Drei Thesen zur Neuverteilung des globalen Wohlstands
Werden die Industrienationen auch weiterhin auf die Öffnung von Arbeits- und Agrarmärkten setzen? Und werden sie ihren Vorsprung bei kapital- und technologieintensiven Produkten mit Protektionismus verteidigen? Drei Thesen zur Zukunft der Globalisierung.
Es besteht kein Zweifel: Die voranschreitende ökonomische Globalisierung hat dazu beigetragen, dass sich der materielle Wohlstand weltweit erhöht hat und die Armut gesunken ist. Damit verbessern sich auch die immateriellen Lebensbedingungen der Menschen, wie etwa Gesundheitszustand und Bildungsniveau. Doch nimmt die Kritik an der Globalisierung in den entwickelten Industrieländern gegenwärtig zu. Eine Ursache dafür ist die Befürchtung, zukünftig Wohlstandseinbußen hinnehmen zu müssen.
Ausgangspunkt der Überlegungen zur wachsenden Globalisierungskritik in vielen Industrieländern ist folgende Feststellung: Ein voranschreitendes Zusammenwachsen der Märkte durch Handel, Kapitalexporte, Migration und Technologietransfer führt dazu, dass sich mehr und mehr Weltmärkte bilden. Auf einem globalen Markt gibt es – zumindest in einem theoretischen Idealmodell – nur einen Weltmarktpreis.
Bestes Beispiel dafür sind gegenwärtig die Finanzmärkte: Für Aktien, Devisen und Wertpapiere wird zu jedem Zeitpunkt ein weltweit mehr oder weniger identischer Preis bezahlt. Der Abbau von Kapitalverkehrskontrollen und geringe Transaktionskosten bewirken, dass Preisunterschiede zu sogenannten Arbitragegeschäften führen. Bei ihnen werden Produkte dort gekauft, wo sie einen geringen Preis haben, und umgehend mit Gewinn in einem Marktsegment mit einem höheren Preis verkauft. Die Folge: Regionale Preisunterschiede werden in kürzester Zeit beseitigt.
Eine Lohnangleichung bedeutet eine Neuverteilung des globalen Wohlstands
Spielen wir dieses Prinzip in einem Gedankenexperiment weiter, in dem es keine Transportkosten, Transaktionskosten und Präferenzunterschiede gibt: Wenn sich sämtliche Märkte unter diesen Annahmen zu Weltmärkten entwickeln, bildet sich für alle Güter, Dienstleistungen und selbst für Produktionsfaktoren ein globaler Durchschnittspreis. Für einen weltweiten Arbeitsmarkt bedeutet dies: Es entsteht ein globaler Durchschnittslohn, der zwischen dem hohen Lohnniveau entwickelter Länder wie den USA, Deutschland und Japan sowie den Niedriglöhnen in weiten Teilen Asiens und erst recht Afrikas liegt. Und da das Arbeitseinkommen die wichtigste Einkommensquelle für die Mehrheit der Menschen ist, bedeutet diese Lohnangleichung (selbst wenn sie nur tendenziell ist) gleichzeitig eine erhebliche Neuverteilung des globalen Wohlstands.
Werfen wir einen Blick auf den bisher erreichten Entwicklungsstand in puncto Weltmärkte. Dieser zeigt uns: Die stärkste Marktöffnung haben wir bei den Finanzmärkten und bei industriell produzierten Gütern. Kein Wunder, denn dies sind genau die Bereiche, bei denen die entwickelten Industrieländer bisher ein hohes Interesse an einer Marktöffnung haben. Schließlich zeichnet sich die weltweite Ausstattung mit den Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital, Boden und Technologie dadurch aus, dass Industrieländer erstens über viel Kapital verfügen, das renditeträchtige Anlageorte sucht, und zweitens einen internationalen Wettbewerbsvorteil bei kapital- und technologieintensiven Produkten haben. Bei Agrarprodukten, deren Erzeugung viel Land benötigt, ist die wirtschaftliche Abschottung der Industrieländer hingegen relativ hoch.
Zu der Frage, wie sich die ökonomische Globalisierung – auf Basis der vorangehenden Überlegungen – zukünftig entwickeln wird, möchte ich drei Thesen formulieren.
These 1: Industrieländer haben Vorteile des Weltmarkts weitgehend genutzt
Mit dem bisher erreichten Stand der Weltmarktöffnungen haben die Industrieländer die Vorteile der globalen Märkte bereits weitgehend genutzt. Weitere Marktöffnungen sind nun eher für Schwellen- und Entwicklungsländer interessant. Dies gilt für die Agrarmärkte und noch mehr für die Arbeitsmärkte:
- Bei einem globalen Arbeitsmarkt nähern sich alle Löhne, wie beschrieben, tendenziell einem globalen Durchschnittslohn, der unter dem Niveau der Industrienationen liegt.
