Achse Berlin-Moskau: Der Teufelspakt
Eine „neue Entspannungspolitik“ mit Russland muss die Sorgen der Mittelosteuropäer ernst nehmen. Sie haben mehrfach erleben müssen, wie die Achse Berlin-Moskau sich zu ihren Lasten einigte. Wolfgang Templin erinnert an den Hitler-Stalin-Pakt, der heute vor 79 Jahren unterzeichnet wurde.
In der Nacht vom 23. auf den 24. August 1939 wurde in Moskau von Vertretern Hitlerdeutschlands und der Sowjetunion ein Vertrag unterzeichnet, der den Weg für den gemeinsamen Überfall auf Polen ebnete. Der offiziell als Nichtangriffspakt deklarierte Vertrag enthielt ein geheimes Zusatzprotokoll, in dem die Festlegung von Interessenssphären und die bevorstehende Aufteilung Polens fixiert wurden. Ohne diese Rückendeckung hätte Hitler den Überfall auf Polen nicht riskiert.
Der zweite Weltkrieg brach am 1.September 1939 aus. Der nach seinen Unterzeichnern, den Außenministern beider Seiten benannte Ribbentropp- Molotow Pakt, ging auch als Hitler-Stalin Pakt in die Geschichte ein. Bis heute wird seine Vorgeschichte und Bedeutung in Deutschland, im westlichen Teil Europas und in seinem östlichen Teil in sehr verschiedener Weise gesehen.
Menschen aus Ländern wie Polen, den baltischen Staaten und der Ukraine sehen diesen 23. August seit Jahrzehnten als Kulminationspunkt der Verbindung des deutschen nationalsozialistischen und des sowjetkommunistischen Terrorsystems.
Auf Befreiung folgte Unterdrückung
Der Überfall auf Polen durch Hitlerdeutschland und die Sowjetunion im September 1939 und das darauf folgende militärische und politische Zusammenwirken beider Seiten löschten die staatliche Souveränität Polens und der baltischen Staaten aus. Terror, Unterdrückung und hunderttausendfache Deportationen diktierten die Situation in diesen Ländern.
Der militärische Sieg der sowjetischen Truppen über die deutsche Wehrmacht und die Kapitulation Hitlerdeutschlands war eine Befreiung, der erneut Unterdrückung und Unfreiheit folgten. Neben dem 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung, bleibt der 23. August 1939, der den Klammergriff der Totalitarismen vertraglich besiegelte im historischen Bewusstsein mittelosteuropäischer Nationen bis heute lebendig.
Solange Mittelosteuropa Teil des Ostblocks war, bezogen sich Revolten, Aufstände, Dissidenz und Opposition sich immer wieder auf das Trauma des Hitler-Stalin-Pakts, ebenso die politische Massenbewegung der Solidarność. Die sechshundert Kilometer lange Menschenkette, welche am 23. August 1989 die drei baltischen Staaten verband, symbolisierte den ungebrochenen Freiheitswillen unterdrückter Nationen.
Nach 1989 rissen die Bemühungen und Initiativen von Menschen aus diesen Ländern nicht ab, den 23.August als Erinnerungsdatum an ihre jüngste, dunkelste Vergangenheit festzuhalten.
Die Jahre und Jahrzehnte nach 1989 gingen in das Bewusstsein zahlreicher Westeuropäer als die Ostausdehnung der Europäischen Union ein, während es sich tatsächlich um eine Neukonstitution Europas handelte. Eine Neukonstitution, welche auch einen neuen Horizont der Erinnerung verlangte.
Mit Verzögerung erreichte die Frage nach dem Stellenwert des 23. August den Europarat und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Streit um Bedeutung der Geschichte
Im Jahre 2008 kam es zu der Forderung des Europäischen Parlamentes, den 23. August zum europaweiten Gedenktag an die Opfer totalitärer und autoritärer Regime zu erklären. Ein Jahr später folgte eine Entschließung.
Im gleichen Jahr kam es, 70 Jahre nach Unterzeichnung des Hitler-Stalin Paktes, im August 2009 zu einer Erklärung zivilgesellschaftlicher Akteure, Intellektueller und Politiker- “das Jahr 1989 feiern heißt auch, sich an 1939 erinnern“.
Darin wird ausgeführt: „Ein freies und demokratisches Europa muss sich seiner Geschichte bewusst sein. Es braucht die Erinnerung an die kommunistische Ära und ihre Überwindung. Europa braucht eine aktive, verantwortungsbewusste Erinnerungskultur, die die nachwachsende Generation für die Gefahren neu aufkommender autoritärer und diktatorischer Entwicklungen sensibilisiert.“
Die Unterzeichner drückten einen breiten intellektuellen und parteipolitischen Konsens aus. Dennoch gab es zahlreiche Stimmen der Warnung und des Protestes gegen diese Position und ihre Konsequenzen.
