Polen als Vorreiter der illibe­ralen Demokratie?

Silar, „Jarosław Kaczyński im Wahlkampf 2015“ Bielsko-Biała, CC BY-SA 4.0

In Polen erfolgt unter Jaroslaw Kaczynski ein rapider Angriff auf Gewal­ten­teilung, Parla­men­ta­rismus und Grund­rechte. Die Regio­nal­wahlen 2018 werden zum Testfall für das Macht­projekt der PIS.

Vor einem Jahrzehnt kehrte das Polen der III. Republik zur europäi­schen Norma­lität zurück. In den vorge­zo­genen Neuwahlen vom 21. Oktober 2007 setzte sich die liberal­kon­ser­vative Bürger­plattform (PO) von Donald Tusk gegen die natio­nal­kon­ser­vative „Recht und Gerech­tigkeit“ und ihre ehema­ligen zweifel­haften Bündnis­partner durch. Die Zwischen­phase natio­na­lis­ti­scher, europa­skep­ti­scher Allein­gänge und der Schuld­zu­wei­sungen an die Nachbarn schien der Vergan­genheit anzugehören.

Donald Tusk stand für eine ausglei­chende liberale Politik der Mitte, Polen hatte stabile Zuwachs­raten der Wirtschaft und kam erstaunlich gut über die inter­na­tionale Finanz­krise hinweg. Optimisten sprachen bereits von einer „Grünen Insel“ im östlichen Europa. Nach der Flugzeug­ka­ta­strophe von Smolensk im April 2010, setzte sich der dem liberal­kon­ser­va­tiven Lager zuzurech­nende Bronisław Komorowski in vorge­zo­genen Präsi­dent­schafts­wahlen durch. Donald Tusk gewann ein Jahr später erneut die Parlamentswahlen.

In dieser Zeit konnte der polnische Außen­mi­nister Radosław Sikorski, Deutschland ermutigen, stärker Verant­wortung zu übernehmen und gemeinsam mit Polen zum Motor der Europäi­schen Integration zu werden. Bronisław Komorowski sprach im Bundestag von einer Koper­ni­ka­ni­schen Wende in den deutsch-polni­schen Bezie­hungen. Mit Gesine Schwan als Deutscher Polen­be­auf­tragter und ihrem polni­schen Partner Władysław Barto­szewski standen bereits in den Jahren vorher zwei anerkannte Persön­lich­keiten des öffent­lichen Lebens für intensive zivil­ge­sell­schaft­licher Annäherung, Ausgleich und Versöhnung.

Als der wieder­holte Wahlver­lierer Jarosław Kaczynski, angesichts des ungari­schen Erfolgs­re­zeptes die Losung ausgab: „Heute Budapest, morgen Warschau“, erntete er außerhalb seiner Anhän­ger­schar nur Kopfschütteln und ein mitlei­diges Lächeln. Er galt als hoffnungs­loses Auslauf­modell. Mit einem erneuten Wahlsieg seiner Partei wollte niemand rechnen. Es kam anders.

Mit dem Macht­an­tritt der PIS und ihrer Verbün­deten änderte sich die politische und gesell­schaft­liche Situation im Lande, änderte sich das Verhältnis der polni­schen Regierung zu ihren europäi­schen Nachbarn einschneidend. Ihr Wahlsieg war keinem Wunder oder einem histo­ri­schen Zufall zu verdanken. Unter Donald Tusk wurden, bei allen Erfolgen seiner Amtsjahre, entschei­dende Reformen im Wirtschafts- und Sozial­be­reich verschleppt, ein ganzer Teil der jüngeren, gut ausge­bil­deten Generation blieb vom Aufschwung ausge­schlossen und bildete ein immer unzufrie­de­neres Prekariat. Gegenüber einer polni­schen Linken, die seit einem Jahrzehnt in Trümmern lag und der scheinbar hoffnungslos unter­le­genen Rechten, stellte sich die PO als alter­na­tivlose Kraft der Mitte dar. Der Wechsel von Donald Tusk zur Europäi­schen Kommission hinterließ eine ausge­brannte Partei, die ihre eigenen Verspre­chungen nicht einlöste, den Anfor­de­rungen eines harten polari­sie­renden Wahlkampfes nicht gewachsen war. Eine Mobili­sierung des tradi­tio­na­lis­ti­schen Stamm­per­sonals der PIS, die weite Öffnung bis zum rechten Rand der politi­schen Szene und soziale Wahlver­sprechen, brachten Jarosław Kaczynski den Wahlsieg vom November 2015.  Er ist der unumstrittene Herr und Gestalter des neuen Macht­pro­jektes, obwohl er außer dem Partei­vorsitz kein weiteres Amt innehat. Alle Hoffnungen auf eine schnelle Norma­li­sierung und auf interne Rivali­täten, die das Tempo des destruk­tiven Vorgehens bremsen könnten, zerschlugen sich. Mit höchster Inten­sität wurde an der Blockade und Zerstörung von ausglei­chenden Kräften der Gewal­ten­teilung gearbeitet. Die Einsetzung der neuen Regierung, bis hin zur Aufstellung der Kabinetts­liste lag in den Händen des Vorsit­zenden, ebenso die Arbeit mit dem Staats­prä­si­denten Andrej Duda. Bei dessen kriti­schen Inter­ven­tionen in Sachen Justiz­reform steht die weitere Stand­fes­tigkeit noch aus.

