Die sieben Todsünden der CSU im Wahlkampf
LibMod-Gastautor Markus Schubert, mit dem christdemokratischen Milieu bestens vertraut, liest der Seehofer-Söder-CSU die Leviten: sie hat mit ihrem Anti-Merkel-Kurs, ihrer destruktiven Rolle in der Bundesregierung und ihrem harten Anti-Flüchtlings-Kurs ihren Absturz nach Kräften befördert. Und sie macht es sich zu bequem, wenn sie jetzt das Bündnis mit den „Freien Wählern“ einer schwarz-grünen Koalition vorzieht.
#1 Söder oder Seehofer? Die nie endenden primaries
Für Markus Söder begann der Wahlkampf im März 2018. Für Horst Seehofer begann er viel früher und dauert bis heute an. Allerdings kämpfte Seehofer schon vorher und bis zum Wahlsonntag und weit darüber hinaus nicht um CSU-Stimmen, sondern gegen Markus Söder. Man ahnte immer: Dafür wird er auch gute Gründe haben. Man kennt das aus den primaries bei den US-Wahlen: Im innerparteilichen Nominierungswahlkampf vernichten sich die Bewerber mit negative campaigning und verschrotten sich gegenseitig bis auf die Knochen, bis in den eigentlichen Wahlen nur noch diskreditierte Wracks um die Gunst von Wählern werben. In Bayern war die Lage aber noch schlimmer, denn die primaries brachten ja keinen Sieger hervor: Söder sagte: Ich habe die Staatskanzlei geerbt – wenn auch zu spät. Seehofer konnte entgegnen: Ich habe den CSU-Vorsitz behalten und nur die Spielebene nach oben gewechselt. Bis heute ist unklar, ob Seehofer nur erratisch handelte oder den Söder-Wahlkampf sabotieren und seinen verhassten Nachfolger unter Wasser drücken wolle. Vieles deutet darauf hin. Leider finden CSU-Wähler an so etwas keinen Gefallen. Sie sind harmoniesüchtiger als Grüne, Sozialdemokraten und Liberale. Sie sahen natürlich auch die plumpen Harmoniegesten in der Endphase des Wahlkampfs. Verlogenheit mögen sie aber auch nicht.
#2 Die CSU als Anti-Merkel-Partei vom Dienst
Spätestens seit 2015, aber im Grunde seit 2002, sieht sich die CSU als Speerspitze in der Union gegen Angela Merkel. 2002 glaubte Edmund Stoiber, Angela Merkel weggefrühstückt zu haben, verschluckte sich in der Wahlnacht aber an einem voreilig geöffneten Glas Champagner. Seine Idee ist bis heute, dass er Kanzler geworden wäre, wenn die Merkel-CDU außerhalb Bayerns besser performed hätte. Auf den ersten Blick nicht falsch, aber dem stand eben vor allem der allzu bayerische Kanzlerkandidat selbst im Weg. 2005 hielt man auch in der CSU Merkel für erledigt, weil Schröders Aufholjagd ihn zum gefühlten Wahlsieger gemacht hatte, aber tatsächlich behielt Merkel die Nerven und nutzte die Große Koalition zur Glättung vieler Wogen. 2015 legte es bei der CSU den Schalter erneut um: Merkels realistische und gar nicht zwingend humanitär motivierte Einschätzung, dass man die monatelang auf dem Balkan übersehenen Flüchtlinge besser in einem wirtschaftlich blühenden und schon erwiesen weltoffenen Land unterbringt, ehe an deutschen Grenzen wieder geschossen wird, wurde von der CSU von Anfang an als Staatsversagen und Kontrollverlust weitererzählt; ein Hochsitz, von dem die Jäger nie mehr herabkletterten. Briefe vom Freistaat an den Bund, angedrohte Verfassungsklagen, Gutachten – eine mühselig inszenierte eigene Machtlosigkeit. Die Legende verbreitet die AfD weiter. „Wir halten was die CSU verspricht“. Ein Plakatslogan, der eben auch im Landtagwahlkampf noch griff. Denn die AfD erzählt die Saga ja nie alleine. Edmund Stoiber geisterte wie ein Zombie durch die Talkshows und trat hinter Rednerpulte, um seine Scharte auszuwetzen. Seehofer ließ einen nie beschlossenen oder auch nur veröffentlichten „Masterplan“ erstellen, nur um den Konflikt von 2015 noch einmal im Simulator nachzuspielen – mit wenigen konkreten Folgen, außer der Errichtung von Internierungseinrichtungen für Asylbewerber und einer bayerischen Grenzschutz-Hilfspolizei ohne nennenswerte „Erfolgs“-Meldungen.
