Auf dem Weg zu einer weltweiten Demokratienallianz

Angesichts des sich verschär­fenden Global­kon­flikts zwischen Demokratien und Autokratien bietet die 2025 zur Ukrai­ne­un­ter­stützung gegründete „Koalition der Willigen“ (COW) ein Modell für gemein­sames Vorgehen liberaler Regie­rungen weltweit. Die COW liefert einen Entwurf – und womöglich Kern – für künftige multi­la­terale Zusam­men­arbeit zwischen demokra­ti­schen Ländern verschie­dener Konti­nente und kultu­reller Prägungen, analy­siert Andreas Umland.

Engere inter­de­mo­kra­tische Zusam­men­arbeit und der Aufbau globaler prode­mo­kra­ti­scher Insti­tu­tionen sind unerlässlich geworden. Antili­berale und teils revan­chis­tische Regie­rungen arbeiten weltum­spannend in Struk­turen wie der Schang­haier Koope­ra­ti­ons­or­ga­ni­sation und BRICS-Gruppe sowie bilateral zusammen. Gleich­zeitig werden die bishe­rigen europäi­schen und trans­at­lan­ti­schen Struk­turen des Westens von alten und neuen Problemen geplagt, die ihre Effizienz in außen- und sicher­heits­po­li­ti­schen Fragen einschränken. Der illiberale Kurswechsel im Weißen Haus 2025 hat die NATO und G7 als euro-atlan­tische Koope­ra­ti­ons­platt­formen geschwächt. Die EU bleibt als globaler Akteur durch die Konsens­pflicht ihrer wichtigsten Entschei­dungen behindert. Der Aufstieg europäi­scher rechts­ra­di­kaler Parteien mit nativis­ti­schen Agenden hat ältere struk­tu­relle Mängel der EU verstärkt. Vor diesem Hinter­grund kann die COW mit ihren 33 Mitglied­staaten aus Europa, Nordamerika, Asien und Australien als Muster bezie­hungs­weise Rahmen zum Aufbau einer globalen liberal-demokra­ti­schen Staaten­ko­alition fungieren.

Europas neue geopo­li­tische Rolle nach dem Rückzug der USA

Unter ihrer neuen Regierung im Jahr 2025 haben sich die Verei­nigten Staaten demons­trativ von inter­na­tio­naler Demokra­tie­för­derung, enger euro-atlan­ti­scher Zusam­men­arbeit und direkter materi­ellen Unter­stützung der Ukraine abgewandt. Infol­ge­dessen wird zunehmend über die neue geopo­li­tische Rolle Europas disku­tiert – sowohl bei der Vertei­digung der Ukraine als auch im Umgang mit Autokratien und anderen inter­na­tio­nalen Heraus­for­de­rungen. Die europäi­schen NATO-Partner müssen nicht nur mehr Verant­wortung für ihre eigene Sicherheit übernehmen. Europa wird sich nun auch mit anderen grund­le­genden globalen Fragen ohne oder mit nur geringer Unter­stützung durch die USA zu befassen haben – vom Umwelt- und Menschen­rechts­schutz bis zur Förderung politi­scher und sozio­öko­no­mi­scher Entwicklung.

Jedoch ist „Europa“ ein diffuser Begriff, wenn es um Außen‑, Sicher­heits- und Vertei­di­gungs­fragen des Konti­nents geht. Trotz enger Bezie­hungen und geogra­fi­scher Nähe haben die europäi­schen Nationen unter­schied­liche strate­gische Kulturen und geopo­li­tische Perspek­tiven entwi­ckelt. In vielen europäi­schen Ländern hat der Aufstieg radikal rechter und linker Parteien zu einer extremen Polari­sierung der öffent­lichen Meinung geführt – nicht nur in innen­po­li­ti­schen, sondern auch in außen­po­li­ti­schen Fragen.

Der derzeitige geostra­te­gische Plura­lismus des Konti­nents führt zu inkon­gru­enten Formu­lie­rungen natio­naler Inter­essen seitens der europäi­schen Haupt­städte und Diffe­renzen bezüglich der Definition und Lösung grenz­über­schrei­tender Schlüs­sel­fragen. Ideolo­gische Gräben trennen die EU nicht nur von illibe­ralen europäi­schen Staaten außerhalb der Union, wie Belarus oder Serbien. Die derzeitige normative Vielfalt Europas führt auch zu Meinungs­ver­schie­den­heiten innerhalb der Union darüber, welches die außen­po­li­ti­schen Priori­täten und Ziele der EU sind oder sein sollten.

Wie können sich Demokratien verteidigen?

