Mélen­chons Machtmaschine

Philippe Leroyer [CC BY-NC-ND 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/)], via Flickr

Die Bewegung des altlinken Jean-Luc Mélenchon verzichtet auf linke Tradi­tionen und rote Fahnen und spricht damit viele rechte Wähler an. La France insoumise ist eine typische Querfront­partei. Doch weil sie – wie Beppe Grillos M5S – charis­ma­ti­sches Führertum durch digitale Parti­zi­pa­ti­ons­formen ergänzt, steht sie auch für das Phänomen der neuen digitalen Bewegungsparteien.

Er ist momentan der stärkste Vertreter der franzö­si­schen Linken und zugleich einer ihrer umstrit­tensten: Jean-Luc Mélenchon. Bei den Präsi­dent­schafts­wahlen 2017 verpasste er nur knapp den Einzug in die Stichwahl und ließ den Kandi­daten der bis dato regie­renden Sozia­listen weit hinter sich. Unter Jungwählern schnitt er gar am stärksten ab. Das verwundert nicht: Mélenchon ist schlag­fertig und ein mitrei­ßender Redner, auch in den sozialen Medien zeigt er eine enorme Präsenz. Politisch profi­liert er sich als unnach­gie­biger Gegner „neoli­be­raler Wirtschafts­po­litik“ und spricht damit nicht zuletzt prekär Beschäf­tigte und Arbeitslose an. Dennoch scheiden sich an ihm die Geister – auch und gerade im eigenen Lager.

Echte inner­par­tei­liche Demokratie sucht man in LFI vergebens. Zwischen der profes­sionell agierenden Fraktion in der Natio­nal­ver­sammlung und der aktivis­ti­schen Basis klafft eine enorme Kluft hinsichtlich Ressourcen und Einflussmöglichkeiten. 

Für Irritation und Ablehnung sorgt  regel­mäßig Mélen­chons unver­hoh­lener Macht­an­spruch. Ausdruck dessen ist auch seine Anfang 2016 initi­ierte Bewegung: „La France insoumise“ (Das unbeugsame Frank­reich). LFI ist zwar formal als politische Partei regis­triert, bemüht sich aber im Inneren um bewegungs­ähn­liche Struk­turen. Das zeigt sich in den niedrig­schwel­ligen Parti­zi­pa­ti­ons­an­ge­boten: Inter­es­sierte können eine Ortsgruppe gründen, ohne dafür ein formales Aufnah­me­ver­fahren abwarten oder Mitglieds­bei­träge zahlen zu müssen. Der LFI-Zentrale genügt die Versi­cherung, dass die Neumit­glieder ihre politi­schen Grund­sätze mittragen. Diese infor­mellen Struk­turen wirken zwar anziehend, haben aber einen Preis: Auch die Mitbe­stimmung ist bei LFI nicht formal geregelt, da sämtliche inter­me­diären Instanzen fehlen, die man aus klassi­schen Parteien kennt. Die Mitwirkung soll statt­dessen über digitale Platt­formen erfolgen, auf denen Aktivisten und Sympa­thi­santen beispiels­weise Ideen zum Wahlpro­gramm beisteuern können. Diesen Prozessen fehlt aller­dings jene Verbind­lichkeit, die etwa dem Beschluss eines Programm­par­tei­tages zu eigen ist. Das letzte Wort hat deshalb oft die LFI-Spitze. So wurden die Wahlkreis­kan­di­daten für die Parla­mentswahl im Juni 2017 von einem Komitee festgelegt, dem Mélenchon und einige wenige Getreue angehörten. Echte inner­par­tei­liche Demokratie sucht man in LFI vergebens. Zwischen der profes­sionell agierenden Fraktion in der Natio­nal­ver­sammlung und der aktivis­ti­schen Basis klafft eine enorme Kluft hinsichtlich Ressourcen und Einflussmöglichkeiten. 

Portrait von Steffen Vogel

Steffen Vogel ist Redakteur bei den Blättern für deutsche und inter­na­tionale Politik

Mélen­chons Machtmaschine

La France insoumise ist damit keine soziale Bewegung, die an den Graswurzeln entsteht und flache Hierar­chien aufweist. Sie ist aber ebenso wenig eine demokra­tische Massen­partei, in der es geregelte Mitwir­kungs- und Kontroll­mög­lich­keiten gibt. Diesen Bruch mit dem Partei­modell hat Jean-Luc Mélenchon bewusst vollzogen. Er wollte eine politische Macht­ma­schine schaffen, die ganz auf ihren promi­nenten Anführer zugeschnitten ist – und ihm die lästigen Einsprüche inner­par­tei­licher Kritiker erspart.

