10 Jahre Abkommen von Minsk – 10 Lehren für Verhandlungen mit Moskau

Vor zehn Jahren wurde das Minsker Abkommen ausgehandelt und unterzeichnet. Es sollte den Krieg im Osten der Ukraine beenden. Und es scheiterte: Am 24. Februar 2022, nur sieben Jahre später, startete Putin die russische Vollinvasion der Ukraine. Der Diplomat Johannes Regenbrecht war an den Verhandlungen zu „Minsk II“ beteiligt und analysiert für uns, welche Lehren aus dem Abkommen für einst für mögliche Verhandlungen heute zu ziehen sind.
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In der Nacht zum 12. Februar 2015 wurde das „Maßnahmenpaket für die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen“ oder kurz „Minsk II“ unterzeichnet. Das Abkommen sollte den Krieg in der Ostukraine beenden und eine politische Lösung des Konflikts herbeiführen.
Der russische Großangriff vom 24. Februar 2022 besiegelte auch das Ende von „Minsk“. Dass Putin zu einem Arrangement bereit sei, das die Souveränität der Ukraine respektiert, erwies sich als fatale Illusion. Für ihn waren und sind Verhandlungen nur die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln.
Was sind die Lehren aus dem Scheitern des Abkommens – auch mit Blick auf neuerliche Verhandlungen mit Russland über ein Ende des Ukraine-Kriegs? Die wichtigste Lektion: Europa muss alles daransetzen, damit die Ukraine aus einer Position militärischer Stärke verhandeln kann. Und es muss klar sein, was nicht zur Verhandlung steht: die Souveränität und Sicherheit der Ukraine, einschließlich ihrer Integration in die euro-atlantische Gemeinschaft.
Johannes Regenbrecht, Autor dieser kritischen Bilanz, war als ehemaliger deutscher Diplomat in die Verhandlungen involviert. Seine Analyse ist nicht nur von historischer, sondern von höchst aktueller Relevanz.
Inhalt
Warum jetzt noch über Minsk sprechen?
Die Interessen der Konfliktparteien
Die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen – eine gemischte Bilanz
Woran ist „Minsk“ gescheitert?
Trump und ein „Peace Settlement“
Warum jetzt noch über Minsk sprechen?
10 Jahre liegt sie zurück – die lange Nacht von Minsk vom 11. auf den 12. Februar 2015, als der massige, in postsowjetischem Pomp gehaltene Präsidentenpalast in Minsk Schauplatz eines 17 stündigen Verhandlungsmarathons über einen Waffenstillstand und politische Regelung zwischen Russland und der Ukraine wurde. Am Verhandlungstisch saßen Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Hollande. Und die Präsidenten der Ukraine und Russlands, Poroschenko und Putin. Im Format der so genannten „Normandie 4‑Staaten“.
Das Minsker Abkommen vom 12. Februar 2015, genauer gesagt das „Maßnahmenpaket für die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen“ oder kurz „Minsk II“, hat vielfache kritische Kommentare ausgelöst. Seit Beginn des brutalen großflächigen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022, der die Minsker Vereinbarungen mit einem Schlag hinfällig machte, sind die kritischen Stimmen noch lauter geworden. Der Waffenstillstand habe sich als äußerst fragil erwiesen, eine nachhaltige Regelung zur Wiederherstellung der Souveränität und territorialen Integrität durch Kiew habe gefehlt, die Minsker Vereinbarungen seien gar ein Ausdruck „von Völkerrechtsnihilismus und Aggressionsverschleierung“[1]. Während Angela Merkel Ende 2022 das Minsk II-Abkommen als Versuch würdigte, der Ukraine „Zeit zu geben, um stärker zu werden“[2], wertete der frühere Ukraine-Beauftragte des Kremls (2013–2020) und Taktgeber der russischen Verhandlungsführung in Minsk, Wladislaw Surkow, im Juni 2021 Minsk unverhohlen als „Legitimation der ersten Teilung der Ukraine“ in der Folge des „ersten offenen geopolitischen Gegenangriffs Russlands“ auf den Westen[3]. Das Gegenstück dazu bildet das Diktum Präsident Selenskyjs vom August 2022, die Ukraine habe in Minsk einem faktischen Verlust von Staatsgebiet zugestimmt und sei damit in eine Falle getappt.
Gleichzeitig hat Putins jüngste Großoffensive gegen die Ukraine die historische Aufarbeitung und differenzierte Würdigung der Abkommen von Minsk zugeschüttet. Denn wer sollte sich angesichts von „Zeitenwende“ und grundlegend veränderter geopolitischer Lage in Europa noch für eine im Ergebnis gescheiterte und von der Geschichte überholte Konfliktregelung interessieren?
Eine solche Haltung verkennt: Die Zeitenwende hatte schon viel früher eingesetzt – spätestens im August 2008 mit Russlands Angriff auf Georgien, gefolgt von der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im Februar und dem Eindringen in den dicht besiedelten Donbass seit April 2014. Schon mit diesen frühen Aggressionen hat Putin die europäische Friedensordnung in Schutt und Asche gelegt, nicht erst mit Start des raumgreifenden Angriffs auf die Ukraine vor drei Jahren. Eine Fokussierung nur auf den 24. Februar 2022 würde unsere Perspektive auf das große Ganze des Hegemoniestrebens Putins verengen. Für ihn ist sein jetziger Krieg gegen die Ukraine nur eine weitere, wenn auch entscheidende Stufe einer kontinuierlichen politischen und militärischen Eskalation Russlands gegen den Westen.[4]
Damit kommt der rückblickenden Betrachtung des Minsker Abkommens auch aktuelle Bedeutung zu, kurz nach der Amtsübernahme von Präsident Trump, der schon im Wahlkampf einen „Peace Deal“ mit Putin angekündigt und Ex-General Keith Kellogg zum Sondergesandten für die Ukraine und Russland ernannt hatte.[5]
Der Blick zurück auf Minsk könnte Antworten auf wichtige Fragen geben. Gibt es „Lehren“ aus Minsk für künftige Verhandlungen zur Beendigung des Kriegs? Welche Schlussfolgerungen können wir aus den Schwächen und Fehleinschätzungen, aber auch aus möglichen Stärken der westlichen Position im Kontext des Minsker Abkommens ziehen? Kann das damalige Vorgehen Russlands Hinweise auf künftige Verhandlungsstrategien Moskaus liefern?
Minsk: Die Vorgeschichte
Anfang Februar 2015 warfen Deutschland und Frankreich mit der Initiative zu „Minsk II“ ihr vereintes politisches Gewicht in die Waagschale, um der gefährlichsten militärischen Eskalation in Europa seit dem zweiten Weltkrieg Einhalt zu gebieten. Hintergrund und Auslöser der deutsch-französischen Initiative bildete das Scheitern von „Minsk I“, einem Waffenstillstandsabkommen vom 5.9./19.9.2014. Das so genannte „Minsker Protokoll“ (5.9.) war von der in Minsk tagenden Trilateralen OSZE-Kontaktgruppe unter Leitung der Schweizer Diplomatin Heidi Tagliavini[6] verabschiedet worden. Das „Protokoll“ war von technischen Bestimmungen zur Implementierung des Waffenstillstands begleitet, dem „Minsker Memorandum“ vom 19.9.2014, das insbesondere auch eine Waffenstillstandslinie („Kontaktlinie“) festlegte.[7]
Kaum war der Waffenstillstand in Kraft getreten, als die so genannten „Separatisten“ – in Wirklichkeit von Russland bewaffnete, finanzierte und gesteuerte Handlanger Moskaus – mit Unterstützung regulärer russischer Einheiten[8] neue Angriffswellen starteten. In der Folge verschob sich der Frontverlauf insbesondere im Raum südlich von Donezk zunehmend in Richtung Westen, weg von der im September in Minsk festgelegten Kontaktlinie. Im Januar 2015 folgten weitere Offensiven, denen eine geschwächte Ukraine nur wenig entgegenzusetzen hatte. Angriffsschwerpunkte waren der gerade neu gebaute Flughafen von Donezk, der, nach schweren Kämpfen fast völlig zerstört, am 22.1. von den „Separatisten“ gänzlich eingenommen wurde, und der strategische Verkehrsknotenpunkt von Debalzewe auf der ukrainisch kontrollierten Seite des Frontverlaufs. Den „Separatisten“ gelang die Einnahme dieser wichtigen Eisenbahn- und Straßenverbindung zwischen ihren Hochburgen Donezk und Luhansk schließlich am 18. Februar 2015 – drei Tage nach Inkrafttreten des Waffenstillstands (!). Trauriger Tiefpunkt bildete der Raketenbeschuss auf Zivilisten in der Hafen- und Industriestadt Mariupol am 24.1. mit 29 Toten und zahlreichen Verletzten. In Reaktion auf den dramatisch zunehmenden militärischen Druck der moskauhörigen „Separatisten“ verstärkte sich in Brüssel bzw. Washington der Ruf nach weiteren Sanktionen gegen Russland bzw. die Lieferung von Waffen an Kyjiw.
