Resilienz gegen Pandemien: Wie Digitalisierung hilft
Selbst wenn die Ausbreitung des Coronavirus eingedämmt sein wird: Eine weitere Pandemie dieser Art lässt sich auch für die Zukunft nicht ausschließen. Dann aber könnten digitale Technologien noch mehr als heute schon helfen, die wirtschaftlichen Folgen abzumildern.
Zunächst eine Anatomie der aktuellen Wirtschaftskrise. Die durch die Ausbreitung des Corona-Virus COVID-19 ausgelöste weltweite Rezession ist eine Kombination aus drei verschiedenen Krisentypen: aus einer Nachfrage‑, einer Angebots- und einer Finanzmarktkrise:
- Nachfragekrise: Eine sich rasch ausbreitende Infektionskrankheit senkt zunächst einmal die Nachfrage. Aus Angst vor einer Ansteckung meiden Menschen Geschäfte in den Innenstädten und schränken ihren Konsum ein. Sie verzichten auf den Besuch von Restaurants, Kinos, Theatern, Freizeitparks, Konzerten, Sportveranstaltungen etc. und sagen Urlaubsreisen ab. Verbieten staatliche Behörden diese Aktivitäten sogar, um die Präventionsmaßnahmen zu optimieren, sind die Nachfrageausfälle besonders gravierend.
- Angebotskrise: Menschliche Arbeitskräfte sind nach wie vor eine zentrale Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Produktionsprozesse. Fallen sie infolge einer Infektionskrankheit aus, verringern sich die Produktionskapazitäten der Unternehmen. Dieser Effekt verstärkt sich zusätzlich, wenn auch gesunde Beschäftigte nicht mehr zur Arbeit gehen, weil sie Angst vor einer Ansteckung haben. Gibt es für die ausfallenden Beschäftigten keinen Ersatz, müssen die betroffenen Unternehmen ihre Produktion einschränken oder sogar einstellen – mit z. T. weiteren erheblichen Auswirkungen: Werden die hergestellten Produkte z. B. in anderen Unternehmen als Vorleistung genutzt, kann es dort zu Produktionseinschränkungen kommen, wenn es für die fehlenden Vorleistungen keine Substitute gibt. Im schlimmsten Fall droht in diesen Betrieben ebenfalls ein kompletter Produktionsstopp. Schließlich ist auch Betriebsschließungen zur Eindämmung der Pandemie zu denken.
- Finanzmarktkrise: Beide Entwicklungen bedeuten für die Unternehmen Umsatzeinbußen, während sie gleichzeitig – zumindest kurzfristig – auf unveränderten Kosten sitzenbleiben. Die Folge sind Gewinneinbußen, die an den Aktienmärkten zu Kurseinbrüchen mit erheblichen Vermögenseinbußen führen. Die Angst vor möglichen Verlusten beschleunigt den Verkauf von Aktien und damit einen weiteren Kurssturz.
Jede dieser Krisenentwicklungen ist für sich komplex, sie verstärken einander aber noch gegenseitig: Wenn Menschen wegen Produktionseinschränkungen weniger Geld verdienen, fallen sie als Nachfrager aus und verstärken so die Nachfragekrise. Selbst in Unternehmen, die weiter Güter herstellen könnten, werden Produktion und Beschäftigung dann wegen mangelnder Nachfrage heruntergefahren.
Was lässt sich gegen die Krisendynamik tun? Der Einsatz von digitalen Technologien könnte sie zumindest entspannen.
Digitale Technologien als Antwort auf eine Nachfragekrise
Den Nachfragerückgängen kann – zumindest in Teilbereichen – durch das Ausweichen auf den Onlinehandel (häufig inklusive einer Onlineberatung) entgegengewirkt werden. Onlinekäufe ersetzen dann den Einkauf im stationären Handel. Stellt dieser selbst entsprechende Onlineangebote bereit, ist noch nicht einmal ein Wechsel des Anbieters erforderlich. Gleiches gilt für Lieferdienste, die Restaurantbesuche ersetzen, und Streamingdienste wie Netflix, die an die Stelle der Kinos treten. Und wer menschliche Kontakte im öffentlichen Personennahverkehr vermeiden will, aber kein eigenes Auto besitzt, kann ein über digitale Plattformen organisiertes Carsharing in Anspruch nehmen.
