10 Jahre Abkommen von Minsk ­– 10 Lehren für Verhand­lungen mit Moskau

Minsk Normandy Talks Feb 2015 Bild: Kreml.ru CC-BY‑4–0

Vor zehn Jahren wurde das Minsker Abkommen ausge­handelt und unter­zeichnet. Es sollte den Krieg im Osten der Ukraine beenden. Und es schei­terte: Am 24. Februar 2022, nur sieben Jahre später, startete Putin die russische Vollin­vasion der Ukraine. Der Diplomat Johannes Regen­brecht war an den Verhand­lungen zu „Minsk II“ beteiligt und analy­siert für uns, welche Lehren aus dem Abkommen für einst für mögliche Verhand­lungen heute zu ziehen sind.

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In der Nacht zum 12. Februar 2015 wurde das „Maßnah­men­paket für die Umsetzung der Minsker Verein­ba­rungen“ oder kurz „Minsk II“ unter­zeichnet. Das Abkommen sollte den Krieg in der Ostukraine beenden und eine politische Lösung des Konflikts herbeiführen.

Der russische Großan­griff vom 24. Februar 2022 besie­gelte auch das Ende von „Minsk“. Dass Putin zu einem Arran­gement bereit sei, das die Souve­rä­nität der Ukraine respek­tiert, erwies sich als fatale Illusion. Für ihn waren und sind Verhand­lungen nur die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln.

Was sind die Lehren aus dem Scheitern des Abkommens – auch mit Blick auf neuer­liche Verhand­lungen mit Russland über ein Ende des Ukraine-Kriegs? Die wichtigste Lektion: Europa muss alles daran­setzen, damit die Ukraine aus einer Position militä­ri­scher Stärke verhandeln kann. Und es muss klar sein, was nicht zur Verhandlung steht: die Souve­rä­nität und Sicherheit der Ukraine, einschließlich ihrer Integration in die euro-atlan­tische Gemeinschaft.

Johannes Regen­brecht, Autor dieser kriti­schen Bilanz, war als ehema­liger deutscher Diplomat in die Verhand­lungen invol­viert. Seine Analyse ist nicht nur von histo­ri­scher, sondern von höchst aktueller Relevanz.

Inhalt

Warum jetzt noch über Minsk sprechen?

Minsk: Die Vorgeschichte

Die Inter­essen der Konfliktparteien

Minsk II: Form und Inhalt

Die Umsetzung der Minsker Verein­ba­rungen – eine gemischte Bilanz

Woran ist „Minsk“ gescheitert?    

Trump und ein „Peace Settlement“

10 Lehren aus Minsk

Warum jetzt noch über Minsk sprechen?

10 Jahre liegt sie zurück – die lange Nacht von Minsk vom 11. auf den 12. Februar 2015, als der massige, in postso­wje­ti­schem Pomp gehaltene Präsi­den­ten­palast in Minsk Schau­platz eines 17 stündigen Verhand­lungs­ma­ra­thons über einen Waffen­still­stand und politische Regelung zwischen Russland und der Ukraine wurde. Am Verhand­lungs­tisch saßen Bundes­kanz­lerin Merkel und der franzö­sische Präsident Hollande. Und die Präsi­denten der Ukraine und Russlands, Poroschenko und Putin. Im Format der so genannten „Normandie 4‑Staaten“.

Das Minsker Abkommen vom 12. Februar 2015, genauer gesagt das „Maßnah­men­paket für die Umsetzung der Minsker Verein­ba­rungen“ oder kurz „Minsk II“, hat vielfache kritische Kommentare ausgelöst. Seit Beginn des brutalen großflä­chigen Angriffs­kriegs Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022, der die Minsker Verein­ba­rungen mit einem Schlag hinfällig machte, sind die kriti­schen Stimmen noch lauter geworden. Der Waffen­still­stand habe sich als äußerst fragil erwiesen, eine nachhaltige Regelung zur Wieder­her­stellung der Souve­rä­nität und terri­to­rialen Integrität durch Kiew habe gefehlt, die Minsker Verein­ba­rungen seien gar ein Ausdruck „von Völker­rechts­ni­hi­lismus und Aggressions­verschleierung“[1]. Während Angela Merkel Ende 2022 das Minsk II-Abkommen als Versuch würdigte, der Ukraine „Zeit zu geben, um stärker zu werden“[2], wertete der frühere Ukraine-Beauf­tragte des Kremls (2013–2020) und Taktgeber der russi­schen Verhand­lungs­führung in Minsk, Wladislaw Surkow, im Juni 2021 Minsk unver­hohlen als „Legiti­mation der ersten Teilung der Ukraine“ in der Folge des „ersten offenen geopo­li­ti­schen Gegen­an­griffs Russlands“ auf den Westen[3]. Das Gegen­stück dazu bildet das Diktum Präsident Selen­skyjs vom August 2022, die Ukraine habe in Minsk einem fakti­schen Verlust von Staats­gebiet zugestimmt und sei damit in eine Falle getappt.

Gleich­zeitig hat Putins jüngste Großof­fensive gegen die Ukraine die histo­rische Aufar­beitung und diffe­ren­zierte Würdigung der Abkommen von Minsk zugeschüttet. Denn wer sollte sich angesichts von „Zeiten­wende“ und grund­legend verän­derter geopo­li­ti­scher Lage in Europa noch für eine im Ergebnis geschei­terte und von der Geschichte überholte Konflikt­re­gelung interessieren? 

Eine solche Haltung verkennt: Die Zeiten­wende hatte schon viel früher einge­setzt – spätestens im August 2008 mit Russlands Angriff auf Georgien, gefolgt von der völker­rechts­wid­rigen Annexion der Krim im Februar und dem Eindringen in den dicht besie­delten Donbass seit April 2014. Schon mit diesen frühen Aggres­sionen hat Putin die europäische Friedens­ordnung in Schutt und Asche gelegt, nicht erst mit Start des raumgrei­fenden Angriffs auf die Ukraine vor drei Jahren. Eine Fokus­sierung nur auf den 24. Februar 2022 würde unsere Perspektive auf das große Ganze des Hegemo­nie­strebens Putins verengen. Für ihn ist sein jetziger Krieg gegen die Ukraine nur eine weitere, wenn auch entschei­dende Stufe einer konti­nu­ier­lichen politi­schen und militä­ri­schen Eskalation Russlands gegen den Westen.[4]

Damit kommt der rückbli­ckenden Betrachtung des Minsker Abkommens auch aktuelle Bedeutung zu, kurz nach der Amtsüber­nahme von Präsident Trump, der schon im Wahlkampf einen „Peace Deal“ mit Putin angekündigt und Ex-General Keith Kellogg zum Sonder­ge­sandten für die Ukraine und Russland ernannt hatte.[5]

Der Blick zurück auf Minsk könnte Antworten auf wichtige Fragen geben. Gibt es „Lehren“ aus Minsk für künftige Verhand­lungen zur Beendigung des Kriegs? Welche Schluss­fol­gerungen können wir aus den Schwächen und Fehlein­schät­zungen, aber auch aus möglichen Stärken der westlichen Position im Kontext des Minsker Abkommens ziehen? Kann das damalige Vorgehen Russlands Hinweise auf künftige Verhand­lungs­stra­tegien Moskaus liefern?

Minsk: Die Vorgeschichte 

Anfang Februar 2015 warfen Deutschland und Frank­reich mit der Initiative zu „Minsk II“ ihr vereintes politi­sches Gewicht in die Waagschale, um der gefähr­lichsten militä­ri­schen Eskalation in Europa seit dem zweiten Weltkrieg Einhalt zu gebieten. Hinter­grund und Auslöser der deutsch-franzö­si­schen Initiative bildete das Scheitern von „Minsk I“, einem Waffen­still­stands­ab­kommen vom 5.9./19.9.2014. Das so genannte „Minsker Protokoll“ (5.9.) war von der in Minsk tagenden Trila­te­ralen OSZE-Kontakt­gruppe unter Leitung der Schweizer Diplo­matin Heidi Tagliavini[6] verab­schiedet worden. Das „Protokoll“ war von techni­schen Bestim­mungen zur Imple­men­tierung des Waffen­still­stands begleitet, dem „Minsker Memorandum“ vom 19.9.2014, das insbe­sondere auch eine Waffen­still­stands­linie („Kontakt­linie“) festlegte.[7]

Kaum war der Waffen­still­stand in Kraft getreten, als die so genannten „Separa­tisten“ – in Wirklichkeit von Russland bewaffnete, finan­zierte und gesteuerte Handlanger Moskaus – mit Unter­stützung regulärer russi­scher Einheiten[8] neue Angriffs­wellen starteten. In der Folge verschob sich der Front­verlauf insbesondere im Raum südlich von Donezk zunehmend in Richtung Westen, weg von der im September in Minsk festge­legten Kontakt­linie. Im Januar 2015 folgten weitere Offen­siven, denen eine geschwächte Ukraine nur wenig entge­gen­zu­setzen hatte. Angriffs­schwer­punkte waren der gerade neu gebaute Flughafen von Donezk, der, nach schweren Kämpfen fast völlig zerstört, am 22.1. von den „Separa­tisten“ gänzlich einge­nommen wurde, und der strate­gische Verkehrs­kno­ten­punkt von Debalzewe auf der ukrai­nisch kontrol­lierten Seite des Front­ver­laufs. Den „Separa­tisten“ gelang die Einnahme dieser wichtigen Eisenbahn- und Straßen­ver­bindung zwischen ihren Hochburgen Donezk und Luhansk schließlich am 18. Februar 2015 – drei Tage nach Inkraft­treten des Waffen­still­stands (!). Trauriger Tiefpunkt bildete der Raketen­be­schuss auf Zivilisten in der Hafen- und Indus­trie­stadt Mariupol am 24.1. mit 29 Toten und zahlreichen Verletzten. In Reaktion auf den dramatisch zuneh­menden militä­ri­schen Druck der moskau­hö­rigen „Separa­tisten“ verstärkte sich in Brüssel bzw. Washington der Ruf nach weiteren Sanktionen gegen Russland bzw. die Lieferung von Waffen an Kyjiw.

