Demokra­tie­abbau in Georgien: Rhetorik wird Praxis

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Die georgische Regie­rungs­partei “Georgi­scher Traum“ spricht mit gespal­tener Zunge: während sie sich nach außen sozial­de­mo­kra­tisch und europa­freundlich gibt, unter­gräbt sie nach innen den sozialen Zusam­menhalt und die Grund­sätze der Demokratie. Nur starker politi­scher Druck von den Partner­staaten Georgiens kann die georgische Regierung zurück auf den demokra­ti­schen Kurs bringen.

Am 1. Juli 2021 startete in der georgi­schen Haupt­stadt Tbilissi die Pride-Woche, die am 5. Juli mit dem Marsch der Würde auf dem zentralen Rusta­we­li­pro­spekt enden sollte.

Sowohl die Georgische Orthodoxe Kirche als auch rechts­ra­dikale Gruppen, meist mit Verbin­dungen nach Russland, verur­teilten jeglichen öffent­lichen Ausdruck der LGBTQI+ Identität und drohten mit Gewalt. Anführer der rechts­ra­di­kalen Gruppen wie Dugin-Freund Lewan Wasadse forderten die Regierung in ultima­tiver Form auf, Pride nicht statt­finden zu lassen.

Ghari­ba­schwils antide­mo­kra­tische Rhetorik

Am 5. Juli 2021 erklärte der Minis­ter­prä­sident Ghari­ba­schwili den Marsch der Würde für „unzweck­mäßig“. Seine Rhetorik war antide­mo­kra­tisch und verschwö­rungs­theo­re­tisch: hinter dem Pride stünde die „radikale Opposition“, wobei er die gesamte politische, auch parla­men­ta­rische Opposition als „radikale Opposition“ verunglimpfte.

Diese, angeblich radikale, Opposition wolle das Land in „zivile Unruhe“ und „Chaos“ stürzen. Ghari­ba­schwili drohte und polari­sierte: „Mit voller Verant­wortung erkläre ich, das lassen wir nicht zu. In unserem Land wird alles so sein, wie unser Volk, unsere Bevöl­kerung möchte“.

Die Rhetorik des Minis­ter­prä­si­denten war aus mehreren Gründen hochpro­ble­ma­tisch: Einer­seits setzte das Grund­recht der LGBTQI+ Community auf die Ausdrucks­freiheit mit den „zivilen Unruhen“ gleich, anderer­seits schloss er die LGBTQI+ Community sowie die politische Opposition aus dem „Volk“ als dessen Willens­man­datar er sich stili­sierte, aus.

Der Direktor der Tbilissi Pride, Irakli Tabagari demen­tierte die Verbindung zur politi­schen Opposition und sah in der Erklärung Ghari­ba­schwilis gefähr­liche Zuspitzung der ohnehin angespannten Lage.

Einladung zur Gewalt – polizei­liche Untätigkeit grenzt an Mittäterschaft

Die gewalt­tä­tigen Gruppen nahmen die Ansprache Ghari­ba­schwilis offenbar als eine Einladung zur Gewalt auf. Auf der Demons­tration der gewalt­tä­tigen rechts­ra­di­kalen Gruppen vor dem Parlament riefen sowohl ein ortho­doxer Priester, als auch Mitglieder der Schlä­ger­truppen zur Gewalt auf. Obwohl der eigent­liche Marsch abgesagt wurde, griffen die Schläger gezielt Journa­listen körperlich an und randa­lierten in Büros von LGBTQI+ Community naheste­henden, sowie opposi­tio­nellen politi­schen NGO’s. Anders als am 20. Juni 2020, als die Sonder­ein­satz­kräfte die Demons­tration gegen die Regierung gewaltsam ausein­ander trieben, waren die Polizei­kräfte am 5. Juli weder zahlreich genug noch angemessen ausge­rüstet. Sie ließen die Jagd auf die Journa­listen und Aktivisten sowie die Stürmung der NGOs still­schweigend zu. Die Untätigkeit der Polizei grenzte an Mittä­ter­schaft. Über 50 Journa­listen wurden verletzt. Der Kameramann des unabhän­gigen Fernseh­senders „Pirveli Arkhi“ Lekso Lasch­karawa starb einige Tage nach dem brutalen Angriff.

War die Ansprache Ghari­ba­schwilis am 5. Juli bereits als eine Anstiftung zur Gewalt gewertet, so untergrub seine zweite Ansprache am 12. Juli die Grund­sätze der Demokratie.

Ghari­ba­schwili wertete die Demons­tra­tionen von mehreren Tausend Menschen, die nach dem Tod des Kamera­manns Lekso Lasch­karawa folgten, als „eine geschei­terte Verschwörung“ […] der „Staats- und Kirchen­feind­lichen Kräfte […] gegen den Staat“. Wiederholt wertete er die Pride-Woche als eine geplante „Provo­kation gegen unser Land und unsere Bevöl­kerung“. Diese „revan­chis­tische, radikale Verschwörung“ brachte er erneut mit dem ehema­ligen Präsi­denten Georgiens Micheil Saaka­schwili in Verbindung. In bester Tradition autori­tä­rerer Führer gab er einigen Medien und Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tionen ebenfalls die Schuld, gemeinsam mit Saaka­schwili die Regierung stürzen und gewaltsam die Macht ergreifen zu wollen.

