Verzweifelte Autokraten: Warum die Opposition in Polen wieder Hoffnung schöpft
Die Erfolgsserie der Autoritären gerät ins Stocken. In Polen verheddert sich Premier Morawiecki in Widersprüche, weil er den Rechtsstaat demontieren und in Brüssel zugleich das Image seines Landes aufpolieren soll. Die Überforderung der Regierung und neueste Umfragen deuten an: Schon im Herbst kann die Opposition wieder Wahlen gewinnen.
Eine aktuelle polnische Karikatur lässt Jarosław Kaczynski, den Führer der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PIS), auf die dramatisch sinkenden Zustimmungswerte für seine Partei starren. „Diesmal hat es die Frühjahrsmüdigkeit aber in sich“ murmelt er.
Lag die Zustimmung für die rechtsnationalistische PIS in den Prognosen vor der Jahreswende noch knapp über vierzig Prozent, während sich die liberalkonservative Bürgerplattform (PO) um die zwanzig Prozent bewegte, setzte seit Januar eine kontinuierliche Talfahrt ein.
Aussichtsreiche Kandidaten wie Robert Biedroń, Hoffnungsträger eines möglichen linken Sammlungslagers, bringen sich für die kommenden Europa‑, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Stellung
In der ersten Aprilhälfte schwankt die PIS um die dreißig Prozentpunkte, während die Werte der PO und anderer Oppositionsparteien gestiegen sind. Bei Umfragen zur Popularität der potentiellen Kandidaten für die nächste Präsidentschaftswahl hat der amtierende Staatspräsident Andrzej Duda seinen Vorsprung eingebüßt und liegt gleichauf mit Donald Tusk, der als Vertreter der PO die aussichtsreichsten Chancen hätte. Die erneute Kandidatur von Duda ist bereits bekannt. EU-Ratspräsident Tusk zögert noch, seine Stellung in Brüssel gegen die heimische Arena zu tauschen.
Demoskopische Talfahrt
Angesichts der anhaltenden Talfahrt ihrer Popularitätskurve, gerät die PIS in Panik. Mit der Ernennung des neuen Ministerpräsidenten Tadeusz Morawiecki Mitte Dezember verknüpfte Jarosław Kaczynski große Hoffnungen. Seine treue aber unbewegliche Gefolgsfrau Beata Szydło ließ er fallen und ersetzte sie durch einen weltläufigen Wirtschaftswissenschaftler und Banker mit dem Ruf eines pragmatischen Technokraten. Der sollte mit einer neuen Regierungsmannschaft die Aussicht auf eine Ära „reiche Veränderungen“ (Dobra Zmiana) über mehr als eine Legislaturperiode hinweg nähren.
Dobra Zmiana – mit diesem euphorischen Begriff umschreiben Kaczynski und seine engsten Strategen, den seit 2015 betriebenen Umbau Polens von einer liberalen Demokratie in die Festung eines sozialen Nationalismus.
Widersprüche für Morawiecki nicht auflösbar
Sozialpolitische Maßnahmen, wie die Erhöhung des Kindergeldes und der Mindestrenten, eine Steuerpolitik, die die Einnahmen des Staates wachsen ließen und die anhaltend gute Konjunktur hatten die Zustimmungsraten für die PIS zunächst anfänglich wachsen lassen.
Er musste jedoch in den ersten Monaten den unmöglichen Spagat vollbringen, als ein Mann des Neuen aufzutreten, eine neue Regierungsmannschaft aufzustellen und zugleich nahezu alle kontroversen Entscheidungen der Vorgängerregierung zu verteidigen – kein Wunder, dass die Wähler ihm den Rücken kehren.
Die positive Stimmung von einst soll Morawiecki mit seiner wirtschafts- und sozialpolitischen Kompetenz neu entfachen. Vor allem aber soll er die ramponierten Beziehungen zu Brüssel verbessern. Seine Vorgängerin Szydło und ihr Außenminister Witold Waszczykowski wirkten auf europäischen Parkett wie Wesen von einem fernen Stern. Die Kritik der EU an Polen Totalverweigerung in der Flüchtlingsfrage und Mahnungen, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit zu wahren, beantworteten sie mit harschen Gegenangriffen.
Sanktionen verhindern
Morawiecki und der neue Außenminister Jacek Czaputowicz sollen dafür sorgen, dass die Kritik aus Brüssel abnimmt. Sie werden die PIS-Politik geschmeidig vermitteln und befürchtete Kürzungen die Mittel aus den Infrastruktur- und Landwirtschaftsfonds zu verhindern wissen. Ihre wichtigste Aufgabe wird sein, den Fortgang des mit der Justizreform verbundenen Vertragsverletzungsverfahrens zu stoppen, welches bis zum Entzug der Stimmrechte im Rat der Mitgliedsstaaten führen könnte.
