Wie in der Ukraine des Völker­mordes an den Roma gedacht wird

© Anna Voitenko /​ Stiftung Denkmal

In der Sowjet­union wurde Roma der Opfer­status verwehrt. In der unab­hän­gigen Ukraine können sie über die Reprä­sen­ta­tion ihres histo­ri­schen Gedächt­nisses frei bestimmen.

Nach dem Zusam­men­bruch der Sowjet­union sahen sich die neuent­stan­denen Staaten mit der Notwen­dig­keit konfron­tiert, die Erfahrung des zweiten Welt­krieges neu zu bewerten, so etwa das Marty­ro­lo­gium der Besatzung. Es galt nun, das sowje­ti­sche Erbe abzu­stoßen, in dem bestimmten Gruppen wie Juden oder Roma der Opfer­status verwehrt wurde. Die künftige Aner­ken­nung der Leiden dieser Gruppen hing davon ab, welche geschichts­po­li­ti­schen Pfade das jeweilige Land einschlagen würde. Über die Proble­matik der Aufar­bei­tung des Holo­causts und die kollek­tive Erin­ne­rung der post­so­wje­ti­schen Staaten, darunter die Ukraine, ist ausgiebig geschrieben worden. An dieser Stelle soll der Fokus daher auf die Erin­ne­rung des Völker­mordes an den Roma gerichtet werden, insbe­son­dere darauf, wie diese Erin­ne­rung in der ukrai­ni­schen Gesell­schaft bewahrt wird.

Viele wichtige Fragen

Nach aktuellem Forschungs­stand vollzog sich die Vernich­tung der Roma auf dem Gebiet der heutigen Ukraine zu Zeiten der deutschen Besatzung an ungefähr 140 Orten.

An einigen dieser Orte wurden ausschließ­lich Roma ermordet, während sie an anderen Orten gemeinsam mit Juden, sowje­ti­schen Akti­visten, Kriegs­ge­fan­genen, Parti­sanen und Patienten psych­ia­tri­scher Einrich­tungen eine unter mehreren Opfer­gruppen darstellten.
Wie gehen die Opfer und ihre Nach­kommen heut­zu­tage mit jenen Ereig­nissen um, die mindes­tens 12.000 Roma das Leben kosteten? Wobei hier nur die Rede von den Teilen der Ukraine ist, die unter deutscher Besatzung standen, ohne aber die rumä­ni­sche Besat­zungs­zone zu berück­sich­tigen, in der mehr als 11.000, mehr­heit­lich von rumä­ni­schem Terri­to­rium depor­tierte, Roma ermordet wurden. Wie inter­pre­tiert die Roma-Gemein­schaft die Gründe, den Ablauf und die Folgen der Kata­strophe? Wie wird das Thema in der Öffent­lich­keit behandelt?
Eine andere Frage betrifft die gesell­schafts­po­li­ti­schen und kultu­rellen Bedin­gungen, unter denen die Roma heute leben. Wie wirken sich die Lebens­um­stände der Roma in der Ukraine auf ihre Möglich­keiten aus, auf den Völker­mord aufmerksam zu machen? Fördert die Gesell­schaft die Über­win­dung des Traumas? Ist sie in der Lage, eine histo­ri­sche Lektion aus dieser Tragödie zu ziehen, um ihre Wieder­ho­lung für die Roma oder eine andere Minder­heit zu verhindern?

