Zwischen Rebellion und Weltflucht: Die romantischen Ursprünge der autoritären Revolte
Vielen Westdeutschen fällt es schwer zu verstehen, warum gerade Ostdeutsche, die doch einst die Berliner Mauer zum Einsturz gebrach haben, nach Abschottung rufen. Aber in den Romanen Uwe Tellkamps zeigt sich: Der Mauerfall war nicht nur eine demokratische Revolution. Er belebte auch das deutsche Nationalbewusstsein wieder, das in der Romantik wurzelt.
Das ist Uwe Tellkamp? Nicht wenige Literaturfreunde dürften sich verwundert diese Frage gestellt haben, als sie im März 2018 den Schriftsteller im öffentlichen Streit mit seinem Kollegen Durs Grünbein im Dresdner Kulturpalast erlebten. Politische Äußerungen hatte das Publikum bis dahin von Tellkamp kaum je vernommen, auch nicht, als in seiner Heimatstadt Dresden der Streit um die Pegida-Bewegung tobte. In der Diskussion zeigte er sich plötzlich in der Rolle des dauerbeleidigten, im Zorn verhärteten Wutbürgers. Während Grünbein sich um Verständigung bemühte und seinem Debattengegner auch gelegentlich recht gab, verstieg sich Tellkamp sogar zu offensichtlich unwahren Behauptungen wie jener, es wären ja nicht die Autos der Linken, die gerade angezündet würden. Kurz zuvor waren die Mitglieder einer Terrorgruppe aus Freital verurteilt worden, die nicht nur Anschläge auf Flüchtlinge verübt, sondern auch das Auto eines linken Politikers gesprengt hatten.
Dünnhäutig und hitzköpfig zugleich konnte man Tellkamp allerdings schon früher erleben. Als er im Jahr 2008 seinen Roman Der Turm im Dresdner Hygiene-Museum vorgestellt hatte, war es ihm bereits schwergefallen, eine brodelnde Wut nicht überkochen zu lassen. Im westdeutschen Feuilleton war sein Roman, der das Dresdner Kulturbürgertum als Widerstandsnest gegen die sozialistische Diktatur inszeniert hatte, begeistert aufgenommen worden. Die Journalistin Karin Großmann hingegen, später auch Moderatorin der Diskussion im Kulturpalast, hatte sich in der Sächsischen Zeitung erdreistet, den Roman nicht überschwänglich zu loben. Tellkamp geißelte nicht nur ihr Verhalten, sondern ließ sich auch zu abfälligen Worten gegen den Kollegen Marcel Beyer hinreißen. Dieser hatte sich im selben Jahr erkühnt, die Handlung seines Romans Kaltenburg ebenfalls in Dresden anzusiedeln – ohne doch biologischer Dresdner zu sein! Wer damals zuhörte, konnte schon zu dem Eindruck gelangen: In Uwe Tellkamp hat sich jener Teil des Dresdner Kulturbürgertums schriftstellerisch verkörpert, dessen Mentalität durch die Gleichzeitigkeit von Stolz und Jammer, Überheblichkeit und Minderwertigkeitsgefühl geprägt wird.
Traurig für den Florian, aber uninteressant für den Leser
Ein Blick auf Tellkamps frühes literarisches Werk kann dabei helfen, die politische Entwicklung des Autors besser zu verstehen. Über Tellkamps ersten Roman Der Hecht, die Träume und das Portugiesische Café kursiert der Witz, das Buch habe bei seiner Erstauflage so viele Käufer gefunden, wie es Seiten hat. Der kommerzielle Misserfolg ist erklärlich. Das Buch beschreibt zwar durchaus stimmungsvoll das Dresdner „Hechtviertel“ und die Gestalten der Bohème, die es bevölkern. Die Handlung erschöpft sich allerdings darin, dass ein Florian unglücklich in eine Sophie verliebt ist. Das ist traurig für den Florian, interessant für den Leser ist es nicht.
Den Mangel an Gehalt will der Text durch überbordende Bildpracht wettmachen, wodurch aber auch die Geduld des Lesers abgenutzt wird. Eine halbe Seite lang preist der Erzähler in lyrischem Ton die unnachahmliche Qualität der Semmeln einer Dresdner Bäckerei. Bemerkenswert an diesem Buch ist eher das, was es nicht enthält. Der Roman spielt in den neunziger Jahren in Dresden. Aber nirgends sieht man jene Arbeitslosen, Wendeverlierer und Trinker, von denen der Kollege Clemens Meyer so eindrücklich erzählt. Auch die Neonazis, die in jener Zeit in Dresden – oft unbehelligt von der Polizei – Linke und Ausländer jagten, kommen bei Tellkamp nicht vor. Seine Figuren verbringen ihre Zeit in Cafés und Antiquariaten, sie rezitieren Haikus um die Wette, spielen sich mit Paganini auf der Violine ein und schmökern in der Summa contra gentiles. Dresden ist in diesem Debütroman eine Bildungsbürgeridylle jenseits von Raum und Zeit. Tellkamp selbst hätte sein Buch später am liebsten der Vergessenheit überantwortet. Das ist verständlich, erscheint sein erster Roman inzwischen doch wie eine vorweggenommene Parodie seines dritten.