- Gleiches gilt für einen Weltagrarmarkt: Der globale Durchschnittspreis für landwirtschaftliche Produkte, deren Herstellung viel Boden benötigt, liegt unter den Agrarpreisen, die in dicht besiedelten Industrieländern gezahlt werden. Dass beispielsweise die EU deshalb einen offenen Weltmarkt für landwirtschaftliche Produkte fürchtet, zeigen die entsprechend hohen Importzölle und die geleisteten Agrarsubventionen.
Industrieländer werden hier kein gesteigertes Interesse an einer weiteren Globalisierung haben.
These 2: Industrieländern droht bei kapital- und technologieintensiven Produkten der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit
Doch selbst im Bereich der kapital- und technologieintensiven Produkte droht den Industrieländern der Verlust der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Hierfür gibt es im Wesentlichen zwei Ursachen: das technologische Aufholen von Schwellenländern (vor allem in Asien) und die demografische Entwicklung. Während die Alterung der Bevölkerung in den Industrieländern den dortigen Fachkräftemangel verstärkt, wird die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter in den kommenden Jahren in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern weiter zunehmen.
Perspektivisch ist es daher nicht unwahrscheinlich, dass die Industrieländer bei diesen Produkten mit einem wachsenden Protektionismus reagieren. So können etwa die aktuellen handelsbeschränkenden Maßnahmen der USA, die sich primär gegen China richten, als Versuch angesehen werden, die Neuverteilung des globalen Wohlstands zu verhindern.
These 3: Zweiteilung der Weltmärkte nicht ausgeschlossen
Die Folge könnte eine Zweiteilung der Weltmärkte sein. Industrieländer schotten sich dabei gegenüber Schwellenländern ab, um ein Absinken der Löhne auf ein globales Durchschnittsniveau zu verhindern. Gleichzeitig verhindert diese Abschottung ein Absinken der Unternehmenseinkommen, das sich durch den stärkeren Wettbewerb mit ausländischen Anbietern ergeben kann.
Die wirtschaftliche Vernetzung der Industrieländer untereinander kann dagegen weiter vorangetrieben werden, um die verbleibenden Vorteile der Arbeitsteilung zu nutzen. Ein Beispiel dafür ist das seit Anfang 2019 geltende Freihandelsabkommen zwischen der EU und Japan. Auch zwischen den Schwellenländern sind derartige Abkommen denkbar.
Fazit und Ausblick
Eine stärkere ökonomische Integration bedeutet eine wirtschaftliche Konvergenz in dem Sinne, dass sich Löhne, Zinsen und damit auch Einkommen tendenziell angleichen. Vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Aufholens der Schwellenländer und des demografischen Wandels bedeutet dies eine Neuverteilung des globalen Wohlstands – zugunsten der Schwellen- und Entwicklungsländer und zulasten der entwickelten Industrienationen.
Aus globaler Sicht ist dies positiv, weil das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Welt steigt. Aus regionaler Sicht bedeutet dies aber, dass es auch Verlierer gibt – eine Entwicklung, die wir bereits auf nationaler Ebene sehen.
Industrieländer werden die wirtschaftliche Globalisierung daher nur vorantreiben, wenn sie die damit verknüpften Einkommenseinbußen kompensieren können. Als mögliches Instrument könnten sie Direktinvestitionen in den Schwellenländern einsetzen. So werden die Industrieländer am wirtschaftlichen Aufschwung der aufstrebenden Volkswirtschaften beteiligt, da sie auf diesem Weg Einkommen in Form von Zinsen, Dividenden und Gewinnen erhalten. Das kann Arbeitsplätze – und damit Lohneinkommen – in den Schwellenländern und gleichzeitig die genannten Kapitaleinkommen für Investoren aus den Industrieländern schaffen.
Eine stärkere internationale Vernetzung über Kapitalströme und Investitionen hat zur Folge, dass Kapitaleinkommen in den Industrieländern zunehmend an Bedeutung gewinnen. Damit stellt sich die Frage, wie die Bürger an diesen Einkommen beteiligt werden können. Denn diese Beteiligung ist zwingend erforderlich, um den Menschen auch in Zeiten struktureller Umbrüche Sicherheit und die Chance auf gesellschaftliche Teilhabe bieten zu können.
Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unterstützen damit die publizistische Arbeit von LibMod.
Wir sind als gemeinnützig anerkannt, entsprechend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spendenbescheinigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adressdaten bitte an finanzen@libmod.de
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regelmäßig Neuigkeiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.