Vor diesem Hintergrund war schnelles politisches Handeln geboten. Neben dem Stopp der militärischen Eskalation galt es, Moskaus Streben nach internationaler Anerkennung der defacto-Regime der separatistischen „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk und dem „direktem Dialog“ zwischen Kyjiw und den Separatisten entgegenzutreten. Russlands Agenda wäre auf eine faktische Abtrennung der Ostukraine unter Kontrolle Moskaus hinausgelaufen.
Merkel und der französische Präsident Hollande entschieden, kurzfristig nach Kyjiw und Moskau zu Vorgesprächen mit Poroschenko und Putin zu reisen. Bei konstruktivem Verlauf der Gespräche würde man sich zeitnah zu viert in Minsk treffen, um ein operatives Gesamtpaket zur Umsetzung der Minsker Waffenstillstandsvereinbarung vom September 2014 zu beschließen, die als rechtlicher und politischer Leitfaden für die Konfliktlösung in Kraft bleiben sollte. Verhandlungsgrundlage bildete ein deutsch- französischer Entwurf, der mit der Ukraine abgestimmt wurde. Auch jeder weitere Verhandlungsschritt sollte strikt an die Zustimmung Kyjiws gebunden werden.[9]
Der gesamte Verhandlungsprozess dauerte nur eine Woche, vom 5. Februar (Treffen von Hollande und Merkel mit Poroschenko in Kyjiw) bis zum Gipfeltreffen der vier Staats- und Regierungschefs in Minsk am 11./12. Februar. Die Gespräche verliefen deswegen so zügig, weil der von Deutschland und Frankreich entworfene und mit Kyjiw abgestimmte Textentwurf im Wesentlichen auf dem Minsker Protokoll fußte, das seinerseits zentrale Elemente eines zuvor von Poroschenko verkündeten „Friedensplans“[10] widerspiegelte. Der schwierigste Knackpunkt des Abkommens, wie sich später immer wieder zeigen sollte, betraf die Verzahnung des Waffenstillstands mit einem politischen Prozess, der auf Rückgewinnung der Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze in ihrer ganzen Länge, damit auch über die besetzten Gebiete, durch die Regierung der Ukraine gerichtet war. Die Krim blieb aus dem Abkommen wie schon in Minsk I ausgeklammert.
Im Fokus der politischen Regelung standen
- ein „Sonderstatus“ mit weitgehenden Rechten bzw. Zuständigkeiten für die fraglichen Gebiete (verbunden mit einer Reform der Verfassung der Ukraine zur Dezentralisierung der Verwaltung);
- Modalitäten der Abhaltung von Lokalwahlen in der Region;
- Voraussetzungen für die Rückgewinnung der Kontrolle über den an das besetzte Gebiet stoßenden, etwa 400 km langen Teilabschnitt der ukrainisch-russischen Staatsgrenze durch die Regierung der Ukraine.
Wichtige Institutionen bzw. Gremien zur Konfliktbearbeitung brauchten nicht erfunden zu werden, sie gab es schon:
- Das im Juni 2014 anlässlich des 70. Jahrestags der Landung der Alliierten aus der Taufe gehobene „Normandie-Format“ mit Deutschland, Frankreich, der Ukraine und Russland als Rahmen für Verhandlungen und politische Steuerung;
- eine zivile, nicht bewaffnete Beobachtungsmission der OSZE in der Ukraine („Special Monitoring Mission“, SMM) zur Überwachung des Waffenstillstands;
- die Trilaterale Kontaktgruppe der OSZE mit der Ukraine und Russland zunächst unter Leitung von OSZE-Sondergesandtin Heidi Tagliavini (unter Hinzuziehung der „Separatisten“) als ständiges operatives Gremium zum laufenden Follow-up der militärischen, politischen und ökonomischen Aspekte des Abkommens.
Die Interessen der Konfliktparteien
Die Ukraine erwies sich insbesondere angesichts des offenen Eingreifens regulärer russischer Truppen als militärisch unterlegen. Rückschläge waren unter anderem die Kesselschlacht von Ilovaisk im August 2014 mit zahlreichen Todesopfern auf ukrainischer Seite und später der massive militärische Druck der „Separatisten“ und Russlands auf den schon erwähnten strategischen Verkehrsknotenpunkt von Debalzewe. Stark ausgeprägt war die berechtigte Furcht vor Putins ungebremster Eskalationsbereitschaft und der von Russland propagierten Absicht der Errichtung eines von Charkiw bis Odesa reichen den „Neurusslands“ (Новороссия, Novorossija).[11] Kyjiw wollte insbesondere ein langfristiges „Einfrieren“ des militärischen Status Quo verhindern. Ziel war die Wiederherstellung ukrainischer Kontrolle über die Staatsgrenze und damit auch über die bisher besetzten Gebiete als Ganzes. Im Gegenzug war Poroschenko ausweislich seines „Friedenplans“, wie er sich im Minsker Protokoll vom 5.9.2014 widerspiegelt, bereit, die Kompetenzen der lokalen Selbstverwaltung auch in den fraglichen Gebieten zu stärken, ein Amnestiegesetz zu erlassen und vorgezogene Lokalwahlen in diesen Regionen anzuberaumen.
Putin strebte eine Konsolidierung und ein „Einfrieren“ des militärischen Konflikts an. Er zielte auf eine Legitimierung des Separatistenregimes ab, das er mit der ukrainischen Regierung auf gleiche Augenhöhe heben wollte.