Mündliche Über­lie­fe­rung gegen offi­zi­elle sowje­ti­sche Erinnerungspolitik

Zunächst ist zu klären, welche Rolle den Roma in der sowje­ti­schen Erin­ne­rungs­land­schaft zuteil­wurde. Studien zeigen, dass von einer gänzlich fehlenden Erin­ne­rung hinsicht­lich des Schick­sals der Roma in der sowje­ti­schen Kultur nicht die Rede sein kann. Sie wurde vor allem in oraler Tradition innerhalb der Gemein­schaft bewahrt. Dieses Wissen kann entspre­chend der Termi­no­logie von Jan und Aleida Assmann dem „kommu­ni­ka­tiven Gedächtnis“ zuge­ordnet werden, dessen Eigenheit darin besteht, dass es sich, erstens, verändert und über­schneidet, und, zweitens, innerhalb von drei bis vier Gene­ra­tionen verblasst und schließ­lich verschwindet.
Die offi­zi­elle sowje­ti­sche Erin­ne­rungs­po­litik zielte auf die Infil­tra­tion des Massen­be­wusst­seins mit der falschen Vorstel­lung, das Hitler-Regime habe allen Völkern der Sowjet­union glei­cher­maßen Vernich­tung gebracht. Dies sollte die Massen zur Unter­stüt­zung der Staats­macht mobi­li­sieren. Wenn auch selten, so traten die Roma doch in veröf­fent­lichten Doku­menten, in der Popu­lär­li­te­ratur, in Memoiren und Kunst­werken als Opfer der Vernich­tungs­po­litik hervor. Jedoch erschienen sie darin zumeist als noma­di­sche, für die sie umgebende Gesell­schaft fremde Gruppe, wenn­gleich die Nazis in mehr als der Hälfte der bekannten Hinrich­tungen sesshafte Roma ermor­deten, die in ihre Umgebung inte­griert waren. Die Darstel­lung der Opfer als wanderndes Volk prägte die in der sowje­ti­schen Kultur vorherr­schende Asso­zia­tion der Roma mit dem Asozialen und dem Verbre­chen. Von dort aus entwi­ckelte sich eine Wahr­neh­mung der Opfer, wonach diese ihre Verfol­gung selbst verschuldet hatten, und folglich kein Mitgefühl oder Gedenken verdienten. Diese Wahr­neh­mung hat bis heute starken Einfluss auf die Erin­ne­rungs­kultur der Ukraine. Doch es gibt auch andere, nicht weniger schwer­wie­gende Ursachen, die auf den Erin­ne­rungs­pro­zess einwirken.

Bessere Möglich­keiten in der Ukraine dank des Enga­ge­ments der Zivilgesellschaft

Die ukrai­ni­sche Gesell­schaft unmit­telbar nach Erlangung der Unab­hän­gig­keit im Jahre 1991 war kein Monolith. Proeu­ro­päi­sche, natio­na­lis­ti­sche und proso­wje­ti­sche (bzw. prorus­si­sche) Strö­mungen ringen bis heute mitein­ander. Entspre­chende unter­schied­liche Wahr­neh­mungen der Vergan­gen­heit haben sich mit der Zeit abge­spalten. In dieser Situation der Erin­ne­rungs­kon­kur­renz ist für die Erfahrung der Roma wenig Platz geblieben. Sowohl das proso­wje­ti­sche, als auch das natio­na­lis­ti­sche Modell streben nach seiner Verdrän­gung. Für Erstere sind die Roma keine eigen­stän­dige Gruppe, deren totale Vernich­tung die Nazis anstrebten; sie sind entweder als ein aktiver Teil des „gesamt­so­wje­ti­schen“ Wider­stands gegen die „deutsch-faschis­ti­schen Invasoren“ oder als „sowje­ti­sche Zivi­listen“ zu betrachten. Für Letztere stellt der Völker­mord an den Roma ebenfalls kein Ereignis dar, dem besondere Aufmerk­sam­keit beizu­messen ist, zumal die ukrai­ni­sche Frei­heits­be­we­gung auf die ethnische Homo­ge­ni­sie­rung ihres Raumes in sowohl physi­scher als auch symbo­li­scher Hinsicht abzielte.
Dennoch findet eine Verän­de­rung statt, die durch das aktive Enga­ge­ment der Zivil­ge­sell­schaft und von Nicht-Regie­rungs­or­ga­ni­sa­tionen ermög­licht wird:

