Wie Macron mit „L’Europe en Marche“ die Natio­na­listen besiegen will

Shut­ter­stock

Der fran­zö­si­sche Präsident arbeitet fieber­haft an einer liberalen und proeu­ro­päi­schen Liste für die Euro­pa­wahl im kommenden Jahr. Er will National-Auto­ri­täre wie Viktor Orbán an den Rand drängen und Liberal-Konser­va­tive auf seine Seite ziehen. Raum dafür gibt es, weil die Merkel-Union und die Euro­päi­sche Volks­partei keinen klaren Tren­nungs­strich zu Orbán & Co ziehen. Die Euro­pa­wahl könnte die span­nendste in der Geschichte der EU werden.

Wen wählt man als Europäer bei der kommenden Euro­pa­wahl im Mai 2019? Man könnte sagen, bis dahin ist noch Zeit, aber tatsäch­lich stellen sich Parteien und ihre Bündnisse derzeit euro­pa­weit auf, und es sieht so aus, als würde sich die Euro­päi­sche Volks­partei, der auch CDU und CSU angehören, histo­risch falsch posi­tio­nieren. Dadurch kann ein Vakuum entstehen, das Emmanuel Macron bereit ist zu füllen. Dabei kann er einen Trick wieder­holen, der ihn und seine Bewegung bereits in Frank­reich an die Spitze brachte.

Macron wirbt für eine liberale Euro­pa­be­we­gung, die den Kontinent und seine verkars­teten natio­nalen poli­ti­schen Land­schaften umpflügen soll, auf dass das poli­ti­sche Pflänz­chen Europa wieder wächst. 

Die Euro­pa­wahl 2019 wird sich in der Art der Kampagne und im Ergebnis radikal von ihren Vorläu­fern unter­scheiden. Bisher war die Wahl zum EP – nach Wahlrecht, aber eben auch im Wahlkampf – eine Addition natio­naler Urnen­gänge. Die Gewählten rüttelten sich dann in Straßburg und Brüssel zu mehr oder weniger kohä­renten Frak­tionen zusammen, von denen zwei um die Vorherr­schaft stritten. Die Partei­zen­tralen in Berlin legten dazu die B‑Seite der letzten oder nächsten Bundes­tags­wahl-LP auf den Plat­ten­teller, jazzten ein Thema, das noch nicht einmal im Euro­päi­schen Parlament ange­sie­delt sein musste, zum wahl­ent­schei­denden hoch und sahen zu, wie die Hälfte der Bundes­tags­wähler zu diesem Testlauf aufkreuzten.

EVP weicht der Gret­chen­frage aus

Bei der letzten Euro­pa­wahl 2014 änderte sich die Gefechts­ord­nung nur ober­fläch­lich: Die großen euro­päi­schen Partei­en­fa­mi­lien stellten „Spit­zen­kan­di­daten“ auf, für die man zwar nur in ihrem Heimat­land stimmen konnte, die aber dennoch die natio­nalen Wahl­kämpfe euro­pä­isch bündeln sollten und dabei prokla­mierten, sie seien auch die Kandi­daten ihrer Lager um den EU-Kommis­si­ons­vor­sitz – weil der ja vom EP bestätigt werden muss.

Außerhalb ihrer Heimat­länder – Jean-Claude Juncker in Luxemburg, Martin Schulz in Deutsch­land, um nur die beiden aussichts­reichten Bewerber zu betrachten – wurden die „Spit­zen­kan­di­daten“ freilich nur spärlich plaka­tiert. Und die SPD entblö­dete sich nicht, mit genau dem unfassbar dämlich-natio­na­lis­ti­schen Spruch „Nur wenn Sie Martin Schulz und die SPD wählen, kann ein Deutscher Präsident der EU-Kommis­sion werden“ für den Europäer Schulz zu werben, der jetzt auch Manfred Weber zuhause wählbar machen soll. Ob die Aussicht, dass endlich auch an der Spitze der Kommis­sion ein Deutscher den Weg weist, Südeu­ro­päer an die Wahlurne lockt – man wird sehen. Jeden­falls fiel Angela Merkels endor­se­ment für den erfah­renen EVP-Frak­ti­ons­chef Weber schmal­lippig aus und ließ sich eigent­lich nur mit „Er wird schon wissen, was er tut“ übersetzen. 

