Polen: PiS gegen die Medien
In Polen will die nationalkonservative PiS-Regierung kritische Medien durch ein neues Gesetz unter Druck setzen. Michał Kokot, Redakteur der liberalen zweitgrößten polnischen Zeitung Gazeta Wyborcza, spricht über die schwierige Lage für Journalisten in seinem Land und notwendigen Widerstand der EU und Deutschlands
Was bedeutet das geplante Gesetz?
Michał Kokot: Es soll die unabhängigen Medien schwächen. Die Medien müssen 40 Prozent zusätzliche Steuer auf ihre Werbeeinnahmen zahlen. Das wird die ganze Branche hart treffen. Die Regierung behauptet, das sei gegen große Konzerne wie Google oder Facebook gerichtet. In Wahrheit will sie die Medien unter Druck bringen, die kritisch zu ihr stehen, wie Agora, zu der die Gazeta Wyborcza gehört. Es ist nicht erste Angriff. Als die PiS 2015 an die Regierung kam, haben wir sofort keine Anzeigen mehr von staatlichen Institutionen und Unternehmen bekommen. Das alles hat die PiS von Viktor Orbán in Ungarn kopiert.
Möchte die Regierung die Medien einschüchtern? Oder will sie sie kontrollieren wie Orbán?
In Ungarn hat die Orbán-Regierung dafür gesorgt, dass Verlage und Sender von Oligarchen aufgekauft wurden, die ihr zu Diensten sind. Unsere Regierung kann das nicht einfach nachmachen, weil die Wirtschaftsstruktur in Polen anders ist. Wir haben keine Oligarchen. Deshalb können sie nicht über Nacht die Medien und Sender unter Kontrolle bringen. Aber man kann sie übernehmen. Der Ölkonzern Orlen, an dem der polnische Staat mit mehr als 25 Prozent beteiligt ist, hat gerade Polska Press, der 20 der 24 Regionalzeitungen gehören, von der Verlagsgruppe Passau gekauft.
Erwarten Sie dagegen Proteste aus Deutschland?
Das sollte der deutschen Regierung nicht egal sein.
Man kann nicht auf der einen Seite kritisieren, was in Osteuropa passiert, aber gleichzeitig einfach zuschauen, wenn regierungsnahe Oligarchen oder vom Staat kontrollierte Unternehmen Verlage aufkaufen und so unter den Einfluss der Regierungen bringen. Darunter leidet die Medienfreiheit, das geht Deutschland als Teil der EU an, zu der Polen und Ungarn gehören. Wenn das so weiter geht, hat Deutschland an seiner Grenze bald einen autoritären Staat. Das kann nicht in deutschem Sinne sein.
Womit begründet die Regierung ihr Vorgehen?
Sie sagt, dass sie die Pluralität stärken will. Das ist natürlich zynisch. Die Staatsmedien machen reine Propaganda wie im Kommunismus, keinen richtigen Journalismus. Das kann sich Europa nicht leisten.
Weshalb startet die PiS-Regierung gerade jetzt diesen Angriff auf die freie Presse?
Die Regierung ist unter Druck, auch wegen der Corona-Krise. Die PiS will sich mit Blick auf die Parlamentswahlen 2023 stärken. Es geht nicht nur um Zeitungsverlage und Sender, es geht vor allem um die Online-Portale, die zusammen 13 Millionen Leser haben.
Die Regierung will deren Profile, die Namen und Adressen der User, ähnlich wie es Orbán in Ungarn gemacht hat.
Wie ernst ist die Bedrohung? Werden auch andere Verlage und Sender sich aufkaufen lassen, wenn sie durch das neue Gesetz wirtschaftlich unter Druck geraten?
Das kann passieren. Die Europäische Kommission weiß nicht, was sie dagegen tun soll. Ich habe an einem Online-Treffen mit Věra Jourová teilgenommen, die als stellvertretenden EU-Kommissionspräsidentin für freie Medien, Demokratie und Rechtsstaat zuständig ist. Sie hat offen gesagt, dass sie auch wenig dagegen unternehmen kann, dass Orbán sich die Medien unterwirft, weil das in nationale Zuständigkeit fällt.
Wie ist die Situation für die Gazeta?
Wir sind im Moment nicht in Gefahr. Agora, zu der die Zeitung gehört und die auch Radiosender und Außenwerbung betreibt, wurde allerdings verwehrt, einen großen Radiosender zu übernehmen. Die Wettbewerbsbehörde hat das ein Jahr lang geprüft und abgelehnt mit der vorgeschobenen Begründung, dass dadurch ein Monopol entstünde. Die Übernahme von Polska Press durch ein Staatsunternehmen hat sie dagegen nach nur einem Monat genehmigt.
Wie frei können kritische Journalisten wie Sie in Polen noch arbeiten?