  •  durch die Verbrei­tung eines „vermensch­lichten“ Bildes vom Krieg, d.h. durch vermehrte Aufmerk­sam­keit für die Leiden der „Durch­schnitts­men­schen“;
  • durch die spürbare Rolle „regio­naler“ Erin­ne­rungs­muster und den großen Plura­lismus in der Heraus­bil­dung von Sicht­weisen auf den Krieg;
  • durch proeu­ro­päi­sche Inte­gra­ti­ons­be­stre­bungen, die alle Regie­rungen in unter­schied­li­chem Maße voran­trieben (was, wenn auch sehr langsam, zur Trans­for­ma­tion des Bildungs­sys­tems hinsicht­lich Multi­kul­tu­ra­lismus, Toleranz und demo­kra­ti­schen Werten beigetragen hat).

Opfer rechts­ra­di­kaler Attacken

In der Folge bahnt sich ein Erin­ne­rungs­mo­dell seinen Weg, das als „inklusiv“ bezeichnet werden darf, weil es den verschie­denen Gesell­schafts­gruppen das Recht auf eine Stimme im Marty­ro­lo­gium des Krieges einräumt. Zugleich hat der Plura­lismus auch eine Kehrseite. Damit sind die rechts­ra­di­kalen Grup­pie­rungen gemeint, die sich zu Aktionen gegen Roma zusam­mentun. Eine besonders brutale Welle solcher Attacken brach im Jahr 2018 los und führte sogar zu Todes­op­fern. Die laut­starke Austra­gung ihrer Ressen­ti­ments gegen die Roma findet Anklang in der Gesell­schaft, was sich negativ auf die Erin­ne­rungs­kultur in Bezug auf den Völker­mord auswirkt.

Offi­zi­eller Beschluss der Werchowna Rada

Die Werchowna Rada verkün­dete 2004 einen Beschluss, den 2. August zum Tag des Gedenkens an die ermor­deten Roma in der Ukraine zu erheben. Den in diesem Beschluss vorge­schla­genen Gedenktag bezeich­nete man als „Inter­na­tio­nalen Tag des Holo­causts an den Roma“ (sic!). In der histo­ri­schen Präambel hieß es: „Während des Zweiten Welt­krieges verschleppten die Hitler­fa­schisten gemeinsam mit ihren Kolla­bo­ra­teuren 500 Tausend Roma aus den besetzten Ländern und vernich­teten sie im Sinne einer Politik des Ethno­zides in Konzentrationslagern“.
Der Genozid erlebt in dieser Erklärung eine „Exter­na­li­sie­rung“. Von den tausenden Roma, die in der Peri­pherie ukrai­ni­scher Städte und Dörfer erschossen wurden, ist in dem Beschluss keine Rede. Nichts­des­to­trotz sprach sich das Minis­ter­ka­bi­nett zusammen mit der Regio­nal­re­gie­rung dafür aus, „Maßnahmen auszu­ar­beiten, um die Dimension, die Anzahl der Opfer und die Orte des natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ethnozids an den Roma während des Zweiten Welt­krieges zu erfor­schen und ein Gedenken an die depor­tierten und ermor­deten Vertreter dieser ethni­schen Minder­heit zu initiieren“.Ungeachtet dessen, dass der Beschluss bei Weitem nicht voll­um­fäng­lich umgesetzt wird, wie es in der Ukraine bei einer großen Menge an Normen der Fall ist, ist seine Bedeutung kaum zu über­schätzen. Denn er schafft einen Legi­ti­ma­ti­ons­rahmen für Akti­vismus und Einfluss­nahme auf staat­liche Organe von Seiten der „Agenten der Erin­ne­rung“, die auf eine Gedenk­kultur hinarbeiten.

