Fakten­check: Die Krim-Annexion ist mit dem Kosovo nicht vergleichbar

„Grüne Männchen“ vor dem Krim-Parlament in Simfe­ropol am 1.3.2014. Foto: Sebastian Meyer, Public domain, via Wikimedia Commons

Immer wieder wird die Krim-Annexion durch Russland mit Verweis auf die Unabhän­gigkeit des Kosovo von Serbien gerecht­fertigt. Der Vergleich ist jedoch irreführend.

Falsche Kosovo-Analogie

Die russische Analogie von Kosovo und Krim ist eine „bösartige Verdrehung der Umstände, um eine eigene völker­rechts­widrige Aktion zu legiti­mieren“, sagte Ludger Vollmer, 1998 bis 2002 Staats­mi­nister im Auswär­tigen Amt, am 19. März 2014 im Deutschlandfunk.

„Damals [1999 im Kosovo] drohte ein Völkermord. Das war keine Fiktion, sondern der damalige Macht­haber in Belgrad, Milosevic, hatte bewiesen in Srebrenica, dass er willens und bereit war, Völker­morde zu begehen. Es gab massen­haftes Flücht­lings­elend auf dem Kosovo, und gleichwohl gab es inten­sivste zivile Bemühungen um zu deeska­lieren und zu lösen. Es gab den großen Friedens­kon­gress in Rambouillet, und erst, als der schei­terte und keine anderen Mittel mehr verfügbar waren, wurde militä­risch einge­griffen. Heute auf der Krim ist kein Völkermord in Sicht.“

Die UN-Sicher­heits­rats­re­so­lution 1244 von 1999 entzog Serbien die Souve­rä­nität über das Kosovo und unter­stellte es bis zu einer Lösung der Status­frage der inter­na­tio­nalen Gemein­schaft. Die Staats­gewalt wurde dabei der von der NATO geführten KFOR übertragen. Die Resolution 1244 sieht auch den Aufbau einer adminis­tra­tiven Selbst­ver­waltung des Kosovo vor. Binnen neun Jahren konnte trotz Bemühungen von UN-Unter­händler Martti Ahtisaari und der sogenannten Troika keine Verhand­lungs­lösung zum Status des Kosovo erreicht werden.

Der Inter­na­tionale Gerichtshof (IGH) entschied 2010 in einem von Serbien angestrengten Gutachten, dass die 2008 erfolgte Unabhän­gig­keits­er­klärung des Kosovo nicht gegen das Völker­recht verstoßen habe.

Jahrzehnte der Benach­tei­ligung und Unter­drü­ckung im Kosovo

Die Geschichte der Unabhän­gigkeit des Kosovos war ein Prozess von über 25 Jahren inten­siver Bemühungen, auf inter­na­tio­naler Eben eine einver­nehm­liche Lösung für die unter­drückte albanisch­spra­chige Bevöl­kerung im Kosovo zu finden. Eine Lösung wurde immer wieder durch Serbien und mit Unter­stützung der UN-Vetomacht Russland verhindert, weil in Belgrad kein Interesse hieran bestand und dies dem großser­bi­schen Natio­na­lismus entge­gen­stand. In dessen Ideologie wurde das Kosovo (Kosovo Polje, dt.: Amselfeld) zum serbi­schen Kernland stili­siert. Es durfte um keinen Preis aufge­geben werden.

Verschärfung der Unter­drü­ckung der Kosovo-Albaner unter Milosevic

1989 entzog Slobodan Milosevic dem Kosovo den weitrei­chenden Autono­mie­status, der seit 1974 für das Kosovo und die Vojvodna mit ihrer ungari­schen Minderheit in der jugosla­wi­schen Verfassung verankert war. Gleich­zeitig propa­gierte Milosevic unter anderem bei seiner Rede auf dem Amselfeld am 28. Juni 1989 einen aggres­siven großser­bi­schen Natio­na­lismus. Es folgte eine Verschärfung der Diskri­mi­nierung der Kosovo-Albaner bis hin zu apartheid-ähnlichen Zuständen.

Radika­li­sierung des fried­lichen Wider­stands der Kosovo-Albaner und Vertreibung durch Serbien

Ibrahim Rugova versuchte über Jahre, mit fried­lichem Protest und Paral­lel­in­sti­tution im Unter­grund die Rechte der Kosovo-Albaner zu vertreten. Seine Bewegung wurde von der inter­na­tio­nalen Gemein­schaft weitgehend allein gelassen. In den 1990er Jahre kam es zu einer Radika­li­sierung des albani­schen Wider­stands namentlich durch die militant auftre­tende UCK. 1999 begann Milosevic mit der massen­haften Vertreibung albani­scher Bevöl­kerung aus dem Kosovo. Milosevic hatte bereits 1995 in Srebrenica bewiesen, dass er für das Ziel eines Großser­biens auch vor ethni­schen Säube­rungen und Völkermord nicht zurückschreckte.

