Dresden: Der Lärm der Sprachlosen
Dresdens Stadtgesellschaft könnte lustvoll kontrovers sein – es tummeln sich hier Salonrevolutionäre, Menschenfreunde und Besserwessis – doch kontrovers ist diese Stadt längst nicht mehr. Der Journalist Michael Bartsch hat für LibMod eine kleine, die jahrhunderte überspannende Dresdener Mentalitätsgeschichte verfasst. Sie mündet in einer großen Sprachlosigkeit. Pegidas Gedankengut hat die Residenzstadt vergiftet. Auf die Begriffe Menschenwürde und Humanismus folgt Hohngelächter; der gemeinsame Grund ist verloren. Warum ausgerechnet Dresden? Der Versuch einer Antwort.
Das schwer zerstörte Dresden in einem traumatisierten Sachsen fasziniert seit jeher und stößt zugleich ab. Dem ziemlich amorphen und wankelmütigen Bürgertum der Residenz ist bis heute nicht zu trauen.
Dresden kokettiert mit dem Nimbus, den auch Pegida mit dem Slogan „Dresden zeigt, wie´s geht“ aufgegriffen hat. Die mit gesichtsloser Renditearchitektur zugemüllten Zerstörungslücken hindern beispielsweise niemanden, die Fiktion eines „Florenz des Nordens“, wie Herder schrieb, noch heute zu preisen. Die Vermarkter der Stadt heizen die Legendenbildung natürlich an.
Zu dem nach 1990 wieder gezüchteten Ruf der Unvergleichbarkeit gehört auch die Erzählung, dass das vom Kultursoziologen Karl-Siegbert Rehberg so genannte „Refugiumsbürgertum“ in Dresden die antibürgerliche sozialistische Repression besonders geschickt untertunnelt habe. Auch Uwe Tellkamps überlanges Erklärstück für Westdeutsche „Der Turm“ hat diesen Eindruck bestärkt.
Aufgeklärtes Kulturbürgertum in der Defensive
Zerplatzt ist die Legende von der kulturellen Einzigartigkeit spätestens mit dem „Bürgerkrieg“ um den Bau der Waldschlössenbrücke zwischen 1995 und 2013. Eine Zweidrittelmehrheit ignorierte beim Bürgerentscheid 2005 alle ästhetischen Bedenken und den drohenden Verlust des Welterbetitels. Die angeblich gutbürgerliche CDU spaltete sich tief, Prominente wie der Präsident der Akademie der Künster Ingo Zimmermann oder der Dirigent Hartmut Haenchen traten aus. Die teuerste Stadtbrücke Deutschlands hat in den vergangenen fünf Jahren kein einziges Dresdner Verkehrsproblem gelöst und wirkt nach wie vor wie ein Fremdkörper im harmonischen Elbtal.
Wer einmal eine durch apodiktische Argumentation oder Denunziation gesprengte Geburtstags- oder Familienfeier erlebt hat, zieht sich lieber in Schweigen oder in die eigene Festung zurück. Fruchtbare Gespräche sind nicht möglich, weil man bestürzt feststellen muss, dass die gemeinsame ethische Basis fehlt.
Die Schichtung der Dresdner Stadtgesellschaft ist keine andere als in jeder beliebigen deutschen Stadt. Die Präsenz der sich immer roher gerierenden Pegida-Truppe und die relativ schwache Gegenwehr zeigen eher, dass ein aufgeklärtes Kulturbürgertum anders als zum Beispiel in der Konkurrenzstadt Leipzig hier wenig Gewicht hat. Der Wiederaufbau der Frauenkirche als „scheene“ Dresdner Puppenstube, als Symbol der Heilung einer schwer verwundeten Stadt, stieß noch auf breite Zustimmung. Keine Chance hatte hingegen das Projekt eines Konzerthauses für die beiden Spitzenorchester, um den Kulturpalast als volksnahe „Multi-Kulti“-Spielstätte zu erhalten. Auch der Einzug der städtische Operette und des Theaters Junge Generation in das ehemalige Kraftwerk Mitte, Ende 2016 ein Riesenerfolg, kam nur gegen erhebliche Widerstände der bürgerlichen Wirtschaftslobby zustande.
Einig nur gegen den DDR-Sozialismus
Der historisch schwammige und multivalente Begriff „Bürgertum“ taugt in Dresden bestenfalls noch retrospektiv. Das gemeinsame „Dagegensein“ wirkte wie überall in der damaligen DDR homogenisierend. Hauskreise, private Salons, Subkulturprojekte, kirchliche Nischen, aber auch öffentliche Großereignisse wie die legendären Kulturfahrten des Orgelbauers Christian Wegscheider oder die Faschingsfeiern an den Hochschulen, kurz die Bohème, waren zwar nicht vernetzt im heutigen Sinn, ähnelten sich aber in ihren Erscheinungsformen. Diese fröhlichen Kreise waren auch noch eng mit einem vergangenheitsbeschwörenden „Wehmutsbürgertum“ verbunden. Mit leidvoller Miene verließen sie Konzerte oder Gottesdienste in der Kreuzkirche, aber eigentlich war Fritz Löfflers dicke Schwarte „Das alte Dresden“ ihre Bibel.