Die Interessenslage Russlands war mit Blick auf den politischen Prozess diametral entgegengesetzt. Moskau strebte eine langfristige Konsolidierung seiner Kontrolle über strategische Teile des Donbas und ein „Einfrieren“ des militärischen Konflikts an. Beim politischen Prozess zielte Russland auf eine Legitimierung des Separatistenregimes ab, das Putin mit seiner Forderung nach „direktem Dialog“ mit der ukrainischen Regierung auf gleiche Augenhöhe heben wollte. Eine solche Konstellation hätte Moskau die Möglichkeit verschafft, den Konflikt jederzeit hoch- oder herunterzufahren, um Kyjiw permanent unter Druck zu halten, wichtige ukrainische Ressourcen zu binden und damit Wirtschaftswachstum, Reformen und Annäherung an die EU oder NATO erheblich zu verlangsamen oder ganz zu verhindern.[12]
Minsk II: Form und Inhalt
Format der Verhandlungen und Form des Abkommens stehen auf der aktiven Seite der Bilanz. Eingebunden in das Format der Normandie 4‑Staaten (N4) war Moskau gezwungen, als Kriegspartei auch mit Kyjiw auf Augenhöhe zu sprechen. Damit kam Moskau mit seinem Narrativ, es spiele nur eine Rolle als „Vermittler“ und Kyjiw dürfe nur mit den „Volksmilizen“ („Separatisten“) als Konfliktpartei verhandeln, da es sich angeblich um einen internen ukrainischen Konflikt handele, nicht zum Zuge. Allerdings spiegelt der Abkommenstext an keiner Stelle wider, dass auch Russland Kriegs- und Vertragspartei ist, und legt daher Moskau auch keine Verpflichtungen auf. So nimmt z.B. Art. 10, der den „Abzug aller ausländischen bewaffneten Formationen, militärischen Ausrüstung und Söldner aus dem Hoheitsgebiet der Ukraine“ stipuliert, keinen expliziten Bezug auf in der Ukraine stehende russische Militäreinheiten oder Proxy-Truppen.[13] In Minsk waren die „Separatisten“ nur indirekt eingebunden, und zwar in den Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe der OSZE (TKG). Diese war ebenfalls in der belarusischen Hauptstadt zusammengetreten und zeichnete den Text des 13-Punkte-Maßnahmenpakets nach Vorgabe durch die N4 lediglich ab.[14] Damit brauchte Poroschenko nicht direkt mit den Führern der „Volksrepubliken“ zu sprechen, was einer „Anerkennung der Separatisten gleichgekommen“ wäre.[15] Begleitet wurde das Maßnahmenpaket von einer unterstützenden Erklärung, in der sich die vier Staats- und Regierungschefs, damit auch Putin, zur uneingeschränkten „Achtung der Souveränität und territorialen Unversehrtheit der Ukraine“ bekannten.[16]
Russland setzte ein spätes Inkrafttreten des Waffenstillstands (Art. 1) erst zum 15. Februar 2015 um 00:00 Uhr durch, zweieinhalb Tage nach Unterzeichnung von Minsk II am 12. Februar, womit er Zeit für die Eroberung von Debalzewe (siehe oben) herausschlagen konnte.[17] Dass Putin kurz darauf sogar diesen Termin ignorierte, zeigt die Tatsache, dass die „Separatisten“ bzw. regulären russischen Truppen die Waffen erst am 18.2., also nach der Eroberung Debalzewes, niederlegten.
In der Substanz sieht der Waffenstillstand nur den Abzug schwerer Waffen (ab Kaliber 100mm) vor, aber keine Truppenentflechtung – eine erhebliche Schwäche der Vereinbarung. Damit konnten nur Gebietsstreifen ohne Artilleriewaffen, aber keine vollständig demilitarisierten Sicherheitszonen geschaffen werden. Truppenentflechtung an neuralgischen Punkten wurde später in mühsamer, von vielen Rückschlägen gezeichneter Detailarbeit in der Trilateralen Kontaktgruppe behandelt.[18] Mit Beobachtung und Verifizierung von Waffenstillstand und ‑abzug wurde die OSZE beauftragt (Art. 3), die allerdings anders als im Minsker Protokoll vom 5.9.2014 (Art. 4) keinen erneuten Auftrag zur Überwachung der ukrainisch-russischen Staatsgrenze mit Schaffung von Sicherheitszonen auf beiden Seiten der Grenze erhielt.[19]
Bei den Regelungen zum politischen Prozess liegt der zentrale Knackpunkt in der Bestimmung, dass die Ukraine die Überwachung ihrer Staatsgrenze zu Russland und damit die Kontrolle über ihr gesamtes Staatsgebiet im Osten erst nach der Durchführung von Lokalwahlen in den Konfliktgebieten erhalten sollte (Art. 9). Diese Lokalwahlen sollten zwar strikt „in Übereinstimmung mit ukrainischem Recht“ und einem ukrainischen Sonderstatusgesetz für das Konfliktgebiet (Art. 4) sowie gemäß OSZE-Standards und unter Aufsicht der OSZE (Art. 12) durchgeführt werden. Dennoch wird in der Forschungsliteratur zu Recht die Frage aufgeworfen, ob und wie demokratische Wahlen nach ukrainischem Recht und unter Aufsicht der zentralen Wahlkommission in Kyjiw mit den Separatisten und russischen Truppen als Machthaber vor Ort möglich gewesen sein sollten.[20] Dazu kommt: Die Abfassung des ukrainischen Lokalwahlgesetzes, die Gestaltung bestimmter Elemente einer Verfassungsreform und die Redaktion des Sonderstatusgesetzes sollten „in Absprache“ bzw. Abstimmung mit den „Separatisten“ erfolgen (Art. 9,11,12). Allerdings muss dem Verhandlungsteam aus Paris und Berlin zugutegehalten werden, dass die Dynamik der Gespräche wie bei allen hoch kontroversen Verhandlungen Kompromisse und konstruktive Ambiguität[21] erforderte. Deutschland und Frankreich bzw. die EU hatten außer Sanktionen keine Druckmittel gegen Russland in der Hand, um die Durchsetzung von Verhandlungspositionen zu erzwingen. Immerhin konnte Moskau den von ihm favorisierten Begriff der „Autonomie“ für die besetzten Gebiete offenkundig nicht durchsetzen. Stattdessen gibt es einen Verweis auf Regelungen des schon verabschiedeten Sonderstatusgesetzes der Ukraine (in einer Fußnote zu Art. 11).
Deutschland, Frankreich und die EU hatten außer Sanktionen keine Druckmittel gegen Russland in der Hand.
Unter dem Strich wurde die Wiederherstellung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine also doppelt konditioniert durch
- de facto russisches Mitspracherecht an ukrainischer Gesetzgebung (Wahlgesetz, Verfassungsreform)
- und ordnungsgemäße Durchführung von Lokalwahlen gemäß OSZE-Standards unter Besatzungsbedingungen.
Damit hatte es Moskau in der Hand, den politischen Prozess an mehreren Stellen zu torpedieren.
Die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen – eine gemischte Bilanz
Die Minsker Vereinbarungen galten achteinhalb Jahre. Die Umsetzung der 13 Punkte des Minsker „Maßnahmenpakets“ diente nicht nur als zentrale Messlatte für die Anwendung der EU-Sanktionen gegen Russland, sondern in erheblichen Teilen auch als Richtschnur für die Neuausrichtung der Russlandpolitik des Westens insgesamt. Bis zuletzt hielten Deutschland und Frankreich, die Europäische Union, NATO und USA an Minsk fest und pochten auch mangels geeigneter Alternativen auf Umsetzung des Maßnahmenpakets, wie etwa Bundeskanzler Scholz am 15. Februar 2022 in Moskau. Nur wenige Tage später machten die Anerkennung der „Volksrepubliken“ von Donezk und Luhansk am 21.2. und die Invasion der Ukraine durch Russland seit dem 24. Februar 2022 die Minsker Abkommen zur Makulatur. Sie zerlegten damit auch die mit hoher Präzision arbeitende und auf strikte Neutralität bedachte OSZE-Sonderbeobachtungsmission und die Trilaterale Kontaktgruppe.
In den acht Jahren seit dem Minsker Gipfeltreffen haben der Waffenstillstand, auch wenn er häufig von beiden Seiten gebrochen wurde, und partiell auch die Vereinbarungen zu humanitären Angelegenheiten wie Austausch von Gefangenen positive Ergebnisse gebracht. Zwar entfielen von den etwa 14.000 Todesopfern des Kriegs gegen die Ukraine vor dem 24. Februar 2022 mehr als die Hälfte auf die Zeit nach Inkrafttreten des Minsk-Pakets am 15.2. 2015.[22] Vor allem nach 2016 ging die Zahl der Todesopfer insbesondere unter der Zivilbevölkerung nach UN-Angaben aber signifikant zurück.[23] Trotz zahlreicher Waffenstillstandsverletzungen, die bis Anfang 2022 anhielten, formierte sich bis etwa 2016 eine zwar brüchige Waffenstillstandslinie, die dennoch bis zum Beginn der großen russischen Invasion am 24. Februar 2022 im Großen und Ganzen „hielt“. Die vom Westen befürchtete große Eskalation war ausgeblieben – vorläufig. Im Rückblick wurde sie auf das Jahr 2022 vertagt, auf den Zeitpunkt, zu dem sich das Putin-Regime militärisch gerüstet und die politische Gelegenheit gekommen sah.