Vor diesem Hinter­grund war schnelles politisches Handeln geboten. Neben dem Stopp der militä­ri­schen Eskalation galt es, Moskaus Streben nach inter­na­tio­naler Anerkennung der  defacto-Regime der separa­tis­ti­schen „Volks­republiken“ Donezk und Luhansk und dem „direktem Dialog“ zwischen Kyjiw und den Separa­tisten entge­gen­zu­treten. Russlands Agenda wäre auf eine faktische Abtrennung der Ostukraine unter Kontrolle Moskaus hinausgelaufen.

Merkel und der franzö­sische Präsident Hollande entschieden, kurzfristig nach Kyjiw und Moskau zu Vorge­sprächen mit Poroschenko und Putin zu reisen. Bei konstruk­tivem Verlauf der Gespräche würde man sich zeitnah zu viert in Minsk treffen, um ein opera­tives Gesamt­paket zur Umsetzung der Minsker Waffenstillstands­vereinbarung vom September 2014 zu beschließen, die als recht­licher und politi­scher Leitfaden für die Konflikt­lösung in Kraft bleiben sollte. Verhand­lungs­grundlage bildete ein deutsch- franzö­si­scher Entwurf, der mit der Ukraine abgestimmt wurde. Auch jeder weitere Verhand­lungs­schritt sollte strikt an die Zustimmung Kyjiws gebunden werden.[9]

Der gesamte Verhand­lungs­prozess dauerte nur eine Woche, vom 5. Februar (Treffen von Hollande und Merkel mit Poroschenko in Kyjiw) bis zum Gipfel­treffen der vier Staats- und Regie­rungs­chefs in Minsk am 11./12. Februar. Die Gespräche verliefen deswegen so zügig, weil der von Deutschland und Frank­reich entworfene und mit Kyjiw abgestimmte Textentwurf im Wesent­lichen auf dem Minsker Protokoll fußte, das seiner­seits zentrale Elemente eines zuvor von Poroschenko verkün­deten „Friedens­plans“[10] wider­spie­gelte. Der schwie­rigste Knack­punkt des Abkommens, wie sich später immer wieder zeigen sollte, betraf die Verzahnung des Waffen­still­stands mit einem politi­schen Prozess, der auf Rückge­winnung der Kontrolle über die ukrai­nisch-russische Grenze in ihrer ganzen Länge, damit auch über die besetzten Gebiete, durch die Regierung der Ukraine gerichtet war. Die Krim blieb aus dem Abkommen wie schon in Minsk I ausgeklammert.

Im Fokus der politi­schen Regelung standen

  • ein „Sonder­status“ mit weitge­henden Rechten bzw. Zustän­dig­keiten für die fraglichen Gebiete (verbunden mit einer Reform der Verfassung der Ukraine zur Dezen­tra­li­sierung der Verwaltung);
  • Modali­täten der Abhaltung von Lokal­wahlen in der Region;
  • Voraus­set­zungen für die Rückge­winnung der Kontrolle über den an das besetzte Gebiet stoßenden, etwa 400 km langen Teilab­schnitt der ukrai­nisch-russi­schen Staats­grenze durch die Regierung der Ukraine.

Wichtige Insti­tu­tionen bzw. Gremien zur Konflikt­be­ar­beitung brauchten nicht erfunden zu werden, sie gab es schon:

  • Das im Juni 2014 anlässlich des 70. Jahrestags der Landung der Alliierten aus der Taufe gehobene „Normandie-Format“ mit Deutschland, Frank­reich, der Ukraine und Russland als Rahmen für Verhand­lungen und politische Steuerung;
  • eine zivile, nicht bewaffnete Beobach­tungs­mission der OSZE in der Ukraine („Special Monitoring Mission“, SMM) zur Überwa­chung des Waffenstillstands;
  • die Trila­terale Kontakt­gruppe der OSZE mit  der Ukraine und Russland zunächst unter Leitung von OSZE-Sonder­ge­sandtin Heidi Tagliavini (unter Hinzu­ziehung der „Separa­tisten“) als ständiges opera­tives Gremium zum laufenden Follow-up der militä­ri­schen, politi­schen und ökono­mi­schen Aspekte des  Abkommens.

Die Inter­essen der Konfliktparteien

Die Ukraine erwies sich insbe­sondere angesichts des offenen Eingreifens regulärer russi­scher Truppen als militä­risch unter­legen. Rückschläge waren unter anderem die Kessel­schlacht von Ilovaisk im August 2014 mit zahlreichen Todes­opfern auf ukrai­ni­scher Seite und später der massive militä­rische Druck der „Separa­tisten“ und Russlands auf den schon erwähnten strate­gi­schen Verkehrs­kno­ten­punkt von Debalzewe. Stark ausge­prägt war die berech­tigte Furcht vor Putins ungebremster Eskala­ti­ons­be­reit­schaft und der von Russland propa­gierten Absicht der Errichtung eines von Charkiw bis Odesa reichen den „Neuru­ss­lands“ (Новороссия, Novor­ossija).[11] Kyjiw wollte insbe­sondere ein langfris­tiges „Einfrieren“ des militä­ri­schen Status Quo verhindern. Ziel war die Wieder­her­stellung ukrai­ni­scher Kontrolle über die Staats­grenze und damit auch über die bisher besetzten Gebiete als Ganzes. Im Gegenzug war Poroschenko ausweislich seines „Frieden­plans“, wie er sich im Minsker Protokoll vom 5.9.2014 wider­spiegelt, bereit, die Kompe­tenzen der lokalen Selbst­ver­waltung auch in den fraglichen Gebieten zu stärken, ein Amnes­tie­gesetz zu erlassen und vorge­zogene Lokal­wahlen in diesen Regionen anzuberaumen.

Putin strebte eine Konso­li­dierung und ein „Einfrieren“ des militä­ri­schen Konflikts an. Er zielte auf eine Legiti­mierung des Separa­tis­ten­re­gimes ab, das er mit der ukrai­ni­schen Regierung auf gleiche Augenhöhe heben wollte.

Die Inter­es­senslage Russlands war mit Blick auf den politi­schen Prozess diametral entge­gen­ge­setzt. Moskau strebte eine langfristige Konso­li­dierung seiner Kontrolle über strate­gische Teile des Donbas und ein „Einfrieren“ des militä­ri­schen Konflikts an. Beim politi­schen Prozess zielte Russland auf eine Legiti­mierung des Separa­tistenregimes ab, das Putin mit seiner Forderung nach „direktem Dialog“ mit der ukrai­ni­schen Regierung auf gleiche Augenhöhe heben wollte. Eine solche Konstel­lation hätte Moskau die Möglichkeit verschafft, den Konflikt jederzeit hoch- oder herun­ter­zu­fahren, um Kyjiw permanent unter Druck zu halten, wichtige ukrai­nische Ressourcen zu binden und damit Wirtschafts­wachstum, Reformen und Annäherung an die EU oder NATO erheblich zu verlang­samen oder ganz zu verhindern.[12]