Gleich­zeitig nehmen die Heraus­for­de­rungen und Risiken für globale Demokratie und Freiheit zu. Heute mehr denn je wäre die EU als Aggre­gator, Gestalter und Umsetzer einer gemein­samen europäi­schen Außen­po­litik gefragt – so wie die Union die europäische Handels­po­litik bestimmt. Um diese Aufgabe zu erfüllen, müssten die EU-Mitglied­staaten entweder zu ihrem früheren relativen Normen­konsens zurück­kehren oder einen neuen Unions­vertrag mit stärkeren supra­na­tio­nalen Befug­nissen für Brüssel verab­schieden oder aber, im besten Fall, beides tun. Nichts davon ist in naher Zukunft wahrscheinlich.

Ohne geostra­te­gische Eintracht zwischen den EU-Mitglied­staaten und/​oder einen neuen Unions­vertrag sind andere insti­tu­tio­nelle Lösungen erfor­derlich. Ein Weg ist die Schaffung von Ad-hoc-Allianzen im Bereich der Außen- und Sicher­heits­po­litik zwischen inter­es­sierten EU-Mitglied­staaten, die sich zusam­men­schließen, um diese oder jene Ziele zu verfolgen. Der Lissabon-Vertrag ermög­licht teilweise Zusam­men­arbeit innerhalb der Union und damit gemein­sames Handeln von Gruppen gleich­ge­sinnter europäi­scher Regie­rungen. Das Konsens­prinzip und nationale Vetorecht bei grund­le­genden Entschei­dungen schränken jedoch die poten­zielle Rolle des Rates, der Kommission und des Auswär­tigen Dienstes der EU als insti­tu­tio­nelle Instru­mente einer konso­li­dierten Außen­po­litik engagierter europäi­scher Demokratien ein.

Ohnehin kann intra­eu­ro­päische Zusam­men­arbeit nur bis zu einem gewissen Grad außerhalb der EU wirksam sein. Allein sind die europäi­schen Demokratien zu schwach, um sich in globalen geopo­li­ti­schen, wirtschaft­lichen und militä­ri­schen Konflikten zu behaupten. Für weltweite Zusam­men­arbeit liberal-demokra­ti­scher Verfas­sungs­staaten entsteht derzeit ein Modell inter­na­tio­naler Planung und Koordi­nierung in Form der Ukraine-bezogenen Koalition der Willigen (COW), die seit Frühjahr 2025 in Konsul­ta­tionen steht.

Dieses bislang infor­melle und lose Bündnis von Demokratien vereint 33 Länder, deren Regie­rungen sich weitgehend über ihre allge­meinen Werte, natio­nalen Inter­essen und außen­po­li­ti­schen Ziele einig sind. Zur COW gehören europäische Länder, die nicht EU-Mitglieder sind, wie Großbri­tannien und Norwegen, und auch Staaten, die weit von Europa entfernt sind, wie Australien und Japan. Vertreter der NATO- und EU-Bürokratie nehmen ebenfalls an den Treffen der COW teil. Während sich die COW derzeit nur mit der Ukraine befasst, könnte sie ihren Fokus in Zukunft auf andere Themen ausweiten, die für die Zukunft von Freiheit und Demokratie rund um die Welt wichtig sind.

Neue kalte und heiße Kriege

Der heutige globale politische Kernkon­flikt dreht sich nach den Worten des Stanford-Professors Michael McFaul eher um die Achse „Autokratien versus Demokratien“ und weniger um einen „Kampf der Kulturen“, wie es der verstorbene Harvard-Professor Samuel Huntington vor mehr als drei Jahrzehnten formu­lierte. Huntingtons berühmte These erklärt nicht die derzeitige Zusam­men­arbeit zwischen dem christlich-ortho­doxen Russland, islamisch-funda­men­ta­lis­ti­schen Iran und paläo­kom­mu­nis­ti­schen Nordkorea im Krieg gegen die christlich-orthodoxe Ukraine. Die Zusam­men­setzung der Shang­haier Koope­ra­ti­ons­or­ga­ni­sation oder BRICS-Gruppe entspricht nicht Huntingtons Schema kulturell bedingter inter­na­tio­naler Zusam­men­arbeit und Konflikte. Im Gegensatz dazu erfasst der Titel des im Oktober 2025 erschie­nenen Buches Autocrats vs. Democrats: China, Russia, America, and the New Global Disorder von McFaul, einem ehema­ligen US-Botschafter in Moskau, besser die zentrale Dimension künftiger zwischen­staat­licher Zusam­men­arbeit und Konfrontation.

