Drei Thesen zur Neuver­teilung des globalen Wohlstands

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Werden die Indus­trienationen auch weiterhin auf die Öff­nun­g von Arbeits- und Agrar­märkten setzen? Und werden sie ihren Vorsprung bei kapital- und tech­no­lo­gie­in­ten­si­ven Pro­duk­ten mit Protek­tio­nismus vertei­digen? Drei Thesen zur Zukunft der Globalisierung.

Es besteht kein Zweifel: Die voran­schrei­tende ökono­mische Globa­li­sierung hat dazu beigetragen, dass sich der materielle Wohlstand weltweit erhöht hat und die Armut gesunken ist. Damit verbessern sich auch die immate­ri­ellen Lebens­be­din­gungen der Menschen, wie etwa Gesund­heits­zu­stand und Bildungs­niveau. Doch nimmt die Kritik an der Globa­li­sierung in den entwi­ckelten Indus­trie­ländern gegen­wärtig zu. Eine Ursache dafür ist die Befürchtung, zukünftig Wohlstands­ein­bußen hinnehmen zu müssen. 

Portrait von Albrecht Sonntag

Thieß Petersen ist Senior Advisor der Bertelsmann Stiftung und Lehrbe­auf­tragter an der Europa-Univer­sität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Ausgangs­punkt der Überle­gungen zur wachsenden Globa­li­sie­rungs­kritik in vielen Indus­trie­ländern ist folgende Feststellung: Ein voran­schrei­tendes Zusam­men­wachsen der Märkte durch Handel, Kapital­ex­porte, Migration und Techno­lo­gie­transfer führt dazu, dass sich mehr und mehr Weltmärkte bilden. Auf einem globalen Markt gibt es – zumindest in einem theore­ti­schen Ideal­modell – nur einen Weltmarktpreis.

Bestes Beispiel dafür sind gegen­wärtig die Finanz­märkte: Für Aktien, Devisen und Wertpa­piere wird zu jedem Zeitpunkt ein weltweit mehr oder weniger identi­scher Preis bezahlt. Der Abbau von Kapital­ver­kehrs­kon­trollen und geringe Trans­ak­ti­ons­kosten bewirken, dass Preis­un­ter­schiede zu sogenannten Arbitra­ge­ge­schäften führen. Bei ihnen werden Produkte dort gekauft, wo sie einen geringen Preis haben, und umgehend mit Gewinn in einem Markt­segment mit einem höheren Preis verkauft. Die Folge: Regionale Preis­un­ter­schiede werden in kürzester Zeit beseitigt.

Eine Lohnan­glei­chung bedeutet eine Neuver­teilung des globalen Wohlstands

Spielen wir dieses Prinzip in einem Gedan­ken­ex­pe­riment weiter, in dem es keine Trans­port­kosten, Trans­ak­ti­ons­kosten und Präfe­renz­un­ter­schiede gibt: Wenn sich sämtliche Märkte unter diesen Annahmen zu Weltmärkten entwi­ckeln, bildet sich für alle Güter, Dienst­leis­tungen und selbst für Produk­ti­ons­fak­toren ein globaler Durch­schnitts­preis. Für einen weltweiten Arbeits­markt bedeutet dies: Es entsteht ein globaler Durch­schnittslohn, der zwischen dem hohen Lohnniveau entwi­ckelter Länder wie den USA, Deutschland und Japan sowie den Niedrig­löhnen in weiten Teilen Asiens und erst recht Afrikas liegt. Und da das Arbeits­ein­kommen die wichtigste Einkom­mens­quelle für die Mehrheit der Menschen ist, bedeutet diese Lohnan­glei­chung (selbst wenn sie nur tenden­ziell ist) gleich­zeitig eine erheb­liche Neuver­teilung des globalen Wohlstands.

Werfen wir einen Blick auf den bisher erreichten Entwick­lungs­stand in puncto Weltmärkte. Dieser zeigt uns: Die stärkste Markt­öffnung haben wir bei den Finanz­märkten und bei indus­triell produ­zierten Gütern. Kein Wunder, denn dies sind genau die Bereiche, bei denen die entwi­ckelten Indus­trie­länder bisher ein hohes Interesse an einer Markt­öffnung haben. Schließlich zeichnet sich die weltweite Ausstattung mit den Produk­ti­ons­fak­toren Arbeit, Kapital, Boden und Techno­logie dadurch aus, dass Indus­trie­länder erstens über viel Kapital verfügen, das rendi­te­trächtige Anlageorte sucht, und zweitens einen inter­na­tio­nalen Wettbe­werbs­vorteil bei kapital- und techno­lo­gie­in­ten­siven Produkten haben. Bei Agrar­pro­dukten, deren Erzeugung viel Land benötigt, ist die wirtschaft­liche Abschottung der Indus­trie­länder hingegen relativ hoch.

Zu der Frage, wie sich die ökono­mische Globa­li­sierung – auf Basis der voran­ge­henden Überle­gungen – zukünftig entwi­ckeln wird, möchte ich drei Thesen formulieren.