Bürger ist nicht gleich Bürger ist nicht gleich Bürger
Heute ist das vermeintliche Dresdner „Bürgertum“ in mindestens drei Gruppen gespalten. Die eine, importierte ist erst seit 1990 auszumachen und in sich auch keineswegs homogen. Ehrlich engagierte Aufbau-Ost-Helfer und damals benötigte Fachleute wie Juristen aus dem Westen gehören ebenso dazu wie Regierungsbeamte und akademisches und kulturelles Spitzenpersonal. Gemischt natürlich mit der sprichwörtlichen zweiten Garnitur der „Besserwessis“ und der Raubritter. Wenn Dresden Einzigartigkeit beanspruchen kann, dann die eines besonders heftigen Elitenwechsels mit der Folge einer besonderen Kränkung des besonders empfindlichen sächsischen Gemüts. Aber diese Zugereisten sind es wiederum, die seit Pegida die Verteidigung der liberalen und offenen Gesellschaft vor allem organisiert haben. Der weltweit anerkannte Onkologe Gerhard Ehninger und seine Frau mit dem Verein „Dresden Place to be“ oder Universitätsrektor Hans Müller-Steinhagen zählen zu den Exponenten.
Eine zweite Gruppe mag lange im Gefühlsstau gestanden haben und gewinnt nun mit der epidemischen Ausbreitung neurechter Gedanken Konturen. Ein Gesicht bekam sie plötzlich, als die Buchhändlerin Susanne Dagen vom Buchhaus Dresden-Loschwitz in ihrer „Charta 2017“ mit Recht die Übergriffe auf rechte Verlage zur Frankfurter Buchmesse anprangerte, zugleich aber unter Nutzung der existierenden Meinungsfreiheit eine angebliche linke Meinungsdiktatur in einem vorgeschriebenen „Gesinnungskorridor“ unterstellte. Bekanntester Unterzeichner war der Schriftsteller Uwe Tellkamp, der dann im Frühjahr 2018 im Dresdner Kulturpalast Gelegenheit zu einem Schaukampf mit Durs Grünbein bekam. Nur flüsternd war aus dem Kulturrathaus die hinterhältige Absicht zu vernehmen, ihn damit vorzuführen, worauf er mit einem von Phobien geleiteten Auftritt auch tatsächlich hereinfiel.
„German Angst“ und die Sachsen
Das Phänomen der „German Angst“, das Wittern des „altbösen Feindes“ überall, die Sehnsucht nach Abschottung und das Unbegreifen der Funktionsweise einer pluralen, liberalen Demokratie waren zwei Jahre zuvor schon an der heiß umstrittenen Kamenzer Rede des Dresdner Autors Jörg Bernig ablesbar, die in dem Satz „Bundesrepublik oder Deutschland, das ist die Frage“ kulminierte. Die „German Angst“ hat eine spezifisch sächsische Note. Die Tendenz zur Hermetisierung erklärt Schriftsteller Ingo Zimmermann mentalitätsgeschichtlich mit einem kollektiven Trauma nach den Niederlagen und Verlusten im Siebenjährigen und im Napoleonischen Krieg. Kompensiert wurde das Trauma mit einem Autismus, dessen schöpferische Seite sich in der Besinnung auf Kunst und technische Erfindergeist während der Industriellen Revolution zeigte. Das sächsische Genie beschwor der neue „Geenich“ Kurt Biedenkopf ab 1990 noch einmal. Aber eigentlich trafen sich damals zwei Beleidigte: Biedenkopf, der in NRW und in der CDU böse abservierte Politiker und der ewig gekränkte Grundgestus der Sachsen.
In der Blütezeit Sachsens unter dem „starken“ Kurfürsten August und seinem Sohn, in der „augusteischen Epoche“ und der mit ihr verbundenen bürgerlichen Emanzipationspase, konnte Sachsen als europäisch und weltoffen gelten. In der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts verdichteten sich in der Residenz Dresden jedoch sächsischer Untertanengeist und autoritäre Neigungen. Reiseschriftsteller hatten schon Ende des 18.Jahrhunderts den Mangel an Aufklärung konstatiert, Schiller nannte die Stadt 1788 eine „Wüste der Geister“. 1882 fand hier der erste antisemitische Weltkongress statt, 1933 noch vor München die erste Wanderausstellung „Entartete Kunst“. Der Bochumer Historiker Armin Nolzen stellt fest, „dass die NSDAP in Sachsen vor allem im bürgerlichen Milieu beheimatet war“. Als ein Menetekel für die Dresdner Gutbürgerlichkeit müsste gelten, dass nach den Stadtratswahlen vom November 1932 erst ein Zusammenschluss der bürgerlichen Parteien von Deutschnationalen bis Zentrum der gleichauf mit der SPD liegenden NSDAP ein entscheidendes Übergewicht verschaffte. Aber das weiß heute keiner mehr.
