Nur die USA können Europas Grenzen schnell sichern. Darauf sollte man sich nicht verlassen.

Foto: US Army, Army Spc. Allea Oliver

Der Autor und Sicher­heits­experte Edward Lucas begrüßt Amerikas Entschlos­sen­heit, Verant­wor­tung für Europa Sicher­heit zu über­nehmen. Doch dass Europa dies selbst noch nicht leisten kann, ist Anlass zur Sorge.

Wer Zweifel hegt am Willen der USA, die Euro­päi­sche Sicher­heit zu vertei­digen, sollte sich die verwa­schenen grünen Videos der ersten Phase der “Swift Response” vergan­gene Woche in Estland ansehen. 400 Soldaten der 82. Airborne Division flogen nonstop elf Stunden von Fort Bragg aus, um bei Nacht in Estland zu landen. Dort verbanden sie sich mit einem ähnlich großen Einsatz­ba­taillon, das aus Litauen einge­flogen wurde.

All das ist Teil des sehr viel größeren Manövers “Defender-Europe 21”, in dem die Verstär­kung und Vertei­di­gung Europas in den kommenden Monaten geübt wird. 28.000 Soldaten aus 26 NATO-Staaten und beitritts­wil­ligen Ländern wie Georgen, Bosnien-Herze­go­wina, der Ukraine und dem Kosovo nehmen hieran teil.

Vergleich­bares wurde seit den 1980er-Jahren nicht mehr veran­staltet, als die USA regel­mäßig die Vertei­di­gung West­eu­ropas gegen die Bedrohung durch die Staaten des Warschauer Pakts in den riesigen “Reforger”-Manövern übte. Dies unter­streicht die verän­derte Bedro­hungs­wahr­neh­mung, die Kluft zwischen den mili­tä­ri­schen Fähig­keiten der USA und Europas und wie viel es zu verbes­sern gilt.

Ein derar­tiges Manöver abzu­halten, schien noch vor kurzem undenkbar. Ich erinnere mich noch an die Windungen und Geheim­nis­krä­merei, mit denen das erste große Manöver im Baltikum „Steadfast Jazz“ im Jahr 2013 einher­ging. Das war sechs Jahre nach dem Cyber­an­griff auf Estland, fünf Jahre nach dem Geor­gi­en­krieg und vier Jahre nach dem Russi­schen „Zapad“-Manöver, in dem eine Invasion ins Baltikum und ein Atom­an­griff auf Warschau geübt wurde. Dennoch fanden westliche Entschei­dungs­träger es nötig, auf Zehen­spitzen um das Thema der russi­schen Aggres­sion herum zu tippeln. Diese Leute mussten keinen Preis für ihre Gleich­gül­tig­keit und Feigheit zahlen – aber die Ukrainer es sehr wohl.

Inzwi­schen ist endlich weithin anerkannt, dass Russland eine mili­tä­ri­sche Bedrohung darstellt. Die Vertei­di­gungs­aus­gaben Europas steigen. Neue Koali­tionen und Verbin­dungen kommen zustande, auch solche mit Schweden und Finnland, die keine NATO-Mitglieder aber entschei­dend sind. Die Vertei­di­gung und Abschre­ckung für die einst im Warschauer Pakt gefan­genen Staaten Osteu­ropas ist so stark wie nie.

„Defender-21“ sendet hierzu ein klares Signal. Aber es zeigt leider auch, dass Europa immer noch beschä­mend auf die Fähig­keiten Amerikas ange­wiesen ist. Nur die USA halten substan­ti­elle Kräfte in einsatz­be­reitem Zustand vor. Nur die USA können sie in kurzer Frist über weite Distanzen bewegen. Nur die USA hat die High­tech­waffen (vor allem Luft- und Rake­ten­ab­wehr­sys­teme), die benötigt werden, damit die Kräfte dann vor Ort effektiv kämpfen können. Nur die USA hat die nötigen Vorräte an Treib­stoff, Munition und Ersatz­teilen, um den Kampf auch nach den ersten paar Tagen weiter­zu­führen. Nur die USA haben das Abschre­ckungs­po­ten­tial, um Russland davon abzu­halten, sich aus einem drohenden Debakel durch Eska­la­tion zu befreien.

Ist das ein gutes Geschäft für die Verei­nigten Staaten? Auf dem Papier durchaus. Europa bietet die wirt­schaft­liche und diplo­ma­ti­sche Stärke, die die weltweit führende Rolle der USA ermög­licht. Die trans­at­lan­ti­sche Sicher­heits­part­ner­schaft hat ihre Kosten, aber der Nutzen überwiegt. Doch diese Verein­ba­rung steht unter Spannung. Ein Faktor ist die zunehmend isola­tio­nis­ti­sche Bewegung in den USA, der einige trum­pis­ti­sche Repu­bli­kaner ebenso angehören, wie die anti­im­pe­ria­lis­ti­sche Linke (z.B. das „Quincy Institute for Respon­sible State­craft“, welches sowohl vom liberalen George Soros als auch dem Rechts­außen Charles Koch finan­ziell unter­stützt wird).

Der zweite Faktor ist China. Der Erfor­der­nisse im Pazifik führen dazu, dass ameri­ka­ni­sche Vertei­di­gungs­ka­pa­zi­täten in Europa bereits gefähr­lich ausge­dünnt sind. Das wird schlimmer werden, nicht besser.

Diese Entwick­lung wird verstärkt durch das verhee­rende Führungs­va­kuum in Europa. Deutsch­land nimmt sich eine Auszeit wegen der dies­jäh­rigen Wahlen, nächstes Jahr folgt Frank­reich. Die EU ist ein einem so gräss­li­chen Zustand, dass auf einmal selbst das Euro­päi­sche Parlament tatsäch­lich beein­dru­ckend wirkt. Eitle, klein­liche, habgie­rige neutra­lis­ti­sche und vor allem inef­fek­tive Entschei­dungs­träger sind den USA beim wichtigen Thema China keine Hilfe.

Das Ergebnis: Europa versagt bei seiner Selbst­ver­tei­di­gung. Und es versagt in seinen Verpflich­tungen gegenüber dem einzigen Land, das es vertei­digen kann.

Dies ist eine Über­set­zung aus dem News­letter von Edward Lucas, der hier im Engli­schen Original abonniert werden kann.

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