Polen als Vorreiter der illiberalen Demokratie?
In Polen erfolgt unter Jaroslaw Kaczynski ein rapider Angriff auf Gewaltenteilung, Parlamentarismus und Grundrechte. Die Regionalwahlen 2018 werden zum Testfall für das Machtprojekt der PIS.
Vor einem Jahrzehnt kehrte das Polen der III. Republik zur europäischen Normalität zurück. In den vorgezogenen Neuwahlen vom 21. Oktober 2007 setzte sich die liberalkonservative Bürgerplattform (PO) von Donald Tusk gegen die nationalkonservative „Recht und Gerechtigkeit“ und ihre ehemaligen zweifelhaften Bündnispartner durch. Die Zwischenphase nationalistischer, europaskeptischer Alleingänge und der Schuldzuweisungen an die Nachbarn schien der Vergangenheit anzugehören.
Donald Tusk stand für eine ausgleichende liberale Politik der Mitte, Polen hatte stabile Zuwachsraten der Wirtschaft und kam erstaunlich gut über die internationale Finanzkrise hinweg. Optimisten sprachen bereits von einer „Grünen Insel“ im östlichen Europa. Nach der Flugzeugkatastrophe von Smolensk im April 2010, setzte sich der dem liberalkonservativen Lager zuzurechnende Bronisław Komorowski in vorgezogenen Präsidentschaftswahlen durch. Donald Tusk gewann ein Jahr später erneut die Parlamentswahlen.
In dieser Zeit konnte der polnische Außenminister Radosław Sikorski, Deutschland ermutigen, stärker Verantwortung zu übernehmen und gemeinsam mit Polen zum Motor der Europäischen Integration zu werden. Bronisław Komorowski sprach im Bundestag von einer Kopernikanischen Wende in den deutsch-polnischen Beziehungen. Mit Gesine Schwan als Deutscher Polenbeauftragter und ihrem polnischen Partner Władysław Bartoszewski standen bereits in den Jahren vorher zwei anerkannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens für intensive zivilgesellschaftlicher Annäherung, Ausgleich und Versöhnung.
Als der wiederholte Wahlverlierer Jarosław Kaczynski, angesichts des ungarischen Erfolgsrezeptes die Losung ausgab: „Heute Budapest, morgen Warschau“, erntete er außerhalb seiner Anhängerschar nur Kopfschütteln und ein mitleidiges Lächeln. Er galt als hoffnungsloses Auslaufmodell. Mit einem erneuten Wahlsieg seiner Partei wollte niemand rechnen. Es kam anders.
Mit dem Machtantritt der PIS und ihrer Verbündeten änderte sich die politische und gesellschaftliche Situation im Lande, änderte sich das Verhältnis der polnischen Regierung zu ihren europäischen Nachbarn einschneidend. Ihr Wahlsieg war keinem Wunder oder einem historischen Zufall zu verdanken. Unter Donald Tusk wurden, bei allen Erfolgen seiner Amtsjahre, entscheidende Reformen im Wirtschafts- und Sozialbereich verschleppt, ein ganzer Teil der jüngeren, gut ausgebildeten Generation blieb vom Aufschwung ausgeschlossen und bildete ein immer unzufriedeneres Prekariat. Gegenüber einer polnischen Linken, die seit einem Jahrzehnt in Trümmern lag und der scheinbar hoffnungslos unterlegenen Rechten, stellte sich die PO als alternativlose Kraft der Mitte dar. Der Wechsel von Donald Tusk zur Europäischen Kommission hinterließ eine ausgebrannte Partei, die ihre eigenen Versprechungen nicht einlöste, den Anforderungen eines harten polarisierenden Wahlkampfes nicht gewachsen war. Eine Mobilisierung des traditionalistischen Stammpersonals der PIS, die weite Öffnung bis zum rechten Rand der politischen Szene und soziale Wahlversprechen, brachten Jarosław Kaczynski den Wahlsieg vom November 2015. Er ist der unumstrittene Herr und Gestalter des neuen Machtprojektes, obwohl er außer dem Parteivorsitz kein weiteres Amt innehat. Alle Hoffnungen auf eine schnelle Normalisierung und auf interne Rivalitäten, die das Tempo des destruktiven Vorgehens bremsen könnten, zerschlugen sich. Mit höchster Intensität wurde an der Blockade und Zerstörung von ausgleichenden Kräften der Gewaltenteilung gearbeitet. Die Einsetzung der neuen Regierung, bis hin zur Aufstellung der Kabinettsliste lag in den Händen des Vorsitzenden, ebenso die Arbeit mit dem Staatspräsidenten Andrej Duda. Bei dessen kritischen Interventionen in Sachen Justizreform steht die weitere Standfestigkeit noch aus.