Die subkutane Botschaft immer: Merkel muss weg. Aber nun war Merkel im Sommer von den drei Personen Merkel/Seehofer/Söder auch in Bayern die beliebteste Politikerin. Die Ansage Seehofer war aber: „Ich kann mit dieser Frau nicht mehr.“ Söders Ausruf war: „Zu mir kommt im Wahlkampf keine Bundeskanzlerin, sondern ein Bundeskanzler.“ Vergangenen Freitag kam dann Sebastian Kurz zu seiner Abschlusskundgebung und erhielt mehr Beifall als Seehofer – aber auch als Söder. Kurz holte für die ÖVP ein Jahr davor übrigens 31, 5 %. Alles nicht stimmig. Und Merkel ist immer noch Kanzlerin.
#3 Von wegen Staatspartei – wir können auch Krawall
Die CSU hat ihren Nimbus als letzte Staatspartei auf deutschem Boden nicht nur zur Festigung ihrer Alleinstellung in Bayern genutzt. Sie hat damit auch etliche Bundesregierungen über Gebühr dominiert. Mit der Neuauflage der von allen Beteiligten ungeliebten Großen Koalition wendete die CSU in Berlin endgültig die Stoßrichtung: Statt wie früher gemeinsam mit der SPD die CDU sozialpolitisch links zu überholen, suchte Horst Seehofer vom Tag der Amtsübernahme an die Konfrontation mit Merkel – und bekam sie, weil er die CDU-Chefin genau auf den Feldern angriff, die diese wirklich leidenschaftlich verteidigt: Europa, Multilateralismus, Pragmatismus, liberale Demokratie, Abwehr jedes politischen Extremismus. Jede Aktion der CSU Merkel gegenüber tangierte mindestens einen dieser Tabupunkte: Sei es die politische Flankierung Orbáns, die kaum je thematisierte Boykottierung des Rats der EU-Innenminister durch Seehofer, der geheimnisumwitterte „Masterplan“ mit seinen offensichtlich irregulären einseitigen Zurückweisungen, das Posieren Seehofers mit Sebastian Kurz, der die antiliberale „Achse der Willigen“ Berlin-Wien-Rom aufrief oder Markus Söders Herumirren im „Endspiel um die Glaubwürdigkeit“ samt des mit flackernden Augen ausgerufenen „Endes des geordneten Multilateralismus“. Das alles und schließlich die abstruse Maaßen-Personalie, also die von Seehofer betriebene regierungsamtliche Rehabilitierung eines Verschwörungstheoretikers und Nazi-Verharmlosers an der Spitze des Verfassungsschutzes, mussten Zweifel wecken, ob die CSU zu einem anderen Zweck in die Bundesregierung eingetreten war als die Regierung scheitern zu lassen und die Kanzlerin zu stürzen. Zu einer Partei, die das Funktionieren des Staates in der DNA hat, passt das nicht. Und das spürten auch die Wähler in Bayern, denen man diese Identität von Staat/Regierung/CSU stets eingebläut, aber eben auch vorexerziert hat.
#4 Wir sind wie die AfD – nur wirkungsvoller
In der Umsetzung dieser Agenda machte sich die CSU ganz klein, schminkte sich um und kostümierte sich als großgewachsene AfD (Söder kostümiert sich ja gerne und gut, bisher freilich im fränkischen Karneval). Anti-Migration, Anti-Islam, Anti-Europa und bei allem und vor allem Anti-Merkel – die CSU bespielte jedes Manual und zog jedes Register auf der Orgel des Populismus. Leider sagen wirklich alle Wahlforscher, Studien und auch Wahlergebnisse: Die AfD wächst, wenn ihre (wenigen) Themen erst die Debatte und dann letzten Endes die Wahlentscheidung rechts der Mitte bestimmen, und die CSU hat diesen Job anhaltend und gründlich erledigt. Und das natürlich nicht nur in Bayern selbst, sondern auch und gerade außerhalb des Freistaats, wo ja überhaupt nur die AfD von dieser Dauerkampagne profitieren konnte.
