Wie Viktor Orbán die ungarische Presse kontrolliert

Foto: libmod.de

Mit dem Artikel von Veszna Wessenauer zur Lage der Presse­freiheit beginnt auf LibMod eine sechs­teilige Artikel­serie zu Ungarn mit dem Titel „Der illiberale Staat in der Praxis“. In Zusam­men­arbeit mit dem ungari­schen Think Tank Political Capital wollen wir einen genaueren Blick auf die Entwick­lungen in Politik und Gesell­schaft in Ungarn werfen, dem Land, das Minis­ter­prä­sident Viktor Orbán selbst­be­wusst als „illiberale Demokratie“ bezeichnet. Wir wollen der Frage nachgehen, mit welchen Instrument die Regierung demokra­tische Insti­tu­tionen und Prozesse aushebelt, wo sich Wider­stand regt und wie die Regierung hiergegen vorgeht. Die Reihe zu Ungarn wird monatlich fortge­setzt. In den folgenden Artikel wird es um die Einstellung der Jugend zu Demokratie, Populismus, Radika­lismus und EU gehen. Es soll über die Lage der Opposition berichtet und der Frage nachge­gangen werden, wer die Unter­stützer des Populismus in Ungarn sind. Weitere Themen werden der Einfluss Russlands auf die Entwick­lungen in Ungarn und die Rolle des Landes innerhalb der Visegrád-Gruppe und der Europäi­schen Union sein.

Der Journa­lismus steht weltweit großen Heraus­for­de­rungen gegenüber. Die Digita­li­sierung der Nachrichten führt nicht nur zu positiven Entwick­lungen. Dies gilt insbe­sondere, wenn es zu Echokammern, Filter­blasen, Fake News und Desin­for­mation kommt. Solche Phänomene bestimmen zunehmend die Online-Nachrich­ten­in­dustrie. Aber in Ungarn haben Journa­lis­tinnen und Journa­listen mit zusätz­lichen Schwie­rig­keiten zu kämpfen.

Bei einem ersten Blick auf die ungarische Medien­land­schaft erscheint es zunächst einfach, Kritik an der Einschränkung der Presse­freiheit als unberechtigt zurück­zu­weisen. Immerhin befinden sich über 80 Prozent der Medien­un­ter­nehmen in privaten Händen. Es gibt weiterhin kritische Stimmen und der Europäi­schen Kommission zufolge erfüllt die Medien­ge­setz­gebung die Standards der EU. Betrachtet man aller­dings die Medien­ge­setz­gebung in ihrem Kontext, so ähnelt die Situation eher jener unter autori­tären Regimen.

Während in immer mehr europäi­schen Ländern die Regie­rungen nach Wegen suchen, den Schaden durch Fake News und Hassrede zu minimieren, gibt es Länder wie Ungarn, in denen Fake News und Propa­ganda durch den Steuer­zahler mitfi­nan­ziert werden und fremden­feind­licher Hass über öffentlich-recht­liche und von der Regierung organi­sierte Medien verbreitet wird.

Medien­plu­ra­lismus und freie Presse – in Orbáns illibe­raler Demokratie unerwünscht

Im Jahr 2002 hatte Fidesz die Wahlen knapp gegen die Ungarische Sozia­lis­tische Partei verloren. Als einer der Haupt­gründe für diese Niederlage wurde eine linke Medien­do­minanz ausge­macht. Seither ist es ein strate­gi­sches Ziel der Fidesz-Politik, über die Medien mehrheitlich Kontrolle zu gewinnen. Seit 2010 höhlt die Regierung aus Fidesz und KDNP im Namen der illibe­ralen Demokratie syste­ma­tisch demokra­tische Checks and Balances aus. Als Teil dieses Vorgehens gegen liberale demokra­tische Akteure wie Zivil­ge­sell­schaft oder unabhängige Medien, die abwei­chende, kritische Ansichten vertreten, werden diese als Eindring­linge und Stören­friede in der illibe­ralen Demokratie angesehen und entspre­chend behandelt.