Mutierte Apokalyptiker und Gutmenschen
Die heutige grob umrissene Neue Rechte ist indessen kein reiner Sachsenklub. Überrascht entdeckt man in Netzwerken auch den einen oder anderen zugereisten Professor. Noch überraschender sind freilich die Metamorphosen ehemaliger SED-PDS-Funktionäre. Christine Ostrowski war einmal Oberbürgermeisterkandidatin und stellvertretende PDS-Bundesvorsitzende, ihre rechte Hand Jens Lorek ist heute Pegida-Anwalt. Wie relevant diese Komfortmeckerklasse in Dresden ist, jene Salonrevolutionäre und Umsturzgedankensportler, lässt sich nur vermuten. Neben den straff Vernetzten stößt man überall in kulturbürgerlichen Kreisen auf verunsicherte depressive Apokalyptiker, die aber auf keinen Fall als „rechts“ eingestuft werden wollen. Zur Bundestagswahl im September 2017 lag die AfD auch in Dresden mit 23,2 Prozent nur knapp hinter der CDU.
Und die dritte Gruppe? Die „Gutmenschen“? Auf den ersten Blick dominieren sie in Wissenschaft, Kultur und Politik. An den Bühnen und Orchestern grummeln einige zwar auch, aber das Führungspersonal steht ausschließlich für Humanität und generelle Menschenfreundlichkeit. Für den Kunstbetrieb, für Wissenschaft und Forschung ist diese Offenheit ja auch essentiell. Erst mit der Antwort auf Pegida hat auch hier eine Vernetzung begonnen. An der TU Dresden läuft gerade ein einjähriges Forschungsprojekt, das die Rolle Dresdner Kultureinrichtungen ab 2015 untersucht.
Mobilisierungsprobleme und Kommunikationsstörungen
Mag die Dreiteilung des Dresdner Bürgertums vielleicht bemüht erscheinen, so einen all diese Milieus doch zwei Beobachtungen. Die eine ist ihre geringe Mobilisierungsfähigkeit. Die Höchstzahl, die symbolisch mit Besen und Eimern einmal hinter Pegida deren Marschroute säuberte, belief sich auf etwa 5 000 Kultur- und Bildungsbürger. Die intellektuelle Rechte freut sich zwar über Pegida, lässt sich aber nicht gemeinsam mit dem Plebs sehen. Indifferenz dominiert, und wohl nicht nur in Dresden. Eine gefühlte Zuordnung zum restaurativen oder aufgeklärt-liberalen Lager und eine zunehemende Polarisierung steht nicht im Widerspruch zu dieser Passivität. Von den Qualitäten eines Citoyens sind die meisten Bürger der Dresdner Mittelschicht weit entfernt.
Vereint sind diese drei Gruppen auch in ihrer Unfähigkeit, miteinander zu kommunizieren. Die „Westimporte“ und die Biodresdner sind auch in mehr als zwei Jahrzehnten nie wirklich warm miteinander geworden. Alle institutionalisierten Dialogformen zwischen Generalfrustrierten und „Gutmenschen“ nach 2014 sind eingeschlafen. Das gilt für die unfruchtbaren Großkonferenzen der Staatsregierung oder den Kreuzkirchendialog ebenso wie für die am ehesten aussichtsreichen kleinteiligen Tischformate wie den Strehlener Bürgerdialog. Wer einmal eine durch apodiktische Argumentation oder Denunziation gesprengte Geburtstags- oder Familienfeier erlebt hat, zieht sich lieber in Schweigen oder in die eigene Festung zurück. Fruchtbare Gespräche sind nicht möglich, weil man bestürzt feststellen muss, dass die gemeinsame ethische Basis fehlt. Auf Begriffe wie Menschenwürde oder Humanismus folgt oft Hohngelächter. Die Neue Rechte befindet sich mit dem Nietzsche zugeschriebenen „Nur Barbaren können sich verteidigen“ oder Jüngers Stahlgewittern im Kampfmodus. Antaios-Verleger Götz Kubitschek weilt gern in Dresden, um den „Riss noch tiefer“ zu machen, und seine Anhängerin Susanne Dagen möchte mehr „Sprengstoff“ unter die Leute werfen.
Nicht Integration und Verständigung, sondern Spaltung ist ihr Ziel. Ein Konsens im Sinne der bürgerlichen Urtugenden scheint gerade in der Musterstadt Dresden ferner denn je.
Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unterstützen damit die publizistische Arbeit von LibMod.
Wir sind als gemeinnützig anerkannt, entsprechend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spendenbescheinigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adressdaten bitte an finanzen@libmod.de
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regelmäßig Neuigkeiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.