Der politische Teil des Minsker Maßnahmenpakets scheiterte, weil der Kreml diesen nur als Vehikel nutzte, um die Abspaltung der so genannten „Volksrepubliken“ vom Staatsverband der Ukraine zu vertiefen und Fortschritte auf dem Weg zur politischen, wirtschaftlichen und humanitären Reintegration der Gebiete zu blockieren. Moskau hat die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen, zu denen es sich bis Februar 2022 offiziell bekannte, systematisch unterlaufen und zum Vorantreiben seiner eigenen geopolitischen Agenda missbraucht. Die westliche Diplomatie zur Unterstützung der Ukraine konnte daher immer weniger „greifen“. In der Folge nahm die politische Dynamik auf internationaler Ebene ab, nachdem es von 2014 bis 2016 noch eine dichte Frequenz von Treffen insbesondere im Rahmen der Normandie 4 gegeben hatte. Das letzte N4-Gipfeltreffen ging am 9.12.2019 in Paris mit einem in Inhalt und Duktus wenig überzeugenden Lippenbekenntnis zu Minsk zu Ende.[24] Die seit 2014 bestehenden Institutionen der Konfliktbearbeitung, die Trilaterale Kontaktgruppe und Sonderbeobachtungsmission der OSZE, arbeiteten im gewohnten Rhythmus weiter, brachten aber immer weniger Ergebnisse zustande. Die Umsetzung der Bestimmungen zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit (vgl. Art. 8 über volle „Wiederaufnahme der sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen“) war seit 15. März 2017 mit der Aussetzung des wirtschaftlichen Austauschs mit den nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten durch Kyjiw ganz zum Erliegen gekommen. Der „Wirtschaftsblockade“ waren unter anderem die „Verstaatlichung“ ukrainischer Unternehmen durch die defacto-Behörden vorausgegangen. Putin antwortete mit Anerkennung der von den Separatisten herausgegebenen Ausweise und anderer Personaldokumente in den besetzten Teilen des Donbas.[25]
Ein Blick auf die politischen Kernthemen von Minsk zeigt beispielhaft, wie systematisch Moskau alle Anläufe zu einer authentischen und voll umfänglichen Umsetzung der politischen Agenda unterlief.
Die Ukraine hatte mit ihrer Gesetzgebung schon wenige Tage nach Minsk I „geliefert“. Schon im September 2014 verabschiedete die Rada in Umsetzung von Art. 6 des Minsker Protokolls ein Amnestiegesetz, das aber noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Die Verabschiedung eines „Sonderstatusgesetzes“ für die besetzten Gebiete (Minsker Protokoll, Art. 3) erfolgte am 16. September, am 18. Oktober trat es in Kraft. Es sah unter anderem eine Garantie der freien Verwendung der russischen Sprache im amtlichen Verkehr sowie in Gesellschaft und Wirtschaft, Medien und Kultur vor und beinhaltete zudem Bestimmungen über das Verfahren der Ernennung der Gerichtsvorsitzenden und Staatsanwälte, die Zusammenarbeit mit den angrenzenden Rayonen der örtlichen Selbstverwaltung Russlands und die Einrichtung einer lokalen „Volksmiliz“ zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach Maßgabe der Gesetze der Ukraine. Es wurde zunächst für eine Laufzeit von drei Jahren verabschiedet.[26] Per Gesetz vom 17. März 2015 suspendierte Kyjiw allerdings die Sonderstatusbestimmungen, was vor dem Hintergrund der nachstehend geschilderten „Wahlen“ in den nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten nachvollziehbar ist. Dennoch kam die Ukraine mit einem anderen, ebenfalls am 17.3.2015 verabschiedeten Gesetz der Minsk II-Verpflichtung (Art. 4 Abs. 2) nach, das Territorium für den Geltungsbereich des Sonderstatusgesetzes zu definieren.[27] Die „Durchführung vorgezogener Lokalwahlen“ nach Maßgabe eines ukrainischen Gesetzes (Minsker Protokoll, Art. 9), die Kyjiw für den 7.12.2014 anberaumt hatte, führten die „Separatisten“ mit eigenmächtiger Abhaltung von Wahlen am 2.11.2014 ad absurdum[28]. Sie legten damit die Axt an den politischen Prozess. Am schwierigsten erwies sich die Verankerung der Regelungen zum Sonderstatus in die Verfassung der Ukraine (vgl. Minsker Paket, Art. 11). Ein entsprechender Entwurf Präsident Poroschenkos führte im Sommer 2015 zu gewalttätigen Protesten in Kyjiw und lag seither auf Eis.[29]
Russland zielte mit seinen – über die von den „Separatisten“ in die Kontaktgruppe eingebrachten – Gegenvorschlägen zu den ukrainischen Gesetzesentwürfen darauf ab, die besetzten Gebiete so weit wie möglich administrativ von der ukrainischen Exekutive abzutrennen und ihnen Attribute von Autonomie bis hin zur faktischen Eigenstaatlichkeit zuzuweisen. Die folgenden Angaben zur russischen Position beruhen auch auf einer Rücksprache mit Botschafter a.D. Dr. Martin Sajdik, der die Trilaterale Kontaktgruppe von 2015 bis Anfang 2020 als Sonderbeauftragter der OSZE leitete.[30]
Moskau sprach öffentlich immer wieder von einem Autonomiestatus für den Donbas, obwohl in den Minsker Abkommen nicht von Autonomie, sondern nur von „Dezentralisierung“ die Rede ist. Mit diesem Prozess war allerdings auch die Ukraine ins Hintertreffen geraten. Die Autonomievorschläge der von Moskau gesteuerten Separatisten gingen über das Minsk II-Abkommen weit hinaus und „kamen einer ‚Legalisierung der Volksrepubliken‘“ nahe.[31]
Bei den Lokalwahlen bestand Kyjiw auf Durchführung der Wahlen unter Aufsicht der zentralen Wahlbehörde der Ukraine. Die „Separatisten“ hingegen forderten weitgehend autonome Durchführung der Wahlen in Eigenregie.
Bei der Verfassungsreform forderte Moskau unter anderem eine Abkoppelung der Wahlen in den besetzten Gebieten vom zentralen Termin der Lokalwahlen in der Ukraine und eine Verankerung weit gehender Sonderstatusattribute.[32]
Mit diesen Maximalforderungen nahm Russland ein Scheitern des politischen Prozesses, der zur Reintegration der besetzten Gebiete in den ukrainischen Staatsverband führen sollte, nicht nur in Kauf, sondern führte es vorsätzlich herbei. Das Scheitern des Normandie-Prozesses lag nicht in erster Linie an inhaltlichen Bestimmungen des Minsker Maßnahmenpakets, sondern am Obstruktionskurs Moskaus, das die Ukraine immer wieder der Nichterfüllung der Vereinbarungen beschuldigte, selbst aber Fortschritte durch unerfüllbare Maximalforderungen, Schaffung vollendeter Tatsachen (wie die Durchführung von „Wahlen“ in Eigenregie) oder Delegation von politischer Verantwortung auf die angeblich unabhängig agierenden „Separatisten“ blockierte.
Vor diesem Hintergrund ist es zur Durchführung von Lokalwahlen nach ukrainischem Recht nie gekommen. Die „Separatisten“ führten auch den zweiten Urnengang in den Donezker und Luhansker „Volksrepubliken“ mit Neuwahlen der „Republikoberhäupter“ und „Parlamente“ beider Entitäten am 11. November 2018 eigenmächtig durch. „DVR“ und „LVR“ bauten ihre diktatorischen pseudo staatlichen Strukturen unter weitgehend vollständiger Abhängigkeit von Russland aus und schotteten sich so immer weiter von der Staatlichkeit der Ukraine ab. Die Bevölkerung auf beiden Seiten der Kontaktlinie litt nicht nur unter den zahlreichen Waffenstillstandsverletzungen, sondern vor allem auch unter den humanitären Schikanen und Beeinträchtigungen, die mit Durchschneiden des gewohnten Lebensumfelds durch die brutale, mit tückischen Landminen versehene Frontlinie mit nur wenigen, völlig überlasteten und unzureichenden Übergängen einhergingen.[33]
Moskau verfestigte mit der so genannten „Passportisazija“, der Ausgabe russischer Pässe an die ukrainische Bevölkerung des besetzten Donbas[34], ab April 2019 die weitgehende faktische Abtrennung der nicht von der Regierung der Ukraine kontrollierten Gebiete weiter. Mit Bau der Krim-Brücke, die 2018 in Betrieb genommen wurde, konsolidierte Russland seine völkerrechtswidrige Okkupation der Krim und schnürte gleichzeitig die ostukrainischen Hafenstädte am Asowschen Meer von ihren maritimen Verbindungen ab, da die Brücke für die Durchfahrt moderner Containerschiffe zu niedrig ist. Der Bau der Brücke und der Vorfall vom November 2018, als Russland drei Schiffen der ukrainischen Marine die Durchfahrt durch die Straße von Kertsch verweigerte und die Schiffe unter Beschuss nahm, wird von Völkerrechtlern als völkerrechts- und vertragswidrig eingestuft.[35]
Woran ist „Minsk“ gescheitert?
