Achse Berlin-Moskau: Der Teufelspakt

Wikimedia

Eine „neue Entspan­nungs­po­litik“ mit Russland muss die Sorgen der Mittel­ost­eu­ropäer ernst nehmen. Sie haben mehrfach erleben müssen, wie die Achse Berlin-Moskau sich zu ihren Lasten einigte. Wolfgang Templin erinnert an den Hitler-Stalin-Pakt, der heute vor 79 Jahren unter­zeichnet wurde. 

In der Nacht vom 23. auf den 24. August 1939 wurde in Moskau von Vertretern Hitler­deutsch­lands und der Sowjet­union  ein Vertrag unter­zeichnet, der den Weg für den gemein­samen Überfall auf Polen ebnete. Der offiziell als Nicht­an­griffspakt dekla­rierte Vertrag enthielt ein geheimes Zusatz­pro­tokoll, in dem die Festlegung von Inter­es­sens­sphären und die bevor­ste­hende Aufteilung Polens fixiert wurden. Ohne diese Rücken­de­ckung hätte Hitler den Überfall auf Polen nicht riskiert.

Der zweite Weltkrieg brach am 1.September 1939 aus. Der  nach seinen Unter­zeichnern, den Außen­mi­nistern beider Seiten benannte Ribben­tropp- Molotow Pakt, ging auch als Hitler-Stalin Pakt in die Geschichte ein. Bis heute wird seine Vorge­schichte und Bedeutung in Deutschland, im westlichen Teil Europas und in  seinem östlichen Teil in sehr verschie­dener Weise gesehen.

Menschen aus Ländern wie Polen, den balti­schen Staaten und der Ukraine sehen diesen 23. August seit Jahrzehnten als Kulmi­na­ti­ons­punkt der Verbindung des deutschen natio­nal­so­zia­lis­ti­schen und des sowjet­kom­mu­nis­ti­schen Terrorsystems.

Auf Befreiung folgte Unterdrückung

Der Überfall auf Polen durch Hitler­deutschland und die Sowjet­union im September 1939 und das darauf folgende militä­rische und politische Zusam­men­wirken beider Seiten löschten die staat­liche Souve­rä­nität Polens und der balti­schen Staaten aus. Terror, Unter­drü­ckung und hundert­tau­send­fache Depor­ta­tionen diktierten die Situation in diesen Ländern.

Der militä­rische Sieg der sowje­ti­schen Truppen über die deutsche Wehrmacht und die Kapitu­lation Hitler­deutsch­lands war eine Befreiung, der erneut Unter­drü­ckung und Unfreiheit folgten. Neben dem 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung, bleibt der 23. August 1939, der den Klammer­griff der Totali­ta­rismen vertraglich besie­gelte im histo­ri­schen Bewusstsein mittel­ost­eu­ro­päi­scher Nationen bis heute lebendig. 

Portrait von Wolfgang Templin

Wolfgang Templin ist Publizist und war Bürger­rechtler in der DDR

Solange Mittel­ost­europa Teil des Ostblocks war,  bezogen sich Revolten, Aufstände, Dissidenz und Opposition  sich immer wieder auf das Trauma des Hitler-Stalin-Pakts,  ebenso die  politische Massen­be­wegung der Solidarność. Die sechs­hundert Kilometer lange Menschen­kette, welche am 23. August 1989 die drei balti­schen Staaten verband, symbo­li­sierte den ungebro­chenen Freiheits­willen unter­drückter Nationen.

Nach 1989 rissen die Bemühungen und Initia­tiven von Menschen aus diesen Ländern nicht ab, den 23.August als Erinne­rungs­datum an ihre jüngste, dunkelste Vergan­genheit festzuhalten.

Die Jahre und Jahrzehnte nach 1989 gingen in das Bewusstsein zahlreicher Westeu­ropäer als die Ostaus­dehnung der Europäi­schen Union ein, während es sich tatsächlich um eine Neukon­sti­tution Europas handelte. Eine Neukon­sti­tution, welche auch einen neuen Horizont der Erinnerung verlangte.

Mit Verzö­gerung erreichte die Frage nach dem Stellenwert des 23. August den Europarat und die Organi­sation für Sicherheit und Zusam­men­arbeit in Europa (OSZE).

Streit um Bedeutung der Geschichte

Im Jahre 2008 kam es zu der Forderung des Europäi­schen Parla­mentes, den 23. August zum europa­weiten Gedenktag an die Opfer totali­tärer und autori­tärer Regime zu erklären. Ein Jahr später folgte eine Entschließung.

Im gleichen Jahr kam es, 70 Jahre nach Unter­zeichnung des Hitler-Stalin Paktes, im August 2009 zu einer Erklärung zivil­ge­sell­schaft­licher Akteure, Intel­lek­tu­eller und Politiker- “das Jahr 1989 feiern heißt auch, sich an 1939 erinnern“.

Darin wird ausge­führt: „Ein freies und demokra­ti­sches Europa muss sich seiner Geschichte bewusst sein. Es braucht die Erinnerung an die kommu­nis­tische Ära und ihre Überwindung. Europa braucht eine aktive, verant­wor­tungs­be­wusste Erinne­rungs­kultur, die die nachwach­sende Generation für die Gefahren neu aufkom­mender autori­tärer und dikta­to­ri­scher Entwick­lungen sensibilisiert.“

Die Unter­zeichner drückten einen breiten intel­lek­tu­ellen und partei­po­li­ti­schen Konsens aus. Dennoch gab es zahlreiche Stimmen der Warnung und des Protestes gegen diese Position und ihre Konsequenzen.