Zugleich führte die fortgesetzte Erfolglosigkeit dieser Kampagne zur Überzeugung von AfD-Sympathisanten, dass deren Wahlergebnisse wohl erst noch steigen müssen, ehe die Union auf äußeren Druck hin ihre Richtung ändert. (Die SPD hat beim Aufkommen der Linken im Gefolge der Agenda 2010-Politik ähnliche Wechselwirkungen ausgelöst.)
#5 Die mutwillige Auflösung des christlichen CSU-Milieus
Man mag argumentieren, dass den Unions-Parteien schon aufgrund des verdunstenden Glaubens in einer sich säkularisierenden Gesellschaft ein wichtiger Tragpfeiler früherer Wahlergebnisse wegbricht. Aber die wahlkämpfenden Akteure haben diesmal selbst Hand angelegt: Mit der Kampagne gegen „den Islam“ und damit gegen die Muslime in Deutschland hat die CSU, genauso wie später mit dem erneuten Heißlaufen der Anti-Migrations-Kampagne im Sommer, bekennende und gesellschaftlich aktive Christen verstört. Erstaunlich war dabei, dass sich nicht nur Menschen, die etwa für die Flüchtlingsintegration arbeiten, sondern auch Vertreter des Klerus, bis hinauf zum Münchener Erzbischof Reinhard Kardinal Marx ostentativ von den Christlich-Sozialen (sic!) abwandten.
Die waghalsige Idee Markus Söders, durch das Platzieren von Kreuzen/Kruzifixen in öffentlichen staatlichen Räumen die Einheit von CSU, Bayern und den Christen zu demonstrieren, war gleich doppelt fehlprogrammiert: Zum einen war die Initiative wohl niemals mit den Kirchen abgestimmt, sondern einseitig von der Staatsregierung bzw. der CSU verkündet, wodurch sich die Kirchen durch ein Ad-hoc-Staatskirchentum herausgefordert und empfindlich getroffen fühlten. Zum zweiten wechselte die Begründung Söders für sein Vorpreschen so rasch und mehrfach zwischen einem dezidiert christlichen Glaubens-Symbol und (aus Sorge vor Verfassungsklagen) einem bloßen Kennzeichen für eine historisch-kulturelle christlich-abendländische Prägung des Freistaates, dass Kardinal Marx den Ministerpräsidenten vor „Spaltung, Unruhe, Gegeneinander“ warnen musste.
In der heißen Phase des Wahlkampfes spendete der oberste Katholik Bayerns und Deutschlands dann persönlich und öffentlich einen stattlichen Betrag für die im Mittelmeer aktiven und von Staaten bedrängten Seenotretter des Schiffes „Lifeline“. Eine Signatur unter einer gründlichen und nachhaltigen Entfremdung zwischen katholischer Kirche und einer C‑Partei.
#6 Wir können also ganz anders – aber auch wieder ganz wie früher
Vor der parlamentarischen Sommerpause verkündete Markus Söder einseitig und einigermaßen überraschend in einer staatstragend und gesellschaftsversöhnend angelegten Regierungserklärung im Landtag den Ausstieg aus dem Krawallwahlkampf, der in den Wochen zuvor vor allem auf Berliner Terrain inszeniert worden war. Nach der Sommerpause kehrte dann ein gewandelter Ministerpräsident zurück auf die heimatliche Bühne. Er bildete Sätze, in denen das Wort „Bayern“ mühelos mehr als ein Dutzend Mal vorkam; im Stil der Truman-Show tauchte die Welt außerhalb Bayerns gar nicht mehr oder nur als Drohkulisse („Berliner Verhältnisse“) auf. Die CSU als Bundespartei – geschweige Regierungspartei im Bund – wurde ausgeblendet. Dabei spielten freilich die Akteure der CSU in Berlin nicht mit, sondern setzten weiter, insbesondere in der Causa Maaßen, auf die wahrnehmbare Zerstörung der Autorität der Kanzlerin bei gleichzeitigem Augenzwinkern Richtung rechter Rand. Als Arbeitsteilung der Wahlkämpfer konnte man dies nicht verstehen, eher schon als höchst asynchronen Strategiewechsel. Söder setzte plötzlich doch wieder auf den Gleichklang „Heimat Bayern/Staatspartei CSU“ und den Wunsch nach Stabilität. Auch die Europapartei CSU wurde mit einem demonstrativen Termin mit EVP-Fraktionschef Manfred Weber und der Warnung vor Populisten und Extremisten wiederbelebt. Dieses späte Beidrehen mag die Verluste der CSU von noch in Umfragen zwischenzeitlich 15% auf etwas mehr als 10 % eingedämmt haben.