Das Abkommen an sich oder spätere Auslegungen wie die Steinmeier-Formel[36] waren keine Gründe dafür, dass eine nachhaltige Konfliktlösung nicht gelang.[37] Hauptursache war, wie gezeigt, das systematische Unterlaufen der Vereinbarung durch Russland und die von Moskau gesteuerten „Separatisten“. Der Westen war außer Verhängung von Sanktionen nicht bereit, weitere starke Druck- und Machtmittel zu mobilisieren, um Verhandlungspositionen durchzusetzen oder Obstruktion bzw. Verstöße bei der Umsetzung zu ahnden. Die EU-Sanktionen waren zielgerichtet, aber nicht ausreichend und lösten keine Verhaltensänderung bei Moskau aus.[38] Durch Überzeugungskraft, rationale Argumente und Drängen auf Umsetzung aller Teile des Minsker Maßnahmenpakets allein waren Fortschritte nicht zu erzielen. Dazu kam: Der öffentliche Fokus lag stark auf den zahlreichen Waffenstillstandsverletzungen durch beide Seiten, die aufgrund des engmaschigen Netzes und täglichen transparenten Berichterstattung der OSZE Beobachtungsmission SMM (Special Monitoring Mission) laufend ans Tageslicht kamen. Diese wurden immer wieder klar benannt und auf politischer Ebene verurteilt, wodurch heilsamer Druck entstand. Dagegen standen die mühsamen Gespräche über die politischen Fragen von Minsk, die hinter verschlossenen Türen im N4-Format oder in den verschiedenen Arbeitsgruppen der Trilateralen Kontaktgruppe stattfanden, deutlich weniger im öffentlichen Rampenlicht. Moskau forderte dabei öffentlich immer wieder „direkten Dialog“ Kyjiws mit den „Separatisten“ ein, obwohl allen klar war, dass die Herren aus Donezk und Luhansk Weisungsempfänger Moskaus waren, die, wenn sie nicht parierten, auch auf skrupellose Art und Weise ausgetauscht werden konnten.[39]
Nicht explizit genug war im Minsk II-Abkommen die Regelung zur Rückführung der russischen Waffen (und deren Überwachung), aber auch regulärer Truppen, die eine erfolgreiche Kriegsführung der „Separatisten“ überhaupt erst möglich gemacht hatten.[40]
Russland erhielt zu viel Raum, sein Narrativ vom angeblichen „internen ukrainischen Konflikt“ mit Notwendigkeit „direkten Dialogs“ zwischen der Regierung der Ukraine und den „Separatisten“ immer wieder zu erzählen und sich selbst als Konfliktpartei und Aggressor aus der Verantwortung zu stehlen. Dabei machte sich die von Russland verweigerte internationale Überwachung der russisch-ukrainischen Grenze, über die es ohne jede Kontrolle Truppen, Waffen und sonstiges Material in die besetzten Gebiete der Ukraine pumpte, schmerzlich bemerkbar.[41]
Auf der positiven Seite ist zu verzeichnen, dass Deutschland, die EU und andere Staaten des Westens die Ukraine bei Stärkung von Wirtschaft und Staatshaushalt, Bekämpfung der Korruption, Inkraftsetzung des Assoziierungsabkommens mit der EU, Förderung der Zivilgesellschaft, Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung oder Aufhebung der Visapflicht für die Schengen-Staaten nachhaltig unterstützten. Das entschlossene Zusammenstehen bei wirtschaftlichen Aufbau und politischen Strukturreformen hebelte ein zentrales Kriegsziel Putins, die politische und wirtschaftliche Niederringung der Ukraine, aus.
Anders stand es um die militärische Unterstützung der Ukraine. Deutschland schloss die Bereitstellung von Waffen an die Ukraine mit Blick auf den Grundsatz der Nichtlieferung von Rüstungsgütern in Konfliktgebiete grundsätzlich aus. Darüber hinaus bestand weitreichender politischer Konsens in Deutschland wie in Frankreich, dass Waffenlieferungen aufgrund der militärischen Überlegenheit Russlands nur zu weiterer Konfliktverschärfung zum Nachteil der Ukraine und Sicherheit Europas führen würden. Der Normandie-Prozess lag schließlich im Schatten der massiven energiepolitischen Abhängigkeit Deutschlands von Russland. Ein Zurückfahren des Nord Stream-Projekts stand vor 2022 zu keiner Zeit auf der Tagesordnung.[42] Durch die 2015 mit Gazprom unterzeichnete Vereinbarung zum Bau der zweiten Pipeline, ein Jahr nach der russischen Besetzung der Krim, begab sich Deutschland noch stärker in die Abhängigkeit.[43]
Der Grundwiderspruch von Minsk lag darin, dass Putin das Ende der Ukraine als unabhängige Nation anstrebte und ihr eine eigenständige Identität absprach.
Insgesamt lag der Grundwiderspruch von Minsk darin, dass Putin das Ende der Ukraine als unabhängige Nation anstrebte, ihr eine eigenständige historisch-kulturelle Identität absprach und ihre Rolle auf eine Funktion Russlands reduzierte.[44] Er hatte folglich kein Interesse an einem zielführenden politischen Prozess nach Buchstaben und Geist der Minsker Abkommen. Ein solcher wäre möglich gewesen, hätte Moskau die Abkommen (trotz ihrer Schwächen) in gutem Willen umgesetzt.
Trump und ein „Peace Settlement“
Bei der von Trump angekündigten Initiative zu einer Konfliktlösung[45], von der abzuwarten ist, ob und ggfs. wann diese zustande kommt, wird sich das Verhandlungsszenario natürlich ganz anders als vor 10 Jahren in Minsk gestalten. Die Ausgangslage wird, zugespitzt formuliert, schwieriger und einfacher als in Minsk sein:
- Schwieriger, weil für die Ukraine und den Westen viel mehr auf dem Spiel steht. Putin wird an seinem inakzeptablen, in dem russischen Abkommensentwurf vom Dezember 2021 dargelegten Konzept der sicherheitspolitischen Aufteilung Europas zur gegenseitigen Abgrenzung von Einflusssphären zwischen Russland und der NATO[46] festhalten. Mit Blick auf die Ukraine dürfte Putin auf Abtretung der vier von Russland beanspruchten und mit von Putin am 4.10.2022 unterzeichneten Gesetzen einverleibten Gebiete Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja[47] bestehen. Dazu kommt die Forderung Russlands von Neutralität und Verzicht der Ukraine auf NATO-Mitgliedschaft, was der Aufgabe ihrer Bündnisfreiheit, dem Kern außenpolitischer Souveränität, gleichkäme.
- Einfacher (d.h. weniger komplex), weil anders als in Minsk die Karten offen auf dem Tisch liegen. Nur Russland und die Ukraine sind Kriegsparteien. Das russische Spiel über die Bande mit angeblich eigenständig agierenden „Separatisten“ entfällt. Das geopolitische Konzept Putins mit einer zu „neutralisierenden“ Ukraine ist ebenfalls offenkundig. Russland wird seine eigenen imperialen Ambitionen bei Verhandlungen nicht mehr verstecken können.
