögeln und Fledermäusen“, „Windkraft schadet Greifvögeln und anderen Tieren nicht“, „der Kohleausstieg ist bis 2030 möglich“, „durch den Kohleausstieg kommt es zum Blackout“, „moderne Atomkraft kommt ohne Endlagerung aus“, „bei Atomkraft hat man immer das Problem mit dem Müll“, „Elektroautos haben eine positive Ökobilanz“, „Elektroautos schaffen in den Ländern, wo die Rohstoffe für die Batterien abgebaut werden, enorme Umweltprobleme“. Hier würde es schon helfen, wenn sich gesellschaftliche Akteure zumindest auf die Faktenlage einigen würden. Für Investoren fehlt Planungssicherheit. Großen Windkraft-Projekten sowie dem Netzausbau fehlt es an gesellschaftlicher Akzeptanz – im Allgemeinen mag man dafür sein, aber nicht vor der eigenen Haustür. Die Öffentlichkeit wird mit konträren Signalen massiv verunsichert. Deswegen geht es bei der Lösung der strukturellen Probleme der Energiewende auch nicht recht voran.
Hinzu kommen eklatante Verwerfungen durch das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG): Durch temporäre Überangebote an Strom bei günstiger Witterung ist der Börsenpreis für Strom zeitweise so niedrig, dass sich Investitionen in Gaskraftwerke oder Pumpspeicherwerke nicht lohnen. Biogasanlagen können zwar herunter reguliert werden, aber der nicht erzeugte Strom muss trotzdem vergütet werden. Das treibt die EEG-Umlage in die Höhe. Andersherum sind durch die Förderung auch sinnvolle Strukturen der Kraft-Wärme-Kopplung entstanden. Diese sollten auch nach Ablauf der 20-jährigen Preisgarantie kostendeckend betrieben werden können. Kurzum: Die FDP-Losung „EEG abschaffen“ ist mir zu wenig.
Mutig ist nicht immer klug
Der Claim „German Mut“ hatte seine Berechtigung, um nach dem Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag für den Wiedereinzug zu mobilisieren. Man darf den Begriff „Mut“ jedoch nicht überstrapazieren. Mut ist wichtig, aber Mut ist nicht automatisch klug. Als Jugendliche hatte ich mich während eines Trainingslagers in den Alpen einer Bergwanderung angeschlossen. Noch heute habe ich das ärgerliche Schimpfen des Arztes in den Ohren, der meine infizierte Schürfwunde behandeln musste, die ich mir beim Abstieg zugezogen hatte: Im April auf diesen Gipfel zu wandern sei irre gewesen. Die Entscheidung, die Tour mitzugehen, war sicher mutig, aber nicht klug. „Zuversicht“ scheint mir das bessere Wort.
Die FDP reklamiert ein optimistisches Menschenbild für sich: Der Mensch ist vernunftbegabt und damit in der Lage, seine Angelegenheiten selbst zu regeln. Der Staat wird nur dort akzeptiert, wo sein Eingreifen als unbedingt notwendig angesehen wird. Zu einem realistischen Menschenbild gehört aber auch die Akzeptanz menschlicher Bedürfnisse. In einer komplexen Lebenswelt wird es für die Menschen zusehends schwieriger, ihre Angelegenheiten allein auf sich gestellt zu regeln. Gerade die Digitalisierung schafft hier eine neue Unübersichtlichkeit und lässt viele Menschen mit einem unguten Grundgefühl und Zukunftsängsten zurück. Hier tut sich für den Liberalismus eine riesengroße Baustelle auf: Es gilt, Chancengleichheit zu realisieren. Trotz der schleichenden Sozialdemokratisierung der Bundespolitik ist es in Deutschland immer noch signifikant von der sozialen Herkunft abhängig, welchen Bildungserfolg ein Kind erzielt. Dieser Umstand muss für jeden liberalen Denker unerträglich sein. Denn Bildung ist eine Voraussetzung, seine persönlichen Freiheiten auszuschöpfen und sie im Zweifel einklagen zu können.
Recht und Freiheit
Auf den ersten Blick scheinen sich Rechtsstaat und Freiheit zu widersprechen, schließlich engen Regeln, die der Staat für seine Bürger erhebt, den Menschen ein. Es ist jedoch genau umgekehrt: Der Rechtsstaat schützt die Freiheit des Individuums. Er sichert ihm zu, dass es seine Rechte ausleben kann. Denn die Freiheit des Einzelnen gerät in Gefahr, wenn andere Menschen versuchen, ihre Freiheit ungezügelt auszuleben. Der Rechtsstaat ist für den Bürger die Garantie, dass seine Freiheiten nicht ungestraft eingeschränkt oder verletzt werden. Er gilt deshalb für alle Bürger gleichermaßen. Wenn eigene Freiheiten verletzt wurden, kann der Bürger den Rechtsstaat anrufen, um seine Ansprüche geltend zu machen, um sein Recht durchzusetzen. Der Rechtsstaat in Form einer gut organisierten Justiz ist eine wichtige Bedingung für ein funktionales Zusammenleben in der Demokratie. Das brachte Helmut Schmidt zum Ausdruck in seinem berühmten Ausspruch: „Der Rechtsstaat hat nicht zu siegen, er hat auch nicht zu verlieren, sondern er hat zu existieren!“
Gelingt es den staatlichen Akteuren, Rechtstaatlichkeit konsequent und transparent umzusetzen, kann das allein schon das allgemeine Vertrauen der Bürger in staatliche Institutionen stärken. Hält der Staat sich selbst nicht an Gesetze und Vorschriften, hat das katastrophale Folgen für die Akzeptanz in der Bevölkerung. Beispiele finden sich etwa bei der kollektiven Missachtung der Euro-Stabilitätskriterien durch die EU-Mitgliedsstaaten, Vollzugsdefizite bei Asylverfahren, der folgenlosen Besetzung vom Eigentum Dritter durch linke Aktivisten, der Blindheit staatlicher Sicherheitsorgane gegenüber den Umtrieben des „nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) oder der mangelnden Umsetzung von Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität in Innenstädten, mit der Folge, dass Fahrverbote gerichtlich erstritten werden mussten. Hier nimmt der Staat (bzw. die EU) sich selbst nicht ernst. Für mich gehört es zum Liberalismus, in solchen Fällen die Umsetzung des Rechtsstaats einzufordern. Es führt sonst dazu, dass Menschen unterschiedlich behandelt werden, obwohl sie nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen. Es hängt dann z.B. vom Kalkül der Deutschen Umwelthilfe ab, ob ich mit meinem alten Diesel noch in die Innenstadt fahren darf oder nicht. Das ist ungerecht. Der Punkt ist, dass ein verlässlicher Rechtsstaat nicht nur unabdingbar für die „innere Sicherheit“ im traditionellen Sinn ist, sondern dass regelorientierte, unparteiische und verlässliche staatliche Institutionen jenes Grundgefühl von Sicherheit vermitteln, das gelebte Freiheit ermöglicht.
Ich bin überzeugt: Wenn der real existierende Liberalismus seine Ideale konsequent verfolgen und verteidigen würde, wäre er auch attraktiv. Stattdessen beschäftigt sich die FDP meines Erachtens ein bisschen zu intensiv mit ihren Steckenpferden (Soli) und verliert dabei die Menschen und ihr Bedürfnis nach Sicherheit und (!) Freiheit aus dem Blick.
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