Wie China die westliche Markt­wirt­schaft herausfordert

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Staatlich geför­derte Firmen aus China messen sich auf den Weltmärkten mit privat­wirt­schaftlich geführten Unter­nehmen. Mit fairer Konkurrenz hat das wenig zu tun. Europa sollte klare Regeln setzen: Es sollte Inves­ti­tionen aus dem Reich der Mitte willkommen heißen – sofern sie in das System der freien Markt­wirt­schaft passen.

Zukünftige Geschichts­bücher werden wahrscheinlich den Beitritt Chinas zur Welthan­dels­or­ga­ni­sation (WTO) im Jahre 2001 als den Höhepunkt der Globa­li­sierung feiern. Rückbli­ckend lässt sich sagen, dass die Gesetz­mä­ßig­keiten der Globa­li­sierung wohl nie so umfassend Gültigkeit hatten wie vor Chinas WTO-Beitritt. Der wirtschaft­liche Aufstieg des Reichs der Mitte verän­derte nicht nur die bestehende globale Handels­struktur. Er unter­mi­nierte auch die westliche Weltordnung, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg heraus­ge­bildet hatte. Das „China-Modell“ forderte die „Pax Americana“ heraus. 

Portrait von Jörg Wuttke

Jörg Wuttke ist Geschäfts­führer eines DAX-Unter­nehmens mit Sitz in China. Er war sechs Jahre lang Präsident der Europäi­schen Handels­kammer in Peking und drei Jahre lang Aufsichts­rats­vor­sit­zender der Deutschen Handels­kammer in Peking, die er mitbegründete.

Das westliche Nachkriegs­modell hatte sich über mehrere Jahrzehnte entwi­ckelt und bewährt. Sein Fundament war der Multi­la­te­ra­lismus, aufgebaut auf demokra­ti­schen Prinzipien. Der Schutz geistigen Eigentums, der Menschen­rechte und die weitge­hende Öffnung der Binnen­märkte waren hart erkämpfte Errun­gen­schaften. Die Gründung der WTO, des inter­na­tio­nalen Gerichtshofs, des Inter­na­tio­nalen Währungs­fonds (IWF), der Weltbank und der Organi­sation für wirtschaft­liche Zusam­men­arbeit und Entwicklung (OECD) waren zu Meilen­steinen der Globa­li­sierung geworden.

Heute zeigen die Mitglieder des chine­si­schen Polit­büros – aber auch US-Präsident Donald Trump – wenig Begeis­terung für multi­la­terale Organi­sa­tionen. Trump stellt sie generell in Frage. Der chine­sische Präsident Xi Jinping bevorzugt hingegen bilaterale Koope­ra­tionen, zum Beispiel im Rahmen der „Belt and Road Initiative“ (BRI). Jüngst besuchte Xi etwa Italien, das als erstes G7-Land eine bilaterale Rahmen­ver­ein­barung zur BRI unter­zeichnete. Viele Regie­rungs­chefs werden kommenden April nach Beijing pilgern, um sich dort an der zweiten „BRI“-Konferenz zu betei­ligen. Doch wie Xi die BRI umsetzen lässt, zeigt, dass sie ein „Hub and Spoke“-Modell ist: ein Gebilde mit einem starken Zentrum und davon abhän­gigen Verstrebungen.

Handel, aber kein Wandel

Die BRI ist nicht auf einem multi­la­te­ralen Mecha­nismus aufgebaut, sondern besteht aus einem starken, dominie­renden China und kleineren, wirtschaftlich eher schwachen Ländern. Bezeichnend ist, dass die USA, aber auch die EU, Indien und Japan zu dieser Initiative auf Distanz gehen.

Bill Clinton träumte in den späten Neunzi­ger­jahren noch von dem demokra­ti­schen Potenzial des Internets, von globalen Zulie­fer­ketten und verknüpften Volks­wirt­schaften. Die Treffen in Davos standen unter der Hoffnung, „Wandel durch Handel“ zu erreichen. Doch China hat den Spieß umgedreht. Mit seiner rigiden Kontrolle und Manipu­lation des Internets hat es eine digitale Insel geschaffen, ein großes Intranet. Die von der chine­si­schen Führung tolerierten Hacker­an­griffe auf Wirtschafts­ziele in OECD-Ländern sind eine Bedrohung für das inter­na­tionale Netz des Informationsflusses.