Wir können bei Pressekonferenzen kaum noch Fragen stellen. Die Vertreter der Regierung ignorieren uns. Informationen werden uns vorenthalten, E‑Mails werden nicht beantwortet.
Es ist schwer, überhaupt noch an offizielle Informationen zu kommen.
Im vergangenen Jahr haben gemäßigtere Parteien in der Regierung verhindert, dass die Präsidentenwahl während der ersten Welle der Pandemie stattfand. Ist zu hoffen, dass sie sich auch jetzt gegen die Pläne der PiS stellen?
Eine kleine Koalitionspartei hat angekündigt, dass sie das Gesetz nicht unterstützen wird, weil es ihren wirtschaftsliberalen und steuerpolitischen Vorstellungen widerspricht. In dieser Partei tobt aber gerade ein Machtkampf. Ein loyaler Unterstützer von Kaczynski will die Führung übernehmen. Wenn ihm das gelingt, wird die Partei keinen Widerstand leisten.
Vom Verfassunsgericht, das die PiS auf Linie gebracht hat, ist sicher kein Einspruch zu erwarten.
Nein, die Vorsitzende des Gerichts gehorcht Jaczynski. Sie macht, was er möchte.
Gibt es Proteste in der Bevölkerung gegen das Gesetz? Es gab ja schon mächtige Demonstrationen, vor allem gegen das neue fast komplette Abtreibungsverbot.
Ich glaube nicht, dass die Leute für freie Medien auf die Straße gehen werden.
Der Regierung ist gelungen es so darzustellen, dass die Einnahmen aus der neuen Steuer in der Pandemie auch für das Gesundheitswesen eingesetzt werden sollen, obwohl in Wahrheit ein Drittel davon in einen Fonds fließen soll, um der Regierung gewogene Medien und Sender zu unterstützen. Zum anderen argumentiert sie, dass die Medien bislang zu wenig Steuer zahlten. Auch das kommt in der Bevölkerung an, obwohl es Quatsch ist. Die Medien zahlen genauso Steuern wie alle anderen Unternehmen. Das Hauptproblem aber ist, dass die polnische Gesellschaft sehr polarisiert und gespalten ist. Entweder glaubt man der Regierung oder man glaubt ihr nicht. Viele misstrauen den Medien, auch weil die Regierung sie zum Teil zu Propagandainstrumenten gemacht hat. Die Leute glauben, dass alle Journalisten so sind, selbst wenn sie kritisch zu Regierung stehen. Deshalb erwarte ich keine breite Unterstützung gegen das Gesetz.
Die Regierung argumentiert, dass es um eine Repolnisierung der Medien gehe. Tatsächliche sind oder waren viele in deutscher Hand. Spielen antideutsche Ressentiments eine Rolle?
Ja, eine gewichtige. Es wird der Eindruck erweckt, die Deutschen wollten ihre Interessen in Polen durchsetzen. Kaczynski verbreitet seit Jahren, man müsse den Deutschen misstrauen, immer mit Verweis auf die Geschichte.
Gibt es Journalisten und Medien, die nun weniger kritisch berichten?
Der Druck ist groß.
Vor einigen Jahren hatte ich mit Kollegen einen Blog bei Zeit-online, in dem wir kritisch über unsere Regierung geschrieben haben. In der Hauptnachrichtensendung des staatlichen Fernsehens wurden wir deswegen als Staatsverräter und unpratiotisch hingestellt. Ich habe viele Hassmails bekommen. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass Kollegen sich einschüchtern lassen. Wir haben eine dicke Haut. Das Dilemma ist allerdings, dass uns immer mehr Leute vorwerfen, dass wir keine objektiven Journalisten mehr seien, wenn wir die Regierung zu heftig kritisieren. Aber wir können nicht ständig auch die andere Seite zu Wort kommen lassen. Wir müssen in dieser sehr schwierigen Zeit die Demokratie verteidigen.
Michal Kokot ist Redakteur der Gazeta Wyborcza, die 1989 aus der Gewerkschaft Solidarnosc hervorgegangen ist. Mit einer Auflage von 300.000 Exemplaren und rund 4,5 Millionen Lesern ist sie das wichtigster Organ der Meinungsbildung in Polen. Sie gehört dem polnischen Medienkonzern Agora.
Das Gespräch führte Ludwig Greven. Er war 1998 mit Joschka Fischer in Warschau. Spät abends kam Adam Michnik, bis heute Chefredakteur der Gazeta und einer der führenden Oppositionellen gegen das frühere kommunistische Regime, zu ihrem Hotel, um mit Fischer, der kurz danach Außenminister wurde, und den begleitenden Journalisten bis in die Nacht über die Lage im Land zu diskutieren. In Jeans, offenem Hemd und Sandalen. Er trete immer noch so auf, sagt Kokot.
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