#7 Du bist schuld! – Nein, Du bist schuld!
Der Schlusspunkt einer beispiellos schlechten und dysfunktionalen Wahlkampfführung war die wechselseitige Verantwortungszuweisung für die Wahlniederlage zwischen Ministerpräsident Söder und CSU-Chef Seehofer, der sich selbst zum interessierten aber unbeteiligten Beobachter des Geschehens in Bayern erklärte („Ich habe mich in den letzten sechs Monaten nicht in die Wahlkampfführung eingemischt. Söder ist als Ministerpräsident zuständig für strategische Überlegungen im Wahlkampf.“) Nicht nur wurde damit die Wahlniederlage amtlich eingeräumt, ehe sie überhaupt stattgefunden hatte, es wurde auch der Bogen zur Todsünde Nr. 1, dem niemals geklärten und beendeten Machtkampf der beiden CSU-Granden geschlossen.
Soweit die Sünden. Und schon Absolution?
Die Auswirkung der CSU-Niederlage hält sich in Grenzen, auch weil sie sich wegen der Gewichtung der Erststimmen bei der Sitzverteilung, fast flächendeckend gewonnener Direktwahlkreise und entsprechend vieler Überhangmandate in der neuen Landtagsfraktion nicht so anfühlen wird. Bereitwillig werden also Freie Wähler in eine „Bayern-Koalition“ eintreten, die Landespolitik wird sich dadurch etwas kommunalisieren. Im Gegenzug werden die bundespolitisch unambitionierten Freien Wähler der CSU aber extreme Beinfreiheit in Bundesregierung und Bundesrat gewähren.
Für die CSU ist diese gutbürgerliche Koalition eine ziemlich entspannte Sache und weckt Hoffnung auf eine nur vorübergehende Auszeit von der absoluten Mehrheit.
Aber natürlich hat die CSU neben den an die FW „ausgelagerten“ Stimmen ebenso viele an die AfD verloren, und im selben Umfang an die Grünen, die zudem SPD-Wähler an sich zogen, weil sie die erfolgversprechendere Oppositionspartei zu sein schienen – und sind.
Dazu nur zwei Schlussbemerkungen: Die CSU steht vor einer Frage, die schon nebenan die CDU Baden-Württemberg einst falsch beantwortete: 2006 entschied sie sich für die kommode Koalition mit der FDP und gegen ein riskantes Bündnis mit den Grünen. Die Stimmenzahl der CDU war damals fast vier Mal so hoch wie die der Grünen. Fünf Jahre später konnten die Grünen mit immensen Zuwächsen als zweitstärkste Partei eine Regierung bilden und die CDU in der folgenden Wahl als stärkste Partei ablösen.
Dieser Trend ist ein demokratisches, aber immer auch ein demographisches Phänomen: Jede Altersstatistik der Wählerschaften der Parteien zeigt, dass die Union ihren Schwerpunkt bei Wählern über 60 Jahren hat, die Grünen dagegen eher am anderen Ende der Altersskala punkten. In einer alternden Gesellschaft wird der Effekt daraus zwar verlangsamt, aber die Union kann ihre verstorbenen Wähler beim nächsten Mal nicht durch Erstwähler ersetzen, während Grünen-Wähler – und das zeigt eine langfristige amtliche Wahlstatistik, wenn man sie denn lesen und auswerten will – auch im fortgesetzten Alter Grüne bleiben. Die Wählerzuwächse der Grünen finden in etwa so natürlich statt wie Bäume sich in Jahresringen ausdehnen.
Das bedenkend sollte sich die CSU nicht mit den in der Altersstruktur vergleichbaren Freien Wählern „andicken“, sondern sich so komplementieren, dass die Addition der Kräfte auch für weitere 10, 20 Jahre erfolgversprechend bleibt.
Aber Todsünder, die am Sonntag mit der unerwartet milden Auflage, drei Rosenkränze in Altötting zu beten, erleichtert aus der Kirche treten, sind im Glauben an sich selbst natürlich unerschütterlich.
Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unterstützen damit die publizistische Arbeit von LibMod.
Wir sind als gemeinnützig anerkannt, entsprechend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spendenbescheinigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adressdaten bitte an finanzen@libmod.de
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regelmäßig Neuigkeiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.