Die Republik ist bunt, nicht grün

Foto: CDU/​Laurence Chaperon

Die Stärke der Grünen beruht vor allem auf der Schwäche der CDU. Das muss mit Laschet nicht so bleiben. Die meisten Bürger drücken jeden­falls akut andere Sorgen als Klima­schutz. Diese werden sich bei der Bundes­tags­wahl eine Mehrheit suchen. Eine Replik auf Markus Schubert

Wenn sich die Welt und gesell­schaft­liche Verhält­nisse ändern, zieht das häufig poli­ti­sche Verän­de­rungen nach sich. Das war so 1969, als sich die sozi­al­li­be­rale Koalition an die Spitze einer gesell­schaft­li­chen Reform­be­we­gung setzte und erstmals die Union ablöste. Das wieder­holte sich knapp 30 Jahre später, als Rot-Grün Helmut Kohl aufs Altenteil schickte. Wird es im Herbst wieder so sein mit einer grün-schwarzen Kanzlerin Annalena Baerbock? Das ist keines­falls ausge­macht, auch wenn Umfragen im Moment darauf hinzu­deuten scheinen.

Es lohnt, jenseits tages­ak­tu­eller medialer Aufge­regt­heiten auf länger­fris­tige poli­ti­sche und soziale Trends zu schauen. Trotz der Plura­li­sie­rung der Gesell­schaft und eines damit einher­ge­henden Werte­wan­dels sind die poli­ti­schen Lager, wenn man davon heute noch sprechen will, auch nach der Einheit erstaun­lich stabil geblieben. CDU/​CSU und FDP, das alte bürger­liche Lager, und Rot-Grün sind – von zeit­weisen Ausschlägen abgesehen – weiterhin etwa gleich stark. Nur dass sich die Kräf­te­ver­hält­nisse intern verschoben haben und sie jeweils nicht mehr auf eine Mehrheit hoffen können, weil die Linke und die AfD hinzu­ge­kommen sind und einen Teil ihrer ehema­ligen Wähler absor­bieren; die AfD übrigens 2017 genauso viele von SPD und der Linken wie von der Union. Das erzwingt neue Bündnisse. Die SPD hat deshalb seit 2005 fast unun­ter­bro­chen mit der Union regiert, was ihr sehr schlecht bekommen ist. Und die Grünen haben sich nolens volens ebenfalls zur Union geöffnet. Was aller­dings im Umkehr­schluss bedeutet, dass die Union, nicht die Grünen – anders als Markus Schubert schreibt – immer noch das Zentrum ist, ohne das kaum regiert werden kann.

Umfragen sind keine Wahlergebnisse

Nach dem teil­weisen Versagen der schwarz-roten Regierung in der Coro­na­krise und dem Führungst­reit zwischen CSU und CDU um die Kanz­ler­kan­di­datur haben die Grünen nun erstmals die Union in Umfragen überholt. Das heißt aller­dings vorerst nur, dass sich enttäuschte Unions­wähler ihnen zugewandt haben, nicht zwingend, dass sie sie am 26. September tatsäch­lich wählen und Baerbock zur Kanzlerin machen werden. Die Grünen waren schon häufiger gefühlte Umfra­ge­sieger, landeten bei Wahlen aber weiter hinten, 2017, als sie kleinste Oppo­si­ti­ons­partei wurden, zuletzt in Hamburg. Vor vier Jahren überholte der Zug des in Medien ähnlich wie jetzt Baerbock gehypten SPD-Kandi­daten Martin Schulz ebenfalls kurzeitig die Union. Der Ausgang ist bekannt. Mit gut 20 Prozent sind die Grünen jeden­falls weit von einer Mehrheit entfernt.

Grüne Dominanz im akade­mi­schen Milieu

Und auch nicht die neue bürger­liche Mitte. Dominant sind sie nur in einem bestimmten vorwie­gend akade­mi­schen Milieu, das in der Öffent­lich­keit und vielen Medien den Ton angibt. Diese Kräfte treiben, ähnlich wie die AfD und ein rechts-natio­nales bis ‑extremes Milieu auf der anderen Seite, eine Pola­ri­sie­rung der Gesell­schaft entlang einer teil­weisen Hyper­moral voran, die auf wach­sendes Unver­ständnis stößt. Auch bei Intel­lek­tu­ellen und Vertre­tern der Grünen. Mittig ist das nicht. Da mag Baerbock noch so schöne Bilder erzeugen: Im Streit mit Boris Palmer um seine jüngsten Äuße­rungen muss sie beweisen, ob die Grünen für Meinungs­viel­falt stehen oder für Ausgrenzung.