Über 140 Orte des Massenmordes

In der wissen­schaft­li­chen Literatur ist viel darüber geschrieben worden, wie wichtig „Erin­ne­rungs­orte“ für die Bewahrung gesell­schaft­li­cher Vorstel­lungen über histo­ri­sche Ereig­nisse sind. Das Konzept von der Bedeut­sam­keit des „Erin­ne­rungs­ortes“ ist beinahe zum Axiom geworden – nach der Defi­ni­tion des fran­zö­si­schen Histo­ri­kers Pierre Nora meint es „jede bedeut­same Einheit mate­ri­ellen oder imma­te­ri­ellen Charak­ters, die als Folge des mensch­li­chen Willens oder des Werkes der Zeit zu einem symbo­li­schen Element innerhalb des Erbes einer Nation oder einer anderen Gemein­schaft im weitesten Sinne geworden ist“. Denkmäler für die Umge­kom­menen stellen den haupt­säch­li­chen – aber bei Weitem nicht den einzigen – Handgriff in der Palette des Erin­ne­rungs­in­stru­men­ta­riums dar.
Von über 140 Orten des Massen­mordes sind nur 11 mit Denk­mä­lern versehen, die die Roma als Opfer benennen, oder als Opfer­gruppe, falls es sich um einen Ort handelt, an dem Ange­hö­rige verschie­dener Gruppen ermordet wurden. Die wich­tigsten Agenten der Erin­ne­rung sind Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tionen. Es ist zwischen drei Gruppen zu unterscheiden:

  1. Initia­tiven von Roma-NGOs, die entweder selbst­ständig oder in Zusam­men­ar­beit mit anderen NGOs reali­siert und dabei durch inter­na­tio­nale und auslän­di­sche Stif­tungen finan­ziell unter­stützt werden. Die derzeit aktiven Roma-NGOs sind zwei­fellos die wich­tigsten Agenten der Erin­ne­rung, deren Arbeit das Gedenken an den Genozid fördert, die trau­ma­ti­sche Erfahrung an breite Gesell­schafts­schichten kommu­ni­ziert und dieses Wissen damit in ein ukrai­ni­sches histo­ri­sches Narrativ überführt. Ihre Erin­ne­rung kann nicht länger als „abge­dämpft“ bezeichnet werden, wie dies früher der Fall war. Wie der Soziologe Slawomir Kapralski es bereits an der Roma-Gemein­schaft in Polen demons­triert hat, so werden auch die ukrai­ni­schen Roma heut­zu­tage weitaus mehr an Gedenk­akten und der „Erneue­rung von Gedenk­tra­di­tionen“ beteiligt.
  2. Forschungs- und Bildungs­in­itia­tiven, die nicht von Roma-Akteuren ausgehen. In diesem Fall gehen die Initia­tiven von regio­nalen und zentralen NGOs außerhalb der Roma-Gemeinde aus, die ihre Projekte mithilfe finan­zi­eller Unter­stüt­zung inter­na­tio­naler und auslän­di­scher Stif­tungen reali­sieren. Vertreter der Roma-Gemeinde werden zu diesen Projekten gele­gent­lich hinzu­ge­zogen. So hat beispiels­weise die NGO Ukrai­ni­sches Zentrum zur Erfor­schung der Geschichte des Holo­causts (Kyjiw) über einen Zeitraum von dreizehn Jahren fünf Projekte umgesetzt, in denen der Völker­mord an den Roma eine entweder zentrale oder zumindest gewich­tige Kompo­nente darstellte¹. In bestimmten Projekt­phasen waren Roma-Gemeinden aktiv beteiligt.
  3. Initia­tiven auslän­di­scher Institute oder lokale Zentren inter­na­tio­naler Orga­ni­sa­tionen, zu deren Tages­ord­nung auch die Bildungs­ar­beit hinsicht­lich des Völker­mordes an den Roma gehört. Sie suchen sich ihre Partner bei der Projekt­um­set­zung in der Ukraine in der lokalen Zivil­ge­sell­schaft. So betreibt beispiels­weise die ukrai­ni­sche Abteilung der Inter­na­tional Renais­sance Foun­da­tion in Kyjiw unter anderem ein „Roma-Programm“, das sich mit sozialen und recht­li­chen Fragen beschäf­tigt, aber auch die huma­ni­täre Sphäre berührt. Projekte, die der Aufklä­rung über den Völker­mord an den Roma gewidmet sind, wurden in der Vergan­gen­heit durch verschie­dene deutsche Stif­tungen unterstützt.

