Europa in der Klemme

© Shutter­stock

Die EU als „swing state“: Europa ist in die geopo­li­tische Ausein­an­der­setzung zwischen den USA und China geraten. Beide Großmächte wollen Brüssel auf ihre Seite ziehen. Aber Schau­kel­po­litik ist eine gewagte Option.

Die wirtschaft­lichen Macht­ver­hält­nisse ändern sich. Das Zentrum des Welthandels wandert Richtung Asien. China ist Motor dieser Entwicklung, der einpro­zentige Anteil Chinas am Welthandel im Jahr 1980 ist mittler­weile auf über 12 Prozent gestiegen. Die Volks­re­publik ist zum wirtschaft­lichen Gravi­ta­ti­ons­zentrum geworden – ein handels­po­li­ti­sches Reich der Mitte. Für über 100 Länder der Welt ist es der wichtigste Handels­partner. Tendenz steigend. 

Portrait von Roderick Kefferpütz

Roderick Kefferpütz ist stell­ver­tre­tender Leiter des Grund­satz­re­ferats im Staats­mi­nis­terium Baden-Württemberg.

Denn mit der „Belt and Road Initiative“ (auch als „Neue Seiden­straße“ bekannt) wächst der wirtschaft­liche Einfluss weiter. Die chine­sische Inves­ti­ti­ons­of­fensive ist eine geowirt­schaft­liche Vernet­zungs­stra­tegie. Sie bringt mehr als 60 Prozent der Weltbe­völ­kerung und knapp ein Drittel des globalen Brutto­in­lands­pro­dukts zusammen. Der Wirtschaftsraum könnte knapp 40 Prozent des gesamten Welthandels umfassen. Damit führen buchstäblich alle Wege nach Peking.

China hat die inter­na­tionale Handels­ordnung durch­drungen und steigt gleich­zeitig in der Wertschöp­fungs­kette auf, um der „middle income trap“ zu entgehen. Dafür inves­tiert das Land Unsummen in Zukunfts­tech­no­logien wie Künst­liche Intel­ligenz und Quanten­tech­no­logie. Das bedeutet das Ende der Arbeits­teilung zwischen Amerika und China. Die Volks­re­publik will nicht mehr die Werkbank der Welt sein. Sie gewinnt an wirtschaft­lichem Terrain und verdrängt dabei die Handels­macht USA. Bis 2020 dürfte sie auch zum wichtigsten Handels­partner der EU aufge­stiegen sein. Es ist kein Zufall, dass Nordamerika der einzige Kontinent ist, der keine Beachtung in der Seiden­stra­ßen­in­itiative findet. Peking handelt nach der Devise des chine­si­schen Militär­stra­tegen Sunzi: „Vermeide die Haupt­macht, dringe in die offenen Räume.“

Ohne Trump hätte es keine strate­gische Neuaus­richtung gegenüber China gegeben

Hier verläuft die Front des ameri­ka­nisch-chine­si­schen Konflikts. Es geht um techno­lo­gische und wirtschaft­liche Hegemonie und damit um zukünf­tigen Wohlstand, Macht und Einfluss. Der Handels­kon­flikt ist daher kein kurzfris­tiges Schar­mützel, er ist eine Antwort auf die Verschiebung der wirtschaft­lichen Macht­ver­hält­nisse. Man mag Präsident Trump für vieles kriti­sieren, aber ohne ihn hätte es keine strate­gische Neuaus­richtung gegenüber China gegeben.

Jahrelang dachte der Westen übermütig, er könne mit der Strategie „Wandel durch Handel“ die Volks­re­publik beein­flussen und politisch libera­li­sieren. Doch weit gefehlt. Die Freiheit hat in China nicht zu‑, sondern abgenommen. Der steigende Wohlstand legiti­miert das System. Nicht der Westen hat „Wandel durch Handel“ betrieben, sondern Peking. Die wirtschaft­liche Verflechtung hat eine wirtschaft­liche Abhän­gigkeit geschaffen. Das beein­trächtigt den Raum politi­schen Handelns.

Es gibt zahlreiche europäische Staaten, die sich in der Hoffnung auf Handels- und Inves­ti­ti­ons­vor­teile den chine­si­schen Inter­essen beugen. So haben Griechenland, Ungarn und Tsche­chien kritische EU-Schluss­fol­ge­rungen und ‑Erklä­rungen zu China verwässert oder ganz blockiert. Gegen den Willen der EU nimmt eine ganze Reihe von Mitglieds­staaten an der Belt and Road Initiative teil. Auf meine Frage, warum Berlin die dubiose chine­sische Inhaf­tierung der Kanadier Michael Kovrig und Michael Spavor – als Reaktion auf die Festnahme der Huawei-Finanz­chefin Meng Wanzhou in Kanada – nicht kriti­siere, antwortete ein Mitglied des Auswär­tigen Amtes, dass dies die wirtschaft­lichen Inter­essen Deutsch­lands gefährde.

Die Chinesen bieten Zuckerbrot, die Ameri­kaner Peitsche

Europa befindet sich mitten im Spannungsfeld der geowirt­schaft­lichen Ausein­an­der­setzung zwischen den USA und China. Beide Großmächte wollen die EU auf ihre Seite ziehen und das mit unter­schied­lichen Mitteln. Die Chinesen bieten Zuckerbrot, die Ameri­kaner Peitsche. China erwähnt immer wieder, dass Europa viel gewinnen könne, wenn es sich stärker ans Reich der Mitte binde. Im Vorfeld des EU-China-Gipfels unter­zeichnete die Volks­re­publik Inves­ti­ti­ons­deals mit Frank­reich und Italien.

