Sozial­staats­de­batte: Zahlen Roboter bald unsere Rente?

freedom­naruk /​ Shutter­stock

Gute Nachrichten für den Sozial­staat: Die Alterung der Gesell­schaft und die Automa­ti­sierung der Arbeitswelt – zwei beunru­hi­gende Trends – könnten sich gegen­seitig aufheben. So argumen­tiert jeden­falls der Wirtschafts­wis­sen­schaftler Thieß  Petersen in diesem Essay: Der Wegfall von Arbeits­plätzen in Folge der Digita­li­sierung könnte durch die schwin­dende Zahl von Erwerbs­tä­tigen aufge­fangen werden. Doch eine Frage sei entscheidend: wem gehören die Roboter, die einmal unsere Rente zahlen werden?

Es sind insbe­sondere zwei Trends, die den Menschen in Deutschland im Hinblick auf die langfristige wirtschaft­liche Entwicklung Sorgen bereiten: der zuneh­mende Einsatz von Robotern und Maschinen, der mensch­liche Arbeits­kräfte ersetzt, und die Alterung der Gesell­schaft, die den Wohlstand der Menschen beein­trächtigt. Grund zu Pessi­mismus gibt es jedoch nicht, denn aus dem Zusam­men­spiel beider Trends kann sich eine positive Gesamt­ent­wicklung ergeben.

Digita­li­sierung und Arbeitsplatzverluste

Die Befürchtung, dass Maschinen den Menschen die Arbeits­plätze – und damit auch deren wichtigste Einkom­mens­quelle – wegnehmen, begleitet die gesell­schafts­po­li­tische Diskussion schon seit Jahrhun­derten. Aller­dings verschärft der verstärkte Einsatz von Computern und Robotern in den letzten Jahren diese Angst. 

Portrait von Albrecht Sonntag

Thieß Petersen ist Senior Advisor der Bertelsmann Stiftung und Lehrbe­auf­tragter an der Europa-Univer­sität Viadrina in Frankfurt (Oder).

In Deutschland haben sich die Befürch­tungen bislang nicht bewahr­heitet. Zwar haben Roboter nach Berech­nungen des Instituts für Arbeits­markt- und Berufs­for­schung (IAB) zwischen 1994 und 2014 im verar­bei­tenden Gewerbe rund 275.000 Vollzeit­ar­beits­plätze ersetzt. Negative Effekte für die gesamt­wirt­schaft­liche Beschäf­ti­gungs­si­tuation blieben aber aus, weil ein Zuwachs an neuen Arbeits­plätzen im Dienst­leis­tungs­sektor den Beschäf­ti­gungs­abbau ausgleichen konnte. Komplett folgenlos ist der verstärkte Roboter­einsatz dennoch nicht: er drückt auf die Löhne, vor allem im Bereich der Fachar­beiter, die am stärksten von der Automa­ti­sierung bedroht sind.

Keine Frage: Der digitale Wandel wird sich in der nahen Zukunft noch beschleu­nigen. Doch bringt das für Deutschland unwei­gerlich den gesamt­wirt­schaft­lichen Abbau von Arbeits­plätzen in großem Stil mit sich? Nein, ich gehe davon aus, dass dies in den kommenden zehn bis 15 Jahren nicht passieren wird. Statt­dessen ist vielmehr von einer Umschichtung von Arbeits­plätzen auszu­gehen. Danach sind aber durchaus spürbare Arbeits­platz­ver­luste denkbar. Doch selbst das muss für die Gesell­schaft keine Katastrophe sein, denn demogra­fisch bedingt verringert sich zukünftig auch die Zahl der Menschen im erwerbs­fä­higen Alter.

Gesell­schaft­liche Alterung und Einkommenseinbußen

Die aktuelle Bevöl­ke­rungs­vor­aus­be­rechnung für Deutschland zeigt: Es wird – unabhängig von den Annahmen bezüglich der Netto­zu­wan­derung – zu einer spürbaren Alterung der Gesell­schaft kommen. Schon bis 2035 wird die Bevöl­kerung im Erwerbs­alter voraus­sichtlich um vier bis sechs Millionen sinken. Gleich­zeitig wird die Zahl der Menschen im Alter von 65 Jahren und mehr steigen.

