Wie China die westliche Marktwirtschaft herausfordert
Staatlich geförderte Firmen aus China messen sich auf den Weltmärkten mit privatwirtschaftlich geführten Unternehmen. Mit fairer Konkurrenz hat das wenig zu tun. Europa sollte klare Regeln setzen: Es sollte Investitionen aus dem Reich der Mitte willkommen heißen – sofern sie in das System der freien Marktwirtschaft passen.
Zukünftige Geschichtsbücher werden wahrscheinlich den Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO) im Jahre 2001 als den Höhepunkt der Globalisierung feiern. Rückblickend lässt sich sagen, dass die Gesetzmäßigkeiten der Globalisierung wohl nie so umfassend Gültigkeit hatten wie vor Chinas WTO-Beitritt. Der wirtschaftliche Aufstieg des Reichs der Mitte veränderte nicht nur die bestehende globale Handelsstruktur. Er unterminierte auch die westliche Weltordnung, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg herausgebildet hatte. Das „China-Modell“ forderte die „Pax Americana“ heraus.
Das westliche Nachkriegsmodell hatte sich über mehrere Jahrzehnte entwickelt und bewährt. Sein Fundament war der Multilateralismus, aufgebaut auf demokratischen Prinzipien. Der Schutz geistigen Eigentums, der Menschenrechte und die weitgehende Öffnung der Binnenmärkte waren hart erkämpfte Errungenschaften. Die Gründung der WTO, des internationalen Gerichtshofs, des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) waren zu Meilensteinen der Globalisierung geworden.
Heute zeigen die Mitglieder des chinesischen Politbüros – aber auch US-Präsident Donald Trump – wenig Begeisterung für multilaterale Organisationen. Trump stellt sie generell in Frage. Der chinesische Präsident Xi Jinping bevorzugt hingegen bilaterale Kooperationen, zum Beispiel im Rahmen der „Belt and Road Initiative“ (BRI). Jüngst besuchte Xi etwa Italien, das als erstes G7-Land eine bilaterale Rahmenvereinbarung zur BRI unterzeichnete. Viele Regierungschefs werden kommenden April nach Beijing pilgern, um sich dort an der zweiten „BRI“-Konferenz zu beteiligen. Doch wie Xi die BRI umsetzen lässt, zeigt, dass sie ein „Hub and Spoke“-Modell ist: ein Gebilde mit einem starken Zentrum und davon abhängigen Verstrebungen.
Handel, aber kein Wandel
Die BRI ist nicht auf einem multilateralen Mechanismus aufgebaut, sondern besteht aus einem starken, dominierenden China und kleineren, wirtschaftlich eher schwachen Ländern. Bezeichnend ist, dass die USA, aber auch die EU, Indien und Japan zu dieser Initiative auf Distanz gehen.
Bill Clinton träumte in den späten Neunzigerjahren noch von dem demokratischen Potenzial des Internets, von globalen Zulieferketten und verknüpften Volkswirtschaften. Die Treffen in Davos standen unter der Hoffnung, „Wandel durch Handel“ zu erreichen. Doch China hat den Spieß umgedreht. Mit seiner rigiden Kontrolle und Manipulation des Internets hat es eine digitale Insel geschaffen, ein großes Intranet. Die von der chinesischen Führung tolerierten Hackerangriffe auf Wirtschaftsziele in OECD-Ländern sind eine Bedrohung für das internationale Netz des Informationsflusses.
Die typischen Merkmale staatlicher Planung sind heute überall erkennbar. Ihre Absicht ist, die eigenen Firmen besser für die Globalisierung zu positionieren, sei es durch die BRI oder durch das Industriepolitik-Programm „Made in China 2025“. Die Macht der Märkte wird so ad absurdum geführt. Staatlich geförderte und finanzierte Firmen aus China messen sich auf den Weltmärkten mit börsennotierten Unternehmen und privatwirtschaftlich geführten Firmen. Dieser Wettbewerb kann nur vom Staatskapitalismus gewonnen werden. Mit fairer Konkurrenz hat das meist wenig zu tun.
Symbiose von Leninismus und Manchesterkapitalismus
China ist in den letzten 40 Jahren etwas scheinbar Unmögliches gelungen, gewissermaßen die Quadratur des Kreises: Es brachte sein leninistisches Politikmodell in Einklang mit dem Manchesterkapitalismus. Die zweistelligen Wirtschaftswachstumszahlen trugen nicht gerade zur Bereitschaft der politischen Führung bei, diese Art von Merkantilismus zu reformieren. Warum auch? Es handelt sich immerhin um ein Modell, das die Armut in weiten Teilen des Landes beseitigt hat und das deswegen heute von manchen Ländern als vorbildlich angesehen wird.
Selbst EU-Mitglieder wie Ungarn und Polen glauben, dass das chinesische Modell mit seinen wenigen institutionellen „Checks and Balances“ erfolgreicher ist als das demokratische Modell, das viel stärker auf Mitbestimmung beruht. Francis Fukuyama sieht in diesem vermeintlichen Vorteil den „Charme“ des autokratischen Modells. Er glaubt, dass die Demokratie, besonders die amerikanische, unter einer Form von „Vetocracy“ leide. Demnach können in einer hochgradig polarisierten politischen Landschaft wie den USA zu viele Institutionen Einspruch einlegen, Entscheidungen hinterfragen und sie somit herauszögern. Tatsächlich ist Demokratie zeitintensiv. China befolgt das Prinzip der Herrschaft des „starken Mannes“. Der bekommt die Dinge erledigt, heißt es. Das begeistert viele, und zwar nicht nur in Moskau und Warschau.