Minsk II: Form und Inhalt

Format der Verhand­lungen und Form des Abkommens stehen auf der aktiven Seite der Bilanz. Einge­bunden in das Format der Normandie 4‑Staaten (N4) war Moskau gezwungen, als Kriegs­partei auch mit Kyjiw auf Augenhöhe zu sprechen. Damit kam Moskau mit seinem Narrativ, es spiele nur eine Rolle als „Vermittler“ und Kyjiw dürfe nur mit den „Volks­mi­lizen“ („Separa­tisten“) als Konflikt­partei verhandeln, da es sich angeblich um einen internen ukrai­ni­schen Konflikt handele, nicht zum Zuge. Aller­dings spiegelt der Abkom­menstext an keiner Stelle wider, dass auch Russland Kriegs- und Vertrags­partei ist, und legt daher Moskau auch keine Verpflich­tungen auf. So nimmt z.B. Art. 10, der den „Abzug aller auslän­di­schen bewaff­neten Forma­tionen, militä­ri­schen Ausrüstung und Söldner aus dem Hoheits­gebiet der Ukraine“ stipu­liert, keinen expli­ziten Bezug auf in der Ukraine stehende russische Militär­ein­heiten oder Proxy-Truppen.[13] In Minsk waren die „Separa­tisten“ nur indirekt einge­bunden, und zwar in den Rahmen der Trila­te­ralen Kontakt­gruppe der OSZE (TKG). Diese war ebenfalls in der belaru­si­schen Haupt­stadt zusam­men­ge­treten und zeichnete den Text des 13-Punkte-Maßnah­men­pakets nach Vorgabe durch die N4 lediglich ab.[14] Damit brauchte Poroschenko nicht direkt mit den Führern der „Volks­re­pu­bliken“ zu sprechen, was einer „Anerkennung der Separa­tisten gleich­ge­kommen“ wäre.[15] Begleitet wurde das Maßnah­men­paket von einer unter­stüt­zenden Erklärung, in der sich die vier Staats- und Regie­rungs­chefs, damit auch Putin, zur unein­ge­schränkten „Achtung der Souve­rä­nität und terri­to­rialen Unver­sehrtheit der Ukraine“ bekannten.[16]

Russland setzte ein spätes Inkraft­treten des Waffen­still­stands (Art. 1) erst zum 15. Februar 2015 um 00:00 Uhr durch, zweieinhalb Tage nach Unter­zeichnung von Minsk II am 12. Februar, womit er Zeit für die Eroberung von Debalzewe (siehe oben) heraus­schlagen konnte.[17] Dass Putin kurz darauf sogar diesen Termin ignorierte, zeigt die Tatsache, dass die „Separa­tisten“ bzw. regulären russi­schen Truppen die Waffen erst am 18.2., also nach der Eroberung Debal­zewes, niederlegten.

In der Substanz sieht der Waffen­stillstand nur den Abzug schwerer Waffen (ab Kaliber 100mm) vor, aber keine Truppen­ent­flechtung – eine erheb­liche Schwäche der Verein­barung. Damit konnten nur Gebiets­streifen ohne Artil­le­rie­waffen, aber keine vollständig demili­ta­ri­sierten Sicher­heits­zonen geschaffen werden. Truppen­ent­flechtung an neural­gi­schen Punkten wurde später in mühsamer, von vielen Rückschlägen gezeich­neter Detail­arbeit in der Trila­te­ralen Kontakt­gruppe behandelt.[18] Mit Beobachtung und Verifi­zierung von Waffen­still­stand und ‑abzug wurde die OSZE beauf­tragt (Art. 3), die aller­dings anders als im Minsker Protokoll vom 5.9.2014 (Art. 4) keinen erneuten Auftrag zur Überwa­chung der ukrai­nisch-russi­schen Staats­grenze mit Schaffung von Sicher­heits­zonen auf beiden Seiten der Grenze erhielt.[19]

Bei den Regelungen zum politi­schen Prozess liegt der zentrale Knack­punkt in der Bestimmung, dass die Ukraine die Überwa­chung ihrer Staats­grenze zu Russland und damit die Kontrolle über ihr gesamtes Staats­gebiet im Osten erst nach der Durch­führung von Lokal­wahlen in den Konflikt­ge­bieten erhalten sollte (Art. 9). Diese Lokal­wahlen sollten zwar strikt „in Überein­stimmung mit ukrai­ni­schem Recht“ und einem ukrai­ni­schen Sonder­sta­tus­gesetz für das Konflikt­gebiet (Art. 4) sowie gemäß OSZE-Standards und unter Aufsicht der OSZE (Art. 12) durch­ge­führt werden. Dennoch wird in der Forschungs­li­te­ratur zu Recht die Frage aufge­worfen, ob und wie demokra­tische Wahlen nach ukrai­ni­schem Recht und unter Aufsicht der zentralen Wahlkom­mission in Kyjiw mit den Separa­tisten und russi­schen Truppen als Macht­haber vor Ort möglich gewesen sein sollten.[20] Dazu kommt: Die Abfassung des ukrai­ni­schen Lokal­wahl­ge­setzes, die Gestaltung bestimmter Elemente einer Verfas­sungs­reform und die Redaktion des Sonder­sta­tus­ge­setzes sollten „in Absprache“ bzw. Abstimmung mit den „Separa­tisten“ erfolgen (Art. 9,11,12). Aller­dings muss dem Verhand­lungsteam aus Paris und Berlin zugute­ge­halten werden, dass die Dynamik der Gespräche wie bei allen hoch kontro­versen Verhand­lungen Kompro­misse und konstruktive Ambiguität[21] erfor­derte. Deutschland und Frank­reich bzw. die EU hatten außer Sanktionen keine Druck­mittel gegen Russland in der Hand, um die Durch­setzung von Verhand­lungs­po­si­tionen zu erzwingen. Immerhin konnte Moskau den von ihm favori­sierten Begriff der „Autonomie“ für die besetzten Gebiete offen­kundig nicht durch­setzen. Statt­dessen gibt es einen Verweis auf Regelungen des schon verab­schie­deten Sonder­sta­tus­ge­setzes der Ukraine (in einer Fußnote zu Art. 11).

Deutschland, Frank­reich und die EU hatten außer Sanktionen keine Druck­mittel gegen Russland in der Hand.

Unter dem Strich wurde die Wieder­her­stellung der Souve­rä­nität und terri­to­rialen Integrität der Ukraine also doppelt kondi­tio­niert durch

  • de facto russi­sches Mitspra­che­recht an ukrai­ni­scher Gesetz­gebung (Wahlgesetz, Verfassungsreform)
  • und ordnungs­gemäße Durch­führung von Lokal­wahlen gemäß OSZE-Standards unter Besatzungsbedingungen.

Damit hatte es Moskau in der Hand, den politi­schen Prozess an mehreren Stellen zu torpedieren. 

Die Umsetzung der Minsker Verein­ba­rungen – eine gemischte Bilanz

Die Minsker Verein­ba­rungen galten achteinhalb Jahre. Die Umsetzung der 13 Punkte des Minsker „Maßnah­men­pakets“ diente nicht nur als zentrale Messlatte für die Anwendung der EU-Sanktionen gegen Russland, sondern in erheb­lichen Teilen auch als Richt­schnur für die Neuaus­richtung der Russland­po­litik des Westens insgesamt. Bis zuletzt hielten Deutschland und Frank­reich, die Europäische Union, NATO und USA an Minsk fest und pochten auch mangels geeig­neter Alter­na­tiven auf Umsetzung des Maßnah­men­pakets, wie etwa Bundes­kanzler Scholz am 15. Februar 2022 in Moskau. Nur wenige Tage später machten die Anerkennung der „Volks­re­pu­bliken“ von Donezk und Luhansk am 21.2. und die Invasion der Ukraine durch Russland seit dem 24. Februar 2022 die Minsker Abkommen zur Makulatur. Sie zerlegten damit auch die mit hoher Präzision arbei­tende und auf strikte Neutra­lität bedachte OSZE-Sonder­be­ob­ach­tungs­mission und die Tri­laterale Kontaktgruppe.

In den acht Jahren seit dem Minsker Gipfel­treffen haben der Waffen­still­stand, auch wenn er häufig von beiden Seiten gebrochen wurde, und partiell auch die Verein­ba­rungen zu humani­tären Angele­gen­heiten wie Austausch von Gefan­genen positive Ergeb­nisse gebracht. Zwar entfielen von den etwa 14.000 Todes­opfern des Kriegs gegen die Ukraine vor dem 24. Februar 2022 mehr als die Hälfte auf die Zeit nach Inkraft­treten des Minsk-Pakets am 15.2. 2015.[22] Vor allem nach 2016 ging die Zahl der Todes­opfer insbe­sondere unter der Zivil­be­völ­kerung nach UN-Angaben aber signi­fikant zurück.[23] Trotz zahlreicher Waffen­still­stands­ver­let­zungen, die bis Anfang 2022 anhielten, formierte sich bis etwa 2016 eine zwar brüchige Waffen­still­stands­linie, die dennoch bis zum Beginn der großen russi­schen Invasion am 24. Februar 2022 im Großen und Ganzen „hielt“. Die vom Westen befürchtete große Eskalation war ausge­blieben – vorläufig. Im Rückblick wurde sie auf das Jahr 2022 vertagt, auf den Zeitpunkt, zu dem sich das Putin-Regime militä­risch gerüstet und die politische Gelegenheit gekommen sah.