Diplo­ma­tische Bemühung zur Befriedung des Kosovo-Konflikts

Im Oktober 1998 verein­barten der US-Sonder­ge­sandte für den Balkan, Richard Holbrooke, mit Slobodan Milosevic den Abzug serbi­scher schwerer Waffen und Parami­litärs, wie dies von der UN-Sicher­heits­rats­re­so­lution 1199 verlangt wurde. Die OSZE entsendete die „Kosovo Verifi­cation Mission“, um die Umsetzung der Sicher­heits­rats­re­so­lution 1199 zu überprüfen. Weil die Kämpfe weiter eskalierten, musste sich die Mission im März 1999 selbst in Sicherheit bringen.

Im Februar und März 1999 folgten die Verhand­lungen in Rambouillet. Sie waren ein weiterer Versuch, die Gewalt im Kosovo auf diplo­ma­ti­schem Wege zu beenden. An den Verhand­lungen waren neben Vertretern Jugosla­wiens und der Kosovo-Albaner, die USA, EU und Russland beteiligt. Russland torpe­dierte in dieser Situation als Vetomacht im UN-Sicher­heitsrat mehrfache Versuche, ein UNO-Mandat zum Schutz der albani­schen Bevöl­kerung im Kosovo zu beschließen. Aufgrund der russi­schen Blockade in der UNO und weil die Verhand­lungen in Rambouillet schei­terten, griff die NATO am 24. März 1999 schließlich ohne UN-Mandat militä­risch in den Kosovo-Konflikt ein. So sollte die anhal­tende Vertreibung der albani­schen Bevöl­kerung aus dem Kosovo gestoppt werden. Der NATO-Eingriff führt zu einem umgehenden Ende der serbi­schen Aggression im Kosovo und schuf die Grundlage für eine fried­liche Konfliktlösung.

Die Hoheit Jugosla­wiens über das Kosovo wird eingeschränkt

Nach Befriedung des Konflikts verab­schiedete der UN-Sicher­heitsrat am 10. Juni 1999 mit Zustimmung Russlands die Resolution 1244. Die Hoheit Jugosla­wiens (damals noch einschließlich Monte­negros) über das Kosovo wurde hierbei bekräftigt, jedoch für unbestimmte Zeit einge­schränkt. Die Resolution 1244 legte im Wesent­lichen viert Punkte fest:

  1. Die jugosla­wische Souve­rä­nität einschließlich des Kosovo bleibt vorerst erhalten;
  2. Die Hoheit über das Kosovo wird einst­weilen Belgrad entzogen und den Vereinten Nationen in Form eines zivilen Statt­halters (ICR – Inter­na­tional Civilian Repre­sen­tative for Kosovo unter­stützt vom ICO – Inter­na­tional Civilian Office) und der KFOR als inter­na­tio­naler Sicher­heits­truppe unterstellt;
  3. Die UNO baut mithilfe von UNMIK (United Nations Mission in Kosovo) im Kosovo eine von Belgrad unabhängige Selbst­ver­waltung auf;
  4. Der ungeklärte Status des Kosovo soll im Rahmen von Verhand­lungen gelöst werden.

Jahre erfolg­loser Statusverhandlungen

Ab 2006 folgten Status­ver­hand­lungen mit allen Betei­ligten, zuerst vermittelt durch den UNO-Sonder­bot­schafter Martti Ahtisaari. Nachdem der keine Einigung beider Seiten erreichen konnte, präsen­tierte er im April 2007 gegenüber dem UN-Sicher­heitsrat den sogenannten Ahtisaari-Plan, der eine inter­na­tional überwachte und einge­schränkte Unabhän­gigkeit für das Kosovo mit weitrei­chenden Minder­hei­ten­rechten für die serbische Bevöl­kerung vorschlug.

Da Russland im UN-Sicher­heitsrat eine Lösung der Status­frage auf Grundlage des Ahtisaari-Plans blockierte, wurde im Juli 2007 als Alter­native ein neues Verhand­lungs­format bestehend aus hochran­gingen Diplo­maten aus den USA, der EU und Russland einge­setzt – die sogenannte Troika. Ende 2007 schei­terten auch die Status­ver­hand­lungen der Troika.

