Drei Thesen zur Neuver­tei­lung des globalen Wohlstands

© Shut­ter­stock

Werden die Indus­trienationen auch weiterhin auf die Öff­nun­g von Arbeits- und Agrar­märkten setzen? Und werden sie ihren Vorsprung bei kapital- und tech­no­lo­gie­in­ten­si­ven Pro­duk­ten mit Protek­tio­nismus vertei­digen? Drei Thesen zur Zukunft der Globalisierung.

Es besteht kein Zweifel: Die voran­schrei­tende ökono­mi­sche Globa­li­sie­rung hat dazu beigetragen, dass sich der mate­ri­elle Wohlstand weltweit erhöht hat und die Armut gesunken ist. Damit verbes­sern sich auch die imma­te­ri­ellen Lebens­be­din­gungen der Menschen, wie etwa Gesund­heits­zu­stand und Bildungs­ni­veau. Doch nimmt die Kritik an der Globa­li­sie­rung in den entwi­ckelten Indus­trie­län­dern gegen­wärtig zu. Eine Ursache dafür ist die Befürch­tung, zukünftig Wohl­stands­ein­bußen hinnehmen zu müssen. 

Portrait von Albrecht Sonntag

Thieß Petersen ist Senior Advisor der Bertels­mann Stiftung und Lehr­be­auf­tragter an der Europa-Univer­sität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Ausgangs­punkt der Über­le­gungen zur wach­senden Globa­li­sie­rungs­kritik in vielen Indus­trie­län­dern ist folgende Fest­stel­lung: Ein voran­schrei­tendes Zusam­men­wachsen der Märkte durch Handel, Kapi­tal­ex­porte, Migration und Tech­no­lo­gie­transfer führt dazu, dass sich mehr und mehr Welt­märkte bilden. Auf einem globalen Markt gibt es – zumindest in einem theo­re­ti­schen Ideal­mo­dell – nur einen Weltmarktpreis.

Bestes Beispiel dafür sind gegen­wärtig die Finanz­märkte: Für Aktien, Devisen und Wert­pa­piere wird zu jedem Zeitpunkt ein weltweit mehr oder weniger iden­ti­scher Preis bezahlt. Der Abbau von Kapi­tal­ver­kehrs­kon­trollen und geringe Trans­ak­ti­ons­kosten bewirken, dass Preis­un­ter­schiede zu soge­nannten Arbi­tra­ge­ge­schäften führen. Bei ihnen werden Produkte dort gekauft, wo sie einen geringen Preis haben, und umgehend mit Gewinn in einem Markt­seg­ment mit einem höheren Preis verkauft. Die Folge: Regionale Preis­un­ter­schiede werden in kürzester Zeit beseitigt.

Eine Lohn­an­glei­chung bedeutet eine Neuver­tei­lung des globalen Wohlstands

Spielen wir dieses Prinzip in einem Gedan­ken­ex­pe­ri­ment weiter, in dem es keine Trans­port­kosten, Trans­ak­ti­ons­kosten und Präfe­renz­un­ter­schiede gibt: Wenn sich sämtliche Märkte unter diesen Annahmen zu Welt­märkten entwi­ckeln, bildet sich für alle Güter, Dienst­leis­tungen und selbst für Produk­ti­ons­fak­toren ein globaler Durch­schnitts­preis. Für einen welt­weiten Arbeits­markt bedeutet dies: Es entsteht ein globaler Durch­schnitts­lohn, der zwischen dem hohen Lohn­ni­veau entwi­ckelter Länder wie den USA, Deutsch­land und Japan sowie den Nied­rig­löhnen in weiten Teilen Asiens und erst recht Afrikas liegt. Und da das Arbeits­ein­kommen die wich­tigste Einkom­mens­quelle für die Mehrheit der Menschen ist, bedeutet diese Lohn­an­glei­chung (selbst wenn sie nur tenden­ziell ist) gleich­zeitig eine erheb­liche Neuver­tei­lung des globalen Wohlstands.

Werfen wir einen Blick auf den bisher erreichten Entwick­lungs­stand in puncto Welt­märkte. Dieser zeigt uns: Die stärkste Markt­öff­nung haben wir bei den Finanz­märkten und bei indus­triell produ­zierten Gütern. Kein Wunder, denn dies sind genau die Bereiche, bei denen die entwi­ckelten Indus­trie­länder bisher ein hohes Interesse an einer Markt­öff­nung haben. Schließ­lich zeichnet sich die weltweite Ausstat­tung mit den Produk­ti­ons­fak­toren Arbeit, Kapital, Boden und Tech­no­logie dadurch aus, dass Indus­trie­länder erstens über viel Kapital verfügen, das rendi­te­träch­tige Anla­ge­orte sucht, und zweitens einen inter­na­tio­nalen Wett­be­werbs­vor­teil bei kapital- und tech­no­lo­gie­in­ten­siven Produkten haben. Bei Agrar­pro­dukten, deren Erzeugung viel Land benötigt, ist die wirt­schaft­liche Abschot­tung der Indus­trie­länder hingegen relativ hoch.

Zu der Frage, wie sich die ökono­mi­sche Globa­li­sie­rung – auf Basis der voran­ge­henden Über­le­gungen – zukünftig entwi­ckeln wird, möchte ich drei Thesen formulieren.