Dass die Nutzung dieser Konsummöglichkeiten zunimmt, wird bereits jetzt deutlich: Mitte März verkündete Amazon die Einstellung von zusätzlichen 100.000 Mitarbeitern in den USA, um die wachsende Zahl von Onlinebestellungen bearbeiten zu können.
Klar ist aber auch, dass sich Onlineangebote längst nicht bei allen Konsumaktivitäten einsetzen lassen. Vor allem im Tourismusbereich ist diese Form des Konsums nicht möglich.
Digitale Technologien als Antwort auf eine Angebotskrise
Ein Instrument zur Verringerung gesundheitsbedingter Ausfälle von Arbeitskräften ist derzeit in aller Munde und wird bereits in großem Umfang genutzt: das Arbeiten im Homeoffice. Diese Beschäftigungsform verringert die Ansteckungsgefahr und verhindert einen Arbeitsausfall aus Angst vor einer Ansteckung im Betrieb. Aber auch hier gilt: Längst nicht alle wirtschaftlichen Aktivitäten lassen sich so erledigen.
Eine andere, eher mittelfristige Reaktion auf die Erfahrungen mit der Corona-Pandemie besteht darin, dass Unternehmen in der Produktion verstärkt Maschinen, Roboter und andere digitale Technologien einsetzen. Diese Automatisierung ersetzt menschliche Arbeitskräfte und reduziert damit die Abhängigkeit von ihnen.
Corona und Digitalisierung: neue soziale Konfliktlinien
Die skizzierten möglichen technologischen Antworten auf die Frage, wie sich Unternehmen bzw. ganze Volkswirtschaften besser auf zukünftige Pandemien vorbereiten können, zeigen, dass die Reaktionsmöglichkeiten innerhalb der Wirtschaft ungleich verteilt sind:
- Während Hersteller von physischen Gütern auf den Onlinehandel zurückgreifen können, ist dies bei zahlreichen Formen des sogenannten sozialen Konsums – allen voran beim Tourismus – nicht möglich. Die Anbieter derartiger Konsumaktivitäten (und die bei ihnen beschäftigten Personen) tragen folglich ein größeres Risiko, bei einer zukünftigen Pandemie Einkommenseinbußen zu erleiden.
- Auch die Möglichkeiten, berufliche Tätigkeiten in der eigenen Wohnung auszuüben, sind in der Gesellschaft ungleich verteilt. Vor allem im Bereich der personennahen Dienstleistungen – etwa der Friseurarbeit – ist diese Form der Arbeit schlichtweg nicht möglich.
Für die Wirtschaftspolitik bedeutet dies: Diejenigen, die im Rahmen einer angemessenen Krisenprävention keine digitalen Technologien einsetzen können, müssen im Fall einer erneuten Krise mit ausreichenden finanziellen Mitteln bei der Einkommenssicherung unterstützt werden.
Die aktuellen Erfahrungen mit den Konsequenzen einer Pandemie werden Unternehmen dazu bewegen, ihre mittel- und langfristigen Strategien anzupassen. Zwei Aspekte spielen eine besondere Rolle:
- Der Anreiz, verstärkt in Automatisierung und digitale Technologien zu investieren, um die Anfälligkeit im Fall einer Pandemie zu verringern, wird zunehmen. Das gilt vor allem für alternde Gesellschaften, in denen Arbeitskräfte demografisch bedingt sowieso knapp werden.
- Um von der Verfügbarkeit von Vorleistungen weniger abhängig zu sein, bietet es sich an, besonders kritische Vorprodukte nicht mehr im Ausland herstellen zu lassen, sondern im Inland (Reshoring) – möglicherweise sogar im eigenen Unternehmen (Insourcing). Hierbei wird auch die 3D-Druck-Technologie verstärkt zum Einsatz kommen.
Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Anreiz zur forcierten Substitution von menschlichen Arbeitskräften durch Maschinen, Roboter, künstliche Intelligenz etc. größer wird, als er ohnehin schon ist. Die Produktionsprozesse werden somit kapital- und technologieintensiver, was sich negativ auf die Lohnentwicklung auswirkt. Die zunehmende Digitalisierung der Produktionsprozesse dürfte zu einer stärkeren Ungleichheit der Einkommensverteilung führen sowie zu „sinkenden Reallöhnen in der Mitte des Lohnspektrums“. Um diese Auswirkungen aufzufangen, muss die technologische Entwicklung bildungs- und sozialpolitisch flankiert werden. Verhindern sollten wir sie nicht, weil sie eine dringend notwendige Krisenresilienz deutlich verbessert.
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