Der politische Teil des Minsker Maßnah­men­pakets schei­terte, weil der Kreml diesen nur als Vehikel nutzte, um die Abspaltung der so genannten „Volks­re­pu­bliken“ vom Staats­verband der Ukraine zu vertiefen und Fortschritte auf dem Weg zur politi­schen, wirtschaft­lichen und humani­tären Reinte­gration der Gebiete zu blockieren. Moskau hat die Umsetzung der Minsker Verein­ba­rungen, zu denen es sich bis Februar 2022 offiziell bekannte, syste­ma­tisch unter­laufen und zum Voran­treiben seiner eigenen geopo­li­ti­schen Agenda missbraucht. Die westliche Diplo­matie zur Unter­stützung der Ukraine konnte daher immer weniger „greifen“. In der Folge nahm die politische Dynamik auf inter­na­tio­naler Ebene ab, nachdem es von 2014 bis 2016 noch eine dichte Frequenz von Treffen insbe­sondere im Rahmen der Normandie 4 gegeben hatte. Das letzte N4-Gipfel­treffen ging am 9.12.2019 in Paris mit einem in Inhalt und Duktus wenig überzeu­genden Lippen­be­kenntnis zu Minsk zu Ende.[24] Die seit 2014 bestehenden Insti­tu­tionen der Konflikt­be­ar­beitung, die Trila­terale Kontakt­gruppe und Sonder­be­ob­ach­tungs­mission der OSZE, arbei­teten im gewohnten Rhythmus weiter, brachten aber immer weniger Ergeb­nisse zustande. Die Umsetzung der Bestim­mungen zur wirtschaft­lichen Zusam­men­arbeit (vgl. Art. 8 über volle „Wieder­auf­nahme der sozialen und wirtschaft­lichen Bezie­hungen“) war seit 15. März 2017 mit der Aussetzung des wirtschaft­lichen Austauschs mit den nicht von der Regierung kontrol­lierten Gebieten durch Kyjiw ganz zum Erliegen gekommen. Der „Wirtschafts­blo­ckade“ waren unter anderem die „Verstaat­li­chung“ ukrai­ni­scher Unter­nehmen durch die defacto-Behörden voraus­ge­gangen. Putin antwortete mit Anerkennung der von den Separa­tisten heraus­ge­ge­benen Ausweise und anderer Perso­nal­do­ku­mente in den besetzten Teilen des Donbas.[25]

Ein Blick auf die politi­schen Kernthemen von Minsk zeigt beispielhaft, wie syste­ma­tisch Moskau alle Anläufe zu einer authen­ti­schen und voll umfäng­lichen Umsetzung der politi­schen Agenda unterlief.

Die Ukraine hatte mit ihrer Gesetz­gebung schon wenige Tage nach Minsk I „geliefert“. Schon im September 2014 verab­schiedete die Rada in Umsetzung von Art. 6 des Minsker Proto­kolls ein Amnes­tie­gesetz, das aber noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Die Verab­schiedung eines „Sonder­sta­tus­ge­setzes“ für die besetzten Gebiete (Minsker Protokoll, Art. 3) erfolgte am 16. September, am 18. Oktober trat es in Kraft. Es sah unter anderem eine Garantie der freien Verwendung der russi­schen Sprache im amtlichen Verkehr sowie in Gesell­schaft und Wirtschaft, Medien und Kultur vor und beinhaltete zudem Bestim­mungen über das Verfahren der Ernennung der Gerichts­vor­sit­zenden und Staats­an­wälte, die Zusam­men­arbeit mit den angren­zenden Rayonen der örtlichen Selbst­ver­waltung Russlands und die Einrichtung einer lokalen „Volks­miliz“ zum Schutz der öffent­lichen Sicherheit und Ordnung nach Maßgabe der Gesetze der Ukraine. Es wurde zunächst für eine Laufzeit von drei Jahren verab­schiedet.[26] Per Gesetz vom 17. März 2015 suspen­dierte Kyjiw aller­dings die Sonder­sta­tus­be­stim­mungen, was vor dem Hinter­grund der nachstehend geschil­derten „Wahlen“ in den nicht von der Regierung kontrol­lierten Gebieten nachvoll­ziehbar ist. Dennoch kam die Ukraine mit einem anderen, ebenfalls am 17.3.2015 verab­schie­deten Gesetz der Minsk II-Verpflichtung (Art. 4 Abs. 2) nach, das Terri­torium für den Geltungs­be­reich des Sonderstatus­ge­setzes zu definieren.[27] Die „Durch­führung vorge­zo­gener Lokal­wahlen“ nach Maßgabe eines ukrai­ni­schen Gesetzes (Minsker Protokoll, Art. 9), die Kyjiw für den 7.12.2014 anberaumt hatte, führten die „Separa­tisten“ mit eigen­mäch­tiger Abhaltung von Wahlen am 2.11.2014 ad absurdum[28]. Sie legten damit die Axt an den politi­schen Prozess. Am schwie­rigsten erwies sich die Veran­kerung der Regelungen zum Sonder­status in die Verfassung der Ukraine (vgl. Minsker Paket, Art. 11). Ein entspre­chender Entwurf Präsident Poroschenkos führte im Sommer 2015 zu gewalt­tä­tigen Protesten in Kyjiw und lag seither auf Eis.[29]

Russland zielte mit seinen – über die von den „Separa­tisten“ in die Kontakt­gruppe einge­brachten – Gegen­vor­schlägen zu den ukrai­ni­schen Geset­zes­ent­würfen darauf ab, die besetzten Gebiete so weit wie möglich adminis­trativ von der ukrai­ni­schen Exekutive abzutrennen und ihnen Attribute von Autonomie bis hin zur fakti­schen Eigen­staat­lichkeit zuzuweisen. Die folgenden Angaben zur russi­schen Position beruhen auch auf einer Rücksprache mit Botschafter a.D. Dr. Martin Sajdik, der die Trila­terale Kontakt­gruppe von 2015 bis Anfang 2020 als Sonder­be­auf­tragter der OSZE leitete.[30]

Moskau sprach öffentlich immer wieder von einem Autono­mie­status für den Donbas, obwohl in den Minsker Abkommen nicht von Autonomie, sondern nur von „Dezen­tra­li­sierung“ die Rede ist. Mit diesem Prozess war aller­dings auch die Ukraine ins Hinter­treffen geraten. Die Autono­mie­vor­schläge der von Moskau gesteu­erten Separa­tisten gingen über das Minsk II-Abkommen weit hinaus und „kamen einer ‚Legali­sierung der Volks­re­pu­bliken‘“ nahe.[31]

Bei den Lokal­wahlen bestand Kyjiw auf Durch­führung der Wahlen unter Aufsicht der zentralen Wahlbe­hörde der Ukraine. Die „Separa­tisten“ hingegen forderten weitgehend autonome Durch­führung der Wahlen in Eigenregie.

Bei der Verfas­sungs­reform forderte Moskau unter anderem eine Abkop­pelung der Wahlen in den besetzten Gebieten vom zentralen Termin der Lokal­wahlen in der Ukraine und eine Veran­kerung weit gehender Sonder­sta­tus­at­tribute.[32]

Mit diesen Maximal­for­de­rungen nahm Russland ein Scheitern des politi­schen Prozesses, der zur Reintegration der besetzten Gebiete in den ukrainischen Staats­verband führen sollte, nicht nur in Kauf, sondern führte es vorsätzlich herbei. Das Scheitern des Normandie-Prozesses lag nicht in erster Linie an inhalt­lichen Bestim­mungen des Minsker Maßnah­men­pakets, sondern am Obstruk­ti­onskurs Moskaus, das die Ukraine immer wieder der Nicht­er­füllung der Verein­ba­rungen beschul­digte, selbst aber Fortschritte durch unerfüllbare Maximal­for­de­rungen, Schaffung vollendeter Tatsachen (wie die Durch­führung von „Wahlen“ in Eigen­regie) oder Delegation von politi­scher Verant­wortung auf die angeblich unabhängig agierenden „Separa­tisten“ blockierte.