Die typischen Merkmale staat­licher Planung sind heute überall erkennbar. Ihre Absicht ist, die eigenen Firmen besser für die Globa­li­sierung zu positio­nieren, sei es durch die BRI oder durch das Indus­trie­po­litik-Programm „Made in China 2025“. Die Macht der Märkte wird so ad absurdum geführt. Staatlich geför­derte und finan­zierte Firmen aus China messen sich auf den Weltmärkten mit börsen­no­tierten Unter­nehmen und privat­wirt­schaftlich geführten Firmen. Dieser Wettbewerb kann nur vom Staats­ka­pi­ta­lismus gewonnen werden. Mit fairer Konkurrenz hat das meist wenig zu tun.

Symbiose von Leninismus und Manchesterkapitalismus

China ist in den letzten 40 Jahren etwas scheinbar Unmög­liches gelungen, gewis­ser­maßen die Quadratur des Kreises: Es brachte sein leninis­ti­sches Politik­modell in Einklang mit dem Manches­ter­ka­pi­ta­lismus. Die zweistel­ligen Wirtschafts­wachs­tums­zahlen trugen nicht gerade zur Bereit­schaft der politi­schen Führung bei, diese Art von Merkan­ti­lismus zu refor­mieren. Warum auch? Es handelt sich immerhin um ein Modell, das die Armut in weiten Teilen des Landes beseitigt hat und das deswegen heute von manchen Ländern als vorbildlich angesehen wird.

Selbst EU-Mitglieder wie Ungarn und Polen glauben, dass das chine­sische Modell mit seinen wenigen insti­tu­tio­nellen „Checks and Balances“ erfolg­reicher ist als das demokra­tische Modell, das viel stärker auf Mitbe­stimmung beruht. Francis Fukuyama sieht in diesem vermeint­lichen Vorteil den „Charme“ des autokra­ti­schen Modells. Er glaubt, dass die Demokratie, besonders die ameri­ka­nische, unter einer Form von „Vetocracy“ leide. Demnach können in einer hochgradig polari­sierten politi­schen Landschaft wie den USA zu viele Insti­tu­tionen Einspruch einlegen, Entschei­dungen hinter­fragen und sie somit heraus­zögern. Tatsächlich ist Demokratie zeitin­tensiv. China befolgt das Prinzip der Herrschaft des „starken Mannes“. Der bekommt die Dinge erledigt, heißt es. Das begeistert viele, und zwar nicht nur in Moskau und Warschau.

Chinas starker Mann, Xi Jinping, konzen­triert alle Resourcen auf die angestrebte techno­lo­gische Führer­schaft seines Landes. Seine Strategie nennt sich „Made in China 2025“ und wurde 2015 vorge­stellt. Xi will China aus seiner unter­ge­ord­neten Rolle als „Werkbank der Welt“ heraus­führen, weil das Land die für die Umwelt zerstö­re­ri­schen Folgen des Ressour­cen­ver­brauchs nicht mehr verkraftet. Zudem altert die Bevöl­kerung – bedingt durch die inzwi­schen abgeschaffte „Ein-Kind-Politik“ – extrem schnell. Chinas Vorteil, über scheinbar unend­liche Massen von Arbeits­kräften zu verfügen, geht zu Ende. Jedes Jahr fällt der Anteil der erwerbs­tä­tigen Bevöl­kerung um fünf Millionen Menschen.

„Made in China 2025“ liest sich wie eine Einkaufsliste

China disku­tiert seit Langem die Gefahr der „Middle Income Trap“. Zu den zahlreichen Staaten, die in diese „Falle des mittleren Einkommens“ getappt sind, gehören etwa Argen­tinien, Brasilien und Malaysia. Das Politbüro kennt die Gefahr und weiß, dass struk­tu­reller Wandel notwendig ist, um der Falle zu entkommen. Aber will China das System ändern? Das Trauma des Unter­gangs der Sowjet­union hält die chine­si­schen Führer von der Bereit­schaft zu grund­le­genden politi­schen Verän­de­rungen ab. Das Chaos der fehlge­schla­genen Priva­ti­sierung unter Boris Jelzin im Russland der Neunzi­ger­jahre bestärkt Xi, auf die politische Kontrolle der staats­ei­genen Betriebe zu setzen.

