Sozialstaatsdebatte: Zahlen Roboter bald unsere Rente?
Gute Nachrichten für den Sozialstaat: Die Alterung der Gesellschaft und die Automatisierung der Arbeitswelt – zwei beunruhigende Trends – könnten sich gegenseitig aufheben. So argumentiert jedenfalls der Wirtschaftswissenschaftler Thieß Petersen in diesem Essay: Der Wegfall von Arbeitsplätzen in Folge der Digitalisierung könnte durch die schwindende Zahl von Erwerbstätigen aufgefangen werden. Doch eine Frage sei entscheidend: wem gehören die Roboter, die einmal unsere Rente zahlen werden?
Es sind insbesondere zwei Trends, die den Menschen in Deutschland im Hinblick auf die langfristige wirtschaftliche Entwicklung Sorgen bereiten: der zunehmende Einsatz von Robotern und Maschinen, der menschliche Arbeitskräfte ersetzt, und die Alterung der Gesellschaft, die den Wohlstand der Menschen beeinträchtigt. Grund zu Pessimismus gibt es jedoch nicht, denn aus dem Zusammenspiel beider Trends kann sich eine positive Gesamtentwicklung ergeben.
Digitalisierung und Arbeitsplatzverluste
Die Befürchtung, dass Maschinen den Menschen die Arbeitsplätze – und damit auch deren wichtigste Einkommensquelle – wegnehmen, begleitet die gesellschaftspolitische Diskussion schon seit Jahrhunderten. Allerdings verschärft der verstärkte Einsatz von Computern und Robotern in den letzten Jahren diese Angst.
In Deutschland haben sich die Befürchtungen bislang nicht bewahrheitet. Zwar haben Roboter nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zwischen 1994 und 2014 im verarbeitenden Gewerbe rund 275.000 Vollzeitarbeitsplätze ersetzt. Negative Effekte für die gesamtwirtschaftliche Beschäftigungssituation blieben aber aus, weil ein Zuwachs an neuen Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor den Beschäftigungsabbau ausgleichen konnte. Komplett folgenlos ist der verstärkte Robotereinsatz dennoch nicht: er drückt auf die Löhne, vor allem im Bereich der Facharbeiter, die am stärksten von der Automatisierung bedroht sind.
Keine Frage: Der digitale Wandel wird sich in der nahen Zukunft noch beschleunigen. Doch bringt das für Deutschland unweigerlich den gesamtwirtschaftlichen Abbau von Arbeitsplätzen in großem Stil mit sich? Nein, ich gehe davon aus, dass dies in den kommenden zehn bis 15 Jahren nicht passieren wird. Stattdessen ist vielmehr von einer Umschichtung von Arbeitsplätzen auszugehen. Danach sind aber durchaus spürbare Arbeitsplatzverluste denkbar. Doch selbst das muss für die Gesellschaft keine Katastrophe sein, denn demografisch bedingt verringert sich zukünftig auch die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter.
Gesellschaftliche Alterung und Einkommenseinbußen
Die aktuelle Bevölkerungsvorausberechnung für Deutschland zeigt: Es wird – unabhängig von den Annahmen bezüglich der Nettozuwanderung – zu einer spürbaren Alterung der Gesellschaft kommen. Schon bis 2035 wird die Bevölkerung im Erwerbsalter voraussichtlich um vier bis sechs Millionen sinken. Gleichzeitig wird die Zahl der Menschen im Alter von 65 Jahren und mehr steigen.
Die Folgen dieser Entwicklungen sind weitreichend: Wenn eine wachsende Zahl von Menschen im Rentenalter auf eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung trifft, verlangt dies im Rahmen eines umlagefinanzierten Rentensystems höhere Beitragssätze und ein sinkendes Rentenniveau. Unter sonst gleichbleibenden Rahmenbedingungen verringert sich dadurch das verfügbare Einkommen der Erwerbstätigen und auch das der Rentner.
Zudem hat die Alterung der Bevölkerung realwirtschaftliche Effekte: Sie dämpft die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität und die Investitionen. Außerdem wirkt sie inflationserhöhend. Das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts je Einwohner fällt somit geringer aus als ohne Alterung.
So gerät das durchschnittlich verfügbare reale Einkommen der Menschen durch den demografischen Wandel doppelt unter Druck.
Alterung und technologischer Fortschritt
Aufseiten der Unternehmen erhöht ein demografisch bedingter Arbeitskräftemangel den Anreiz, verstärkt Maschinen bzw. Kapital in der Produktion einzusetzen und die Ausgaben für einen arbeitssparenden technologischen Fortschritt zu erhöhen. Tatsächlich weisen Daron Acemoglu und Pascual Restrepo nach, dass eine Alterung der Beschäftigten zu einem verstärkten Einsatz von Robotern in der Produktion geführt hat. Bislang war das Ausmaß des demografisch bedingten Anstiegs der Roboternutzung allerdings gering.
