Die Republik ist bunt, nicht grün
Die Stärke der Grünen beruht vor allem auf der Schwäche der CDU. Das muss mit Laschet nicht so bleiben. Die meisten Bürger drücken jedenfalls akut andere Sorgen als Klimaschutz. Diese werden sich bei der Bundestagswahl eine Mehrheit suchen. Eine Replik auf Markus Schubert
Wenn sich die Welt und gesellschaftliche Verhältnisse ändern, zieht das häufig politische Veränderungen nach sich. Das war so 1969, als sich die sozialliberale Koalition an die Spitze einer gesellschaftlichen Reformbewegung setzte und erstmals die Union ablöste. Das wiederholte sich knapp 30 Jahre später, als Rot-Grün Helmut Kohl aufs Altenteil schickte. Wird es im Herbst wieder so sein mit einer grün-schwarzen Kanzlerin Annalena Baerbock? Das ist keinesfalls ausgemacht, auch wenn Umfragen im Moment darauf hinzudeuten scheinen.
Es lohnt, jenseits tagesaktueller medialer Aufgeregtheiten auf längerfristige politische und soziale Trends zu schauen. Trotz der Pluralisierung der Gesellschaft und eines damit einhergehenden Wertewandels sind die politischen Lager, wenn man davon heute noch sprechen will, auch nach der Einheit erstaunlich stabil geblieben. CDU/CSU und FDP, das alte bürgerliche Lager, und Rot-Grün sind – von zeitweisen Ausschlägen abgesehen – weiterhin etwa gleich stark. Nur dass sich die Kräfteverhältnisse intern verschoben haben und sie jeweils nicht mehr auf eine Mehrheit hoffen können, weil die Linke und die AfD hinzugekommen sind und einen Teil ihrer ehemaligen Wähler absorbieren; die AfD übrigens 2017 genauso viele von SPD und der Linken wie von der Union. Das erzwingt neue Bündnisse. Die SPD hat deshalb seit 2005 fast ununterbrochen mit der Union regiert, was ihr sehr schlecht bekommen ist. Und die Grünen haben sich nolens volens ebenfalls zur Union geöffnet. Was allerdings im Umkehrschluss bedeutet, dass die Union, nicht die Grünen – anders als Markus Schubert schreibt – immer noch das Zentrum ist, ohne das kaum regiert werden kann.
Umfragen sind keine Wahlergebnisse
Nach dem teilweisen Versagen der schwarz-roten Regierung in der Coronakrise und dem Führungstreit zwischen CSU und CDU um die Kanzlerkandidatur haben die Grünen nun erstmals die Union in Umfragen überholt. Das heißt allerdings vorerst nur, dass sich enttäuschte Unionswähler ihnen zugewandt haben, nicht zwingend, dass sie sie am 26. September tatsächlich wählen und Baerbock zur Kanzlerin machen werden. Die Grünen waren schon häufiger gefühlte Umfragesieger, landeten bei Wahlen aber weiter hinten, 2017, als sie kleinste Oppositionspartei wurden, zuletzt in Hamburg. Vor vier Jahren überholte der Zug des in Medien ähnlich wie jetzt Baerbock gehypten SPD-Kandidaten Martin Schulz ebenfalls kurzeitig die Union. Der Ausgang ist bekannt. Mit gut 20 Prozent sind die Grünen jedenfalls weit von einer Mehrheit entfernt.
Grüne Dominanz im akademischen Milieu
Und auch nicht die neue bürgerliche Mitte. Dominant sind sie nur in einem bestimmten vorwiegend akademischen Milieu, das in der Öffentlichkeit und vielen Medien den Ton angibt. Diese Kräfte treiben, ähnlich wie die AfD und ein rechts-nationales bis ‑extremes Milieu auf der anderen Seite, eine Polarisierung der Gesellschaft entlang einer teilweisen Hypermoral voran, die auf wachsendes Unverständnis stößt. Auch bei Intellektuellen und Vertretern der Grünen. Mittig ist das nicht. Da mag Baerbock noch so schöne Bilder erzeugen: Im Streit mit Boris Palmer um seine jüngsten Äußerungen muss sie beweisen, ob die Grünen für Meinungsvielfalt stehen oder für Ausgrenzung.
