„Es ist im Interesse der EU, der Ukraine, Moldau und Georgien eine reale Beitrittsperspektive aufzuzeigen“
Über Beitrittsperspektiven und Stand der Reformen des assoziierten Trios diskutierten Mitglieder des Deutschen Bundestages, der Bundesregierung und Vertreter der Zivilgesellschaft auf der zusammen mit dem Auswärtigen Amt veranstalteten Podiumsdiskussion „Challenges and Perspectives on the Road to the European Union“
Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 unternahm die Europäische Union den bemerkenswerten Schritt, der Ukraine und Moldau einen EU-Kandidatenstatus zu gewähren und Georgien den Weg zu ebnen, sofern das Land eine Reihe von Verpflichtungen erfüllt. Dieser Schritt erfolgte angesichts der russischen Bedrohung, die Kontrolle über Osteuropa wiederzuerlangen. Die EU signalisierte damit eindeutig, dass der Integrationsprozess trotz der russischen Aggression fortgesetzt wird und die europäische Sicherheit unteilbar ist.
Auf dem ersten Panel diskutierten Anna Lührmann, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Knut Abraham (MdB, CDU) und Johannes Schraps (MdB, SPD) zusammen mit der Moderatorin Marieluise Beck, (Senior Fellow, LibMod), wie die nächsten Schritte für das assoziierte Trio in Richtung der Europäischen Union aussehen und welche Möglichkeiten die EU bzw. Deutschland haben, diesen komplexen EU-Integrationsprozess zu unterstützen. Die Erwartungen an die EU sind in dieser Krisenzeit sehr hoch und die Herausforderung wird darin bestehen, die EU gleichzeitig zu reformieren und zu erweitern.
„Die Aufgabe der Politiker in Berlin sollte sein, das historische Momentum für alle drei Staaten zu erhalten, um den Fehler mit den Ländern des Westbalkans nicht zu wiederholen“
Der Bundestagsabgeordnete Knut Abraham wies darauf hin, dass im Sommer 2022 eine epochale Entscheidung getroffen wurde, denn im Jahr 2009 war das Ziel, lediglich eine wie auch immer geartete Verbindung zwischen der Östlichen Partnerschaft und der EU herzustellen. Heute hingegen herrscht der Gedanke vor, dass diese Länder auch tatsächlich Mitglieder der Europäischen Union werden. Die Aufgabe der Politik in Berlin muss deshalb sein, dieses Momentum für alle drei Staaten zu erhalten, und die im Zusammenhang mit dem Integrationsprozess der Länder des Westbalkans geschehenen Fehler nicht zu wiederholen.
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Mehr InformationenJohannes Schraps, Mitglied des EU-Ausschusses, räumte ein, dass die Rolle des Bundestages bei der Unterstützung des EU-Integrationsprozesses noch wachsen müsse, um die Bundesregierung im Europäischen Rat mit Argumenten zu stärken.
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Mehr Informationen„Die Aufgabe der Regierung muss sein, den Gedanken des “more for more“- Prinzips mit Leben zu füllen, damit es zu einer sichtbaren EU-Annäherung kommt“
Der Beitrittsprozess der Westbalkanländer sei in den letzten Jahren nicht gut verlaufen und die zentrale Herausforderung beim assoziierten Trio sei derzeit, einerseits die Glaubwürdigkeit der EU zu gewährleisten und andererseits aber auch dem Wunsch der drei Länder nach einer EU-Mitgliedschaft Rechnung zu tragen, so die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Anna Lührmann – ein hochkomplexer Prozess, der zu Unrecht als lediglich technisch bezeichnet werde. Es gehe in erster Linie um die Umsetzung der rechtsstaatlichen Standards, die vor allem vom politischen Willen abhängig sind. Sie betonte die Bedeutung des „more for more“- Prinzips, was dazu dienen sollte, nach Abschluss der einzelnen Kapitel weitere Integrationsschritte für die Menschen vor Ort sofort spürbar zu machen. Die Aufgabe der Bundesregierung sollte sein, diesen Gedanken mit Leben zu füllen, damit es zu einer sichtbaren EU-Annäherung kommt. Auch die Reformierung der EU sei notwendig, insbesondere bei der Frage der Einstimmigkeit des EU-Rates zu den einzelnen Zwischenschritten der Beitrittsprozesse.
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Mehr InformationenFür die EU ist es auch aus geopolitischen Gründen wichtig, nicht in eine Erweiterungsmüdigkeit zu verfallen
Eine zentrale Frage der Diskussion war, mit welchen Instrumenten die EU die schwierigen Reformprozesse in Georgien, Moldau und der Ukraine unterstützen könnte.
Die Podiumsgäste waren sich einig, dass es dabei in erster Linie darum geht, mehr Transparenz und die tatsächliche Umsetzung der rechtsstaatlichen Reformen zu gewährleisten. Darüber hinaus ist auch eine enge Zusammenarbeit der europäischen Beamten und Experten vor Ort in den jeweiligen Ministerien, aber auch eine engagierte Zivilgesellschaft entscheidend, die die jeweiligen Regierungen kritisch begleitet und die Beamten der EU sowie der Mitgliedstaaten regelmäßig über den tatsächlichen Reformstand informiert. Es ist im Interesse der EU, diese Länder und die Bevölkerung eng an die EU zu binden und eine reale Perspektive aufzuzeigen. Ebenso ist es aus geopolitischen Gründen für die EU elementar, nicht in eine Erweiterungsmüdigkeit zu verfallen.
Die Perspektive der Zivilgesellschaft
Im dem zweiten Panel diskutierten die Vertreter und Vertreterinnen der Zivilgesellschaft aus den Ländern des assoziierten Trios (Olena Halushka, Board member at the Anti-Corruption Action Center, Ukraine; Denis Cenusa, Expert-Group, Moldova; Sergi Kapanadze, GRASS; Vano Chkhikvadze, OSFG) mit der Moderatorin Rebecca Harms (Senior Adviser, Libmod) über die in jedem Land unterschiedlichen, notwendigen Reformschritte.
Olena Halushka betonte, dass die ukrainische Zivilgesellschaft den bevorstehenden Reformprozess trotz des Krieges optimistisch betrachtet. Durch den Erhalt des Kandidatenstatus und der damit verbundenen Bedingungen (Konditionalität) habe die politische Elite einen stärkeren Hebel bekommen, um die eigene Regierung während des Beitrittsprozesses zu kontrollieren und den Reformprozess zu steuern. Denis Cenusa, räumte ein, dass die Regierung wegen der sicherheits- und energiepolitischen Krise unter enormen Druck stünde, die die Reformen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit verhinderten.
Warum Georgien, einst der Reformtreiber in der Östlichen Partnerschaft, nur eine „Perspektive“ erhalten hat, begründeten Sergi Kapanadze und Vano Chkhikvadze in erster Linie mit den schwerwiegenden Rückschritten bei der Demokratisierung und dem Aufbau unabhängiger staatlicher Institutionen. Gleichzeitig stellten sie die Glaubwürdigkeit der vorhandenen Konditionalität seitens der EU in Frage und schlugen die Einführung klarer Kriterien, insbesondere für Bedingungen wie Depolarisierung und Deoligarchisierung vor.
Abschließend formulierten die Diskussionsteilnehmenden ihre prioritären Erwartungen an die EU. Während aus der Perspektive Georgiens dies eindeutig die Verleihung des Kandidatenstatus ist, steht für die moldauische Gesellschaft die Bewältigung der Energiekrise im Vordergrund. Für die Ukraine ist die höchste Priorität den Aggressionskrieg Russlands siegreich zu beenden.
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