Chinas starker Mann, Xi Jinping, konzentriert alle Resourcen auf die angestrebte technologische Führerschaft seines Landes. Seine Strategie nennt sich „Made in China 2025“ und wurde 2015 vorgestellt. Xi will China aus seiner untergeordneten Rolle als „Werkbank der Welt“ herausführen, weil das Land die für die Umwelt zerstörerischen Folgen des Ressourcenverbrauchs nicht mehr verkraftet. Zudem altert die Bevölkerung – bedingt durch die inzwischen abgeschaffte „Ein-Kind-Politik“ – extrem schnell. Chinas Vorteil, über scheinbar unendliche Massen von Arbeitskräften zu verfügen, geht zu Ende. Jedes Jahr fällt der Anteil der erwerbstätigen Bevölkerung um fünf Millionen Menschen.
„Made in China 2025“ liest sich wie eine Einkaufsliste
China diskutiert seit Langem die Gefahr der „Middle Income Trap“. Zu den zahlreichen Staaten, die in diese „Falle des mittleren Einkommens“ getappt sind, gehören etwa Argentinien, Brasilien und Malaysia. Das Politbüro kennt die Gefahr und weiß, dass struktureller Wandel notwendig ist, um der Falle zu entkommen. Aber will China das System ändern? Das Trauma des Untergangs der Sowjetunion hält die chinesischen Führer von der Bereitschaft zu grundlegenden politischen Veränderungen ab. Das Chaos der fehlgeschlagenen Privatisierung unter Boris Jelzin im Russland der Neunzigerjahre bestärkt Xi, auf die politische Kontrolle der staatseigenen Betriebe zu setzen.
Chinas Wunsch, Technologiefirmen zu erwerben, um die eigene Wirtschaft voranzubringen, stößt derzeit an Grenzen. Die OECD-Länder erschweren chinesischen Firmen die Investitionen. Der Grund liegt in den unterschiedlichen Wirtschaftssystemen. Bisher klopften westliche Firmen an die Türen des chinesischen Marktes, durften dort aber nur sehr begrenzt agieren. Für chinesische Staatsfirmen, die immerhin mehr als 70 Prozent aller Akquisitionen durchführen, ist es hingegen ein Kinderspiel, sich in Firmen in OECD-Ländern einzukaufen. Sie haben problemlos portugiesische Versicherungsgesellschaften, deutsche Flughäfen, griechische Häfen und englische Automobilfirmen übernommen. In jedem dieser Bereiche ist es europäischen Unternehmen in China verboten, sich einzukaufen.
Bezeichnenderweise wurden viele Firmen in der EU erworben, die auf Geschäftsfeldern aktiv sind, die sich im Plan „Made in China 2025“ wiederfinden. Dieser Plan liest sich gewissermaßen wie eine Einkaufsliste. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Offenheit des europäischen Marktes gegenüber Auslandsinvestoren abgenommen hat. Viele EU-Mitgliedsstaaten haben Investitions-Screenings eingeführt. Das neue Strategiepapier der EU-Kommission zeigt, dass die Ära der Navität vorbei ist, in der die EU ihre eigenen Märkte offenhielt, während sie China das Recht zugestand, selbst zu entscheiden, wie offen seine Märkte sind. Die politischen Eliten in Brüssel, Berlin und Paris haben sich entschlossen, den EU-Binnenmarkt wettbewerbsrechtlich stärker zu schützen. Sie fordern einen fairen Wettbewerb ein. Das Kommissionspapier ist ein wichtiger Anstoß, um die marktwirtschaftlichen Werte im gemeinsamen Binnenmarkt zu schützen und gleichzeitig das populistische Argument zu entkräften, Europa stehe zum Ausverkauf.
Chinas Aufstieg muss Europas Ansporn sein
Zunehmend wird China nicht mehr nur als Partner, sondern auch als Konkurrent auf den Weltmärkten gesehen. Das sollte ein Signal zum Aufwachen sein. Europa kann China nicht verändern, aber es kann sich selbst verbessern und reformieren. Es sollte die Entwicklung Chinas zur Technologiemacht als Ansporn nehmen, seine eigenen Bildungssysteme und seine Industriepolitik zu verbessern und Überregulierungen zu korrigieren. Das jüngst veröffentlichte Grundsatzpapier des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) macht hierzu konkrete Vorschläge. Klar ist: China wartet nicht.
Die EU will mit China mehr Handel treiben. Sie sollte chinesische Investitionen in Europa willkommen heißen – sofern sie in das System der freien Marktwirtschaft passen. Die EU muss die Regeln setzen. Sie muss verhindern, dass – bildlich gesprochen – Fußballspieler auf Footballspieler treffen. Fußball hat viel mit dem westlichen System freier Marktwirtschaften gemeinsam, Football hingegen mit dem chinesischen Staatskapitalismus. Im Fußball trägt man weder Helm noch Schulterpolster. Im Vergleich dazu sehen Footballspieler aus wie Krieger, ihre panzergleiche Ausrüstung soll den Quarterback, den Spielmacher, schützen. Das Ziel des Spiels ist der Raumgewinn, die Trainer können jederzeit Auszeiten nehmen und sich direkt mit den Spielern absprechen. Ein kunstvoller, aber ungeschützter Fallrückzieher eines Cristiano Ronaldos wäre hier selbstmörderisch.
Fußball ist – global betrachtet – sehr viel populärer als sein amerikanischer Bruder. So verhält es sich bisher auch im Verhältnis zwischen westlichen Marktwirtschaften und dem chinesischen Staatskapitalismus. Aber wie das Spiel ausgeht, ist offen.
Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unterstützen damit die publizistische Arbeit von LibMod.
Wir sind als gemeinnützig anerkannt, entsprechend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spendenbescheinigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adressdaten bitte an finanzen@libmod.de
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regelmäßig Neuigkeiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.