Vor diesem Hinter­grund ist es zur Durch­führung von Lokal­wahlen nach ukrai­ni­schem Recht nie gekommen. Die „Separa­tisten“ führten auch den zweiten Urnengang in den Donezker und Luhansker „Volks­re­pu­bliken“ mit Neuwahlen der „Republi­ko­ber­häupter“ und „Parla­mente“ beider Entitäten am 11. November 2018 eigen­mächtig durch. „DVR“ und „LVR“ bauten ihre dikta­to­ri­schen pseudo staat­lichen Struk­turen unter weitgehend vollstän­diger Abhän­gigkeit von Russland aus und schot­teten sich so immer weiter von der Staat­lichkeit der Ukraine ab. Die Bevöl­kerung auf beiden Seiten der Kontakt­linie litt nicht nur unter den zahlreichen Waffen­still­stands­ver­let­zungen, sondern vor allem auch unter den humanitären Schikanen und Beein­träch­ti­gungen, die mit Durch­schneiden des gewohnten Lebens­um­felds durch die brutale, mit tücki­schen Landminen versehene Front­linie mit nur wenigen, völlig überlas­teten und unzurei­chenden Übergängen einher­gingen.[33]

Moskau verfes­tigte mit der so genannten „Passport­i­sazija“, der Ausgabe russi­scher Pässe an die ukrai­nische Bevöl­kerung des besetzten Donbas[34], ab April 2019 die weitge­hende faktische Abtrennung der nicht von der Regierung der Ukraine kontrol­lierten Gebiete weiter. Mit Bau der Krim-Brücke, die 2018 in Betrieb genommen wurde, konso­li­dierte Russland seine völker­rechts­widrige Okkupation der Krim und schnürte gleich­zeitig die ostukrai­ni­schen Hafen­städte am Asowschen Meer von ihren maritimen Verbin­dungen ab, da die Brücke für die Durch­fahrt moderner Contai­ner­schiffe zu niedrig ist. Der Bau der Brücke und der Vorfall vom November 2018, als Russland drei Schiffen der ukrai­ni­schen Marine die Durch­fahrt durch die Straße von Kertsch verwei­gerte und die Schiffe unter Beschuss nahm, wird von Völker­rechtlern als völker­rechts- und vertrags­widrig einge­stuft.[35]

Woran ist „Minsk“ gescheitert?

Das Abkommen an sich oder spätere Ausle­gungen wie die Stein­meier-Formel[36] waren keine Gründe dafür, dass eine nachhaltige Konflikt­lösung nicht gelang.[37] Haupt­ur­sache war, wie gezeigt, das syste­ma­tische Unter­laufen der Verein­barung durch Russland und die von Moskau gesteu­erten „Separa­tisten“. Der Westen war außer Verhängung von Sanktionen nicht bereit, weitere starke Druck- und Macht­mittel zu mobili­sieren, um Verhand­lungs­po­si­tionen durch­zu­setzen oder Obstruktion bzw. Verstöße bei der Umsetzung zu ahnden. Die EU-Sanktionen waren zielge­richtet, aber nicht ausrei­chend und lösten keine Verhal­tens­än­derung bei Moskau aus.[38] Durch Überzeu­gungs­kraft, rationale Argumente und Drängen auf Umsetzung aller Teile des Minsker Maßnah­men­pakets allein waren Fortschritte nicht zu erzielen. Dazu kam: Der öffent­liche Fokus lag stark auf den zahlreichen Waffen­still­stands­ver­let­zungen durch beide Seiten, die aufgrund des engma­schigen Netzes und täglichen trans­pa­renten Bericht­erstattung der OSZE Beobach­tungs­mission SMM (Special Monitoring Mission) laufend ans Tages­licht kamen. Diese wurden immer wieder klar benannt und auf politi­scher Ebene verur­teilt, wodurch heilsamer Druck entstand. Dagegen standen die mühsamen Gespräche über die politi­schen Fragen von Minsk, die hinter verschlos­senen Türen im N4-Format oder in den verschie­denen Arbeits­gruppen der Trila­te­ralen Kontakt­gruppe statt­fanden, deutlich weniger im öffent­lichen Rampen­licht. Moskau forderte dabei öffentlich immer wieder „direkten Dialog“ Kyjiws mit den „Separa­tisten“ ein, obwohl allen klar war, dass die Herren aus Donezk und Luhansk Weisungs­emp­fänger Moskaus waren, die, wenn sie nicht parierten, auch auf skrupellose Art und Weise ausge­tauscht werden konnten.[39]

Nicht explizit genug war im Minsk II-Abkommen die Regelung zur Rückführung der russi­schen Waffen (und deren Überwa­chung), aber auch regulärer Truppen, die eine erfolg­reiche Kriegs­führung der „Separa­tisten“ überhaupt erst möglich gemacht hatten.[40]

Russland erhielt zu viel Raum, sein Narrativ vom angeb­lichen „internen ukrai­ni­schen Konflikt“ mit Notwen­digkeit „direkten Dialogs“ zwischen der Regierung der Ukraine und den „Separa­tisten“ immer wieder zu erzählen und sich selbst als Konflikt­partei und Aggressor aus der Verant­wortung zu stehlen. Dabei machte sich die von Russland verwei­gerte inter­na­tionale Überwa­chung der russisch-ukrai­ni­schen Grenze, über die es ohne jede Kontrolle Truppen, Waffen und sonstiges Material in die besetzten Gebiete der Ukraine pumpte, schmerzlich bemerkbar.[41]

Auf der positiven Seite ist zu verzeichnen, dass Deutschland, die EU und andere Staaten des Westens die Ukraine bei Stärkung von Wirtschaft und Staats­haushalt, Bekämpfung der Korruption, Inkraft­setzung des Assozi­ie­rungs­ab­kommens mit der EU, Förderung der Zivil­ge­sell­schaft, Stärkung der kommu­nalen Selbst­ver­waltung oder Aufhebung der Visapflicht für die Schengen-Staaten nachhaltig unter­stützten. Das entschlossene Zusam­men­stehen bei wirtschaft­lichen Aufbau und politi­schen Struk­tur­re­formen hebelte ein zentrales Kriegsziel Putins, die politische und wirtschaft­liche Nieder­ringung der Ukraine, aus.

Anders stand es um die militä­rische Unter­stützung der Ukraine. Deutschland schloss die Bereit­stellung von Waffen an die Ukraine mit Blick auf den Grundsatz der Nicht­lie­ferung von Rüstungs­gütern in Konflikt­ge­biete grund­sätzlich aus. Darüber hinaus bestand weitrei­chender politi­scher Konsens in Deutschland wie in Frank­reich, dass Waffen­lie­fe­rungen aufgrund der militä­ri­schen Überle­genheit Russlands nur zu weiterer Konflikt­ver­schärfung zum Nachteil der Ukraine und Sicherheit Europas führen würden. Der Normandie-Prozess lag schließlich im Schatten der massiven energie­po­li­ti­schen Abhän­gigkeit Deutsch­lands von Russland. Ein Zurück­fahren des Nord Stream-Projekts stand vor 2022 zu keiner Zeit auf der Tages­ordnung.[42] Durch die 2015 mit Gazprom unter­zeichnete Verein­barung zum Bau der zweiten Pipeline, ein Jahr nach der russi­schen Besetzung der Krim, begab sich Deutschland noch stärker in die Abhän­gigkeit.[43]

Der Grund­wi­der­spruch von Minsk lag darin, dass Putin das Ende der Ukraine als unabhängige Nation anstrebte und ihr eine eigen­ständige Identität absprach.

Insgesamt lag der Grund­wi­der­spruch von Minsk darin, dass Putin das Ende der Ukraine als unabhängige Nation anstrebte, ihr eine eigen­ständige histo­risch-kultu­relle Identität absprach und ihre Rolle auf eine Funktion Russlands reduzierte.[44] Er hatte folglich kein Interesse an einem zielfüh­renden politi­schen Prozess nach Buchstaben und Geist der Minsker Abkommen. Ein solcher wäre möglich gewesen, hätte Moskau die Abkommen (trotz ihrer Schwächen) in gutem Willen umgesetzt.

Trump und ein „Peace Settlement“

Bei der von Trump angekün­digten Initiative zu einer Konflikt­lösung[45], von der abzuwarten ist, ob und ggfs. wann diese zustande kommt, wird sich das Verhand­lungs­sze­nario natürlich ganz anders als vor 10 Jahren in Minsk gestalten. Die Ausgangslage wird, zugespitzt formu­liert, schwie­riger und einfacher als in Minsk sein:

  • Schwie­riger, weil für die Ukraine und den Westen viel mehr auf dem Spiel steht. Putin wird an seinem inakzep­tablen, in dem russi­schen Abkom­mens­entwurf vom Dezember 2021 darge­legten Konzept der sicher­heits­po­li­ti­schen Aufteilung Europas zur gegen­sei­tigen Abgrenzung von Einfluss­sphären zwischen Russland und der NATO[46] festhalten. Mit Blick auf die Ukraine dürfte Putin auf Abtretung der vier von Russland beanspruchten und mit von Putin am 4.10.2022 unter­zeich­neten Gesetzen einver­leibten Gebiete Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja[47] bestehen. Dazu kommt die Forderung Russlands von Neutra­lität und Verzicht der Ukraine auf NATO-Mitglied­schaft, was der Aufgabe ihrer Bündnis­freiheit, dem Kern außen­po­li­ti­scher Souve­rä­nität, gleichkäme.
  • Einfacher (d.h. weniger komplex), weil anders als in Minsk die Karten offen auf dem Tisch liegen. Nur Russland und die Ukraine sind Kriegs­par­teien. Das russische Spiel über die Bande mit angeblich eigen­ständig agierenden „Separa­tisten“ entfällt. Das geopo­li­tische Konzept Putins mit einer zu „neutra­li­sie­renden“ Ukraine ist ebenfalls offen­kundig. Russland wird seine eigenen imperialen Ambitionen bei Verhand­lungen nicht mehr verstecken können.