Klarer Kompass und Öffnung nach links

Laschet tut im Gegensatz zu ihr klug daran, sich nicht auf eine Diskus­sion um einen Partei­aus­schluss von Hansgeorg Maaßen einzu­lassen, des partei­rechten ehema­ligen Verfas­sungs­schutz­chefs und CDU-Kandi­daten in Südthü­ringen. Ohne dass man ihm deshalb ernsthaft Nähe zu dessen Posi­tionen oder gar Duldung anti­se­mi­ti­scher und rassis­ti­scher Tendenzen vorwerfen kann. Schließ­lich war er der erste Inte­gra­tions- und Gleich­stel­lungs­mi­nister Deutsch­lands. Ohnehin ist es abwegig, der CDU wegen eines rand­stän­digen Kandi­daten oder des Laschet unter­le­genen wirt­schafts­li­be­ralen, nicht rechts­po­pu­lis­tis­ti­schen Friedrich Merz eine Rechts­ver­schie­bung zu unter­stellen, selbst wenn einige in den Ost-Landes­ver­bänden mit einem Bündnis mit der AfD lieb­äu­geln. Im Gegenteil hat Angela Merkel die Partei in die linke Mitte geöffnet, zuletzt in der Flücht­lings­krise, und damit der SPD wie den Grünen lange Zeit erfolg­reich Themen und Wähler wegge­nommen, aller­dings auch ihre Partei verun­si­chert. Laschet, der für Schwarz-Grün offen ist, aber mit der FDP in Nordrhein-Westfalen regiert, wird ihren Kurs fort­setzen, setzt dabei jedoch neue, der verän­derten Lage geschul­dete Akzente: Moder­ni­sie­rung des Landes und Verbin­dung von Ökonomie und Ökologie, ähnlich wie Baerbock, aber mit stärkerer Betonung des Erhalts indus­tri­eller Arbeits­plätze, was in sozialen Schichten außerhalb des grünen Milieus auf Zustim­mung stoßen dürfte. Die Partei ist ihm gefolgt, nicht Markus Söder, der mitnichten progres­sis­tisch ist, sondern 2018 stark nach rechts blinkte, Merkel bekämpfte, jetzt aber auf Grünen- und Merkel-Umarmer macht. Das und der eindeu­tige Abgren­zungs­be­schluss der Bundes­partei zur AfD sprechen dafür, dass die CDU immer noch einen recht klaren Kompass hat.

CDU als letzte Volks­partei – Corona drin­gender als Klima

Entschei­dender ist jedoch etwas anderes: Die Union als letzte verblie­bene Volks­partei spricht wie auch die SPD, die aller­dings auf sehr viel nied­ri­gerem Niveau, ein breiteres Spektrum an Wählern und Themen an als die Grünen, die sich zwar inhalt­lich verbrei­tert haben, aber weiterhin mit ihrem Kernthema Ökologie und Klima­schutz verbunden werden. Der rangiert jedoch bei den meisten Wählern nicht an erster Stelle. Durch die Coro­na­krise sind für sie ganz andere Themen wieder nach vorne gerückt: die Sorge um den eigenen Arbeits­platz und die finan­zi­elle und wirt­schaft­liche Existenz; die mangel­hafte Infra­struktur und medi­zi­ni­sche wie digitale Versor­gung; die ekla­tanten Schwächen eines unge­rechten Bildungs­sys­tems; die Wohnungsnot und die wachsende Ungleich­heit. Sie werden, wenn über den Sommer dank zuneh­mender Impfungen die Pandemie abklingt und die sozialen, ökono­mi­schen und psychi­schen Folgen noch drän­gender werden, sobald die geän­derten Kurz­ar­beits­re­ge­lungen und Coro­na­hilfen auslaufen, die Wahl bestimmen. Die besten Chancen wird die Partei haben, die hier Abhilfe verspricht, nicht den schnel­leren Weg zur Klima­neu­tra­lität. Der hat für die meisten Bürger ohnehin keine große Bedeutung, weil auch das neue Zieldatum 2045 weit in der Zukunft liegt und die Folgen des Klima­wan­dels viel weniger hand­greif­lich sind als die unmit­tel­baren Folgen von Corona. Das nimmt aus der Sicht der meisten nichts an der Dring­lich­keit von Klima­schutz­maß­nahmen. Nur dass es für sie, anders als für Grüne, SPD und Linke, nicht prioritär ist. Eher fürchten viele die Folgen für ihr eigenes Leben, wenn zu den Belas­tungen durch Corona nun auch noch weitere durch die Ener­gie­wende hinzu­kommen. Von der jetzigen Koalition ist es daher geschickt, das von den Grünen und ihren Unter­stüt­zern gefeierte Klimaur­teil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts rasch durch ein neues Gesetz abzu­räumen, die konkrete Umsetzung jedoch der nächsten Regierung zu überlassen.

Wie immer werden sich am Ende die gesell­schaft­li­chen Probleme und Anliegen und Hoff­nungen der Wähle­rinnen und Wähler eine Mehrheit suchen. Genauer gesagt, wird sich eine in den folgenden Koali­ti­ons­ver­hand­lungen finden. Da könnte Laschet, wenn er durch einen entschlos­senen Wahlkampf das gewonnene Duell gegen Söder weiterhin schnell vergessen macht und sich die Werte der Union nach dem Ende des Lockdowns verbes­sern, Kanzler einer schwarz-grünen oder erneuten schwarz-roten Koalition werden. Baerbock hingegen könnte umgekehrt als Kanzlerin eine grün-schwarze oder eine Ampel­ko­ali­tion anführen, wenn sie es schafft, Umfra­ge­er­folge zu einem echten Wahl­er­folg zu machen. Oder viel­leicht doch noch Olaf Scholz. In einem aufge­fä­cherten Partei­en­system ist vieles möglich. Auch ein Kanzler oder eine Kanzlerin mit um die 25 Prozent für seine, bzw. ihre Partei.

Für Abgesänge auf die CDU ist es in jedem Fall zu früh. Den Sozi­al­de­mo­kraten wurde schon häufig das Todeslied gesungen. In den USA macht indes gerade ein sehr klas­si­scher namens Joe Biden vor, wie man eine Nation hinter sich und auf einen neuen guten Weg bringt, der sozialen Ausgleich, Moder­ni­sie­rung, ökolo­gi­sche Erneue­rung und klaren außen­po­li­ti­schen Kurs zusam­men­bringt. Davon sind alle drei Kandi­daten bei uns weit entfernt. Jede, jeder auf ihre, seine Weise.

Textende

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