Unsere wichtigste Ressource heißt Kreativität
Der Klimawandel zwingt zur ökologischen Transformation des Kapitalismus. Die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft und Gesellschaft ist ein enormer Kraftakt und zugleich eine große Chance für kreative Kräfte in Wirtschaft und Gesellschaft. Sie erfordert ein gewaltiges Innovations- und Investitionsprogramm. Die Politik muss den richtigen Rahmen setzen.
Machen wir uns nichts vor: Der Klimawandel hat das Zeug zur Mutter aller Krisen. Er schlägt auf die Lebensbedingungen von Milliarden Menschen ebenso durch wie auf Landwirtschaft und Industrie. Gerät er außer Kontrolle, rollen schwere Umweltkrisen, wirtschaftliche Konflikte und soziale Verwerfungen auf uns zu. Sie könnten die Welt zu einem gefährlichen Ort machen.
Dabei ist der Konflikt zwischen Konsum und Nachhaltigkeit, zwischen Ökonomie und Ökologie kein Naturgesetz. Nicht die Größe des Sozialprodukts ist entscheidend, sondern die Art und Weise, in der wir Energie erzeugen, Industriegüter produzieren, Landwirtschaft betreiben, Städte bauen und den Verkehr organisieren.
Die globale Wirtschaftsleistung wird sich in den kommenden 20 Jahren noch einmal verdoppeln, angetrieben von einer wachsenden Weltbevölkerung, dem Aufbruch der Entwicklungsländer in die industrielle Moderne und rapiden technischen Innovationen. Maßhalteappelle werden daran nichts ändern. Wir sollten auch nicht vergessen, dass wirtschaftliches Wachstum in den ärmeren Ländern Hand in Hand geht mit sinkender Kindersterblichkeit, längerer Lebenserwartung, besserer Bildung und steigenden Einkommen.
Gleichzeitig ist dieses Wachstum alarmierend. Eine Verdoppelung des Ressourcenverbrauchs und der Emissionen würde auf einen ökologischen Super-Gau hinauslaufen. Das alte, ressourcenfressende Wachstumsmodell ist nicht zu steigern. Ein „Weiter so“ würde in ein globales Desaster münden. Die Antwort auf dieses Dilemma lautet: Wir müssen mehr Wohlstand bei sinkender Umweltbelastung erreichen.
Das erfordert nichts weniger als eine grüne industrielle Revolution: Eine weitgehende Dekarbonisierung der Ökonomie, ein Abschied von Kohle, Öl und Gas und der Übergang zu erneuerbaren Energien; die sprunghafte Steigerung der Ressourceneffizienz und ein Kreislaufsystem für sämtliche Werkstoffe und Materialien. Künftig dürfen nur noch Stoffe eingesetzt werden, die vollständig in den biologischen oder industriellen Kreislauf zurückgeführt werden können.
Die „Grenzen des Wachstums“ lassen sich nicht in Euro und Dollar messen. Sie ergeben sich aus den Belastungsgrenzen der lebenserhaltenden Ökosysteme: Klima, Böden, Meere, Artenvielfalt. Daraus resultieren aber keine fixen Grenzen für Produktion und Konsum. Unsere allerwichtigste Ressource, um ökologische Knappheitskrisen zu überwinden, ist unsere Kreativität. Es war der menschliche Erfindungsreichtum, der ein phänomenales Wachstum der Menschenzahl und des Lebensstandards ermöglichte. Jetzt müssen wir diese schöpferischen Ressourcen einsetzen, um wirtschaftliche Wertschöpfung vom Naturverbrauch zu entkoppeln.
Die ökologische Transformation des Kapitalismus ist ein gewaltiges Innovations- und Investitionsprogramm. Der Wettlauf mit der Klimakrise erfordert eine Beschleunigung des strukturellen Wandels. Das impliziert steigende Investitionen und ein höheres Innovationstempo – also das Gegenteil einer Postwachstums-Strategie und eines Verharrens im Alten. Europa hat das Potential, zum Vorreiter dieser grünen industriellen Revolution zu werden: erstklassige Forschungseinrichtungen, innovative Unternehmen, ein vergleichsweise hohes Umweltbewusstsein und eine aktive Zivilgesellschaft.