Die Proteste richteten sich vor allem gegen die Verwendung des Totali­ta­rismus-Begriffes zur Kennzeichnung zweier vermeintlich grund­ver­schie­dener Systeme. Es hieß, das  die Singu­la­rität des Holocausts und der damit verbun­denen natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Verbre­chenslast in Frage gestellt werde. Die Sowjet­union sei  Opfer des deutschen Überfalls und Vernich­tungs­willens gewesen und in ihrem helden­haften Wider­stand zum legitimen Verbün­deten der Westal­li­ierten geworden.

Weiter­ge­hende Kritiken stellten den verbre­che­ri­schen Charakter des Hitler-Stalin Paktes in Frage und sprachen von einer notwen­digen Vertei­di­gungs­maß­nahme Stalins. Der sowje­tische Führer habe in den Jahren zuvor, immer wieder für Bündnisse gegen Hitler geworben, die am Zögern des Westens und vor allem am Wider­stand Polens gescheitert seien. Nach dieser Lesart hatte sich Polen sein Schicksal selber zuzuschreiben.

Deutsch-sowje­tische Verstrickungen

Histo­risch sensible Intel­lek­tuelle hatten sich bereits Jahrzehnte früher einer anderen Wahrheit gestellt. Der Schrift­steller und Publizist Sebastian Haffner, einer der scharf­sin­nigsten Beobachter des aufkom­menden Natio­nal­so­zia­lismus und der Jahrzehnte zwischen dem ersten und dem zweiten Weltkrieg, sprach  von einem Teufelspakt. Damit meinte er nicht nur den Vertrag von 1939, sondern die Gesamtheit der Deutsch-Sowje­ti­schen Verstri­ckungen und Koope­ra­tionen in den Jahrzehnten davor.

Die politische und militä­rische Führung des kaiser­lichen Deutsch­lands hatte im Jahre 1917 Lenin und den Bolschewiki an die Macht verholfen. Verant­wort­liche Kreise der jungen Weimarer Republik, von der Reichs­wehr­führung, bis zu Exponenten des bürger­lichen und rechts­kon­ser­va­tiven Lagers wollten die Schmach der Kriegs­nie­derlage tilgen und Deutschland wieder zur Weltmacht­geltung verhelfen Sie taten sich in offener und geheimer politi­scher, ökono­mi­scher und militä­ri­scher Zusam­men­arbeit mit dem zweiten „Verlierer von Versailles“, der Sowjet­union zusammen. Diese Koope­ration überdauerte die Macht­er­greifung Hitlers, sah Polen und die nach dem ersten Weltkrieg entstan­denen mittel­ost­eu­ro­päi­schen Staaten als Stören­friede an, welche von der Landkarte zu tilgen waren. Autoren wie Gerd Koenen, zeichnen Etappen und Stationen dieser unheil­vollen Kumpanei minutiös nach und warnen vor dem Fortleben der Wünsche nach einer deutsch-russi­schen Sonder­be­ziehung.  Die Geschichte wiederholt sich nicht, histo­rische Analogien, ob sie das Ende von Weimar, den Zerfall insta­biler  Demokratien und totalitäre Bedro­hungen betreffen, werden der modernen Realität nur bedingt gerecht. Zu dieser Realität gehört die Existenz der Europäi­schen Union, die als Europäische Gemein­schaft mit der Attrak­ti­vität von Freiheit, Demokratie, Wohlstand und sozialem Ausgleich entschei­denden Anteil daran hatte, dass die Epochen­wende von 1989 zustande kam.

Heute wieder: ein imperiales Russland

Die Europäische Union ist heute mit einer anderen Gefahr und Heraus­for­derung konfron­tiert. Wladimir Putin als Verkör­perung eines neoim­pe­rialen Russland, versucht eine Inter­na­tionale europäi­scher und außer­eu­ro­päi­scher Autokraten und Dikta­toren zu schmieden. Er versucht die in seinen Augen dekadente und zum Wider­stand unfähige Europäische Union zu spalten, zu schwächen und ihr die Regeln seiner Politik aufzu­zwingen. Er will die europäische Landkarte neu vermessen und Einfluss­sphären abstecken.  Terri­to­riale Expansion und ein unerklärter Angriffs­krieg gegen den Nachbarn Ukraine sollen als Norma­lität akzep­tiert werden.

Die zivilen, ökono­mi­schen, diplo­ma­ti­schen und politi­schen Akteure der Europäi­schen Gemein­schaft können durch Feigheit, Egoismus,  falsche Nachgie­bigkeit und voraus­ei­lende  Kapitu­lation  den Zerfall Europas verschulden.  Sie können aber auch die Kraft und Entschlos­senheit finden, den  Manövern und  Erpres­sungen von Autokraten und Dikta­toren zu wider­stehen. Sie können zivile und politische Kräfte, die die Stärke der liberalen Demokratie ausmachen, mobili­sieren und auf den Spiel­regeln des demokra­ti­schen  Europas beharren.

Textende

Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unter­stützen damit die publi­zis­tische Arbeit von LibMod.

Wir sind als gemein­nützig anerkannt, entspre­chend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spenden­be­schei­nigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­daten bitte an finanzen@libmod.de

 

Verwandte Themen

Newsletter bestellen

Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.