Keine Wendeverlierer. Nirgends
Tellkamps zweitem Roman Der Eisvogel mangelte es nicht an Erfolg. Das Buch spielt in der Welt der Reichen und Mächtigen, ist überdies eine echte Räuberpistole voller saftiger Gewalt- und Sexszenen. Am Schluss rettet der Held seine Angebetete, indem er den Mann, der ihr nach dem Leben trachtet, mit einem Schuss niederstreckt. Peng! Aufschlussreich ist der Roman wegen seines politischen Gehalts. Wiggo Ritter, „ein arbeitsloser, nicht sonderlich gutaussehender Philosoph auf Stellen- und Partnerjagd“, macht die Bekanntschaft von Mauritz Kaltmeister, einem radikalen Aktivisten, der in seiner Mischung von Intellektualität und Brutalität an Götz Kubitschek erinnert. Mauritz feuert auf Wiggo das ganze argumentative Arsenal der neuen Rechten ab, als deren guter Kenner sich der Autor Tellkamp mithin erweist. Es erklingt die Klage über den Niedergang der Kultur, die Primitivität der Massengesellschaft, die mangelnde Wertschätzung der geistigen Elite: „Demokratische Verhältnisse sind Arrangements zum maximalen gegenseitigen Nutzen der Mittelmäßigen.“ Den Vorwurf, „faschistisch“ zu sein, weist Mauritz zurück: „Wir wollen keine Juden umbringen“. Und auch der Autor Tellkamp entlastet ihn. In einer Szene darf der Feind der Demokratie beweisen, dass er kein schlechter Kerl ist, indem er Araber vor dem Überfall einiger Nazi-Skinheads rettet.
Der labile Wiggo ist beeindruckt und tritt der Geheimorganisation „Wiedergeburt“ bei, in deren Auftrag Mauritz durch „organisierten Terror“ die politischen Verhältnisse erschüttern will. Das Ganze verläuft nach ein paar Knalleffekten jedoch im märkischen Sande. Auch wenn der Autor Tellkamp erkennbar Verständnis für den Kulturpessimismus seiner Figuren hat, wäre es unredlich, ihm Sympathie für Rechtsradikalismus zu unterstellen. Nicht nur nehmen einige Gestalten des Romans eine kritische Haltung ein, am Ende erweist sich der militante Widerstand auch als Sackgasse.
Die Art, wie Tellkamp die Abwege seines Helden motiviert, ist jedoch verräterisch. Der hochbegabte Wiggo ist nur für die rechte Indoktrination empfänglich, weil ihm im Leben übel mitgespielt wurde: Sein Vater, früher freigeistiger Weltenbummler, heute Investmentbanker, unterdrückt ihn und schmäht seine Leidenschaft für die Philosophie. Eine Geliebte betrügt ihn im Auftrag seines Vaters. Eine eitle Chefin erniedrigt ihn in seinem Nebenjob als Laborgehilfe. Ein schmieriger Anlageberater bringt ihn um sein kleines Vermögen. Ein Philosophieprofessor vom Schlage „altlinker Brunnenvergifter“ zerstört Wiggos wissenschaftliche Karriere. Der Professor reagiert auf Kritik mit dem Rauswurf, schmäht Wiggo dabei als „Romantiker“, „Feind der Aufklärung“ und „Kryptofaschisten“. Die dichterische Kunst Uwe Tellkamps macht aus diesem akademischen Altachtundsechziger auch noch einen kränklichen Schwätzer, Kaufhausdieb und Bewohner einer völlig verdreckten Wohnung. Und die Moral von der Geschichte: Wenn junge, kluge Männer mit besten Anlagen zu militanten Rechtsradikalen werden, dann sind schuld daran skrupellose Globalisten, arrogante Weiber und linksversiffte Meinungsdiktatoren. Die politische Opferhaltung, mit der Uwe Tellkamp jüngst die Anhänger von Pegida und AfD begeisterte, findet sich in literarischer Form schon in seinem zweiten Roman. Kein Wunder, dass er nun der Held jener nassen Jammerlappen ist, die sich selbst für Flaggen im Sturmwind halten.
Vielen Menschen in Westdeutschland fällt es schwer zu verstehen, warum Ostdeutsche, die doch einst die Berliner Mauer zum Einsturz brachten, nun nach der Abschottung der deutschen Grenzen rufen. Der Fall Tellkamp zeigt, wie sich eine solche Haltung erklären lässt. Für gebildete Ostdeutsche war die Kultur einerseits Tor zur Welt, andererseits aber auch Schutzraum gegen die realsozialistische Vereinnahmung. Die Wende von 1989/90 war nicht nur eine Revolution für die Demokratie, sondern auch eine im Namen der Nation. Wiederbelebt wurde dabei auch jene Tradition des deutschen Nationalbewusstseins, die in der Romantik wurzelt und sich durch Innerlichkeit, Vergangenheitsseligkeit und Selbstgenügsamkeit auszeichnet. Die Idealisierung Dresdens, auch sie eine romantische Erfindung, ist eine lokale Variante dieses Denkens. Uwe Tellkamp hat sich jüngst mit seinem Büchlein Die Carus-Sachen noch einmal ausdrücklich in diese romantische Tradition gestellt, deren Kulturbegriff aus dem Widerspruch zum westlichen Liberalismus erwächst. Wie viele Ostdeutsche sieht er die kulturelle Heimat, in der er sich eingerichtet hat, bedroht durch die Verwestlichung, ihre Freizügigkeit und ihre kulturelle Vielfalt. So werden aus Menschen, die einst Grenzen sprengten, ihre erbittertsten Verteidiger.
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