Doch warum reagieren die Unternehmen bisher nur in einem sehr bescheidenen Umfang mit einem verstärkten Einsatz von Robotern und anderen digitalen Technologien auf die demografiebedingte Schrumpfung der erwerbsfähigen Bevölkerung und den alterungsbedingten Produktivitätsrückgang? Ein Grund dafür könnte sein, dass die Alterung in den meisten Ländern bis jetzt noch eher moderat ist. Die Investitionsentscheidungen der Unternehmen orientieren sich daher stärker an technologischen Optimierungsmöglichkeiten, Produktinnovationen und Kapazitätserweiterungen.
Gesamtwirtschaftlicher Ausblick
Die zu erwartende Entwicklung liegt auf der Hand: Je stärker der demografisch bedingte Arbeitskräftemangel und Produktivitätsrückgang in den nächsten Jahren ausfällt, desto größer ist der Anreiz für die Unternehmen, Investitionen in arbeitssparende Produktionstechnologien zu tätigen. Grundsätzlich bedeutet dies: Der bestehende Arbeitskräftemangel kann durch einen höheren Einsatz von Kapital und Technologie kompensiert werden, sodass der materielle Pro-Kopf-Wohlstand nicht darunter leiden muss.
Es ist jedoch keineswegs garantiert, dass das Zusammenspiel aus Demografie, Investitionen und technologischem Fortschritt diesen Zustand von selbst herbeiführt. So lässt sich nicht sicher vorhersagen, dass die dafür erforderlichen Investitionen tatsächlich getätigt und dass die technologischen Dividenden breit gestreut werden und somit allen Bürgern zugutekommen.
Wirtschaftspolitische Flankierungen
Um ein aus gesamtgesellschaftlicher Sicht positives Ergebnis zu erreichen, sind auch wirtschaftspolitische Maßnahmen angebracht. Hierzu gehört u. a. die Bereitstellung einer leistungsfähigen digitalen Infrastruktur durch öffentliche Investitionen. Erforderlich ist zudem eine bildungspolitische Flankierung, die die Menschen auf sich ändernde Anforderungen der Arbeitswelt vorbereitet, und eine sozialpolitische Flankierung, die den Menschen finanzielle Sicherheit bietet, wenn es zu strukturwandelbedingten und technologiebedingten Arbeitsplatzwechseln kommt.
Sollten sich die gesamtwirtschaftlichen Produktionsprozesse langfristig dahin entwickeln, dass verstärkt Kapital und Technologien an die Stelle von Arbeit treten, hat das zudem weitreichende Konsequenzen für die Einkommensverteilung und die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme.
Die gesamtwirtschaftliche Einkommensverteilung verschiebt sich zugunsten des Faktors Kapital (und Technologie). Da die Vermögensverteilung (nicht nur) in Deutschland sehr ungleich ist, bedeutet das eine Zunahme der Markteinkommensungleichheit – und damit eine Bedrohung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Um diesen zu stabilisieren, sind zusätzliche staatliche Maßnahmen im Rahmen der Einkommensumverteilung erforderlich. Gleichzeitig wird die Frage, wem die Roboter gehören, damit immer wichtiger.
Zukunft des Sozialstaats
Wenn die Relevanz der menschlichen Arbeitskraft für die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung langfristig abnimmt, verlieren die auf der Umlagefinanzierung basierenden sozialen Sicherungssysteme ihre Einnahmequelle. Dies macht eine Reform der Finanzierung dieser Systeme, allen voran des Rentensystems, immer drängender, denn etwa in Deutschland gerät die langfristige finanzielle Tragfähigkeit des aktuellen Rentensystems zweifach unter Druck:
- Das zentrale Merkmal des deutschen Rentensystems ist dessen Umlagefinanzierung, d. h., die Beiträge der Erwerbstätigen werden unmittelbar an die Rentenempfänger ausgezahlt. Wenn im Zuge eines Bevölkerungswachstums die Zahl der Erwerbstätigen stärker steigt als die der Rentner, erlaubt dieses System rein rechnerisch ein steigendes Rentenniveau und sinkende Beitragssätze. In einer alternden Gesellschaft ist ein unverändertes Versorgungsniveau der Rentenempfänger hingegen nur möglich, wenn die Beitragssätze erheblich steigen.
- Ein zweites Charakteristikum des deutschen Rentensystems ist die Lohnbezogenheit der Versicherungsbeiträge. Wenn jedoch langfristig der Anteil der Lohneinkommen am gesamtwirtschaftlichen Einkommen abnimmt, geht auch das zulasten des Versorgungsniveaus der Rentner.
Letztlich könnte eine langfristige Reform der Finanzierung der Alterssicherungssysteme auf eine stärkere Steuerfinanzierung hinauslaufen. Eine komplette Abkehr vom aktuellen Rentensystem wäre dies allerdings nicht, schließlich fließen bereits heute knapp 100 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt in die gesetzliche Rentenversicherung und decken somit rund 30 Prozent von deren Ausgaben.
Mein Resümee: Sofern die skizzierten Herausforderungen erfolgreich gemeistert werden, können sich die demografische und technologische Entwicklung so ergänzen, dass der Wohlstand der Menschen nicht geschmälert wird.
Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unterstützen damit die publizistische Arbeit von LibMod.
Wir sind als gemeinnützig anerkannt, entsprechend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spendenbescheinigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adressdaten bitte an finanzen@libmod.de
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regelmäßig Neuigkeiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.