10 Lehren aus Minsk
Der Westen muss alles tun, damit die Ukraine Verhandlungen aus einer Position militärischer Stärke führen kann. Sie muss von vornherein einen gleichwertigen Platz einnehmen.
Als „Obersatz“ und Voraussetzung für die folgenden 10 Punkte die wichtigste Lektion: Der Westen, vor allem auch Europa, muss alles tun, damit die Ukraine mögliche Verhandlungen aus einer Position militärischer Stärke führen kann. Damals musste die Ukraine aus einer Position der Schwäche heraus verhandeln und Zugeständnisse machen, die Russland in die Vorhand brachten. Das darf sich nicht wiederholen.
1) Verhandlungen dürfen nicht zu einer bilateralen Absprache zwischen Washington und Moskau über den Kopf Kyjiws hinweg degenerieren. Die Ukraine muss von vornherein einen gleichwertigen Platz am Tisch einnehmen. Anderenfalls würde der Westen in die gleiche Falle gehen, wie sie Putin schon am 6. Februar 2015 in Moskau aufgestellt hatte. Unter Missachtung des deutsch französisch-ukrainischen Entwurfs zum Minsk II-Abkommen hatte er Merkel und Hollande einen von Moskau verfassten Text vorgelegt und vorgeschlagen, einen Waffenstillstand zu verkünden, ohne dass die Ukraine beteiligt werden sollte. Bundeskanzlerin und Präsident setzten dagegen durch, dass auf Grundlage des gemeinsam mit Poroschenko gefertigten deutsch-französischen Entwurfs weiterverhandelt wurde.[48]
2) Russland muss im Text einer künftigen Vereinbarung anders als in Minsk deutlich in seiner Rolle als Kriegspartei benannt werden und sich zu klar terminierten Verpflichtungen bekennen, deren Nichterfüllung mit einschneidenden, ebenfalls klar zu benennenden Sanktionen zu ahnden ist. Ein Abkommen sollte daher im Kern die Form einer bilateralen Vereinbarung zwischen der Ukraine und Russland annehmen. Abschreckender Präzedenzfall ist der in Istanbul verhandelte Entwurf eines „Vertrags über ständige Neutralität und Sicherheitsgarantien für die Ukraine“ vom 15.4.2022.[49] Dieser ist als Abkommen zwischen einer Reihe von „Garantiestaaten“, unter denen Russland aufgeführt ist (!), einerseits sowie der Ukraine andererseits als vertragsschließende Parteien konzipiert. Die Ukraine wird mit einer Fülle von Verpflichtungen belegt, während sich Russland immer nur im Verbund mit den anderen Garantiestaaten wie den USA auf Zusagen einlässt und sich im Übrigen ein Vetorecht (!) gegen die Anwendung militärischer Gewalt durch von der Ukraine um Hilfe gerufene Garantiestaaten vorbehält.
3) Kein Minsk III mit „Föderalisierung“ der Ukraine. Jedes direkte oder indirekte Mitspracherecht Russlands an Gestaltung der inneren Ordnung und politischen Verfasstheit der Ukraine ist auszuschließen.
4) Festlegungen zur Perspektive der Ukraine auf eine Mitgliedschaft in EU und NATO nur mit, nicht gegen die Ukraine.
5) Die Europäische Union sollte zeitnah ihre Rolle bei Verhandlungen und Umsetzung des Abkommens definieren, insbesondere auch bei der Stellung von Friedenstruppen (s.u.). Es wäre leichtsinnig, abzuwarten, bis Trump der EU eine Rolle „zuweist“. Eine Arbeitsteilung analog zu Minsk mit Beschränkung der Zuständigkeit Brüssels nur auf das Sanktionsregime ist auszuschließen. Die EU muss für die Sicherheit in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft die ungeteilte Verantwortung übernehmen. Das schließt eine direkte Beteiligung an Verhandlungen und aktives Eintreten für europäische Interessen ein.
6) Ohne Druckmittel wäre das Abkommen zahnlos wie Minsk. Dazu gehören neben glaubwürdigen und realistischen Sicherheitsgarantien einschneidende Sanktionen, aber auch fortgesetzte Waffenlieferungen an die Ukraine, um deren Verteidigungsfähigkeit nachhaltig zu stärken.
7) Zur Überwachung des Waffenstillstands ist die Einrichtung einer bewaffneten militärischen internationalen Monitoring-Truppe mit klarem Mandat sowie umfassendem Zugang und Überwachungsmöglichkeiten auf beiden Seiten der festzulegenden Kontaktlinie erforderlich. Nur eine zivile, nicht bewaffnete Beobachtungsmission mit eingeschränktem Zugang zum russisch kontrollierten Gebiet wie bei der OSZE-Sonderbeobachtungsmission Ukraine wäre unzureichend. Neben dem Abzug schwerer Waffen sollte das in Minsk ausgeblendete Thema der Truppenentflechtung eine wichtige Rolle spielen. Ziel ist die Schaffung einer demilitarisierten Sicherheitszone von ausreichender Tiefe auf beiden Seiten der Kontaktlinie unter Aufsicht der internationalen Friedenstruppe.
8) Die internationale Friedenstruppe sollte neben einem europäischen Kontingent auch eine starke militärische US-Präsenz umfassen, um die transatlantische Dimension der gemeinsamen Verantwortung für die Stabilität des Waffenstillstands sowie Unteilbarkeit der NATO zu verankern. Auch Verbündete Russlands sollten vertreten sein. Das würde den Preis für einen Angriff auf die Peacekeeper für Russland drastisch erhöhen. Die Sicherheit der Truppe, aber auch ihre Einsatzfähigkeit und Akzeptanz würden erheblich gestärkt.
9) Die Umsetzung der Minsker Abkommen hat gezeigt, dass der unkontrollierte Zustrom von russischen Waffen und Truppen über den nicht von Kyjiw kontrollierten Teil der ukrainisch-russische Grenze in die besetzten Gebiete das zentrale Sicherheitsleck war. Das Abkommen sollte daher auch eine internationale Überwachung der russisch-ukrainischen Staatsgrenze vorsehen.
10) Die Vereinbarung sollte von Regelungen zur Abrüstung und Rüstungskontrolle mit dem notwendigen Verifikationsregime flankiert werden als Beginn eines Prozesses der Wiederherstellung von Sicherheit in der Ukraine und Europa.
Fußnoten
[1] So Hugo von Essen und Andreas Umland, Warum die Minsker Abkommen von Anfang an zum Scheitern verurteilt waren. SIRIUS 2022, 6 (3), 282–292, hier 282.
[2] Interview mit Angela Merkel. DIE ZEIT 51/2022. Merkels früherer außen- und sicherheitspolitischer Berater, Christoph Heusgen, hält den schlechten Ruf des Minsker Abkommens für ungerechtfertigt. „Es sei genauso gut oder schlecht wie das Budapester Memorandum von 1994, in dem Russland die territoriale Integrität unter anderem der Ukraine garantiert hat, oder die Charta der Vereinten Nationen. ‚Alle drei hat Putin in die Tonne getreten, aber deswegen sind sie nicht schlecht. Putin ist schlecht, weil er sich nicht an internationales Recht hält.‘“ Website ntv, 8.2.2024, https://www.n‑tv.de/politik/Heusgen-Es-darf-nicht-so-ausgehen-wie-im-Ersten-Weltkrieg-article24720868.html
[3] Henry Foy, Vladislav Surkov: An Overdose of Freedom is lethal to a State. Financial Times, 18.06. 2021.
[4] Vgl. dazu insbesondere auch die Video-Ansprache des Präsidenten der Russischen Föderation vom 24.2.2022, Обращение Президента Российской Федерации, www.kremlin.ru/multimedia/video/by-date/24.02.2022
[5] Zu den Umrissen der „Kellogg-Doktrin“ vgl. Keith Kellogg & Fred Fleitz, America First, Russia and Ukraine, Research Report/Center for American Security, AFPI (America First Policy Institute), 9.4. 2024, https://americafirstpolicy.com/assets/uploads/files/Research_Report_-Ukraine_Research_GKK.pdf
[6] Der Trilateralen Kontaktgruppe (TKG) gehörten unter Ägide der OSZE Vertreter der Ukraine und Russlands an, die in diesem Format mit den Führern der von Russland gesteuerten und bewaffneten „Separatisten“ aus Donezk und Luhansk sprachen.