10 Lehren aus Minsk

Der Westen muss alles tun, damit die Ukraine Verhand­lungen aus einer Position militä­ri­scher Stärke führen kann. Sie muss von vornherein einen gleich­wer­tigen Platz einnehmen.

Als „Obersatz“ und Voraus­setzung für die folgenden 10 Punkte die wichtigste Lektion: Der Westen, vor allem auch Europa, muss alles tun, damit die Ukraine mögliche Verhand­lungen aus einer Position militä­ri­scher Stärke führen kann. Damals musste die Ukraine aus einer Position der Schwäche heraus verhandeln und Zugeständnisse machen, die Russland in die Vorhand brachten. Das darf sich nicht wiederholen. 

1) Verhand­lungen dürfen nicht zu einer bilate­ralen Absprache zwischen Washington und Moskau über den Kopf Kyjiws hinweg degene­rieren. Die Ukraine muss von vornherein einen gleich­wer­tigen Platz am Tisch einnehmen. Anderen­falls würde der Westen in die gleiche Falle gehen, wie sie Putin schon am 6. Februar 2015 in Moskau aufge­stellt hatte. Unter Missachtung des deutsch franzö­sisch-ukrai­ni­schen Entwurfs zum Minsk II-Abkommen hatte er Merkel und Hollande einen von Moskau verfassten Text vorgelegt und vorge­schlagen, einen Waffen­still­stand zu verkünden, ohne dass die Ukraine beteiligt werden sollte. Bundes­kanz­lerin und Präsident setzten dagegen durch, dass auf Grundlage des gemeinsam mit Poroschenko gefer­tigten deutsch-franzö­si­schen Entwurfs weiter­ver­handelt wurde.[48]

2) Russland muss im Text einer künftigen Verein­barung anders als in Minsk deutlich in seiner Rolle als Kriegs­partei benannt werden und sich zu klar termi­nierten Verpflich­tungen bekennen, deren Nicht­er­füllung mit einschnei­denden, ebenfalls klar zu benen­nenden Sanktionen zu ahnden ist. Ein Abkommen sollte daher im Kern die Form einer bilate­ralen Verein­barung zwischen der Ukraine und Russland annehmen. Abschre­ckender Präze­denzfall ist der in Istanbul verhan­delte Entwurf eines „Vertrags über ständige Neutra­lität und Sicher­heits­ga­rantien für die Ukraine“ vom 15.4.2022.[49] Dieser ist als Abkommen zwischen einer Reihe von „Garan­tie­staaten“, unter denen Russland aufge­führt ist (!), einer­seits sowie der Ukraine anderer­seits als vertrags­schlie­ßende Parteien konzi­piert. Die Ukraine wird mit einer Fülle von Verpflich­tungen belegt, während sich Russland immer nur im Verbund mit den anderen Garan­tie­staaten wie den USA auf Zusagen einlässt und sich im Übrigen ein Vetorecht (!) gegen die Anwendung militä­ri­scher Gewalt durch von der Ukraine um Hilfe gerufene Garan­tie­staaten vorbehält.

3) Kein Minsk III mit „Födera­li­sierung“ der Ukraine. Jedes direkte oder indirekte Mitspra­che­recht Russlands an Gestaltung der inneren Ordnung und politi­schen Verfasstheit der Ukraine ist auszuschließen.

4) Festle­gungen zur Perspektive der Ukraine auf eine Mitglied­schaft in EU und NATO nur mit, nicht gegen die Ukraine.

5) Die Europäische Union sollte zeitnah ihre Rolle bei Verhand­lungen und Umsetzung des Abkommens definieren, insbe­sondere auch bei der Stellung von Friedens­truppen (s.u.). Es wäre leicht­sinnig, abzuwarten, bis Trump der EU eine Rolle „zuweist“. Eine Arbeits­teilung analog zu Minsk mit Beschränkung der Zustän­digkeit Brüssels nur auf das Sankti­ons­regime ist auszu­schließen. Die EU muss für die Sicherheit in ihrer unmit­tel­baren Nachbar­schaft die ungeteilte Verant­wortung übernehmen. Das schließt eine direkte Betei­ligung an Verhand­lungen und aktives Eintreten für europäische Inter­essen ein.

6) Ohne Druck­mittel wäre das Abkommen zahnlos wie Minsk. Dazu gehören neben glaub­wür­digen und realis­ti­schen Sicher­heits­ga­rantien einschnei­dende Sanktionen, aber auch fortge­setzte Waffen­lie­fe­rungen an die Ukraine, um deren Vertei­di­gungs­fä­higkeit nachhaltig zu stärken.

7) Zur Überwa­chung des Waffen­still­stands ist die Einrichtung einer bewaff­neten militä­ri­schen inter­na­tio­nalen Monitoring-Truppe mit klarem Mandat sowie umfas­sendem Zugang und Überwa­chungs­mög­lich­keiten auf beiden Seiten der festzu­le­genden Kontakt­linie erfor­derlich. Nur eine zivile, nicht bewaffnete Beobach­tungs­mission mit einge­schränktem Zugang zum russisch kontrol­lierten Gebiet wie bei der OSZE-Sonder­be­ob­ach­tungs­mission Ukraine wäre unzurei­chend. Neben dem Abzug schwerer Waffen sollte das in Minsk ausge­blendete Thema der Truppen­ent­flechtung eine wichtige Rolle spielen. Ziel ist die Schaffung einer demili­ta­ri­sierten Sicher­heitszone von ausrei­chender Tiefe auf beiden Seiten der Kontakt­linie unter Aufsicht der inter­na­tio­nalen Friedenstruppe.

8) Die inter­na­tionale Friedens­truppe sollte neben einem europäi­schen Kontingent auch eine starke militä­rische US-Präsenz umfassen, um die trans­at­lan­tische Dimension der gemein­samen Verant­wortung für die Stabi­lität des Waffen­still­stands sowie Unteil­barkeit der NATO zu verankern. Auch Verbündete Russlands sollten vertreten sein. Das würde den Preis für einen Angriff auf die Peace­keeper für Russland drastisch erhöhen. Die Sicherheit der Truppe, aber auch ihre Einsatz­fä­higkeit und Akzeptanz würden erheblich gestärkt.

9) Die Umsetzung der Minsker Abkommen hat gezeigt, dass der unkon­trol­lierte Zustrom von russi­schen Waffen und Truppen über den nicht von Kyjiw kontrol­lierten Teil der ukrai­nisch-russische Grenze in die besetzten Gebiete das zentrale Sicher­heitsleck war. Das Abkommen sollte daher auch eine inter­na­tionale Überwa­chung der russisch-ukrai­ni­schen Staats­grenze vorsehen.

10) Die Verein­barung sollte von Regelungen zur Abrüstung und Rüstungs­kon­trolle mit dem notwen­digen Verifi­ka­ti­ons­regime flankiert werden als Beginn eines Prozesses der Wieder­her­stellung von Sicherheit in der Ukraine und Europa.

Fuß­no­ten

[1] So Hugo von Essen und Andreas Umland, Warum die Minsker Abkommen von Anfang an zum Scheitern verur­teilt waren. SIRIUS 2022, 6 (3), 282–292, hier 282.

[2] Interview mit Angela Merkel. DIE ZEIT 51/​2022. Merkels früherer außen- und sicher­heits­po­li­ti­scher Berater, Christoph Heusgen, hält den schlechten Ruf des Minsker Abkommens für ungerecht­fertigt. „Es sei genauso gut oder schlecht wie das Budapester Memorandum von 1994, in dem Russland die terri­to­riale Integrität unter anderem der Ukraine garan­tiert hat, oder die Charta der Vereinten Nationen. ‚Alle drei hat Putin in die Tonne getreten, aber deswegen sind sie nicht schlecht. Putin ist schlecht, weil er sich nicht an inter­na­tio­nales Recht hält.‘“ Website ntv, 8.2.2024, https://www.n‑tv.de/politik/Heusgen-Es-darf-nicht-so-ausgehen-wie-im-Ersten-Weltkrieg-article24720868.html

[3] Henry Foy, Vladislav Surkov: An Overdose of Freedom is lethal to a State. Financial Times, 18.06. 2021.

[4] Vgl. dazu insbe­sondere auch die Video-Ansprache des Präsi­denten der Russi­schen Föderation vom 24.2.2022, Обращение Президента Российской Федерации, www.kremlin.ru/multimedia/video/by-date/24.02.2022

[5] Zu den Umrissen der „Kellogg-Doktrin“ vgl. Keith Kellogg & Fred Fleitz, America First, Russia and Ukraine, Research Report/​Center for American Security, AFPI (America First Policy Institute), 9.4. 2024, https://americafirstpolicy.com/assets/uploads/files/Research_Report_-Ukraine_Research_GKK.pdf

[6] Der Trila­te­ralen Kontakt­gruppe (TKG) gehörten unter Ägide der OSZE Vertreter der Ukraine und Russlands an, die in diesem Format mit den Führern der von Russland gesteu­erten und bewaff­neten „Separa­tisten“ aus Donezk und Luhansk sprachen.