Was statt­findet, ist ein Angriff auf alle Ebenen der Gewal­ten­teilung: die Arbeit der Opposition in den beiden Kammern des Parla­ments wird behindert und einge­schränkt, die Minis­ter­prä­si­dentin Beata Szydło ist eine treue Gefolgsfrau Kaczynskis und gibt die Anwei­sungen aus der Partei­zen­trale an die Mitglieder ihres Kabinetts weiter. Mit dem Justiz­mi­nister Zbigniew Ziobro, der gleich­zeitig das Amt des General­staats­an­waltes an sich gerissen hat, ist der Angriff auf die Unabhän­gigkeit der Justiz verbunden. In allen Bereichen des Staats­ap­pa­rates und in Teilen des Kultur­be­triebes kam es zu zahlreichen Entlas­sungen, die deutlich über das Maß üblicher Verän­de­rungen hinaus­gehen. In den immer stärker unter Kontrolle geratenen Staats­medien greift eine Sprache der Rache, der Abrechnung mit den Eliten der III. Republik, der Angriffe auf europäische Nachbarn und die Werte der europäi­schen Politik um sich. Unabhängige private populäre Medien, wie die Gazeta Wyborza, einige Wochen­zeit­schriften und einzelne private Fernseh­sender sehen sich wirtschaft­licher Erpressung ausgesetzt.

Das von Kaczynskis Seite verordnete Bild einer tradi­tio­nellen, katho­lisch geprägten Nation, die sich dem zerset­zenden Einfluss einer europäisch-westlichen dekadenten Moderne entge­gen­stemmt, entspricht in keiner Weise der polni­schen gesell­schaft­lichen Realität, wird aber von einem großen Teil der Kirche verteidigt.

Robert Biedron auf dem Festival Haltestelle Woodstock
Foto: Grzegorz Skowronek/​AG www.facebook.com/RobertBiedron

Robert Biedroń, der offen schwul lebende Bürger­meister von Słupsk, gilt als politi­sches Talent und Hoffnungs­träger für ein weltof­fenes Polen.

Da die Konjunk­tur­daten für Polen stabil gut ausfallen und eine Reihe wirtschafts- und finanz­po­li­ti­scher Maßnahmen der neuen Regierung durchaus positive Wirkung zeigten, konnten sozial­po­li­tische Versprechen einge­halten werden. Derzeit sind die Zustim­mungs­raten für die PIS stabil hoch und sie könnte Wahlen gelassen entgegensehen.

Die viel größere Gefahr für Jarosław Kaczynski und seinen illibe­ralen Macht­block sind die Kräfte eines neuen, liberalen, proeu­ro­päi­schen Polen in den großen Städten aber auch in zahlreichen Regionen, reprä­sen­tiert durch die Stadt­prä­si­denten der Metro­polen, durch zahlreiche Bürger­meister und Mitglieder von regio­nalen und kommu­nalen Selbst­ver­wal­tungs­or­ganen. Dort formiert sich deutlicher Wider­stand gegen den Sprung in die Vergan­genheit, dort zeichnen sich auch perso­nelle Alter­na­tiven ab.

Die Kommunal- und Regio­nal­wahlen im nächsten Jahr werden zum Test für die Kräfte­ver­hält­nisse in diesem Bereich und könnten der PIS empfind­liche Nieder­lagen beibringen. Dazu müsste jedoch die Sponta­nität und Kraft der Straßen­pro­teste in eine politische Form finden, müsste die Trennung und Konkurrenz von liberalen und linken Kräften einer Koope­ration demokra­ti­scher und – im Sinne europäi­scher Werte – liberaler Kräfte Platz machen.

Mit einer solchen Kraft­an­strengung würden sich auch die Chancen für die dann anste­henden Präsi­dent­schafts- und die nachfol­genden Parla­ments­wahlen verbessern.

Die Chance europäi­scher Nachbarn, vor allem Deutsch­lands, einen solchen guten Weg für Polen zu unter­stützen, ist vorhanden. In drei Jahrzehnten eines mühsamen aber erfolg­reichen polni­schen Reform­weges wuchs ein Netz von Kontakten, Bezie­hungen, Partner­schaften, das es zu erhalten und auszu­bauen gilt, ehrliche Ausein­an­der­setzung und Kontro­verse einge­schlossen. Einschränkung, Schuld­zu­wei­sungen und Abwen­dungen sind hier genau das Falsche.

In der Ukraine und anderen Ländern Osteu­ropas, welche ihren Weg in die Europäische Gemein­schaft suchen, liegt die Hoffnung auf einem deutsch-polni­schen Reform­motor, der wieder anspringen kann.

 

Textende

Verwandte Themen

Newsletter bestellen

Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.