Portrait von Markus Schubert

Markus Schubert ist Moderator beim Hörfunk­sender NDR Info.

Weber hat vom Start weg ein Kardi­nal­pro­blem: Seine EVP, und dabei seine Parla­ments­frak­tion zuerst, weichen einer Antwort auf die Gret­chen­frage „Wie hältst Du’s mit der Union?“ noch immer aus. Es kann aber kein Zweifel bestehen, dass 2019 entlang der Schei­de­linie proeuropäisch/​nationalistisch die Wahl­ent­schei­dung verläuft. Die Euro­pa­wahl wird geradezu zum Refe­rendum über die Existenz und die weitere Inte­gra­tion der EU.

Spalten sich Europas Konservative?

Die Grünen sind klar proeu­ro­pä­isch aufge­stellt. Bei ihnen gibt es euro­pa­weit zwar beacht­liche Abwei­chungen auf der Rechts-Links-Achse, aber die wird diesmal, wie gesagt, nicht ausschlag­ge­bend sein.

Ebenso klar ist die Haltung von Rechts­po­pu­listen und Natio­na­listen. Sie mögen sich unter­ein­ander bisweilen herzlich hassen (und würden nach der Rück­ab­wick­lung der EU-Inte­gra­tion den Kontinent im Nu in Konflikte und viel­leicht sogar in neue Kriege stürzen), aber auf den gemein­samen Nenner, dass man erst die EU und die Pro-Europäer erledigen muss, kommen sie immer. Und mit dieser schlichten Botschaft werden sie auch Europa‑, Migra­tions- und Globa­li­sie­rungs­gegner aller­orten leicht mobi­li­sieren können: Macht uns stark im Euro­päi­schen Parlament, damit wir dieses lähmen und den ganzen Laden von innen aushöhlen und zum Einsturz bringen können. Je nach Gegenwehr der Europäer können sie viel­leicht sogar stärkste Fraktion werden.

Zum Helden der Natio­na­listen hat sich mit Ehrgeiz und Fleiß Viktor Orbán stili­siert. Und damit sind wir beim Problem der EVP. Während sich Polens natio­nal­kon­ser­va­tive PiS-Partei aus guten Gründen von der Christ­de­mo­kratie fernhält, sitzt die nach rechts abge­drif­tete FIDESZ mitten­mang unter erklärten Europäern. Und durch die EVP geht ein Riss, der vergan­gene Woche klaffend sichtbar wurde: Manfred Weber musste die Abstim­mung über das Rechts­staats­ver­fahren gegen Ungarn freigeben, seine Fraktion zerfiel dabei. Und selbst die CDU/CSU-Gruppe darin spaltete sich; die CSU-Abge­ord­neten stimmten – anders als Weber persön­lich – nicht mit der Mehrheit des Parla­ments. In seinem hals­bre­che­ri­schen Draht­seilakt sorgte Weber aber auch dafür, dass die FIDESZ – also genau die poli­ti­sche Kraft, die den Ungarn das Verfahren einge­brockt hat – trotz allem Mitglied der Fraktion bleibt. Die EVP, die Causa Orbán/​FIDESZ macht es sichtbar, beant­wortet die Gret­chen­frage also mit einem kraft­vollen Jein. Die Wähler erleben Weber als persön­lich über­zeugten Europäer, der aber nicht den Mumm hat, den Natio­na­listen in den eigenen Reihen den Stuhl vor die Tür zu stellen. Im Gegenteil: Seine Partei, die CSU, lädt Orbán sogar regel­mäßig ein und umschwärmt ihn.