Ghari­ba­schwili hob die verfas­sungs­mä­ßigen Grenzen zwischen dem Staat, der Kirche und dem Volk auf und schloss aus dieser vorge­stellten Gemein­schaft die politische und gesell­schaft­liche Opposition aus. Das war nicht mal der proble­ma­tischste Teil seiner Rede. Ghari­ba­schwili sagte:

„Wenn 95 % unserer Bevöl­kerung auffällig gegen den Marsch ist […] dann müssen wir alle [diesem Willen] unter­werfen. Das ist die Meinung der absoluten Mehrheit unserer Bevöl­kerung und wir, als die vom Volk gewählte Regierung sind gezwungen [dieser Meinung] Rechnung zu tragen und werden ihr immer Rechnung tragen. Die Minderheit wird nicht mehr über die Mehrheit entscheiden können“ – sagte er in Anspielung an die Regie­rungszeit Saakaw­schilis „als man alles mit Gewalt durch­ge­setzt hat“.

Abschaffung der Grund­rechte für Minderheiten

Das Ausmaß der Erklärung des georgi­schen Regie­rungs­chefs muss in all seiner Brisanz bewusst gemacht werden: indem er den Minder­heiten in Georgien ihre in der Verfassung und in der allge­meinen Charta der Menschen­rechte veran­kerten Rechte aufkün­digte, kündigte er die Diktatur der angeb­lichen Volks­mehrheit an, als deren Vertreter er seine Partei und sich selbst stili­sierte. Ab jetzt haben die Minder­heiten nicht das Recht des freien Ausdrucks, sondern können dieses Recht nur ausüben, wenn die angeb­liche Mehrheit (Staat, Kirche, Volk) es angemessen findet und erlaubt.

Ähnlich äußerte sich die neu ernannte Vizepre­mier­mi­nis­terin Tsulu­kiani: Sie sprach ebenfalls von „antide­mo­kra­ti­schen, radikalen und kirchen­feind­lichen Kräften“ und recht­fer­tigte indirekt die Pogrome: da Georgien ein „ortho­doxes Land“ sei, sei die Gewalt der „gläubigen, ortho­doxen Mehrheit“ [gegen die Minder­heiten] wahrscheinlich. Die Regierung sei zwar verpflichtet „sich dazwi­schen zu stellen“ doch die Ressourcen der Polizei seien endlich.

Im Herbst finden in Georgien Kommu­nal­wahlen statt. Sie sind insofern entscheidend, als die Regierung sich verpflichtet hat, die Parla­ments­wahlen vorzu­ziehen, wenn sie weniger als 43%  bei den Kommu­nal­wahlen erhält. Man könnte meinen, die rechts­po­pu­lis­tische und antide­mo­kra­tische Rhetorik des Premier­mi­nisters Ghari­ba­schwili und der Vizepre­mier­mi­nis­terin Tsulu­kiani sei stimmen­fi­schen der politisch angeschla­genen Regie­rungs­partei am rechten Rand. Doch dieser Schein trügt.

Die Orthodoxe Kirche als desta­bi­li­sie­rende Kraft

Die georgische Orthodoxe Kirche stand hinter den Pogromen gegen die LGBTQI+ Aktivist*innen m 17. Mai 2013. Damals war Ghari­ba­schwili Innen­mi­nister. Die Polizei konnte oder wollte auch damals die Pogrome nicht verhindern. Chauvi­nis­tische, insbe­sondere islam­feind­liche und antide­mo­kra­tische Rhetorik und Praxis ist für aktive und ausge­schiedene die Mitglieder des „Georgi­schen Traumes“ seit ihrer Macht­über­nahme 2012 nichts Neues. Die politisch angeschlagene Partei, die aus dem Schatten immer noch vom Oligarchen Bidsina Ivani­schwili gelenkt wird, sucht heute die Allianz mit der Georgi­schen Ortho­doxen Kirche. Die Kirche und ihr Oberhaupt Patriarch Ilia II. erkennen zwar die demokra­tische Grund­ordnung Georgiens im Verfas­sungs­vertrag zwischen Staat und Kirche (1998) an, doch unter­graben diese Grund­ordnung immer wieder rheto­risch. Insbe­sondere die Gleich­be­rech­tigung anderer Glaubens­ge­mein­schaften sowie die Rechte der LGBTQI+ Community sind ihr ein Dorn im Auge. Viele Priester rufen direkt zur Gewalt insbe­sondere gegen Schwule auf oder nehmen in Pogromen selbst Teil.

Um ihre Macht zu erhalten sind das infor­melle Staats­ober­haupt Georgiens Iwani­schwili, Minis­ter­prä­sident Ghari­ba­schwili und die Partei „Georgi­scher Traum“ bereit, demokra­tische Grund­rechte nicht nur rheto­risch aufzu­heben. Ghari­ba­schwilis Griff zum Populismus und seine Selbst­sti­li­sierung zum Mandatar einer tatsächlich nicht vorhan­denen „Volks- und Kirchen­mehrheit“ ist deutlich gefähr­licher. Die Partner­staaten Georgiens müssen diese Warnung sehr ernst nehmen. Die US-Botschaf­terin Kelly C. Degnan brachte bereits Sanktionen ins Spiel. Auch von der deutschen und der EU-Seite sind klare und unzwei­deutige Signale sowie höchst­mög­licher politi­scher Druck erfor­derlich, um das Iwani­schwili-Regime nicht endgültig vom Weg der Demokratie entgleisen zu lassen. Geschieht das nicht, kann Georgien sich bereits nach den Kommu­nal­wahlen im Oktober schneller zu einem neuen Belarus entwi­ckeln, als man heute zu meinen glaubt.


Zaal Andro­ni­kashvili

 

 

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