Mélenchons Machtmaschine
Die Bewegung des altlinken Jean-Luc Mélenchon verzichtet auf linke Traditionen und rote Fahnen und spricht damit viele rechte Wähler an. La France insoumise ist eine typische Querfrontpartei. Doch weil sie – wie Beppe Grillos M5S – charismatisches Führertum durch digitale Partizipationsformen ergänzt, steht sie auch für das Phänomen der neuen digitalen Bewegungsparteien.
Er ist momentan der stärkste Vertreter der französischen Linken und zugleich einer ihrer umstrittensten: Jean-Luc Mélenchon. Bei den Präsidentschaftswahlen 2017 verpasste er nur knapp den Einzug in die Stichwahl und ließ den Kandidaten der bis dato regierenden Sozialisten weit hinter sich. Unter Jungwählern schnitt er gar am stärksten ab. Das verwundert nicht: Mélenchon ist schlagfertig und ein mitreißender Redner, auch in den sozialen Medien zeigt er eine enorme Präsenz. Politisch profiliert er sich als unnachgiebiger Gegner „neoliberaler Wirtschaftspolitik“ und spricht damit nicht zuletzt prekär Beschäftigte und Arbeitslose an. Dennoch scheiden sich an ihm die Geister – auch und gerade im eigenen Lager.
Echte innerparteiliche Demokratie sucht man in LFI vergebens. Zwischen der professionell agierenden Fraktion in der Nationalversammlung und der aktivistischen Basis klafft eine enorme Kluft hinsichtlich Ressourcen und Einflussmöglichkeiten.
Für Irritation und Ablehnung sorgt regelmäßig Mélenchons unverhohlener Machtanspruch. Ausdruck dessen ist auch seine Anfang 2016 initiierte Bewegung: „La France insoumise“ (Das unbeugsame Frankreich). LFI ist zwar formal als politische Partei registriert, bemüht sich aber im Inneren um bewegungsähnliche Strukturen. Das zeigt sich in den niedrigschwelligen Partizipationsangeboten: Interessierte können eine Ortsgruppe gründen, ohne dafür ein formales Aufnahmeverfahren abwarten oder Mitgliedsbeiträge zahlen zu müssen. Der LFI-Zentrale genügt die Versicherung, dass die Neumitglieder ihre politischen Grundsätze mittragen. Diese informellen Strukturen wirken zwar anziehend, haben aber einen Preis: Auch die Mitbestimmung ist bei LFI nicht formal geregelt, da sämtliche intermediären Instanzen fehlen, die man aus klassischen Parteien kennt. Die Mitwirkung soll stattdessen über digitale Plattformen erfolgen, auf denen Aktivisten und Sympathisanten beispielsweise Ideen zum Wahlprogramm beisteuern können. Diesen Prozessen fehlt allerdings jene Verbindlichkeit, die etwa dem Beschluss eines Programmparteitages zu eigen ist. Das letzte Wort hat deshalb oft die LFI-Spitze. So wurden die Wahlkreiskandidaten für die Parlamentswahl im Juni 2017 von einem Komitee festgelegt, dem Mélenchon und einige wenige Getreue angehörten. Echte innerparteiliche Demokratie sucht man in LFI vergebens. Zwischen der professionell agierenden Fraktion in der Nationalversammlung und der aktivistischen Basis klafft eine enorme Kluft hinsichtlich Ressourcen und Einflussmöglichkeiten.
Mélenchons Machtmaschine
La France insoumise ist damit keine soziale Bewegung, die an den Graswurzeln entsteht und flache Hierarchien aufweist. Sie ist aber ebenso wenig eine demokratische Massenpartei, in der es geregelte Mitwirkungs- und Kontrollmöglichkeiten gibt. Diesen Bruch mit dem Parteimodell hat Jean-Luc Mélenchon bewusst vollzogen. Er wollte eine politische Machtmaschine schaffen, die ganz auf ihren prominenten Anführer zugeschnitten ist – und ihm die lästigen Einsprüche innerparteilicher Kritiker erspart.