Und davon hat es in den letzten Jahren nicht wenige gegeben. Die Gründung von LFI ist auch eine Reaktion auf politische und strate­gische Diffe­renzen mit Mélen­chons wichtigsten Bündnis­partnern. Nachdem er 2008 nach über 30jähriger Mitglied­schaft die Sozia­listen verlassen hatte, gründete er zunächst den Parti de Gauche (Links­partei), der bei Wahlen gemeinsam mit den Kommu­nisten als Front de Gauche (Links­front) antrat. Jedoch ist die seit 1990 stark geschrumpfte KP heute eine eher pragma­tisch agierende Kraft, die sich auf einige tausend kommunale und regionale Mandats­träger stützt und Wahlab­sprachen mit den Sozia­listen trifft. Für solche Arran­ge­ments hatte Mélenchon, der eine geradezu feind­selige Abgrenzung gegenüber seinen ehema­ligen Genossen pflegt, wenig übrig. Mit der Gründung von LFI kündigte er schließlich einseitig den Front de Gauche auf.

Spaltung und Radikalisierung

In LFI muss Mélenchon nun keine inner­par­tei­lichen Kompro­misse mehr eingehen – und hat prompt seinen Kurs radika­li­siert. Wie alle Populisten erklären er und seine Getreuen mittler­weile den Rechts-Links-Gegensatz für überholt: Heute stünden sich vielmehr „das Volk“ und eine kleine „Oligarchie“ samt ihren Helfern in Politik und Medien gegenüber. Um Nicht­wähler und Wähler des rechts­ra­di­kalen Front National anzusprechen, müsse LFI auf linke Tradi­tionen und Symbolik verzichten. Mehr noch: Es gelte nicht nur, die „Inter­na­tionale“ und die rote Fahne einzu­motten, sondern auch mit dem „abstrakten und bürger­lichen Humanismus“ zu brechen, der mit der Lebens­rea­lität der einfachen Leute nichts zu tun habe, wie es jüngst in einem Editorial in der partei­nahen Zeitung „Le Comptoir“ hieß. Offen­herzig erklärt der Mélenchon-Vertraute Djordje Kuzma­novic gegenüber der Zeitschrift „Marianne“: „Um bestimmte Leute zu überzeugen, muss man sich auf das Terrain des Anti-Libera­lismus, der Souve­rä­nität und des Patrio­tismus begeben“. Diese Ansichten sind in der Führungs­riege zwar nicht unumstritten, bilden dort aber die Mehrheitsmeinung.

Schre­ckens­sze­nario EU-Austritt

Deutlich zeigt sich diese Orien­tierung schon jetzt in der Europa­po­litik von LFI: Als Präsident will Mélenchon seinen EU-Amtskol­legen eine Reihe von weitrei­chenden Reformen antragen, darunter ein verän­dertes Statut für die Europäische Zentralbank, das deren Unabhän­gigkeit beenden würde. Diese Vorschläge sind zwar im Einzelnen durchaus diskus­si­ons­würdig, teilweise auch sinnvoll, doch plant Mélenchon, sie absolut konfron­tativ vorzu­tragen. Sollte er in Brüssel nämlich keine Mehrheit finden, droht er, sofort die franzö­si­schen Beiträge zum EU-Haushalt einzu­frieren und Kapital­ver­kehrs­kon­trollen zu verhängen. „Wir verändern Europa, oder wir verlassen es“, lautet denn auch der Slogan von LFI. Mit dem Schre­ckens­sze­nario eines franzö­si­schen EU-Austritts – der den Fortbe­stand der Union gefährden würde – sollen die anderen Staats- und Regie­rungs­chefs zu Zugeständ­nissen gezwungen werden. Auf eine solche Konfron­tation stimmt LFI ihre Anhänger mit harter Rhetorik ein: „Die gegen­wärtige Union ist bloß ein gemein­samer Markt, und die Völker sind der Diktatur von Banken und Finanzwelt unter­worfen“, heißt es im Wahlpro­gramm der Partei.

La France insoumise erweist sich damit als ein struk­turell autori­täres Projekt, dessen Führung einen zunehmend anti-europäi­schen, links-natio­na­lis­ti­schen Kurs fährt.

Dossier: Sie rollen über die Par­tei­enlandschaft erd­rutsch­ar­tig hinweg und wecken Begeis­te­rungs­stürme bei ihren Anhän­gern: neue digi­tale Bewe­gungs­par­teien. Sie sind wand­lungs­fä­hig und medial schlag­kräf­tig, ihren cha­ris­ma­ti­schen Anfüh­rer stellen sie radikal in den Mit­tel­punkt. Sieht so die Zukunft der Politik aus?

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