These 1: Indus­trie­länder haben Vorteile des Welt­markts weit­ge­hend genutzt

Mit dem bisher erreichten Stand der Welt­markt­öff­nungen haben die Indus­trie­länder die Vorteile der globalen Märkte bereits weit­ge­hend genutzt. Weitere Markt­öff­nungen sind nun eher für Schwellen- und Entwick­lungs­länder inter­es­sant. Dies gilt für die Agrar­märkte und noch mehr für die Arbeitsmärkte:

  • Bei einem globalen Arbeits­markt nähern sich alle Löhne, wie beschrieben, tenden­ziell einem globalen Durch­schnitts­lohn, der unter dem Niveau der Indus­trie­na­tionen liegt.
  • Gleiches gilt für einen Welt­agrar­markt: Der globale Durch­schnitts­preis für land­wirt­schaft­liche Produkte, deren Herstel­lung viel Boden benötigt, liegt unter den Agrar­preisen, die in dicht besie­delten Indus­trie­län­dern gezahlt werden. Dass beispiels­weise die EU deshalb einen offenen Weltmarkt für land­wirt­schaft­liche Produkte fürchtet, zeigen die entspre­chend hohen Import­zölle und die geleis­teten Agrarsubventionen.

Indus­trie­länder werden hier kein gestei­gertes Interesse an einer weiteren Globa­li­sie­rung haben.

These 2: Indus­trie­län­dern droht bei kapital- und tech­no­lo­gie­in­ten­siven Produkten der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit

Doch selbst im Bereich der kapital- und tech­no­lo­gie­in­ten­siven Produkte droht den Indus­trie­län­dern der Verlust der inter­na­tio­nalen Wett­be­werbs­fä­hig­keit. Hierfür gibt es im Wesent­li­chen zwei Ursachen: das tech­no­lo­gi­sche Aufholen von Schwel­len­län­dern (vor allem in Asien) und die demo­gra­fi­sche Entwick­lung. Während die Alterung der Bevöl­ke­rung in den Indus­trie­län­dern den dortigen Fach­kräf­te­mangel verstärkt, wird die Zahl der Menschen im erwerbs­fä­higen Alter in den kommenden Jahren in vielen Schwellen- und Entwick­lungs­län­dern weiter zunehmen.

Perspek­ti­visch ist es daher nicht unwahr­schein­lich, dass die Indus­trie­länder bei diesen Produkten mit einem wach­senden Protek­tio­nismus reagieren. So können etwa die aktuellen handels­be­schrän­kenden Maßnahmen der USA, die sich primär gegen China richten, als Versuch angesehen werden, die Neuver­tei­lung des globalen Wohl­stands zu verhindern.

These 3: Zwei­tei­lung der Welt­märkte nicht ausgeschlossen

Die Folge könnte eine Zwei­tei­lung der Welt­märkte sein. Indus­trie­länder schotten sich dabei gegenüber Schwel­len­län­dern ab, um ein Absinken der Löhne auf ein globales Durch­schnitts­ni­veau zu verhin­dern. Gleich­zeitig verhin­dert diese Abschot­tung ein Absinken der Unter­neh­mens­ein­kommen, das sich durch den stärkeren Wett­be­werb mit auslän­di­schen Anbietern ergeben kann.

Die wirt­schaft­liche Vernet­zung der Indus­trie­länder unter­ein­ander kann dagegen weiter voran­ge­trieben werden, um die verblei­benden Vorteile der Arbeits­tei­lung zu nutzen. Ein Beispiel dafür ist das seit Anfang 2019 geltende Frei­han­dels­ab­kommen zwischen der EU und Japan. Auch zwischen den Schwel­len­län­dern sind derartige Abkommen denkbar.

Fazit und Ausblick

Eine stärkere ökono­mi­sche Inte­gra­tion bedeutet eine wirt­schaft­liche Konver­genz in dem Sinne, dass sich Löhne, Zinsen und damit auch Einkommen tenden­ziell anglei­chen. Vor dem Hinter­grund des wirt­schaft­li­chen Aufholens der Schwel­len­länder und des demo­gra­fi­schen Wandels bedeutet dies eine Neuver­tei­lung des globalen Wohl­stands – zugunsten der Schwellen- und Entwick­lungs­länder und zulasten der entwi­ckelten Industrienationen.

Aus globaler Sicht ist dies positiv, weil das Brut­to­in­lands­pro­dukt (BIP) der Welt steigt. Aus regio­naler Sicht bedeutet dies aber, dass es auch Verlierer gibt – eine Entwick­lung, die wir bereits auf natio­naler Ebene sehen.

Indus­trie­länder werden die wirt­schaft­liche Globa­li­sie­rung daher nur voran­treiben, wenn sie die damit verknüpften Einkom­mens­ein­bußen kompen­sieren können. Als mögliches Instru­ment könnten sie Direkt­in­ves­ti­tionen in den Schwel­len­län­dern einsetzen. So werden die Indus­trie­länder am wirt­schaft­li­chen Aufschwung der aufstre­benden Volks­wirt­schaften beteiligt, da sie auf diesem Weg Einkommen in Form von Zinsen, Divi­denden und Gewinnen erhalten. Das kann Arbeits­plätze – und damit Lohn­ein­kommen – in den Schwel­len­län­dern und gleich­zeitig die genannten Kapi­tal­ein­kommen für Inves­toren aus den Indus­trie­län­dern schaffen.

Eine stärkere inter­na­tio­nale Vernet­zung über Kapi­tal­ströme und Inves­ti­tionen hat zur Folge, dass Kapi­tal­ein­kommen in den Indus­trie­län­dern zunehmend an Bedeutung gewinnen. Damit stellt sich die Frage, wie die Bürger an diesen Einkommen beteiligt werden können. Denn diese Betei­li­gung ist zwingend erfor­der­lich, um den Menschen auch in Zeiten struk­tu­reller Umbrüche Sicher­heit und die Chance auf gesell­schaft­liche Teilhabe bieten zu können.

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