How to rig elections: Wie Putin, Orban & Co Demokratie vortäuschen

Dikta­toren fälschen Wahlen inzwi­schen derart raffi­niert, dass beinharte Autokratien als „illiberale Demokratien“ durch­gehen. Ein neues Buch über diese Techniken der Wahlma­ni­pu­lation zeigt, wie Putin, Erdogan und Orban ihre Herrschaft perfek­tio­niert haben – und fragt, was dem Westen dazu einfällt. 

Die Demokratie befindet sich seit mindestens einem Jahrzehnt auf dem Rückzug, weil skrupellose und mächtige Politiker in „illibe­ralen Demokratien“ jeden einzelnen Schritt des Wahlpro­zesses manipu­lieren. Das ist die depri­mie­rende Botschaft eines mit lebhafter Feder verfassten Buches der Politik­wis­sen­schaftler Nic Cheeseman und Brian Klaas, das den hinter­sin­nigen Titel “How to Rig an Election” trägt, übersetzt: „Wie man eine Wahl fälscht“. 

Portrait von Edward Lucas

Edward Lucas ist Journalist und Sicherheitsexperte.

Der kurzweilige Ton der Autoren täuscht über die gründ­liche Forschungs­arbeit hinweg – und über die ziemlich trostlose Botschaft: Autokraten fürchten die Wahlurne nicht. Nur sehr wenige Länder (Saudi-Arabien ist eine der seltenen Ausnahmen) werden ausschließlich nach autori­tären und feuda­lis­ti­schen Prinzipien regiert. Viel verbrei­teter sind Systeme wie jenes in Russland, wo der Herrscher sich durch wirtschaft­licher und adminis­trative Durch­set­zungs­fä­higkeit an der Macht hält – Wenn ich ein Land entspre­chend beherrsche, lassen sich Wahlen im Vorfeld so manipu­lieren, dass am Ende das erwünschte Ergebnis heraus­kommt. Wahlen geraten zu einem nutzbrin­genden Sicher­heits­ventil, zu einem Dekora­ti­ons­element des politi­schen Systems. Es sind nicht die Wahlen, die entscheiden, wer künftig das Sagen hat.

Das mag verwerflich sein. Es ist aber in einem System, in dem der Sieger alles gewinnt und der Verlier nichts, durchaus rational. Wenn der Preis einer Wahlnie­derlage der Tod (oder wenigstens Repression) ist, dann erscheint es sinnvoll, dieses Schicksal um jeden Preis abzuwenden. Die Ironie: Wenn Herrscher Macht missbrauchen, um an der Macht zu bleiben, schädigt das jene Insti­tu­tionen, die Wahlver­lierer schützen sollen, beispiels­weise unabhängige Gerichte. Der Preis einer Niederlage steigt, je länger ein Autokrat sich mit zwielich­tigen Methoden an der Macht hält.

Die Autoren – Cheeseman ist Professor für Demokra­tie­for­schung an der Univer­sität Birmingham, Klaas lehrt an der London School of Economics – definieren fünf Methoden der Manipu­lation: Die erste ist Gerry­man­dering, das Zurecht­schneiden von Wahlkreisen, sodass die Opposition keine Direkt­mandate gewinnen kann. Die zweite der Stimmenkauf. Dritte die Repres­sionen, darunter physische Einschüch­terung genauso wie der bürokra­tische Sumpf, in dem die Opposition versinkt. Die vierte Methode sind digitale Instru­mente, mit denen der Diskurs im Wahlkampf oder das Ergebnis manipu­liert werden. Und falls all das nicht funktio­niert, lässt sich der Wahlsieg fünftens immer noch durch schnödes Einwerfen manipu­lierter Stimm­zettel herbeiführen.

Das Buch deckt eine beein­dru­ckende geogra­phische Bandbreite ab. Es greift auch Defizite in westlichen Systemen auf, wobei die USA unter anderem wegen der Methoden scharf kriti­siert werden, bestimmten Bevöl­ke­rungs­gruppen die Regis­trierung als Wähler zu erschweren. Aus Afrika werden jede Menge Beispiele angeführt, doch es gibt auch Lücken. Aserbai­dschan hat lange Zeit einer inter­na­tio­nalen Unter­su­chung seiner Schein­wahlen zu verhindern gewusst, indem es auf skandalöse Weise korrum­pie­renden Einfluss auf den Europarat genommen hat, was man als „Kaviar-Diplo­matie“ bezeichnen könnte. Dies sollte erwähnt werden – wird es aber nicht.

Zu Unrecht stehen die Autoren der digitalen Stimm­abgabe ablehnend gegenüber. Das solide und trans­pa­rente System der elektro­ni­schen Stimm­abgabe in Estland verdient Lob und ein genaueres Studium, und nicht bloß eine abwer­tende Zeile.

Ein größeres Manko des Buches ist jedoch, dass es sich schon im Druck befand, bevor das volle Ausmaß der Skandale um Cambridge Analytica und die Facebook-Daten erkennbar wurde. Sie werden nur in wenigen Absätzen behandelt.

Ungeachtet der depri­mie­renden Befunde bleiben die Autoren optimis­tisch. Autokraten können verlieren, lautet ihr Argument: Insbe­sondere dann, wenn sich die Opposition zusam­men­schließt und inter­na­tionale Wahlbe­ob­achter zugelassen werden.

Manchen mag das optimis­tisch erscheinen. Das gesell­schaft­liche Bedürfnis nach demokra­tische Herrschaft ebbt ab, genauso wie die Zivil­courage, sich für freie, geheime und gleiche Wahlen zu engagieren.

Starke Führungs­fi­guren wie Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei, Viktor Orbán in Ungarn und Wladimir Putin in Russland werden sich, so scheint es, noch viele Jahre an der Macht halten können. Sie haben viel auspro­biert und mit der „illibe­ralen Demokratie“ eine in ihrem Sinne funktio­nie­rende politische Ordnung gefunden – die echten liberalen Demokratien haben das bislang versäumt.

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