Die Folgen dieser Entwick­lungen sind weitrei­chend: Wenn eine wachsende Zahl von Menschen im Renten­alter auf eine schrump­fende Erwerbs­be­völ­kerung trifft, verlangt dies im Rahmen eines umlage­fi­nan­zierten Renten­systems höhere Beitrags­sätze und ein sinkendes Renten­niveau. Unter sonst gleich­blei­benden Rahmen­be­din­gungen verringert sich dadurch das verfügbare Einkommen der Erwerbs­tä­tigen und auch das der Rentner.

Zudem hat die Alterung der Bevöl­kerung realwirt­schaft­liche Effekte: Sie dämpft die gesamt­wirt­schaft­liche Arbeits­pro­duk­ti­vität und die Inves­ti­tionen. Außerdem wirkt sie infla­ti­ons­er­höhend. Das Wachstum des realen Brutto­in­lands­pro­dukts je Einwohner fällt somit geringer aus als ohne Alterung.

So gerät das durch­schnittlich verfügbare reale Einkommen der Menschen durch den demogra­fi­schen Wandel doppelt unter Druck.

Alterung und techno­lo­gi­scher Fortschritt

Aufseiten der Unter­nehmen erhöht ein demogra­fisch bedingter Arbeits­kräf­te­mangel den Anreiz, verstärkt Maschinen bzw. Kapital in der Produktion einzu­setzen und die Ausgaben für einen arbeits­spa­renden techno­lo­gi­schen Fortschritt zu erhöhen. Tatsächlich weisen Daron Acemoglu und Pascual Restrepo nach, dass eine Alterung der Beschäf­tigten zu einem verstärkten Einsatz von Robotern in der Produktion geführt hat. Bislang war das Ausmaß des demogra­fisch bedingten Anstiegs der Roboter­nutzung aller­dings gering.

Doch warum reagieren die Unter­nehmen bisher nur in einem sehr beschei­denen Umfang mit einem verstärkten Einsatz von Robotern und anderen digitalen Techno­logien auf die demogra­fie­be­dingte Schrumpfung der erwerbs­fä­higen Bevöl­kerung und den alterungs­be­dingten Produk­ti­vi­täts­rückgang? Ein Grund dafür könnte sein, dass die Alterung in den meisten Ländern bis jetzt noch eher moderat ist. Die Inves­ti­ti­ons­ent­schei­dungen der Unter­nehmen orien­tieren sich daher stärker an techno­lo­gi­schen Optimie­rungs­mög­lich­keiten, Produkt­in­no­va­tionen und Kapazitätserweiterungen.

Gesamt­wirt­schaft­licher Ausblick

Die zu erwar­tende Entwicklung liegt auf der Hand: Je stärker der demogra­fisch bedingte Arbeits­kräf­te­mangel und Produk­ti­vi­täts­rückgang in den nächsten Jahren ausfällt, desto größer ist der Anreiz für die Unter­nehmen, Inves­ti­tionen in arbeits­spa­rende Produk­ti­ons­tech­no­logien zu tätigen. Grund­sätzlich bedeutet dies: Der bestehende Arbeits­kräf­te­mangel kann durch einen höheren Einsatz von Kapital und Techno­logie kompen­siert werden, sodass der materielle Pro-Kopf-Wohlstand nicht darunter leiden muss.

Es ist jedoch keineswegs garan­tiert, dass das Zusam­men­spiel aus Demografie, Inves­ti­tionen und techno­lo­gi­schem Fortschritt diesen Zustand von selbst herbei­führt. So lässt sich nicht sicher vorher­sagen, dass die dafür erfor­der­lichen Inves­ti­tionen tatsächlich getätigt und dass die techno­lo­gi­schen Dividenden breit gestreut werden und somit allen Bürgern zugutekommen.