Initia­tiven für Denkmäler

Die exis­tie­renden Denkmäler können ebenfalls in drei Gruppen unter­teilt werden, die sich mit den oben aufge­führten Agenten der Erin­ne­rung decken und Resultate ihrer Initia­tiven sind.
Das Denkmal für die in Babyn Jar bei Kyjiw ermor­deten Roma ist ein Para­de­bei­spiel der ersten Gruppe. Babyn Jar ist ein Ort, an dem in den Jahren 1941–1943 haupt­säch­lich Juden ermordet wurden, aber auch Roma, sowje­ti­sche Kriegs­ge­fan­gene, ukrai­ni­sche Natio­na­listen, orthodoxe Priester, sowje­ti­sche und natio­na­lis­ti­sche Wider­stands­kämpfer, Patienten psych­ia­tri­scher Einrich­tungen, Geiseln und all jene, die in den Augen der Besatzer „verdäch­tige und uner­wünschte Elemente“ darstellten.
Die Arbeiten an dem Denkmal begannen bereits im Jahre 1995 in einer Zusam­men­ar­beit zwischen der Kyjiwer städ­ti­schen Roma-Verei­ni­gung „Romanipe“ und dem Archi­tekten und Bildhauer Anatoliy Ihnascht­schenko. Man war bereits im Begriff das Denkmal auf den Sockel zu stellen, als dies plötzlich durch die städ­ti­sche Admi­nis­tra­tion verboten wurde. Einige Jahre später wurde das einen Planwagen („Kibitka“) darstel­lende Denkmal nach Kamjanez-Podilskyj überführt und dort in einem Vorstadt­be­zirk aufge­richtet. Im Jahr 2006 gründete man die Gedenk­stätte „Babyn Jar“, doch wurden keine Anstren­gungen zur Rück­ho­lung des Denkmals unter­nommen. Erst zum 75. Jahrestag des Massakers von Babyn Jar wurde das Denkmal „Roma-Kibitka“ mit Unter­stüt­zung des Kultur­mi­nis­te­riums zurück nach Kyjiw gebracht und am 23. Februar 2016 feierlich eingeweiht.

© Michailo Tjahlyj

 

Die zweite Gruppe bilden die Denkmäler, deren Aufstel­lung durch lokale Gemeinden oder einzelne Gruppen, beispiels­weise durch Nach­kommen anderer Opfer­gruppen, initiiert wurden. An keinem dieser Orte wurde ausschließ­lich Roma ermordet. In der Regel waren sie eine unter vielen Opfer­gruppen, die entspre­chend der heutigen Norm bei den Massen­be­gräb­nissen durch lokale Orga­ni­sa­tionen einzeln, anstelle einer Zusam­men­fas­sung unter dem Euphe­mismus „sowje­ti­sche Zivi­listen“, aufge­führt wurden. Dazu zählt beispiels­weise die Gedenk­stätte im Pirogow-Lewada-Hain im Oblast Poltawa, wo zusammen mit einigen Dutzend ermor­deter Roma auch sowje­ti­sche Akti­visten und Juden ruhen. All diese Gruppen werden auf den Stelen und Infor­ma­ti­ons­ta­feln neben dem Zentral­korpus des Denkmals nament­lich erwähnt.