Natio­na­li­sierung, Priva­ti­sierung, Oligarchie und infor­melle Kontrolle: Schlüs­sel­fak­toren für regie­rungs­ab­hängige Medien

Nach ihrem Macht­an­tritt hat Fidesz die öffentlich-recht­lichen Medien in ein Sprachrohr der Regierung verwandelt, die Medien­auf­sichts­be­hörden in Beschlag genommen, Loyalität belohnt, indem Medien durch staat­liche Werbe­an­zeigen finan­ziell unter­stützt werden, Radio­fre­quenzen unaus­ge­wogen zugeteilt und mithilfe von Oligarchen ein von der Regierung organi­siertes Medien­im­perium geschaffen. Die Daten belegen, dass der Medien­markt zu großen Teilen von staat­lichen Anzeigen bestimmt wird: Nicht nur rechts­ge­richtete, von der Regierung organi­sierte Medien sind in hohem Maße von diesen Einnah­me­quellen abhängig. Es gibt auch einige „opposi­tio­nelle“ Zeitungen, die in erheb­lichem Umfang Einnahmen aus staat­liche Anzeigen erhalten. Auf diese Weise kann die Regierung vorgeblich „belegen“, dass es eine freie Presse gäbe, obwohl allein über staat­liche Anzeigen erheb­liche Abhän­gig­keiten bestehen.

Fidesz dominiert gegen­wärtig die ungarische Medien­land­schaft durch ein von der Regierung organi­siertes Medien­im­perium, das aus Organen besteht, die strikt der Regie­rungs­linie folgen, aber offiziell nicht der Regierung unter­stellt sind. Die Bezeichnung „von der Regierung organi­siert“ nimmt hier Anklang bei den sogenannten GONGOs („government-organised NGOs“: von der Regierung organi­sierte Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tionen), die in der Zivil­ge­sell­schaft ähnlichen Zwecken dienen, nämlich die Stellung der Regierung in tradi­tionell regie­rungs­fernen Umfeldern zu stärken. Nach 2015 expan­dierte das Medien­im­perium beträchtlich. Gegen­wärtig besitzen Medien­un­ter­nehmen mit engen Verbin­dungen zu Fidesz mehr als 200 Medien­organe. Der Raum für unabhängige Presse ist drastisch geschrumpft. Er wurde von Medien besetzt, die sich im Besitz von regie­rungs­treuen Oligarchen wie Lőrincz Mészáros, Andy Vajna, Árpád Habony, and András Tombor befinden.

Im August 2017 bezeichnete Minis­ter­prä­sident Viktor Orbán in einer Rede solche Medien als Feind Nummer eins, die von dem sogenannten „Netzwerk der Soros-Mafia“ geleitet würden. Diese öffent­liche Diffa­mierung wurde auch in der Praxis weiter­ge­führt, indem Journa­listen auf schwarze Listen gesetzt und als „Feinde der Ungarn“ darge­stellt wurden. Fidesz spaltet die ungarische Nation in „nationale“ und „antina­tionale“ Gruppen, wobei allein Vertreter von Regie­rungs­par­teien und deren Anhänger als legitime Reprä­sen­tanten der ersteren Gruppe angesehen werden. Diese Strategie wird auch mit Blick auf die Medien verfolgt: Vertreter der „natio­nalen“ Gruppe erwerben immer mehr Medien­un­ter­nehmen und verweisen dabei auf die Notwen­digkeit, die Presse in ungarische Hände zu nehmen. Das hat zu einer Renatio­na­li­sierung des ungari­schen Medien­marktes geführt und die meisten Medien in einhei­mi­schen Besitz gebracht.