Klarer Kompass und Öffnung nach links
Laschet tut im Gegensatz zu ihr klug daran, sich nicht auf eine Diskussion um einen Parteiausschluss von Hansgeorg Maaßen einzulassen, des parteirechten ehemaligen Verfassungsschutzchefs und CDU-Kandidaten in Südthüringen. Ohne dass man ihm deshalb ernsthaft Nähe zu dessen Positionen oder gar Duldung antisemitischer und rassistischer Tendenzen vorwerfen kann. Schließlich war er der erste Integrations- und Gleichstellungsminister Deutschlands. Ohnehin ist es abwegig, der CDU wegen eines randständigen Kandidaten oder des Laschet unterlegenen wirtschaftsliberalen, nicht rechtspopulististischen Friedrich Merz eine Rechtsverschiebung zu unterstellen, selbst wenn einige in den Ost-Landesverbänden mit einem Bündnis mit der AfD liebäugeln. Im Gegenteil hat Angela Merkel die Partei in die linke Mitte geöffnet, zuletzt in der Flüchtlingskrise, und damit der SPD wie den Grünen lange Zeit erfolgreich Themen und Wähler weggenommen, allerdings auch ihre Partei verunsichert. Laschet, der für Schwarz-Grün offen ist, aber mit der FDP in Nordrhein-Westfalen regiert, wird ihren Kurs fortsetzen, setzt dabei jedoch neue, der veränderten Lage geschuldete Akzente: Modernisierung des Landes und Verbindung von Ökonomie und Ökologie, ähnlich wie Baerbock, aber mit stärkerer Betonung des Erhalts industrieller Arbeitsplätze, was in sozialen Schichten außerhalb des grünen Milieus auf Zustimmung stoßen dürfte. Die Partei ist ihm gefolgt, nicht Markus Söder, der mitnichten progressistisch ist, sondern 2018 stark nach rechts blinkte, Merkel bekämpfte, jetzt aber auf Grünen- und Merkel-Umarmer macht. Das und der eindeutige Abgrenzungsbeschluss der Bundespartei zur AfD sprechen dafür, dass die CDU immer noch einen recht klaren Kompass hat.
CDU als letzte Volkspartei – Corona dringender als Klima
Entscheidender ist jedoch etwas anderes: Die Union als letzte verbliebene Volkspartei spricht wie auch die SPD, die allerdings auf sehr viel niedrigerem Niveau, ein breiteres Spektrum an Wählern und Themen an als die Grünen, die sich zwar inhaltlich verbreitert haben, aber weiterhin mit ihrem Kernthema Ökologie und Klimaschutz verbunden werden. Der rangiert jedoch bei den meisten Wählern nicht an erster Stelle. Durch die Coronakrise sind für sie ganz andere Themen wieder nach vorne gerückt: die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz und die finanzielle und wirtschaftliche Existenz; die mangelhafte Infrastruktur und medizinische wie digitale Versorgung; die eklatanten Schwächen eines ungerechten Bildungssystems; die Wohnungsnot und die wachsende Ungleichheit. Sie werden, wenn über den Sommer dank zunehmender Impfungen die Pandemie abklingt und die sozialen, ökonomischen und psychischen Folgen noch drängender werden, sobald die geänderten Kurzarbeitsregelungen und Coronahilfen auslaufen, die Wahl bestimmen. Die besten Chancen wird die Partei haben, die hier Abhilfe verspricht, nicht den schnelleren Weg zur Klimaneutralität. Der hat für die meisten Bürger ohnehin keine große Bedeutung, weil auch das neue Zieldatum 2045 weit in der Zukunft liegt und die Folgen des Klimawandels viel weniger handgreiflich sind als die unmittelbaren Folgen von Corona. Das nimmt aus der Sicht der meisten nichts an der Dringlichkeit von Klimaschutzmaßnahmen. Nur dass es für sie, anders als für Grüne, SPD und Linke, nicht prioritär ist. Eher fürchten viele die Folgen für ihr eigenes Leben, wenn zu den Belastungen durch Corona nun auch noch weitere durch die Energiewende hinzukommen. Von der jetzigen Koalition ist es daher geschickt, das von den Grünen und ihren Unterstützern gefeierte Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts rasch durch ein neues Gesetz abzuräumen, die konkrete Umsetzung jedoch der nächsten Regierung zu überlassen.
Wie immer werden sich am Ende die gesellschaftlichen Probleme und Anliegen und Hoffnungen der Wählerinnen und Wähler eine Mehrheit suchen. Genauer gesagt, wird sich eine in den folgenden Koalitionsverhandlungen finden. Da könnte Laschet, wenn er durch einen entschlossenen Wahlkampf das gewonnene Duell gegen Söder weiterhin schnell vergessen macht und sich die Werte der Union nach dem Ende des Lockdowns verbessern, Kanzler einer schwarz-grünen oder erneuten schwarz-roten Koalition werden. Baerbock hingegen könnte umgekehrt als Kanzlerin eine grün-schwarze oder eine Ampelkoalition anführen, wenn sie es schafft, Umfrageerfolge zu einem echten Wahlerfolg zu machen. Oder vielleicht doch noch Olaf Scholz. In einem aufgefächerten Parteiensystem ist vieles möglich. Auch ein Kanzler oder eine Kanzlerin mit um die 25 Prozent für seine, bzw. ihre Partei.
Für Abgesänge auf die CDU ist es in jedem Fall zu früh. Den Sozialdemokraten wurde schon häufig das Todeslied gesungen. In den USA macht indes gerade ein sehr klassischer namens Joe Biden vor, wie man eine Nation hinter sich und auf einen neuen guten Weg bringt, der sozialen Ausgleich, Modernisierung, ökologische Erneuerung und klaren außenpolitischen Kurs zusammenbringt. Davon sind alle drei Kandidaten bei uns weit entfernt. Jede, jeder auf ihre, seine Weise.
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