© Michailo Tjahlyj

© Michailo Tjahlyj

 

Im Oblast Schytomyr entstanden 2019 in drei verschie­denen Sied­lungen Denkmäler in der Nähe von Massen­grä­bern ermor­deter Roma. Diese Denkmäler bilden die dritte Gruppe, so sie sich doch von den voraus­ge­gan­genen nicht nur hinsicht­lich der ihnen zugrunde liegenden Initia­tive unter­scheiden, sondern auch durch ihre visuelle, archi­tek­to­ni­sche, ästhe­ti­sche und didak­ti­sche Konzep­tion. Initiator und Förderer dieser Denkmäler war eine auslän­di­sche staat­liche Stiftung, nament­lich die Berliner „Stiftung Denkmal für die ermor­deten Juden Europas“ (natürlich in Zusam­men­ar­beit mit ukrai­ni­schen NGOs und der lokalen Gemein­de­ver­tre­tung). Darin liegt auch der Grund für die Viel­fäl­tig­keit der Perspek­tiven und die breite Rezeption dieser Initia­tive begründet. Sie vereint die histo­risch-forschungs­ori­en­tierte Arbeit zu den Umständen dieser tragi­schen Ereig­nisse mit der Bildungs­ar­beit in lokalen Gemeinden zur Aufklä­rung über die Ermordung der Roma, die von einer umfang­rei­chen Bericht­erstat­tung über die Eröff­nungs­ze­re­monie über in- und auslän­di­sche Kanäle begleitet wurde.

© Anna Voitenko /​ Stiftung Denkmal

© Anna Voitenko /​ Stiftung Denkmal

Unge­achtet der Unter­schiede zwischen den Denk­mal­typen und den Begleit­um­ständen ihrer Entste­hung eint sie alle, dass kein einziges von ihnen durch staat­liche Organe initiiert wurde, die für die Arbeit in der Kultur­branche und die Bewahrung der Erin­ne­rung verant­wort­lich zeichnen. In der Ukraine wird des Völker­mordes an den Roma auf eine spezi­fi­sche Weise gedacht, was in erster Linie auf nicht­for­male Bildung und Gedenk­ver­an­stal­tungen als ein Verdienst von NGOs zurück­zu­führen ist.

Gesell­schaft­li­cher Plura­lismus als Chance

Ukrai­ni­sche Roma-NGOs demons­trieren heut­zu­tage eine große Unab­hän­gig­keit von staat­li­chen Struk­turen, klare Prio­ri­tä­ten­set­zung und Entschlos­sen­heit bei der Errei­chung ihrer Ziele. Eine nicht zu vernach­läs­si­gende Rolle spielt dabei auch die Unter­stüt­zung von staat­li­cher Seite, sowie aus auslän­di­schen staat­li­chen und nicht­staat­li­chen Quellen. Geden­kinitia­tiven erfahren nicht in jedem Fall Unter­stüt­zung von staat­li­cher Seite. Dies gilt vor allem dann, wenn die verant­wort­li­chen Organe durch rechte Parteien besetzt sind², obschon dies die Ausnahme und nicht die Regel ist. Die Versuche der Regierung in den Jahren 2014 – 2019, eine verstärkt homogene Perspek­tive auf die nationale Geschichte durch­zu­setzen, haben keinen allum­fas­senden Charakter erlangt³.

Der gesell­schaft­liche Plura­lismus und die Erin­ne­rungs­kultur haben den ukrai­ni­schen Roma die Möglich­keit gegeben, über die Reprä­sen­ta­tion ihres histo­ri­schen Gedächt­nisses frei zu bestimmen. Das Kyjiwer akade­mi­sche Roma-Theater „Romans“ fügte seinem Reper­toire ein Stück über die Zerstö­rung eines Lagers hinzu, dass am Ort der Vernich­tung aufge­führt wird. Im Zentrum der Erzählung steht die Frage nach mora­li­schen Entschei­dungen und huma­nis­ti­schen Werten. Die Roma-Jugend­or­ga­ni­sa­tion „Arka“ orga­ni­sierte eine Ausstel­lung über das Schicksal von Roma-Kindern während der Besatzung. Der junge Regisseur und Rom Petro Rusanenko drehte 2017 einen Kurzfilm namens „Erinnern“ über den Versuch ukrai­ni­scher Dorf­be­woh­ne­rinnen, eine junge Romni vor der Ermordung durch ein deutsches Kommando zu retten.