These 1: Indus­trie­länder haben Vorteile des Weltmarkts weitgehend genutzt

Mit dem bisher erreichten Stand der Weltmarkt­öff­nungen haben die Indus­trie­länder die Vorteile der globalen Märkte bereits weitgehend genutzt. Weitere Markt­öff­nungen sind nun eher für Schwellen- und Entwick­lungs­länder inter­essant. Dies gilt für die Agrar­märkte und noch mehr für die Arbeitsmärkte:

  • Bei einem globalen Arbeits­markt nähern sich alle Löhne, wie beschrieben, tenden­ziell einem globalen Durch­schnittslohn, der unter dem Niveau der Indus­trie­na­tionen liegt.
  • Gleiches gilt für einen Weltagrar­markt: Der globale Durch­schnitts­preis für landwirt­schaft­liche Produkte, deren Herstellung viel Boden benötigt, liegt unter den Agrar­preisen, die in dicht besie­delten Indus­trie­ländern gezahlt werden. Dass beispiels­weise die EU deshalb einen offenen Weltmarkt für landwirt­schaft­liche Produkte fürchtet, zeigen die entspre­chend hohen Import­zölle und die geleis­teten Agrarsubventionen.

Indus­trie­länder werden hier kein gestei­gertes Interesse an einer weiteren Globa­li­sierung haben.

These 2: Indus­trie­ländern droht bei kapital- und techno­lo­gie­in­ten­siven Produkten der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit

Doch selbst im Bereich der kapital- und techno­lo­gie­in­ten­siven Produkte droht den Indus­trie­ländern der Verlust der inter­na­tio­nalen Wettbe­werbs­fä­higkeit. Hierfür gibt es im Wesent­lichen zwei Ursachen: das techno­lo­gische Aufholen von Schwel­len­ländern (vor allem in Asien) und die demogra­fische Entwicklung. Während die Alterung der Bevöl­kerung in den Indus­trie­ländern den dortigen Fachkräf­te­mangel verstärkt, wird die Zahl der Menschen im erwerbs­fä­higen Alter in den kommenden Jahren in vielen Schwellen- und Entwick­lungs­ländern weiter zunehmen.

Perspek­ti­visch ist es daher nicht unwahr­scheinlich, dass die Indus­trie­länder bei diesen Produkten mit einem wachsenden Protek­tio­nismus reagieren. So können etwa die aktuellen handels­be­schrän­kenden Maßnahmen der USA, die sich primär gegen China richten, als Versuch angesehen werden, die Neuver­teilung des globalen Wohlstands zu verhindern.

These 3: Zweiteilung der Weltmärkte nicht ausgeschlossen

Die Folge könnte eine Zweiteilung der Weltmärkte sein. Indus­trie­länder schotten sich dabei gegenüber Schwel­len­ländern ab, um ein Absinken der Löhne auf ein globales Durch­schnitts­niveau zu verhindern. Gleich­zeitig verhindert diese Abschottung ein Absinken der Unter­neh­mens­ein­kommen, das sich durch den stärkeren Wettbewerb mit auslän­di­schen Anbietern ergeben kann.

Die wirtschaft­liche Vernetzung der Indus­trie­länder unter­ein­ander kann dagegen weiter voran­ge­trieben werden, um die verblei­benden Vorteile der Arbeits­teilung zu nutzen. Ein Beispiel dafür ist das seit Anfang 2019 geltende Freihan­dels­ab­kommen zwischen der EU und Japan. Auch zwischen den Schwel­len­ländern sind derartige Abkommen denkbar.

Fazit und Ausblick

Eine stärkere ökono­mische Integration bedeutet eine wirtschaft­liche Konvergenz in dem Sinne, dass sich Löhne, Zinsen und damit auch Einkommen tenden­ziell angleichen. Vor dem Hinter­grund des wirtschaft­lichen Aufholens der Schwel­len­länder und des demogra­fi­schen Wandels bedeutet dies eine Neuver­teilung des globalen Wohlstands – zugunsten der Schwellen- und Entwick­lungs­länder und zulasten der entwi­ckelten Industrienationen.

Aus globaler Sicht ist dies positiv, weil das Brutto­in­lands­produkt (BIP) der Welt steigt. Aus regio­naler Sicht bedeutet dies aber, dass es auch Verlierer gibt – eine Entwicklung, die wir bereits auf natio­naler Ebene sehen.

Indus­trie­länder werden die wirtschaft­liche Globa­li­sierung daher nur voran­treiben, wenn sie die damit verknüpften Einkom­mens­ein­bußen kompen­sieren können. Als mögliches Instrument könnten sie Direkt­in­ves­ti­tionen in den Schwel­len­ländern einsetzen. So werden die Indus­trie­länder am wirtschaft­lichen Aufschwung der aufstre­benden Volks­wirt­schaften beteiligt, da sie auf diesem Weg Einkommen in Form von Zinsen, Dividenden und Gewinnen erhalten. Das kann Arbeits­plätze – und damit Lohnein­kommen – in den Schwel­len­ländern und gleich­zeitig die genannten Kapital­ein­kommen für Inves­toren aus den Indus­trie­ländern schaffen.

Eine stärkere inter­na­tionale Vernetzung über Kapital­ströme und Inves­ti­tionen hat zur Folge, dass Kapital­ein­kommen in den Indus­trie­ländern zunehmend an Bedeutung gewinnen. Damit stellt sich die Frage, wie die Bürger an diesen Einkommen beteiligt werden können. Denn diese Betei­ligung ist zwingend erfor­derlich, um den Menschen auch in Zeiten struk­tu­reller Umbrüche Sicherheit und die Chance auf gesell­schaft­liche Teilhabe bieten zu können.

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