Die öffentlich-recht­lichen Medien Ungarns als Quelle russi­scher Propaganda

Fake News und russische Propa­ganda sind heute in den Leitmedien Ungarns präsent. Dazu beigetragen haben der koloni­sierte Charakter der ungari­schen Presse, die politische Polari­sierung des Landes und die ideolo­gi­schen Verbin­dungen der ungari­schen Führung nach Russland. In Ungarn findet Desin­for­mation ihren Weg nicht über alter­native Online-Platt­formen zu den Bürge­rinnen und Bürgern, sondern über öffentlich-recht­liche Medien und das expan­die­rende regie­rungs­or­ga­ni­sierte Medien­im­perium. Konkrete Beispiele zeigen, dass die öffentlich-recht­lichen Medien in Ungarn regel­mäßig Websites des staat­lichen russi­schen Auslands­fern­seh­senders „RT“ oder des russi­schen Nachrich­ten­portals „Sputnik“ zitieren. So veröf­fent­lichte eines der ältesten rechts­ge­rich­teten und regie­rungs­freund­lichen Medien im Oktober 2017 einen Artikel, in dem behauptet wird, der designierte öster­rei­chische Regie­rungschef Sebastian Kurz stehe kurz davor, die Open Society Foundation von George Soros zu verbieten. Es braucht nur ein paar Minuten, um festzu­stellen, dass die Geschichte ein Falsch­meldung ist und die Quelle, YourNewsWire, als Erfül­lungs­ge­hilfe der russi­schen Regierung einge­stuft worden ist.

Die Digita­li­sierung der Nachrich­ten­in­dustrie begünstigt die Kommu­ni­kation populis­ti­scher Politik

Einem Bericht von Reuters zufolge sind für 68 Prozent der Ungarn soziale Medien die wichtigste Nachrich­ten­quelle, während 74 Prozent hierfür das Fernsehen, 24 Prozent das Radio und 20 Prozent die Print­medien nutzen. Weltweit erlangen soziale Medien enorme Bedeutung als Ausgangs­punkt, von dem aus Nachrichten entdeckt und aufge­sucht werden. Angesichts dieser Entwicklung verwenden die Medien­un­ter­nehmen zunehmend populis­tische oder sensa­ti­ons­hei­schende Bericht­erstattung in der Online-Nachrich­ten­branche, um Publikums- und Aufla­gen­zahlen zu halten. Der Raum für alter­native oder kritische Stimmen wird dadurch zusätzlich eingeengt. Der öffent­liche Diskurs im Online-Infor­ma­ti­ons­umfeld ist nicht von Natur aus populis­tisch, eignet sich aber eindeutig besser zur Vermittlung populis­ti­scher Botschaften. Populis­tische Akteuren wie die ungarische Regierung können deshalb die in der online-Welt geführten öffent­lichen Diskurse für ihre politi­schen Zwecke instru­men­ta­li­sieren und tun dies bereits in hohem Maße.

Freie Presse in Ungarn als Relikt der Vergangenheit?

Die regie­rungs­kri­tische Presse wird stigma­ti­siert, als Feind hinge­stellt und einge­schüchtert. Gleich­zeitig versucht sie, innovative Wege zu finden, um trotz der Heraus­for­de­rungen der digitalen Infor­ma­ti­onswelt zu überleben. Medien, die sich unter dem direkten oder indirekten Einfluss der Regierung befinden, dominieren die Medien­land­schaft und stützen sich dabei in großem Maße auf Nachrichten, die von russi­schen Propa­gan­da­quellen zur Verfügung gestellt werden.

Die ursprüng­liche Vision Orbáns, die politische Position seiner Partei über die Kontrolle der Medien zu stärken, ist mehr oder weniger in die Tat umgesetzt worden. Es gibt immer noch einige wenige unabhängige Medien, die der Regierung kritisch gegen­über­stehen. Sie können jedoch mit Blick auf finan­zielle Stabi­lität, Größe und Reich­weite mit den von der Regierung organi­sierten Medien nicht mithalten. Die gegen­wärtige Regierung schleift die Presse­freiheit in Ungarn und damit einen entschei­denden Eckpfeiler der Demokratie. Presse­freiheit wandelt sich in Ungarn zunehmend zu einem Relikt der Vergan­genheit. Sie könnte nur über eine Zusam­men­arbeit von Gesetz­geber, Medien­be­sitzern und Journa­listen wieder herge­stellt werden. Jedoch dienen die meisten dieser Akteure der Regierung und haben wenig Interesse an Demokratie und Grundfreiheiten.

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