Und davon hat es in den letzten Jahren nicht wenige gegeben. Die Gründung von LFI ist auch eine Reaktion auf politische und strategische Differenzen mit Mélenchons wichtigsten Bündnispartnern. Nachdem er 2008 nach über 30jähriger Mitgliedschaft die Sozialisten verlassen hatte, gründete er zunächst den Parti de Gauche (Linkspartei), der bei Wahlen gemeinsam mit den Kommunisten als Front de Gauche (Linksfront) antrat. Jedoch ist die seit 1990 stark geschrumpfte KP heute eine eher pragmatisch agierende Kraft, die sich auf einige tausend kommunale und regionale Mandatsträger stützt und Wahlabsprachen mit den Sozialisten trifft. Für solche Arrangements hatte Mélenchon, der eine geradezu feindselige Abgrenzung gegenüber seinen ehemaligen Genossen pflegt, wenig übrig. Mit der Gründung von LFI kündigte er schließlich einseitig den Front de Gauche auf.
Spaltung und Radikalisierung
In LFI muss Mélenchon nun keine innerparteilichen Kompromisse mehr eingehen – und hat prompt seinen Kurs radikalisiert. Wie alle Populisten erklären er und seine Getreuen mittlerweile den Rechts-Links-Gegensatz für überholt: Heute stünden sich vielmehr „das Volk“ und eine kleine „Oligarchie“ samt ihren Helfern in Politik und Medien gegenüber. Um Nichtwähler und Wähler des rechtsradikalen Front National anzusprechen, müsse LFI auf linke Traditionen und Symbolik verzichten. Mehr noch: Es gelte nicht nur, die „Internationale“ und die rote Fahne einzumotten, sondern auch mit dem „abstrakten und bürgerlichen Humanismus“ zu brechen, der mit der Lebensrealität der einfachen Leute nichts zu tun habe, wie es jüngst in einem Editorial in der parteinahen Zeitung „Le Comptoir“ hieß. Offenherzig erklärt der Mélenchon-Vertraute Djordje Kuzmanovic gegenüber der Zeitschrift „Marianne“: „Um bestimmte Leute zu überzeugen, muss man sich auf das Terrain des Anti-Liberalismus, der Souveränität und des Patriotismus begeben“. Diese Ansichten sind in der Führungsriege zwar nicht unumstritten, bilden dort aber die Mehrheitsmeinung.
Schreckensszenario EU-Austritt
Deutlich zeigt sich diese Orientierung schon jetzt in der Europapolitik von LFI: Als Präsident will Mélenchon seinen EU-Amtskollegen eine Reihe von weitreichenden Reformen antragen, darunter ein verändertes Statut für die Europäische Zentralbank, das deren Unabhängigkeit beenden würde. Diese Vorschläge sind zwar im Einzelnen durchaus diskussionswürdig, teilweise auch sinnvoll, doch plant Mélenchon, sie absolut konfrontativ vorzutragen. Sollte er in Brüssel nämlich keine Mehrheit finden, droht er, sofort die französischen Beiträge zum EU-Haushalt einzufrieren und Kapitalverkehrskontrollen zu verhängen. „Wir verändern Europa, oder wir verlassen es“, lautet denn auch der Slogan von LFI. Mit dem Schreckensszenario eines französischen EU-Austritts – der den Fortbestand der Union gefährden würde – sollen die anderen Staats- und Regierungschefs zu Zugeständnissen gezwungen werden. Auf eine solche Konfrontation stimmt LFI ihre Anhänger mit harter Rhetorik ein: „Die gegenwärtige Union ist bloß ein gemeinsamer Markt, und die Völker sind der Diktatur von Banken und Finanzwelt unterworfen“, heißt es im Wahlprogramm der Partei.
La France insoumise erweist sich damit als ein strukturell autoritäres Projekt, dessen Führung einen zunehmend anti-europäischen, links-nationalistischen Kurs fährt.
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