[7] Abschlussprotokoll der Konsultationen der trilateralen Kontaktgruppe über gemeinsame Maßnahmen zur Implementierung des Friedensplans des Präsidenten der Ukraine, P. Poroschenko, und der Initiativen des Präsidenten Russlands, W. Putin, vom 5.9. 2014. https://www.osce.org/files/f/documents/a/a/123258.pdf. Memorandum zur Implementierung … des Protokolls der Trilateralen Kontaktgruppe … vom 19.9.2014. https://www.osce.org/home/123806
[8] Ein direktes militärisches Eingreifen wurde von Russland immer wieder abgestritten, ist aber mittlerweile aufgrund zahlreicher Beobachtungen und Recherchen nachgewiesen. Einschlägig https://www.bellingcat.com/tag/ukraine/. Die „International Volunteer Community“ InformNapalm (gegründet im März 2014 von einem ukrainischen Journalisten und einem georgischen Militärexperten) unterhält seit 2014 eine Datenbank über die Präsenz russischer Streitkräfte in der Ukraine, die auf Open Source Intelligence beruht. https://informnapalm.org/de/regulaere-russische-armee-in-der-ukraine-untersuchung-und-infografik/ Vgl. ausführliche weitere Quellenangaben und Belege bei Sabine Fischer, Der Donbas-Konflikt. Widerstreitende Narrative und Interessen, schwieriger Friedensprozess. SWP-Studie 3, Februar 2019, Berlin, 25.
[9] Chronologie der Verhandlungen folgt der Darstellung bei Angela Merkel, Freiheit. Köln 2024, 484f.
[10] Ebd.
[11] Zum schillernden Begriff „Neurussland“ siehe Oleksandr Zabirko, Russkij Mir und Novorossija. Theologische und nationalistische Konzepte russischer (Außen-)Politik. In: Heinz-Gerhard Justenhoven (Hg.), Kampf um die Ukraine. Ringen um Selbstbestimmung und geopolitische Interessen, Baden-Baden 2018, 63–77: „Novorossija [ist, eingefügt v. Verf.] eigentlich eine historische russische Bezeichnung für die Steppengebiete nördlich des Schwarzen und Asowschen Meeres, die in der Mitte bzw. am Ende des 18. Jahrhunderts dem Russischen Reich einverleibt wurden. Doch jenseits des scheinbar harmlosen geographischen brandings wird dieser Begriff heute zur Parole eines Kampfes um neue politische Realitäten – ja, zur militärischen Ermächtigung.“ A.a.O., 63.
[12] Vgl. dazu z.B. Sabine Fischer, a.a.O. Die Interessenslage Russlands gut auf den Punkt bringt der frühere US-Bot-schafter in Kyjiw (1998–2000), Steven Pifer, in Ukrinform vom 18.04.2016. https://www.ukrinform.net/rubric-polytics/2002161-pifer-its-in-russias-interest-to-freeze-conflict-in-donbas.html. Vgl. auch das o.a. Zitat Surkows, wonach die Aggression gegen die Ukraine nur eine Facette der geopolitischen Konfrontation Russlands mit dem Westen bildet (Fußnote 4).
[13] Vgl. Sabine Fischer, a.a.O., 13.
[14] So Angela Merkel, a.a.O., 485.
[15] Ebd.
[16] Erklärung des Präsidenten der Russischen Föderation, des Präsidenten der Ukraine, des Präsidenten der Französischen Republik und der Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland zur Unterstützung des Maßnahmenpakets zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen, angenommen am 12. Februar 2015 in Minsk. https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/201881/dokumentation-das-minsker-abkommen-vom-12-februar-2015/
[17] Zu Einzelheiten zum Ablauf und Über-die-Bande-Spielen Putins mit den Separatisten während der Minsker Verhandlungen vgl. Merkel, a.a.O., 492, die resümiert: „Es war klar, dass Putin unbedingt noch Debalzewe erobern wollte, was später auch so geschah.“
[18] Vgl. z.B. das Pressestatement des Leiters der Trilateralen Kontaktgruppe, Martin Sajdik, vom 19.12. 2019 (zum Treffen der TKG am Vortag in Minsk): “Also, the Security Working Group started discussions to define three additional disengagement areas. … This year, we have also made progress with regard to the disengagement of forces and hardware in Stanytsia Luhanska, Zolote and Petrivske, including mine clearance and the removal of fortifications.” https://www.osce.org/chairmanship/442552
[19] Art. 4 des Minsker Protokolls, das weiter voll umfänglich in Kraft blieb und durch das Minsk II-Abkommen nicht ersetzt wurde (es ist überschrieben mit ‚Maßnahmenpaket zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen‘, Hervorhebung vom Verf.), lautet: „Sicherstellung eines ständigen Monitoring an der ukrainisch-russischen Staatsgrenze sowie einer Verifikation durch die OSZE mit Schaffung einer Sicherheitszone in den Grenzgebieten der Ukraine und der RF.“ Das Mandat der schon früh, mit Beschluss des Ständigen Rats der OSZE Nr. 1117 vom 21.3.2014, geschaffenen Special Monitoring Mission to Ukraine umfasst das gesamte Staatsgebiet der Ukraine. https://www.osce.org/files/f/documents/d/6/116747.pdf
[20] Vgl. z.B. Heiko Pleines (Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen), Die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen: Was ist möglich? In: Ukraine-Analysen 261 (14.02.2022): „Die Vorgabe, dass Lokalwahlen in den »Volksrepubliken« nach demokratischen Standards erfolgen sollen, macht ihre Durchführung de facto unmöglich, da die aktuellen Machthaber keine Wahlniederlage riskieren werden. Gleichzeitig ist zunehmend deutlich geworden, dass »DNR« und »LNR« sowohl militärisch als auch wirtschaftlich von Russland abhängig sind. Es stellt sich damit auch die Frage, inwieweit die Ukraine verpflichtet sein sollte, die Verfassungsreform zur Dezentralisierung mit demokratisch nicht legitimierten Vertretern der Separatisten abzustimmen.“
[21] Zum Beispiel bleibt offen, wann genau und für wen das Sonderstatusgesetz „bis Ende 2015“ in Kraft gesetzt werden soll: Schon für die Defacto-Machthaber, d.h. die Separatisten, oder erst für demokratisch legitimierte Repräsentanten lokaler Gebietskörperschaften, die bei ebenfalls bis Ende 2015 abzuhaltenden Lokalwahlen nach einem Gesetz der Ukraine (das ebenfalls mit örtlichen „Vertretern“ abzustimmen wäre) und gemäß OSZE-Standards gewählt werden sollen? Vgl. Maßnahmenpaket Art. 11 und 9. Siehe auch unten, Fußnote 36 (Steinmeier-Formel).
[22] Vgl. Sabine Fischer, Peace Talks Between Russia and Ukraine: Mission Impossible. SWP Comment 65, November 2022, 2.
[23] Nach UN-Angaben kamen im Donbass vom 14.4.2014 bis 31.12.2021 insgesamt 3404 Zivilisten ums Leben, einschließlich der 298 Todesopfer des kriminellen Abschusses des malaysischen Verkehrsflugzeugs MH17 am 17.7.2014. Vgl. Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights, Conflict related Casualties in Ukraine, 27.1. 2022.
[25] Darstellung nach Sabine Fischer, Der Donbas-Konflikt. Widerstreitende Narrative und Interessen, schwieriger Friedensprozess. Berlin, SWP-Studie 3, Februar 2019, 11.
[26] „Gesetz über den Sonderstatus einzelner Bezirke der Region Donezk und Luhansk (16.09.2014). In: Ukraine-Analysen 136, 17.9. 2014, 9f. Zu weiteren Details vgl. Otto Luchterhand, Die Vereinbarungen von Minsk über den Konflikt in der Ostukraine (Donbass) aus völkerrechtlicher Sicht, Wissenschaftliche Beiträge des Ostinstituts Wismar, Ost/Letter 2/2019 (Dezember 2019), 32.