Diese und andere Initia­tiven regen zum Nach­denken über das Leid und das Schicksal an, das den durch­schnitt­li­chen Zivi­listen, den Frauen und Kindern widerfuhr, welche im Faden­kreuz der Besatzer standen. Darüber hinaus erscheint die Spezifik des Völker­mords an den Roma durch sie in einem Licht, das der histo­ri­schen Wirk­lich­keit gerecht wird, wenn­gleich ihnen eine zur Vertei­di­gung kollek­tiver, staat­li­cher und natio­naler Vorstel­lungen ansta­chelnde Rhetorik fremd ist.

Vergleich mit den Nach­bar­län­dern Russland und Belarus

An dieser Stelle sollen noch einige knappe, verglei­chende Beob­ach­tungen über die Erin­ne­rungs­kultur in den Nach­bar­län­dern stehen, die ebenfalls die deutsche Besatzung erlebten. Gemeint sind Belarus, wo derzeit drei Denkmäler an die Roma erinnern, und Russland, wo es nur ein einziges gibt.

Die Forschung verweist auf eine Gemein­sam­keit in allen drei Ländern, die darin liegt, dass die staat­li­chen Organe kein Interesse daran zeigen, an diese Tragödie zu erinnern. Sie verbleibt auf ihrem Platz am Rande des Bewusst­seins der Gesell­schaft. In Belarus und Russland stehen ihrer Inte­gra­tion in das gesell­schaft­liche Gedächtnis zudem die domi­nie­renden natio­nalen Geschichts­mo­delle, insbe­son­dere der Kult des „Großen Vater­län­di­schen Krieges“, entgegen. In der Folge über­wiegen in Belarus und Russland die Heroi­sie­rung und die Entper­so­na­li­sie­rung trau­ma­ti­scher Erfah­rungen, während in der Ukraine ein Prozess des Umdenkens und der Vermensch­li­chung einge­setzt hat.

¹ Das letzte und bedeu­tendste dieser Projekte war die Ausstel­lung „Der miss­ach­tete Völker­mord. Das Schicksal der Roma in der deutschen Besat­zungs­zone der Ukraine, 1941–44“, die mit Unter­stüt­zung der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Stiftung „Erin­ne­rung, Verant­wor­tung und Zukunft“ ins Leben gerufen wurde.

² Der Leiter der Bildungs­ab­tei­lung in der Regio­nal­re­gie­rung der Oblast Tscher­kassy lehnte 2018 die Bitte lokaler Lehr­kräfte ab, eine Ausstel­lung über den Völker­mord an den Roma zu eröffnen. Er begrün­dete diese Entschei­dung damit, dass er zwar „das Recht der Roma auf Selbst­be­stim­mung respek­tiere, jedoch die Aufklä­rung über den Völker­mord an den Ukrainern, den Holodomor, für die Priorität“ halte. Doch derglei­chen Vorkomm­nisse sind selten. Im Großen und Ganzen zeigt die Praxis, dass Vertreter der Staats­or­gane, wenn sie auch nicht die Initia­toren solcher Veran­stal­tungen sind, Einla­dungen doch in aller Regel nach­kommen und dabei die Wich­tig­keit der Erin­ne­rung an den Völker­mord zum Ausdruck bringen. Was die Vertreter staat­li­cher Kultur- und Bildungs­in­sti­tu­tionen betrifft, so zeigen Museen, Biblio­theken und Lehr­kräfte großes Interesse an dem Thema.

³ Das Ukrai­ni­sche Institut für Nationale Erin­ne­rung wurde beispiels­weise für die Verbrei­tung eines „natio­na­lis­ti­schen“ Narrativs kriti­siert. Nichts­des­to­we­niger war das Institut 2016 ein Förderer und Mitor­ga­ni­sator der wichtigen Wissen­schafts­kon­fe­renz „Der Völker­mord an den Roma der Ukraine während des Zweiten Welt­kriegs: Studium, Lehre, Gedenken“

Aus dem Ukrai­ni­schen von Dario Planert. 

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