Trump sieht Europa – nicht zu Unrecht – als Wackel­kan­didat in einer größeren Ausein­an­der­setzung des Westens mit China und fordert Gefolg­schaft. Es ist kein Wunder, dass er am Tag des EU-China-Gipfels Zölle im Volumen von elf Milli­arden Dollar auf EU-Produkte ankün­digte. Und das auf franzö­sische, italie­nische und europäische Waren: Käse, Wein und Airbus bzw. Verkehrs­flug­zeuge. Darüber hinaus hängt weiterhin das Damokles­schwert ameri­ka­ni­scher Straf­zölle über Europas Autoindustrie.

Die Chinesen locken, die Ameri­kaner vergelten. Europa steckt zwischen chine­si­schem Geldbeutel und ameri­ka­ni­schem Zollknüppel in der Klemme. Der ehemalige US-Finanz­mi­nister Hank Paulson warnte vor einem „ökono­mi­schen Eisernen Vorhang“ zwischen den USA und China. Die Frage ist: Auf welcher Seite des Vorhangs wird sich Europa befinden? Beide Märkte sind für Europa entscheidend.

Die EU: ein Schaf im Wolfspelz?

Es ist ein politi­scher Draht­seilakt. Europa möchte niemanden brüskieren, aber zieht in zahlreichen Szenarien den Kürzeren. Ein eskalie­render Handels­kon­flikt zwischen den USA und China würde Europas Industrie hart treffen. Ein Handelsdeal ebenso. Ökonomen der Großbank Barclays gehen davon aus, dass eine handels­po­li­tische Verein­barung zwischen den USA und China die EU knapp 50 Milli­arden Euro kosten dürfte. Wenn die Elefanten kämpfen, leidet das Gras.

Die EU versucht den Ameri­kanern weiszu­machen, die Ära der europäi­schen Naivität gegenüber China sei vorbei. Und in der Tat, die EU hat ein starkes Papier zu China veröf­fent­licht. China wird dort als „syste­mi­scher Rivale“ bezeichnet. Das ist ein Fortschritt, auch wenn es erstmal nur die Realität wahrnimmt. Auch im Vorfeld des EU-China-Gipfels hat die EU versucht, rheto­rische Stärke zu vermitteln und gesagt, sie sei bereit, den Gipfel ohne eine Abschluss­erklärung zu beenden, sollte China der EU nicht entge­gen­kommen. Auch die endgültige Abschluss­erklärung wird gelobt. Peking hat versprochen, den chine­si­schen Markt weiter zu öffnen, erzwungene Techno­lo­gie­transfers sollen abgeschafft und der faire Wettbewerb gewähr­leistet werden. Aber wer weiß, ob die Gerichte, die auf dieser Speise­karte stehen, jemals aus der Küche kommen. The proof of the pudding is in the tasting. 

Peking sagt schon lange, dass es keinen erzwun­genen Techno­lo­gie­transfer gibt. Die auslän­di­schen Unter­nehmen gäben freiwillig ihre Techno­logien preis (damit sie auf dem chine­si­schen Markt Fuß fassen können). Auch die regel­mäßig verkündete Markt­öffnung Chinas sollte man mit Skepsis betrachten. „Was wie eine Öffnung aussieht, ist ein kluger Schachzug. Damit lockt Peking die ameri­ka­ni­schen und europäi­schen Hersteller tiefer in seinen Markt und macht sie nur noch abhän­giger“, so Frank Sieren in seinem jüngsten Buch „Zukunft? China!: Wie die neue Super­macht unser Leben, unsere Politik, unsere Wirtschaft verändert“. 

Die Europäer müssen sich fragen, wie lange sie China weiter gewähren lassen wollen und zu welchen Mitteln sie greifen werden, wenn sich nichts ändert. Wenn Europa sich nicht traut, mit Maßnahmen auf die chine­sische Hinhal­te­taktik zu antworten, ist es nichts weiter als ein Schaf im Wolfspelz. Die EU hat den Ton gegenüber den Chinesen verschärft – nun müssen Überle­gungen folgen, mit welchen Mitteln man dem Ton Nachdruck verleihen kann, falls nötig.

Dabei sollte sich die EU nicht einschüchtern lassen. Wirtschaft­liche Verflechtung ist keine Einbahn­straße. Ohne den Westen hätte China niemals hohe Wachs­tums­raten erzielt. Gleich­zeitig muss die EU nach Alter­na­tiven Ausschau halten und ihre Handels­be­zie­hungen diver­si­fi­zieren. Auch die Bundes­re­gierung braucht eine Außen­wirt­schafts­stra­tegie. Gerade im Nachbar­kon­tinent Afrika schlummert ein massives Wachs­tums­po­tenzial. Und letzt­endlich sind die Verflech­tungen mit den USA immer noch inten­siver als die mit China. Eine handels­po­li­tische Schau­kel­po­litik zwischen USA und China ist im Zeitalter der Ausein­an­der­setzung der Systeme eine gewagte Option.

Textende

Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unter­stützen damit die publi­zis­tische Arbeit von LibMod.

Wir sind als gemein­nützig anerkannt, entspre­chend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spenden­be­schei­nigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­daten bitte an finanzen@libmod.de

 

Verwandte Themen

Newsletter bestellen

Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.