[7] Abschluss­pro­tokoll der Konsul­ta­tionen der trila­te­ralen Kontakt­gruppe über gemeinsame Maßnahmen zur Imple­men­tierung des Friedens­plans des Präsi­denten der Ukraine, P. Poroschenko, und der Initia­tiven des Präsi­denten Russlands, W. Putin, vom 5.9. 2014. https://www.osce.org/files/f/documents/a/a/123258.pdf. Memorandum zur Imple­men­tierung … des Proto­kolls der Trila­te­ralen Kontakt­gruppe … vom 19.9.2014. https://www.osce.org/home/123806

[8] Ein direktes militä­ri­sches Eingreifen wurde von Russland immer wieder abgestritten, ist aber mittler­weile aufgrund zahlreicher Beobach­tungen und Recherchen nachge­wiesen. Einschlägig https://www.bellingcat.com/tag/ukraine/. Die „Inter­na­tional Volunteer Community“ Inform­Napalm (gegründet im März 2014 von einem ukrai­ni­schen  Journa­listen und einem georgi­schen Militär­ex­perten) unterhält seit 2014 eine Datenbank über die Präsenz russi­scher Streit­kräfte in der Ukraine, die auf Open Source Intel­li­gence beruht. https://informnapalm.org/de/regulaere-russische-armee-in-der-ukraine-untersuchung-und-infografik/ Vgl. ausführ­liche weitere Quellen­an­gaben und Belege bei Sabine Fischer, Der Donbas-Konflikt. Wider­strei­tende Narrative und Inter­essen, schwie­riger Friedens­prozess. SWP-Studie 3, Februar 2019, Berlin, 25.

[9] Chrono­logie der Verhand­lungen folgt der Darstellung bei Angela Merkel, Freiheit. Köln 2024, 484f.

[10] Ebd.

[11] Zum schil­lernden Begriff „Neuru­ssland“ siehe Oleksandr Zabirko, Russkij Mir und Novor­ossija. Theolo­gische und natio­na­lis­tische Konzepte russi­scher (Außen-)Politik. In: Heinz-Gerhard Justen­hoven (Hg.), Kampf um die Ukraine. Ringen um Selbst­be­stimmung und geopo­li­tische Inter­essen, Baden-Baden 2018, 63–77: „Novor­ossija [ist, eingefügt v. Verf.] eigentlich eine histo­rische russische Bezeichnung für die Steppen­ge­biete nördlich des Schwarzen und Asowschen Meeres, die in der Mitte bzw. am Ende des 18. Jahrhun­derts dem Russi­schen Reich einver­leibt wurden. Doch jenseits des scheinbar harmlosen geogra­phi­schen brandings wird dieser Begriff heute zur Parole eines Kampfes um neue politische Reali­täten – ja, zur militä­ri­schen Ermäch­tigung.“ A.a.O., 63.

[12] Vgl. dazu z.B. Sabine Fischer, a.a.O. Die Inter­es­senslage Russlands gut auf den Punkt bringt der frühere US-Bot-schafter in Kyjiw (1998–2000), Steven Pifer, in Ukrinform vom 18.04.2016. https://www.ukrinform.net/rubric-polytics/2002161-pifer-its-in-russias-interest-to-freeze-conflict-in-donbas.html. Vgl. auch das o.a. Zitat Surkows, wonach die Aggression gegen die Ukraine nur eine Facette der geopo­li­ti­schen Konfron­tation Russlands mit dem Westen bildet (Fußnote 4).

[13] Vgl. Sabine Fischer, a.a.O., 13.

[14] So Angela Merkel, a.a.O., 485.

[15] Ebd.

[16] Erklärung des Präsi­denten der Russi­schen Föderation, des Präsi­denten der Ukraine, des Präsi­denten der Franzö­si­schen Republik und der Bundes­kanz­lerin der Bundes­re­publik Deutschland zur Unter­stützung des Maßnah­men­pakets zur Umsetzung der Minsker Verein­ba­rungen, angenommen am 12. Februar 2015 in Minsk. https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/201881/dokumentation-das-minsker-abkommen-vom-12-februar-2015/

[17] Zu Einzel­heiten zum Ablauf und Über-die-Bande-Spielen Putins mit den Separa­tisten während der Minsker Verhand­lungen vgl. Merkel, a.a.O., 492, die resümiert: „Es war klar, dass Putin unbedingt noch Debalzewe erobern wollte, was später auch so geschah.“

[18] Vgl. z.B. das Presse­statement des Leiters der Trila­te­ralen Kontakt­gruppe, Martin Sajdik, vom 19.12. 2019 (zum Treffen der TKG am Vortag in Minsk): “Also, the Security Working Group started discus­sions to define three additional disen­ga­gement areas. … This year, we have also made progress with regard to the disen­ga­gement of forces and hardware in Stanytsia Luhanska, Zolote and Petrivske, including mine clearance and the removal of forti­fi­ca­tions.” https://www.osce.org/chairmanship/442552

[19] Art. 4 des Minsker Proto­kolls, das weiter voll umfänglich in Kraft blieb und durch das Minsk II-Abkommen nicht ersetzt wurde (es ist überschrieben mit ‚Maßnah­men­paket zur Umsetzung der Minsker Verein­ba­rungen‘, Hervor­hebung vom Verf.), lautet: „Sicher­stellung eines ständigen Monitoring an der ukrai­nisch-russi­schen Staats­grenze sowie einer Verifi­kation durch die OSZE mit Schaffung einer Sicher­heitszone in den Grenz­ge­bieten der Ukraine und der RF.“ Das Mandat der schon früh, mit Beschluss des Ständigen Rats der OSZE Nr. 1117 vom 21.3.2014, geschaf­fenen Special Monitoring Mission to Ukraine umfasst das gesamte Staats­gebiet der Ukraine. https://www.osce.org/files/f/documents/d/6/116747.pdf

[20] Vgl. z.B. Heiko Pleines (Forschungs­stelle Osteuropa an der Univer­sität Bremen), Die Umsetzung der Minsker Verein­ba­rungen: Was ist möglich? In: Ukraine-Analysen 261 (14.02.2022): „Die Vorgabe, dass Lokal­wahlen in den »Volks­re­pu­bliken« nach demokra­ti­schen Standards erfolgen sollen, macht ihre Durch­führung de facto unmöglich, da die aktuellen Macht­haber keine Wahlnie­derlage riskieren werden. Gleich­zeitig ist zunehmend deutlich geworden, dass »DNR« und »LNR« sowohl militä­risch als auch wirtschaftlich von Russland abhängig sind. Es stellt sich damit auch die Frage, inwieweit die Ukraine verpflichtet sein sollte, die Verfas­sungs­reform zur Dezen­tra­li­sierung mit demokra­tisch nicht legiti­mierten Vertretern der Separa­tisten abzustimmen.“

[21] Zum Beispiel bleibt offen, wann genau und für wen das Sonder­sta­tus­gesetz „bis Ende 2015“ in Kraft gesetzt werden soll: Schon für die Defacto-Macht­haber, d.h. die Separa­tisten, oder erst für demokra­tisch legiti­mierte Reprä­sen­tanten lokaler Gebiets­kör­per­schaften, die bei ebenfalls bis Ende 2015 abzuhal­tenden Lokal­wahlen nach einem Gesetz der Ukraine (das ebenfalls mit örtlichen „Vertretern“ abzustimmen wäre) und gemäß OSZE-Standards gewählt werden sollen? Vgl. Maßnah­men­paket Art. 11 und 9. Siehe auch unten, Fußnote 36 (Stein­meier-Formel).

[22] Vgl. Sabine Fischer, Peace Talks Between Russia and Ukraine: Mission Impos­sible. SWP Comment 65, November 2022, 2.

[23] Nach UN-Angaben kamen im Donbass vom 14.4.2014 bis 31.12.2021 insgesamt 3404 Zivilisten ums Leben, einschließlich der 298 Todes­opfer des krimi­nellen Abschusses des malay­si­schen Verkehrs­flug­zeugs MH17 am 17.7.2014. Vgl. Office of the United Nations High Commis­sioner for Human Rights, Conflict related Casualties in Ukraine, 27.1. 2022.

[24] https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/archiv/gemeinsam-vereinbarte-schlussfolgerungen-des-gipfeltreffens-von-paris-im-normandie-format-1705068

[25] Darstellung nach Sabine Fischer, Der Donbas-Konflikt. Wider­strei­tende Narrative und Inter­essen, schwie­riger Friedens­prozess. Berlin, SWP-Studie 3, Februar 2019, 11.