Wie Macron aus der Pola­ri­sie­rung Kraft schöpft

Und hier kommt nun der fran­zö­si­sche Präsident ins Spiel, und zwar neu ins Spiel, denn im EP ist seine En Marche-Bewegung ja noch nicht vertreten und also auch noch nicht in eine Fraktion einsortiert.

Mit Athen und Luxemburg, Kopen­hagen und Helsinki hat Macron in seiner noch kurzen Amtszeit auch für einen fran­zö­si­schen Präsi­denten nicht eben nächst­lie­gende Reise­ziele gewählt. Er wirbt bei all diesen Terminen, auch in öffent­li­chen Reden oder town hall meetings nicht nur für Frank­reich, und nicht nur für sich: Er wirbt für eine mächtige trans­na­tio­nale liberale Euro­pa­be­we­gung, die den Kontinent und seine verkars­teten natio­nalen poli­ti­schen Land­schaften umpflügen soll, auf dass das poli­ti­sche Pflänz­chen Europa wieder wächst.

Der sozial-liberale Franzose plant also bei der Euro­pa­wahl nicht weniger als bei den Präsi­denten- und Parla­ments­wahlen in Frank­reich im vergan­genen Jahr: Ein Aufsaugen progres­siver, pro-euro­päi­scher Teile der alten „Lager“ links und rechts und ein sieg­rei­ches Umwälzen der poli­ti­schen Land­schaft. Macron könnte sich mit seiner En Marche-Bewegung auf euro­päi­scher Ebene sowohl in die liberale ALDE-Bewegung als auch in die EVP einsor­tieren. Statt­dessen schmiedet er ein eigenes Partei­en­bündnis, das den Liberalen und noch mehr Webers Christ­de­mo­kraten empfind­lich Konkur­renz machen wird. Er bildet eine eigene euro­päi­sche Plattform für die Wahl. Danach könnte er mit den Euro-Liberalen (ALDE) eine gemein­same Fraktion bilden.

Die euro­pa­weite Mobi­li­sie­rung der natio­na­lis­ti­schen Rechten, die die Christ­de­mo­kraten mit einem kraft­losen „Irgendwie-sowohl-als-auch“ abschwä­chen und ihr die Spitze brechen wollen, nimmt Macron als Pola­ri­sie­rung an und zieht aus der Konfron­ta­tion Kraft.

Sie bewirkt, und diesen Effekt hat sich Macron in der Ausein­an­der­set­zung mit Marine Le Pen bereits erfolg­reich zu Nutze gemacht, dass auch Pro-Europäer aktiviert, poli­ti­siert und mobi­li­siert werden.

Die führenden Natio­na­listen Orbán und Salvini haben dabei Macron bereits den Gefallen getan, ihn gemeinsam zum Haupt­gegner zu erklären, eine Rolle, die der fran­zö­si­sche Präsident begeis­tert annahm. „Es bildet sich im Moment eine Struktur heraus, wo sich Natio­na­listen und Progres­sive gegen­über­stehen. Ich werde den Natio­na­listen nicht nachgeben. Wenn sie in mir ihren Haupt­gegner sehen wollen, dann haben sie recht.

Vergan­gene Woche in Luxemburg ritt Macron bereits seine Attacke auf die EVP: Die müsse sich zwischen der Unter­stüt­zung für die deutsche Kanzlerin oder für Ungarns Regie­rungs­chef entscheiden. „Man kann nicht gleich­zeitig Merkel und Orbán unter­stützen. Die EVP muss ihre Position klären. Es ist Aufgabe der Konser­va­tiven, Klarheit zu schaffen.“