Die Proteste richteten sich vor allem gegen die Verwendung des Totalitarismus-Begriffes zur Kennzeichnung zweier vermeintlich grundverschiedener Systeme. Es hieß, das die Singularität des Holocausts und der damit verbundenen nationalsozialistischen Verbrechenslast in Frage gestellt werde. Die Sowjetunion sei Opfer des deutschen Überfalls und Vernichtungswillens gewesen und in ihrem heldenhaften Widerstand zum legitimen Verbündeten der Westalliierten geworden.
Weitergehende Kritiken stellten den verbrecherischen Charakter des Hitler-Stalin Paktes in Frage und sprachen von einer notwendigen Verteidigungsmaßnahme Stalins. Der sowjetische Führer habe in den Jahren zuvor, immer wieder für Bündnisse gegen Hitler geworben, die am Zögern des Westens und vor allem am Widerstand Polens gescheitert seien. Nach dieser Lesart hatte sich Polen sein Schicksal selber zuzuschreiben.
Deutsch-sowjetische Verstrickungen
Historisch sensible Intellektuelle hatten sich bereits Jahrzehnte früher einer anderen Wahrheit gestellt. Der Schriftsteller und Publizist Sebastian Haffner, einer der scharfsinnigsten Beobachter des aufkommenden Nationalsozialismus und der Jahrzehnte zwischen dem ersten und dem zweiten Weltkrieg, sprach von einem Teufelspakt. Damit meinte er nicht nur den Vertrag von 1939, sondern die Gesamtheit der Deutsch-Sowjetischen Verstrickungen und Kooperationen in den Jahrzehnten davor.
Die politische und militärische Führung des kaiserlichen Deutschlands hatte im Jahre 1917 Lenin und den Bolschewiki an die Macht verholfen. Verantwortliche Kreise der jungen Weimarer Republik, von der Reichswehrführung, bis zu Exponenten des bürgerlichen und rechtskonservativen Lagers wollten die Schmach der Kriegsniederlage tilgen und Deutschland wieder zur Weltmachtgeltung verhelfen Sie taten sich in offener und geheimer politischer, ökonomischer und militärischer Zusammenarbeit mit dem zweiten „Verlierer von Versailles“, der Sowjetunion zusammen. Diese Kooperation überdauerte die Machtergreifung Hitlers, sah Polen und die nach dem ersten Weltkrieg entstandenen mittelosteuropäischen Staaten als Störenfriede an, welche von der Landkarte zu tilgen waren. Autoren wie Gerd Koenen, zeichnen Etappen und Stationen dieser unheilvollen Kumpanei minutiös nach und warnen vor dem Fortleben der Wünsche nach einer deutsch-russischen Sonderbeziehung. Die Geschichte wiederholt sich nicht, historische Analogien, ob sie das Ende von Weimar, den Zerfall instabiler Demokratien und totalitäre Bedrohungen betreffen, werden der modernen Realität nur bedingt gerecht. Zu dieser Realität gehört die Existenz der Europäischen Union, die als Europäische Gemeinschaft mit der Attraktivität von Freiheit, Demokratie, Wohlstand und sozialem Ausgleich entscheidenden Anteil daran hatte, dass die Epochenwende von 1989 zustande kam.
Heute wieder: ein imperiales Russland
Die Europäische Union ist heute mit einer anderen Gefahr und Herausforderung konfrontiert. Wladimir Putin als Verkörperung eines neoimperialen Russland, versucht eine Internationale europäischer und außereuropäischer Autokraten und Diktatoren zu schmieden. Er versucht die in seinen Augen dekadente und zum Widerstand unfähige Europäische Union zu spalten, zu schwächen und ihr die Regeln seiner Politik aufzuzwingen. Er will die europäische Landkarte neu vermessen und Einflusssphären abstecken. Territoriale Expansion und ein unerklärter Angriffskrieg gegen den Nachbarn Ukraine sollen als Normalität akzeptiert werden.
Die zivilen, ökonomischen, diplomatischen und politischen Akteure der Europäischen Gemeinschaft können durch Feigheit, Egoismus, falsche Nachgiebigkeit und vorauseilende Kapitulation den Zerfall Europas verschulden. Sie können aber auch die Kraft und Entschlossenheit finden, den Manövern und Erpressungen von Autokraten und Diktatoren zu widerstehen. Sie können zivile und politische Kräfte, die die Stärke der liberalen Demokratie ausmachen, mobilisieren und auf den Spielregeln des demokratischen Europas beharren.
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