Chinas Wunsch, Techno­lo­gie­firmen zu erwerben, um die eigene Wirtschaft voran­zu­bringen, stößt derzeit an Grenzen. Die OECD-Länder erschweren chine­si­schen Firmen die Inves­ti­tionen. Der Grund liegt in den unter­schied­lichen Wirtschafts­sys­temen. Bisher klopften westliche Firmen an die Türen des chine­si­schen Marktes, durften dort aber nur sehr begrenzt agieren. Für chine­sische Staats­firmen, die immerhin mehr als 70 Prozent aller Akqui­si­tionen durch­führen, ist es hingegen ein Kinder­spiel, sich in Firmen in OECD-Ländern einzu­kaufen. Sie haben problemlos portu­gie­sische Versi­che­rungs­ge­sell­schaften, deutsche Flughäfen, griechische Häfen und englische Automo­bil­firmen übernommen. In jedem dieser Bereiche ist es europäi­schen Unter­nehmen in China verboten, sich einzukaufen.

Bezeich­nen­der­weise wurden viele Firmen in der EU erworben, die auf Geschäfts­feldern aktiv sind, die sich im Plan „Made in China 2025“ wieder­finden. Dieser Plan liest sich gewis­ser­maßen wie eine Einkaufs­liste. Es ist daher nicht verwun­derlich, dass die Offenheit des europäi­schen Marktes gegenüber Auslands­in­ves­toren abgenommen hat. Viele EU-Mitglieds­staaten haben Inves­ti­tions-Scree­nings einge­führt. Das neue Strate­gie­papier der EU-Kommission zeigt, dass die Ära der Navität vorbei ist, in der die EU ihre eigenen Märkte offen­hielt, während sie China das Recht zugestand, selbst zu entscheiden, wie offen seine Märkte sind. Die politi­schen Eliten in Brüssel, Berlin und Paris haben sich entschlossen, den EU-Binnen­markt wettbe­werbs­rechtlich stärker zu schützen. Sie fordern einen fairen Wettbewerb ein. Das Kommis­si­ons­papier ist ein wichtiger Anstoß, um die markt­wirt­schaft­lichen Werte im gemein­samen Binnen­markt zu schützen und gleich­zeitig das populis­tische Argument zu entkräften, Europa stehe zum Ausverkauf.

Chinas Aufstieg muss Europas Ansporn sein

Zunehmend wird China nicht mehr nur als Partner, sondern auch als Konkurrent auf den Weltmärkten gesehen. Das sollte ein Signal zum Aufwachen sein. Europa kann China nicht verändern, aber es kann sich selbst verbessern und refor­mieren. Es sollte die Entwicklung Chinas zur Techno­lo­gie­macht als Ansporn nehmen, seine eigenen Bildungs­systeme und seine Indus­trie­po­litik zu verbessern und Überre­gu­lie­rungen zu korri­gieren. Das jüngst veröf­fent­lichte Grund­satz­papier des Bundes­ver­bandes der Deutschen Industrie (BDI) macht hierzu konkrete Vorschläge. Klar ist: China wartet nicht.

Die EU will mit China mehr Handel treiben. Sie sollte chine­sische Inves­ti­tionen in Europa willkommen heißen – sofern sie in das System der freien Markt­wirt­schaft passen. Die EU muss die Regeln setzen. Sie muss verhindern, dass – bildlich gesprochen – Fußball­spieler auf Football­spieler treffen. Fußball hat viel mit dem westlichen System freier Markt­wirt­schaften gemeinsam, Football hingegen mit dem chine­si­schen Staats­ka­pi­ta­lismus. Im Fußball trägt man weder Helm noch Schul­ter­polster. Im Vergleich dazu sehen Football­spieler aus wie Krieger, ihre panzer­gleiche Ausrüstung soll den Quarterback, den Spiel­macher, schützen. Das Ziel des Spiels ist der Raumgewinn, die Trainer können jederzeit Auszeiten nehmen und sich direkt mit den Spielern absprechen. Ein kunst­voller, aber ungeschützter Fallrück­zieher eines Cristiano Ronaldos wäre hier selbstmörderisch.

Fußball ist – global betrachtet – sehr viel populärer als sein ameri­ka­ni­scher Bruder. So verhält es sich bisher auch im Verhältnis zwischen westlichen Markt­wirt­schaften und dem chine­si­schen Staats­ka­pi­ta­lismus. Aber wie das Spiel ausgeht, ist offen.

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