Wirtschafts­po­li­tische Flankierungen

Um ein aus gesamt­ge­sell­schaft­licher Sicht positives Ergebnis zu erreichen, sind auch wirtschafts­po­li­tische Maßnahmen angebracht. Hierzu gehört u. a. die Bereit­stellung einer leistungs­fä­higen digitalen Infra­struktur durch öffent­liche Inves­ti­tionen. Erfor­derlich ist zudem eine bildungs­po­li­tische Flankierung, die die Menschen auf sich ändernde Anfor­de­rungen der Arbeitswelt vorbe­reitet, und eine sozial­po­li­tische Flankierung, die den Menschen finan­zielle Sicherheit bietet, wenn es zu struk­tur­wan­del­be­dingten und techno­lo­gie­be­dingten Arbeits­platz­wechseln kommt.

Sollten sich die gesamt­wirt­schaft­lichen Produk­ti­ons­pro­zesse langfristig dahin entwi­ckeln, dass verstärkt Kapital und Techno­logien an die Stelle von Arbeit treten, hat das zudem weitrei­chende Konse­quenzen für die Einkom­mens­ver­teilung und die Finan­zierung der sozialen Sicherungssysteme.

Die gesamt­wirt­schaft­liche Einkom­mens­ver­teilung verschiebt sich zugunsten des Faktors Kapital (und Techno­logie). Da die Vermö­gens­ver­teilung (nicht nur) in Deutschland sehr ungleich ist, bedeutet das eine Zunahme der Markt­ein­kom­mens­un­gleichheit – und damit eine Bedrohung des gesell­schaft­lichen Zusam­men­halts. Um diesen zu stabi­li­sieren, sind zusätz­liche staat­liche Maßnahmen im Rahmen der Einkom­mens­um­ver­teilung erfor­derlich. Gleich­zeitig wird die Frage, wem die Roboter gehören, damit immer wichtiger.

Zukunft des Sozialstaats

Wenn die Relevanz der mensch­lichen Arbeits­kraft für die gesamt­wirt­schaft­liche Wertschöpfung langfristig abnimmt, verlieren die auf der Umlage­fi­nan­zierung basie­renden sozialen Siche­rungs­systeme ihre Einnah­me­quelle. Dies macht eine Reform der Finan­zierung dieser Systeme, allen voran des Renten­systems, immer drängender, denn etwa in Deutschland gerät die langfristige finan­zielle Tragfä­higkeit des aktuellen Renten­systems zweifach unter Druck:

  1. Das zentrale Merkmal des deutschen Renten­systems ist dessen Umlage­fi­nan­zierung, d. h., die Beiträge der Erwerbs­tä­tigen werden unmit­telbar an die Renten­emp­fänger ausge­zahlt. Wenn im Zuge eines Bevöl­ke­rungs­wachstums die Zahl der Erwerbs­tä­tigen stärker steigt als die der Rentner, erlaubt dieses System rein rechne­risch ein steigendes Renten­niveau und sinkende Beitrags­sätze. In einer alternden Gesell­schaft ist ein unver­än­dertes Versor­gungs­niveau der Renten­emp­fänger hingegen nur möglich, wenn die Beitrags­sätze erheblich steigen.
  2. Ein zweites Charak­te­ris­tikum des deutschen Renten­systems ist die Lohnbe­zo­genheit der Versi­che­rungs­bei­träge. Wenn jedoch langfristig der Anteil der Lohnein­kommen am gesamt­wirt­schaft­lichen Einkommen abnimmt, geht auch das zulasten des Versor­gungs­ni­veaus der Rentner.

Letztlich könnte eine langfristige Reform der Finan­zierung der Alters­si­che­rungs­systeme auf eine stärkere Steuer­fi­nan­zierung hinaus­laufen. Eine komplette Abkehr vom aktuellen Renten­system wäre dies aller­dings nicht, schließlich fließen bereits heute knapp 100 Milli­arden Euro aus dem Bundes­haushalt in die gesetz­liche Renten­ver­si­cherung und decken somit rund 30 Prozent von deren Ausgaben.

Mein Resümee: Sofern die skizzierten Heraus­for­de­rungen erfolg­reich gemeistert werden, können sich die demogra­fische und techno­lo­gische Entwicklung so ergänzen, dass der Wohlstand der Menschen nicht geschmälert wird.

Textende

Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unter­stützen damit die publi­zis­tische Arbeit von LibMod.

Wir sind als gemein­nützig anerkannt, entspre­chend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spenden­be­schei­nigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­daten bitte an finanzen@libmod.de

 

Verwandte Themen

Newsletter bestellen

Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.