[26] „Gesetz über den Sonder­status einzelner Bezirke der Region Donezk und Luhansk (16.09.2014). In: Ukraine-Analysen 136, 17.9. 2014, 9f. Zu weiteren Details vgl. Otto Luchterhand, Die Verein­ba­rungen von Minsk über den Konflikt in der Ostukraine (Donbass) aus völker­recht­licher Sicht, Wissen­schaft­liche Beiträge des Ostin­stituts Wismar, Ost/​Letter 2/​2019 (Dezember 2019), 32.

[27] A.a.O., 41.

[28] Vgl. Andreas Umland/​Hugo von Essen, Russia’s Dictated Non-Peace for Ukraine in 2014–2022. Why the Minsk Agree­ments were Doomed from the Start and What Lessons They Teach. Stockholm Centre for Eastern European Studies (SCEEUS) 3/​2022, 4.

[29] Vgl. Sabine Fischer, a.a.O., 20.

[30] Der Austausch mit Herrn Sajdik fand am 8.1. 2025 statt.

[31] Siehe dazu Otto Luchterhand, a.a.O., 34.

[32] Zur Verfas­sungs­reform ders., a.a.O., 44/​45: „Offen­kundig im Kreml unter Leitung von Surkow ausge­ar­beitet, fordern sie [die Separa­tisten, der Verf.] im Anschluss an den Abschnitt X. der Verfassung über die ‚Autonome Republik der Krim‘ die Einfügung eines Abschnitts X(1) über den ‚Rechts­status einzelner Rayone der Gebiete Doneck und Lugansk‘ mit einem höheren Status als die‚ Autonome Republik Krim‘ (Art. 1391 – Art. 1398) und ferner die Einfügung der von ihnen geltend gemachten Sonder­sta­tus­be­fug­nisse in weitere Abschnitte der Verfassung sowie die von Moskau gefor­derte verfas­sungs­recht­liche Veran­kerung der Neutra­lität und Block­freiheit der Ukraine.“

[33] Sabine Fischer, a.a.O., 1.

[34] Bis Mitte 2020 hat Russland­knapp 200.000 Pässe an Ukrai­ne­rinnen und Ukrainer aus den „Volks­re­pu­bliken“ Donezk und Luhansk ausge­geben. Vgl. Fabian Burkhardt, Russlands „Passport­i­sierung“ des Donbas, SWP-Aktuell 58, Juni 2020.

[35] Vgl. z.B. Otto Luchterhand, Gegen das Völker­recht. Die Eskalation des Konflikts im Asowschen Meer. In Osteuropa 1–2/2019, 3–22.

[36] „Es geht darin um die Frage der Reihen­folge zwischen Inkraft­treten eines Sonder­sta­tus­ge­setzes für die nicht von der Regierung kontrol­lierten Gebiete der östlichen Regionen Luhansk und Donezk und der Durch­führung von Wahlen. Die Formel sieht vor, dass das Sonder­sta­tus­gesetz vorläufig am Tag der Lokal­wahlen in Kraft tritt und seine perma­nente Geltung nach positiver Beurteilung der Wahlen durch die Wahlbe­ob­ach­tungs­mission der OSZE erlangt.“ Auswär­tiges Amt, Wichtige Einigung im Konflikt in der Ostukraine, 8.10.2021, www.Auswaertiges-Amt.de/de/aussenpolitik/steinmeierformel/2253700

[37] Letzteres behauptet Kristian Åtland, War, Diplomacy, and more War: Why did the Minsk Agree­ments fail? Inter­na­tional Politics, 15.11. 2024, 16. https://doi.org/10.1057/s41311-024–00637‑x

[38] Studie des DIW kommt zum Schluss, dass die EU-Sanktionen gegen Russland gewirkt hätten (Wohlstand sei um 1,4% einge­brochen), das Potential sei aller­dings bei Weitem nicht ausge­schöpft worden. Der Sankti­ons­druck hätte deutlich erhöht werden können. Vgl. Sonali Chowdhry, Julian Hinz, Joschka Wanner und Katrin Kamin, Sankti­ons­ko­ali­tionen erhöhen Kosten für Russland, aber Last der Mitglieds­länder sollte verteilt werden. DIW Wochen­be­richt 8/​2024.

[39] So starb Alexander Sachart­schenko, Chef der „Volks­re­publik Donezk“, am 31.8.2018 bei einer Explosion in einem Donezker Restaurant. Bis heute ist ungeklärt, wer für den Anschlag verant­wortlich war. Nach ukrai­ni­schen Angaben und der unabhän­gigen russi­schen Zeitung Nowaja Gaseta war dem Anschlag ein Streit zwischen Sachart­schenko und seinen russi­schen Weisungs­gebern voraus­ge­gangen, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Wladimirowitsch_Sachartschenko. Sein Tod hatte eine noch stärkere politische Übernahme der „DNR“ durch Russland zur Folge. Vgl. Nikolaus von Twickel, Ukraine. Analyse: Der Mord an Separa­tis­ten­führer Sachart­schenko und die Folgen. Bundes­zen­trale für Politische Bildung/​Internationales, 25.09.2018.

[40] Vgl. Maßnah­men­paket Art. 10: „Abzug aller auslän­di­schen bewaff­neten Forma­tionen, militä­ri­schen Ausrüstung und Söldner aus dem Hoheits­gebiet der Ukraine unter Beobachtung der OSZE. Entwaffnung aller illegalen Gruppen.“

[41] Die OSZE unter­hielt zwar eine Beobach­tungs­mission an den russi­schen Grenz­über­gängen Gukovo und Donezk im Rahmen eines von der Special Monitoring Mission SMM getrennten Mandats, vgl. Permanent Council Decision No. 1130, OSCE, 25.7. 2014, www.osce.org/pc/121826. Der von der Mission beobachtete Abschnitt war jedoch nur wenige Dutzend Meter lang. Vgl. Andreas Umland, Achie­ve­ments and Limita­tions of the OSCE’s Special Monitoring Mission to Ukraine. Swedish Institute of Inter­na­tional Affairs, UI Report 3/​2021.

[42] Vgl. Stefan Meister/​Wilfried Jilge, Nach der Ostpo­litik. Lehren aus der Vergan­genheit als Grundlage für eine neue Russland- und Osteu­ro­pa­po­litik. DGAP-Analyse 6/​Dezember 2022, 8.

[43] Kirsten Westphal, Nord Stream 2 – Germany’s Dilemma. SWP Comment 2021/​C 32, 30.4.2021.

[44] Putin brachte das auf den Punkt in seinem Essay „Über die histo­rische Einheit der Russen und Ukrainer“ (Об историческом единстве русских и украинцев), veröf­fent­licht am 12. Juli 2021. http://kremlin.ru/events/president/news/66181.

[45] Vgl. Keith Kellogg & Fred Fleitz, a.a.O.

[46] Agreement on Measures to ensure the Security of the Russian Federation and Member States of the North Atlantic Treaty Organization vom 17.12. 2021. https://mid.ru/ru/foreign_policy/rso/nato/1790803/?lang=en

[47] http://en.kremlin.ru/acts/news/69516

[48] So Angela Merkel, a.a.O., 487.

[49] Treaty on Permanent Neutrality and Security Guarantees for Ukraine, Draft as of 4/​15/​2022, Sent to the President of the Russian Federation on April 15, 2022. https://static01.nyt.com/newsgraphics/documenttools/a456d6dd8e27e830/e279a252-full.pdf

Dem Text zufolge erklärte sich die Ukraine bereit, sich zu einem „permanent neutralen Staat“ unter Verzicht auf NATO Mitglied­schaft dekla­rieren zu lassen und die Klärung des Status der Krim und anderer von Moskau besetzter Teile der Ukraine auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Russland signa­li­sierte Bereit­schaft zur Akzep­tierung eines EU-Beitritts der Ukraine und Offenheit für direkte Gespräche zwischen Putin und Selenskyj. Beide Seiten haben sich in der Folge davon wieder distan­ziert. Die aufge­führten Guarantor-Staaten UK, China, USA, Belarus und Türkei sind (außer Russland [!], das ebenfalls als Garan­tie­staat aufge­führt wird) nicht konsul­tiert worden. Proble­ma­tisch war der Text auch deshalb, weil die militä­rische Unter­stützung der Ukraine im Fall eines Angriffs an den Konsens aller Garan­tie­staaten, also auch Russlands, gebunden gewesen wäre, vgl. Art. 5 des „Draft“. Dazu vgl. Inter­na­tional Crisis Group (ohne Angabe Verfasser), Toward a Plan B for Ukraine, 25.10.2024, 3. https://www.crisisgroup.org/sites/default/files/2024–10/ukraine-25x24-en.pdf.

Vgl. auch Samuel Charap und Sergey Radchenko, The Talks that Could Have Ended the War in Ukraine (25.04.2024). Foreign Affairs 103/​3 (Mai/​Juni 2024).

Textende

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