Nach der Wahl in Hessen: Die liberale Mitte stärken

Foto: Hessi­scher Landtag, Kanzlei, H. Heibel

Das alte Links-Rechts-Schema hat ausge­dient. Es steht liberale Offenheit gegen illiberale Abschottung. Entlang dieser Achse sortiert sich die Partei­en­land­schaft neu. AfD und Linke legten bei der Hessenwahl um 10,1 Prozent zu, das liberale Spektrum mit Grünen und FDP um 11,2 Prozent. Union und SPD verloren zusammen 22,2 Prozent.

Die alten Lager gibt es noch, aber sie dominieren nicht mehr. Damit werden FDP und Grüne zum Macht­faktor. Ohne die beiden Parteien geht Regie­rungs­bildung künftig kaum. Neue Mehrheiten braucht das Land. Das erinnert an die Bundes­tagswahl 2017. In der Folge gab es wochen­lange Jamaika-Sondie­rungen. Ihr Scheitern brachte eine sich im Dauer­streit befind­liche Große Koalition hervor, die diesen Namen kaum noch verdient.

Wir beide, Nicolas Lembeck und Daniel Mack, sind Angehörige dieser beiden Parteien. Auch ein Jahr später empfinden wir das Scheitern von Jamaika immer noch als Versagen. Das neue Bündnis hätte die politische Kultur in Deutschland voran­bringen und das Links-Rechts-Lager­denken überwinden können. Die Bonner Republik wäre endlich passé. Der dringend benötigte Aufbruch ist aufge­schoben. In Zeiten von radikalen Verän­de­rungen braucht es aber Parteien, die politik­fähig sind und gestalten wollen.

Unsere Freund­schaft ist mehr als Politik. Wir finden es wichtig, auf dem gleichen Werte­fun­dament zu stehen. Wir halten Demokratie, Teilhabe und Mitbe­stimmung, Gleich­be­rech­tigung und Emanzi­pation für etwas Selbst­ver­ständ­liches. Wir sind Feministen und leben Europa. Amsterdam ist für uns näher als uns München jemals sein kann. Grenzen kennen wir auf unserem Kontinent nur aus dem Geschichtsbuch. Wir nutzen lieber die Bahn als den Flieger und halten Umwelt- und Klima­schutz nicht für etwas besonders Progres­sives, sondern für das Mindeste. Autokon­forme Innen­städte haben wir noch nie verstanden.

Trotz der Fülle an gemein­samen Auffas­sungen wählt der FDPler die FDP und der Grüne die Grünen. Inhalt­liche Akzen­tu­ie­rungen entscheiden. Für den einen steht die Freiheit auf Platz Eins, für den anderen der Umwelt­schutz. Dass sich beide Parteien in Wahlkämpfen immer wieder als unver­einbare Gegenpole darstellten, konnten wir nie nachvoll­ziehen. Wir halten das für schädlich.
Diese Form der unbedingten Abgrenzung ist überholt. Viele Menschen schwanken mit ihrer Wahlent­scheidung gerade zwischen diesen beiden Parteien. Die Zeiten von Wester­welle versus Trittin sind vorbei. Den Kampf um Freiheit, Libera­lität und Demokratie gewinnt keine der beiden Parteien alleine, er ist nur gemeinsam gegen immer stärker werdende illiberale Populisten zu gewinnen. Gegen die wahren Feinde der offenen Gesellschaft.

Gerade deshalb braucht es einen konstruk­tiven Diskurs, der sich nicht an Feind­bildern orien­tiert, sondern Menschen zusam­men­führt. Es geht darum, das vermeintlich Unver­einbare vereinbar zu machen, ohne dabei den eigenen Kompass zu verlieren. Es geht um gesell­schaft­lichen Zusam­menhalt, das Bewusstsein für gemeinsame Werte. Es geht aber auch darum, Fortschritt zu gestalten, mit Mut Neues zu wagen. Beides zu verbinden ist die Aufgabe unserer Zeit.

Politiker/​innen sollten die Bühne der Demokratie nicht für die Denun­zierung des politi­schen Gegners missbrauchen, sondern gestalten wollen und Brücken bauen, wo neue Allianzen nötig und möglich sind. Diesen Diskurs sollten Grüne und FDP führen. Beide Parteien wollen aus einem starken Selbst­ver­ständnis heraus Politik machen. Ein Selbst­ver­ständnis, das als inneres Korrektiv wirkt und den ehema­ligen Volks­par­teien fehlt.

Union und SPD vermögen es nicht, in Zeiten radikaler Verän­derung Weichen für die Zukunft zu stellen. Einigkeit besteht nur im ‚Weiter so‘, darin dass sich möglichst nichts ändert. Von Braun­kohle bis Diesel, vom Bildungs­fö­de­ra­lismus bis zur Digita­li­sierung: nichts bewegt sich.

Das Modell Volks­partei hat sich in einer immer indivi­du­el­leren und vielfäl­ti­geren Gesell­schaft überlebt. Die Menschen erwarten klare Haltung, erwarten eine echte Wahl. Das Prinzip der Volks­partei trägt in einer pluralen Demokratie nicht mehr. Zukle­istern von Konflikten war gestern, in der digitalen Kommu­ni­ka­ti­onswelt kommu­ni­zieren wir direkt.

Würden wir das Selbst­ver­ständnis von Grünen und FDP benennen, dann sind es die Werte des Libera­lismus und die Überzeugung, dass Politik nicht im Ist-Zustand verharren kann, sondern zukunfts­ori­en­tiert sein muss, Konflikte nicht scheut und so Fortschritt gestaltet.

Was uns beide umtreibt, ist die Chance für FDP und Grüne, gemeinsam einen neuen Gesell­schafts­vertrag für das 21. Jahrhundert zu entwerfen. Die Wertschätzung für Zusam­menhalt und Freiheit, Fortschritt und Nachhal­tigkeit sind die Antwort auf einen aufkom­menden Autori­ta­rismus und die drängende ökolo­gische Frage. Drängend, weil – wenn wir nicht gegen­steuern – 2050 das Gewicht des Plastik­mülls im Meer das Gewicht aller Fisch­arten übersteigen wird, weil der Klima­wandel die Lebens­grund­lagen bedroht und der Ressour­cen­ver­brauch unserer Gesell­schaften Zukunfts­chancen für kommende Genera­tionen verspielt.

Wenn Grüne und FDP sich trotz bleibender Unter­schiede auf eine gemeinsame Agenda verstän­digen, können sie CDU und SPD viel macht­vol­ler gegen­über­tre­ten. Dann reichen ihre kombi­nierten Wähler­stimmen, um gemeinsam Wahl­sie­ger zu sein – als zwei Parteien, aus denen nicht eine werden soll, die aber gemeinsam eine starke liberale Mitte bilden.


Daniel Mack und Nicolas Lembeck sind Politik­be­rater in Berlin.

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