Was stattfindet, ist ein Angriff auf alle Ebenen der Gewaltenteilung: die Arbeit der Opposition in den beiden Kammern des Parlaments wird behindert und eingeschränkt, die Ministerpräsidentin Beata Szydło ist eine treue Gefolgsfrau Kaczynskis und gibt die Anweisungen aus der Parteizentrale an die Mitglieder ihres Kabinetts weiter. Mit dem Justizminister Zbigniew Ziobro, der gleichzeitig das Amt des Generalstaatsanwaltes an sich gerissen hat, ist der Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz verbunden. In allen Bereichen des Staatsapparates und in Teilen des Kulturbetriebes kam es zu zahlreichen Entlassungen, die deutlich über das Maß üblicher Veränderungen hinausgehen. In den immer stärker unter Kontrolle geratenen Staatsmedien greift eine Sprache der Rache, der Abrechnung mit den Eliten der III. Republik, der Angriffe auf europäische Nachbarn und die Werte der europäischen Politik um sich. Unabhängige private populäre Medien, wie die Gazeta Wyborza, einige Wochenzeitschriften und einzelne private Fernsehsender sehen sich wirtschaftlicher Erpressung ausgesetzt.
Das von Kaczynskis Seite verordnete Bild einer traditionellen, katholisch geprägten Nation, die sich dem zersetzenden Einfluss einer europäisch-westlichen dekadenten Moderne entgegenstemmt, entspricht in keiner Weise der polnischen gesellschaftlichen Realität, wird aber von einem großen Teil der Kirche verteidigt.
Robert Biedroń, der offen schwul lebende Bürgermeister von Słupsk, gilt als politisches Talent und Hoffnungsträger für ein weltoffenes Polen.
Da die Konjunkturdaten für Polen stabil gut ausfallen und eine Reihe wirtschafts- und finanzpolitischer Maßnahmen der neuen Regierung durchaus positive Wirkung zeigten, konnten sozialpolitische Versprechen eingehalten werden. Derzeit sind die Zustimmungsraten für die PIS stabil hoch und sie könnte Wahlen gelassen entgegensehen.
Die viel größere Gefahr für Jarosław Kaczynski und seinen illiberalen Machtblock sind die Kräfte eines neuen, liberalen, proeuropäischen Polen in den großen Städten aber auch in zahlreichen Regionen, repräsentiert durch die Stadtpräsidenten der Metropolen, durch zahlreiche Bürgermeister und Mitglieder von regionalen und kommunalen Selbstverwaltungsorganen. Dort formiert sich deutlicher Widerstand gegen den Sprung in die Vergangenheit, dort zeichnen sich auch personelle Alternativen ab.
Die Kommunal- und Regionalwahlen im nächsten Jahr werden zum Test für die Kräfteverhältnisse in diesem Bereich und könnten der PIS empfindliche Niederlagen beibringen. Dazu müsste jedoch die Spontanität und Kraft der Straßenproteste in eine politische Form finden, müsste die Trennung und Konkurrenz von liberalen und linken Kräften einer Kooperation demokratischer und – im Sinne europäischer Werte – liberaler Kräfte Platz machen.
Mit einer solchen Kraftanstrengung würden sich auch die Chancen für die dann anstehenden Präsidentschafts- und die nachfolgenden Parlamentswahlen verbessern.
Die Chance europäischer Nachbarn, vor allem Deutschlands, einen solchen guten Weg für Polen zu unterstützen, ist vorhanden. In drei Jahrzehnten eines mühsamen aber erfolgreichen polnischen Reformweges wuchs ein Netz von Kontakten, Beziehungen, Partnerschaften, das es zu erhalten und auszubauen gilt, ehrliche Auseinandersetzung und Kontroverse eingeschlossen. Einschränkung, Schuldzuweisungen und Abwendungen sind hier genau das Falsche.
In der Ukraine und anderen Ländern Osteuropas, welche ihren Weg in die Europäische Gemeinschaft suchen, liegt die Hoffnung auf einem deutsch-polnischen Reformmotor, der wieder anspringen kann.
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