Außenminister Czaputowicz kommt aus den Reihen der liberalen Solidarnosc-Opposition, bringt diplomatische Erfahrung mit, sein Wesen gilt als ausgleichend und verbindlich. Das lässt ihn zum zweiten Hoffnungsträger der PIS werden.
Die Aufgabe der neu aufgestellten Regierungsmannschaft gleicht allerdings der Quadratur des Kreises. Nach Außen sollen sie das Bild Polens verbessern und im Inneren zugleich den Abbau der Gewaltenteilung vorantreiben und die Medienfreiheit einschränken – die politischen Entlassungen im Justiz‑, Kultur- und Bildungsbereich gehen weiter.
Schaden durch überflüssige Kontroversen
Die ersten Monate der Regierung Morawiecki wurden zudem von einer international kritisch aufgenommenen Gesetzesinitiative überschattet, welche dem Institut für Nationales Gedenken (IPN) künftig die Verantwortung überträgt, Äußerungen über die Mitschuld von Polen am Holocaust auf Rechtswidrigkeit zu prüfen. (Die letzte Entscheidung darüber trifft ein Gericht.) Um die Deutung des Gesetzes entbrannte eine scharfe Kontroverse, da es den ursprünglichen Streitpunkt, über die unzutreffende Formulierung „Polnische Todeslager“ weit überschreitet.
Ende Februar 2018 sagte Morawiecki auf der Münchner Sicherheitskonferenz, dass neben Polen, Ukrainern und Russen auch Juden schuldhaft in den Holocaust verstrickt gewesen seien. Die Äußerung provozierte scharfe Reaktionen und eine diplomatische Krise seines Landes mit Israel.
Ebenfalls Schiffbruch erlitt Morawiecki mit der Vorstellung des „Weißbuches“ zur Justizreform in Brüssel. Polnische und internationale Experten kritisierten das Papier als Camouflage, während der Ministerpräsident die Reform unbeirrt als Fortschritt in Sachen Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Gerichte lobte. Wiederholte Umarmungen mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker minderten die Peinlichkeit des Auftritts nicht.
Selbstbedienungsmentalität
Schnelle Antrittsbesuche von Außenminister Heiko Maaß und Bundeskanzlerin Angela Merkel signalisierten, dass Deutschland noch immer hofft, dass die PIS sich besinnt. Doch von unverbindlichen Höflichkeiten abgesehen kam es zu keiner Annäherung.
Einen weiteren Rutsch in der Wählergunst bewirkte die Ex –Premierministerin Beata Szydło, als sie ihren Ministern und sich selbst üppige Abschiedsprämien auf den Weg gab. Stärker kann man dem Ruf der PIS, gegen die Selbstbedienungsmentalität der Regierenden vorzugehen, nicht konterkarieren.
Durch politische Fehler wie diesen gerät die Kompetenz des Premierministers in der Wirtschafts- und Sozialpolitik zunehmend in Vergessenheit. Als Krisenmanager ist Morawiecki unablässig gezwungen, zwischen den pragmatischen Wählern der Mitte und den Stammanhänger auf der rechten Seite vermitteln. Die Umfragewerte zeigen: Dieser Spagat überfordert ihn.
Opposition schöpft Hoffnung
Auf dem Parteitag Mitte April hat die PIS deshalb abermals den Neustart inszeniert. Morawiecki stellte ein wirtschafts- und sozialpolitisches Fünfpunkteprogramm vor, was an den „bisherigen Erfolg“ anknüpfen soll. Zugleich spricht er von einer Kontinuität der „Dobra Zmiana“. Der Partei sitzt der Wahlkampf der kommenden zwei Jahre im Nacken. Nur Fanatiker bewahren sich die ungebrochene Siegeszuversicht früherer Tage.
Bereits die für diesen Herbst angesetzten Lokal- und Regionalwahlen werden unangenehm. Eine Reihe von Großstädten ist fest in der Hand der PO und aussichtsreiche Kandidaten wie Robert Biedroń, Hoffnungsträger eines möglichen linken Sammlungslagers und derzeit populärer Stadtpräsident von Słupsk könnten sich für die kommenden Europa‑, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Stellung bringen. Die Opposition schöpft wieder Hoffnung.
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