Das gemeinsame Engagement von EU- und Nicht-EU-Ländern im Rahmen der COW für die Ukraine ist daher kein Spezi­alfall, sondern ein sympto­ma­ti­sches Phänomen. Es ist Teil einer globalen Neuziehung von Konflikt­linien, die sich aus der zuneh­menden weltweiten Konfron­tation zwischen liberalen Demokratien auf der einen Seite und illibe­ralen halb- oder pseudo­de­mo­kra­ti­schen sowie offen autori­tären Regimen auf der anderen Seite ergibt. Diese Konstel­lation sollte insti­tu­tio­nelle Auswir­kungen auf die Bezie­hungen jener europäi­schen und außer­eu­ro­päi­schen Demokratien haben, die an der Vertei­digung und Förderung liberaler demokra­ti­scher Werte und Regeln rund um die Welt inter­es­siert sind.

Heute sind Autokraten und ihre Diplo­maten sowie Ideologen wie der russische Faschist Aleksandr Dugin damit beschäftigt, weltum­span­nende staat­liche und nicht­staat­liche Netzwerke und Allianzen aufzu­bauen und zu erweitern. Antili­berale Regie­rungen, Parteien und Intel­lek­tuelle aus Asien, Europa, Amerika und Afrika koordi­nieren zunehmend ihre Aktivi­täten. Aus Gründen der Selbst­er­haltung sollten pro-demokra­tische europäische und außer­eu­ro­päische Staaten, Parteien und andere Organi­sa­tionen dasselbe tun. Regie­rungen und Zivil­ge­sell­schaften liberaler Demokratien müssen effek­tivere und umfas­sendere Koope­ra­tionen und Insti­tu­tionen über geogra­fische und kultu­relle Grenzen hinweg aufbauen.

Die G7 und NATO fallen derzeit als poten­zielle Drehscheiben globaler inter­de­mo­kra­ti­scher Zusam­men­arbeit durch den antili­be­ralen Impuls, adminis­tra­tiven Dilet­tan­tismus und strate­gi­schen Irrlauf der neuen US-Regierung aus. Die EU leidet unter inter­es­sens­po­li­ti­schen Wider­sprüchen ihrer Mitglied­staaten und struk­tu­rellen Kompli­ka­tionen ihrer Entschei­dungs­findung. Vor diesem Hinter­grund könnte die bisher infor­melle Ukraine-bezogene COW einen Lösungs­ansatz bieten. Neben anderen Netzwerken kann die COW als Beispiel oder Keimzelle allge­meiner inter­na­tio­naler Zusam­men­arbeit zwischen pro-demokra­ti­schen Regie­rungen und Gruppen verschie­dener Konti­nente dienen.

Politische Empfeh­lungen

Pro-demokra­tische Politiker, Beamte, Diplo­maten, Aktivisten, Journa­listen und Intel­lek­tuelle rund um die Welt sollten die Relevanz der COW nicht nur für heutige Ad-hoc-Unter­stützung der Ukraine erkennen. Die COW sollte als innova­tives Beispiel und künftiger Rahmen genereller inter­na­tio­naler Zusam­men­arbeit von Demokratien zur Lösung umfas­sen­derer Aufgaben disku­tiert werden. Eine Funkti­ons­er­wei­terung der COW wäre eine kollektive Antwort liberaler Regie­rungen rund um die Welt auf die weltweit zuneh­mende Konfron­tation zwischen Demokratien und Autokratien sowie auf die zuneh­mende Zusam­men­arbeit zwischen autori­tären Führern und ihren Organi­sa­tionen sowie Ideologen über Grenzen, Kulturen und Konti­nente hinweg. Eine rein europäische Vertei­digung von Demokratie und Eindämmung von Revan­chismus wäre unzurei­chend, selbst im unwahr­schein­lichen Fall einer vollstän­digen Betei­ligung aller Mitglieds‑, Kandi­daten- und assozi­ierten Länder der EU.

Regie­rungs­organe, politische Parteien und Thinktanks der 33 Länder der COW sollten:

  • die Nutzung der COW für weiter­ge­hende inter­de­mo­kra­tische Zusam­men­arbeit bezie­hungs­weise als Muster zum Aufbau einer perma­nenten Demokra­tien­al­lianz diskutieren;
  • die COW zu einer insti­tu­tio­na­li­sierten inter­na­tio­nalen Verei­nigung von Demokratien mit länger­fris­tigen und breiteren Zielen sowie mit zusätz­lichen Mitgliedern entwickeln;
  • weitere Demokratien aus Europa, Nord- und Südamerika, Afrika sowie Asien einladen, sich einer globalen Koalition von Demokratien anzuschließen; und
  • das Verhältnis der COW zu bestehenden prowest­lichen Allianzen wie der NATO, EU, Quad, Europarat, AUKUS, G7 usw. bestimmen sowie die Frage klären, wie sich diese Struk­turen unter­stützen und ergänzen können.

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