Ökologische Innovation hat eine technische und eine kulturelle Dimension. Beide bedingen einander. Unsere Vorstellungen vom guten Leben ändern sich. Freie Zeit, Kultur und reiche soziale Beziehungen werden wichtiger als mehr Konsum. Allerdings markieren die Lebensstil-Trends im akademischen Milieu – Mobilität ohne privates Auto, vegetarische Küche, Fair Trade, Reduktion überflüssiger Dinge, verfügbare Zeit als neuer Luxus, Work-Life-Balance – keine Kultur des Verzichts, sondern einen reflektierten Hedonismus. Er zielt darauf ab, konkurrierende Werte unter einen Hut zu bringen: Genuss und Gewissen, berufliche Ambition und soziale Bindung, Konsum und Nachhaltigkeit. Die Alternative zum „weiter so“ lautet „anders und besser.“
Wer sie sehen will, entdeckt die Zeichen der ökologischen Transformation auch in der Wirtschaft. Immer mehr Unternehmen bilanzieren nicht nur ihre Geldströme, sondern auch ihren ökologischen Fußabdruck. CO-2-intensive Verfahren und Produkte gelten in der Finanzwelt als Risiko. Ressourceneffizienz und Recycling gehören zum Standard moderner Betriebsführung.
Wird also alles gut? Vielleicht – aber sicher nicht von selbst. Um mehr Nachhaltigkeit in die Marktwirtschaft zu bringen, braucht es einen politisch-rechtlichen Ordnungsrahmen: Verteuerung des Ressourcenverbrauchs, CO2-Handel, Effizienzstandards für Gebäude und Geräte, transparente Produktinformationen, Rücknahme ausrangierter Geräte, eine langfristig angelegte ökologische Forschungs- und Technologiepolitik sind unabdingbar. Ein „Grüner Ordoliberalismus“ hat die Aufgabe, den Ordnungsrahmen vorzugeben, in dem sich Unternehmen und Konsumenten frei betätigen können.
Die Bundesrepublik galt lange Jahre als Vorreiter in Sachen Umweltschutz und grüne Innovation. Das geht auf eine umfassende Umweltgesetzgebung, innovative Unternehmen und ein hohes Umweltbewusstsein der Bevölkerung zurück. Die Verbesserung der Umweltqualität ist zugleich eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Sie machte die deutschen Unternehmen zu Exportweltmeistern in Sachen Umwelttechnik. Wir sind allerdings dabei, diesen Vorsprung zu verspielen. Von Seiten der bisherigen Bundesregierung gab es in den letzten Jahren kaum noch Impulse. Die Energiewende wurde abgebremst, im Verkehr und bei der Gebäudesanierung hängen wir hinterher. Es wird Zeit für einen neuen Aufbruch. Wir verpassen sonst nicht nur unsere Klimaziele, sondern den Wettlauf um die Innovationen von morgen.
Die Herausforderungen des Klimawandels sind allein mit nachsorgenden Technologien nicht zu bewältigen. Eine Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen um 90 Prozent bis zur Mitte des Jahrhunderts verlangt eine radikale Veränderung von Produkten und Produktionsprozessen. Dabei stehen die verschiedenen Branchen unserer Wirtschaft vor je spezifischen Herausforderungen. Für die Landwirtschaft liegt der Schlüssel in einer De-Intensivierung der Tierproduktion; für die Chemieindustrie in der Substitution von Öl durch nachwachsende Rohstoffe; für die Autoindustrie im raschen Übergang zu vernetzter Elektromobilität; für die Luftfahrt in der Entwicklung neuer Werkstoffe, Antriebssysteme und Treibstoffe; für die Stahlbranche im Wechsel von der Hochofentechnik zu CO2-neutralen Produktionsverfahren; für die Energiewirtschaft in der Kopplung des Stromsektors mit dem Wärme- und Verkehrsbereich sowie in der flexiblen Steuerung eines dezentralen, fluktuierenden Energiesystems.
Das sind gewaltige Veränderungen. Sie müssen gegen die Macht der Gewohnheit und den Widerstand der fossilen Wirtschaft durchgesetzt werden. Es gibt allerdings keinen archimedischen Hebel für diese große Transformation. Sie braucht Wissenschaft und Forschung, innovative Unternehmen, eine wache Zivilgesellschaft und einen verlässlichen politischen Ordnungsrahmen auf nationaler wie internationaler Ebene. Dann schaffen wir das.
Dieser Text ist zuerst auf www.boell.de erschienen.
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