[27] A.a.O., 41.
[28] Vgl. Andreas Umland/Hugo von Essen, Russia’s Dictated Non-Peace for Ukraine in 2014–2022. Why the Minsk Agreements were Doomed from the Start and What Lessons They Teach. Stockholm Centre for Eastern European Studies (SCEEUS) 3/2022, 4.
[29] Vgl. Sabine Fischer, a.a.O., 20.
[30] Der Austausch mit Herrn Sajdik fand am 8.1. 2025 statt.
[31] Siehe dazu Otto Luchterhand, a.a.O., 34.
[32] Zur Verfassungsreform ders., a.a.O., 44/45: „Offenkundig im Kreml unter Leitung von Surkow ausgearbeitet, fordern sie [die Separatisten, der Verf.] im Anschluss an den Abschnitt X. der Verfassung über die ‚Autonome Republik der Krim‘ die Einfügung eines Abschnitts X(1) über den ‚Rechtsstatus einzelner Rayone der Gebiete Doneck und Lugansk‘ mit einem höheren Status als die‚ Autonome Republik Krim‘ (Art. 1391 – Art. 1398) und ferner die Einfügung der von ihnen geltend gemachten Sonderstatusbefugnisse in weitere Abschnitte der Verfassung sowie die von Moskau geforderte verfassungsrechtliche Verankerung der Neutralität und Blockfreiheit der Ukraine.“
[33] Sabine Fischer, a.a.O., 1.
[34] Bis Mitte 2020 hat Russlandknapp 200.000 Pässe an Ukrainerinnen und Ukrainer aus den „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk ausgegeben. Vgl. Fabian Burkhardt, Russlands „Passportisierung“ des Donbas, SWP-Aktuell 58, Juni 2020.
[35] Vgl. z.B. Otto Luchterhand, Gegen das Völkerrecht. Die Eskalation des Konflikts im Asowschen Meer. In Osteuropa 1–2/2019, 3–22.
[36] „Es geht darin um die Frage der Reihenfolge zwischen Inkrafttreten eines Sonderstatusgesetzes für die nicht von der Regierung kontrollierten Gebiete der östlichen Regionen Luhansk und Donezk und der Durchführung von Wahlen. Die Formel sieht vor, dass das Sonderstatusgesetz vorläufig am Tag der Lokalwahlen in Kraft tritt und seine permanente Geltung nach positiver Beurteilung der Wahlen durch die Wahlbeobachtungsmission der OSZE erlangt.“ Auswärtiges Amt, Wichtige Einigung im Konflikt in der Ostukraine, 8.10.2021, www.Auswaertiges-Amt.de/de/aussenpolitik/steinmeierformel/2253700
[37] Letzteres behauptet Kristian Åtland, War, Diplomacy, and more War: Why did the Minsk Agreements fail? International Politics, 15.11. 2024, 16. https://doi.org/10.1057/s41311-024–00637‑x
[38] Studie des DIW kommt zum Schluss, dass die EU-Sanktionen gegen Russland gewirkt hätten (Wohlstand sei um 1,4% eingebrochen), das Potential sei allerdings bei Weitem nicht ausgeschöpft worden. Der Sanktionsdruck hätte deutlich erhöht werden können. Vgl. Sonali Chowdhry, Julian Hinz, Joschka Wanner und Katrin Kamin, Sanktionskoalitionen erhöhen Kosten für Russland, aber Last der Mitgliedsländer sollte verteilt werden. DIW Wochenbericht 8/2024.
[39] So starb Alexander Sachartschenko, Chef der „Volksrepublik Donezk“, am 31.8.2018 bei einer Explosion in einem Donezker Restaurant. Bis heute ist ungeklärt, wer für den Anschlag verantwortlich war. Nach ukrainischen Angaben und der unabhängigen russischen Zeitung Nowaja Gaseta war dem Anschlag ein Streit zwischen Sachartschenko und seinen russischen Weisungsgebern vorausgegangen, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Wladimirowitsch_Sachartschenko. Sein Tod hatte eine noch stärkere politische Übernahme der „DNR“ durch Russland zur Folge. Vgl. Nikolaus von Twickel, Ukraine. Analyse: Der Mord an Separatistenführer Sachartschenko und die Folgen. Bundeszentrale für Politische Bildung/Internationales, 25.09.2018.
[40] Vgl. Maßnahmenpaket Art. 10: „Abzug aller ausländischen bewaffneten Formationen, militärischen Ausrüstung und Söldner aus dem Hoheitsgebiet der Ukraine unter Beobachtung der OSZE. Entwaffnung aller illegalen Gruppen.“
[41] Die OSZE unterhielt zwar eine Beobachtungsmission an den russischen Grenzübergängen Gukovo und Donezk im Rahmen eines von der Special Monitoring Mission SMM getrennten Mandats, vgl. Permanent Council Decision No. 1130, OSCE, 25.7. 2014, www.osce.org/pc/121826. Der von der Mission beobachtete Abschnitt war jedoch nur wenige Dutzend Meter lang. Vgl. Andreas Umland, Achievements and Limitations of the OSCE’s Special Monitoring Mission to Ukraine. Swedish Institute of International Affairs, UI Report 3/2021.
[42] Vgl. Stefan Meister/Wilfried Jilge, Nach der Ostpolitik. Lehren aus der Vergangenheit als Grundlage für eine neue Russland- und Osteuropapolitik. DGAP-Analyse 6/Dezember 2022, 8.
[43] Kirsten Westphal, Nord Stream 2 – Germany’s Dilemma. SWP Comment 2021/C 32, 30.4.2021.
[44] Putin brachte das auf den Punkt in seinem Essay „Über die historische Einheit der Russen und Ukrainer“ (Об историческом единстве русских и украинцев), veröffentlicht am 12. Juli 2021. http://kremlin.ru/events/president/news/66181.
[45] Vgl. Keith Kellogg & Fred Fleitz, a.a.O.
[46] Agreement on Measures to ensure the Security of the Russian Federation and Member States of the North Atlantic Treaty Organization vom 17.12. 2021. https://mid.ru/ru/foreign_policy/rso/nato/1790803/?lang=en
[47] http://en.kremlin.ru/acts/news/69516
[48] So Angela Merkel, a.a.O., 487.
[49] Treaty on Permanent Neutrality and Security Guarantees for Ukraine, Draft as of 4/15/2022, Sent to the President of the Russian Federation on April 15, 2022. https://static01.nyt.com/newsgraphics/documenttools/a456d6dd8e27e830/e279a252-full.pdf
Dem Text zufolge erklärte sich die Ukraine bereit, sich zu einem „permanent neutralen Staat“ unter Verzicht auf NATO Mitgliedschaft deklarieren zu lassen und die Klärung des Status der Krim und anderer von Moskau besetzter Teile der Ukraine auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Russland signalisierte Bereitschaft zur Akzeptierung eines EU-Beitritts der Ukraine und Offenheit für direkte Gespräche zwischen Putin und Selenskyj. Beide Seiten haben sich in der Folge davon wieder distanziert. Die aufgeführten Guarantor-Staaten UK, China, USA, Belarus und Türkei sind (außer Russland [!], das ebenfalls als Garantiestaat aufgeführt wird) nicht konsultiert worden. Problematisch war der Text auch deshalb, weil die militärische Unterstützung der Ukraine im Fall eines Angriffs an den Konsens aller Garantiestaaten, also auch Russlands, gebunden gewesen wäre, vgl. Art. 5 des „Draft“. Dazu vgl. International Crisis Group (ohne Angabe Verfasser), Toward a Plan B for Ukraine, 25.10.2024, 3. https://www.crisisgroup.org/sites/default/files/2024–10/ukraine-25x24-en.pdf.
Vgl. auch Samuel Charap und Sergey Radchenko, The Talks that Could Have Ended the War in Ukraine (25.04.2024). Foreign Affairs 103/3 (Mai/Juni 2024).
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