Einseitige Unabhän­gig­keits­er­klärung durch das Kosovo

Nachdem alle Bemühungen der UN zur Klärung der Status­frage des Kosovo gescheitert waren, erfolgte 2008 die einseitige Unabhän­gig­keits­er­klärung des Kosovo auf Grundlage des Ahtisaari-Plans. In einem von Serbien beantragten Gutachten des Inter­na­tio­nalen Gerichtshofs der UN stellte dieser 2010 fest, dass die Unabhän­gig­keits­er­klärung nicht gegen Völker­recht verstieß. Das Gutachten stellte nicht die Frage nach der Recht­mäßig der Unabhän­gigkeit, sondern ob die Unabhän­gig­keits­er­klärung gegen Völker­recht verstoße, was sie nicht tut, weil das Völker­recht Unabhän­gig­keits­er­klä­rungen nicht verbietet (so sie nicht Folge rechts­wid­riger Gewalt­an­wendung sind), und weil UN-SR 1244 die Status­frage offen lässt und einer späteren Klärung anheimstellt.

Völker­recht­liche Bewertung

Völker­rechtlich wider­sprechen sich die beiden Grund­sätze a) nach dem Schutz terri­to­rialer Integrität von Staaten und b) dem Selbst­be­stim­mungs­recht der Völker. Die Abwägung der wider­strei­tenden Rechts­güter ist eine Ausle­gungs­frage und nicht eindeutig geklärt. Eine verbreitete Lesart besagt, dass der Schritt zur Unabhän­gigkeit erst dann legitim sei, wenn die Selbst­be­stimmung einer Volks­gruppe (Sprache, Kultur, Medien, Schulen, Teilhabe) nicht innerhalb des bestehenden Staats möglich ist oder so weit staatlich einge­schränkt wird, dass dies der Unter­drü­ckung der Volks­gruppe gleich­kommt. Das war für Kosovo-Albaner in den 1990er Jahren der Fall. Serbien hat die Kosovo-Albaner durch seine Unter­drü­ckungs­po­litik quasi in die Unabhän­gigkeit getrieben und sich einer Verhand­lungs­lösung durchweg verweigert.

Fazit: Die Unabhän­gigkeit des Kosovo ist mit der Krim-Annexion durch Russland nicht vergleichbar

Das Kosovo wurde nicht wie die Krim durch ein anderes Land annek­tiert, sondern ist bis heute ein unabhän­giger Staat, auch wenn es im Kosovo politische Kräfte gibt, die einen Zusam­men­schluss mit Albanien fordern.

Die Annexion fremden Staats­ge­biets durch Russland in nur wenigen Wochen ist nicht vergleichbar mit einem Jahrzehnte andau­ernden Prozess, in dem es unzählige Bemühungen für eine völker­rechtlich vertretbare Lösung gab. Russland war hierbei stets eigebunden. Der Prozess schei­terte nicht zuletzt an Russlands Versuchen, eine Lösung zu verhindern.

Der völker­recht­liche Status des Kosovo war mit der UN-Sicher­heits­rats­re­so­lution 1244 offen gehalten worden, die Möglichkeit einer Unabhän­gigkeit damit gegeben. Sie erfolgte am Ende eines langjäh­rigen, erfolg­losen Verhand­lungs­pro­zesses und kann aufgrund der Unter­drü­ckung der Kosovo-Albaner durch Serbien mit dem Selbst­be­stim­mungs­recht der Völker völker­rechtlich begründet werden.

Russland hat mit der Annexion der Krim Völker­recht gebrochen. Es hat mit militä­ri­scher Waffen­gewalt Grenzen verschoben und die terri­to­riale Integrität der Ukraine verletzt. Auf der Krim gab es keine Verfolgung der russisch­spra­chigen Bevöl­kerung, wie dies für die Kosovo-Albaner im Kosovo der Fall war.

Der NATO-Einsatz im Kosovo-Krieg diente dem Schutz der Kosovo-Albaner vor Gewalt und Vertreibung durch die serbische Armee und Parami­litärs. Er erfolgte ohne UN-Mandat, weil entspre­chende Resolu­tionen zuvor im Sicher­heitsrat von Russland blockiert worden waren.

Die spätere KFOR-Mission wurde auf völker­rechtlich abgesi­cherter Grundlage der UN-Sicher­heits­rats­re­so­lution 1244 mit Zustimmung Russlands einge­setzt. Der verdeckte Einsatz russi­scher Soldaten auf der Krim erfolgte, ohne dass jemals ein Mandat dafür im Rahmen der UNO angestrebt wurde. Denn hierfür hätte jegliche Begründung gefehlt. Schließlich ging es Moskau um die Vorbe­reitung einer handstreich­ar­tigen Annexion fremden Staatsterritoriums.

Nach der Annexion der Krim begeht Russland dort massive Menschen­rechts­ver­let­zungen, insbe­sondere gegenüber den Krimta­taren und den Kräften, die loyal zur Ukraine stehen (siehe den Fall Sentsov).

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