Ulrike Guérot hat das bereits im April in den Blättern für deutsche und inter­na­tio­nale Politik gefordert. Auch Christoph von Marschall hat im Tages­spiegel den wach­senden Frust Emmanuel Macrons über die Hinhal­te­taktik seiner vermeint­li­chen Reform­partner in der deutschen Politik skizziert. „Dabei muss sich vor allem die CDU fragen lassen, ob sie – jenseits einer immer noch euro­pa­freund­li­chen Rhetorik – im Kern noch als Euro­pa­partei bezeichnet werden kann“, so Guérot. Längst halte Macrons Bewegung Ausschau, „welche Parteien und Personen sie euro­pa­weit für einen großen euro­päi­schen Wurf gewinnen könnte.“

Außer dem sicht­baren Werben des Präsi­denten gibt es da noch die kaum beachtete Aktivität des En Marche-Managers Chris­tophe Castaner, der uner­müd­lich und fast täglich Partei­funk­tio­näre in ganz Europa aufsucht und sie umwirbt. Man mag darüber lächeln, weil es eben nicht so ganz leicht ist, der liberalen ALDE oder der christ­de­mo­kra­ti­schen EVP Parteien zu entreißen oder im Stile von En Marche in Frank­reich 2016/​17 ein neues Lager zu kreieren. Macron hat mit den aufstre­benden Jung­s­pa­niern der Ciuda­d­anos, Rest­be­ständen von italie­ni­schen Renzi-Sozi­al­de­mo­kraten sowie klas­si­schen liberalen Parteien in Benelux bereits einen stabilen Stamm für eine künftig mitbe­stim­menden Kraft im EP. Aber das ist erkennbar nur der Anfang.

Der Punkt, an dem die Statik der EVP ins Wanken gerät, wäre erreicht, wenn Europe en Marche die polnische Bürger­platt­form, der auch Rats­prä­si­dent Donald Tusk angehört, ins liberale Lager zieht. Dann werden sich demo­kra­ti­sche Kräfte in Ost- und Südost­eu­ropa, in Skan­di­na­vien und im Baltikum entscheiden müssen, ob sie sich in eine spätes­tens dann obskure Samm­lungs­be­we­gung Weber/​Merkel/​Orbán oder eben in ein dezidiert proeu­ro­päi­sches, gleich­falls den ganzen Kontinent durch­zie­hendes Bündnis einfügen wollen, das im Parlament und dann auch bei der Bildung der EU-Kommis­sion die Führung übernimmt.

Eine Liste Macron für Deutschland?

Beim Blick nach Deutsch­land fällt auf, dass einem kein logischer Partner Macrons begegnet. Die FDP hat er jeden­falls dezidiert nicht auf der Liste bevor­zugter Partner. Das ist Teil eines Problems, das der Franzose durch die beherzte Aufstel­lung einer Kandi­da­ten­liste für Deutsch­land aus knapp 100 Frauen und Männern lösen könnte, die aus Kultur, Wirt­schaft, Wissen­schaft und Politik stammen, junge Europäer, Doppel­staatler, Pulse of Europe-Akti­visten, elder statesmen and women, denen der euro­pa­po­li­ti­sche Kurs von Union, SPD oder FDP zu verzagt ist. Für 25 % + x wäre eine solche Liste gut.

Was utopisch oder nach dem Reißbrett von Tech­no­kraten klingt, ist ja nur die Verlän­ge­rung von Macrons Werk in Frank­reich. Und als Leitfigur auf dem ganzen Kontinent taugt er, weil er die euro­päi­sche Karte bereits im natio­nalen Wahlkampf kompro­misslos spielte.

Macron hat Zeit. Er will und muss keinen Spit­zen­kan­di­daten nomi­nieren; jeder weiß, dass er mit der sozi­al­li­be­ralen dänischen Wett­be­werbs­kom­mis­sarin Margrethe Vestager ein eminent präsi­diales Kaliber in seinem Lager haben wird. Er weiß um die Vola­ti­lität des Partei­en­sys­tems in vielen euro­päi­schen Ländern, um den Nieder­gang der klas­si­schen Sozi­al­de­mo­kratie, die trotz ihrer inter­na­tio­na­lis­ti­schen Wurzeln den Sprung auf die Umver­tei­lungs­ebene Europa nicht wagt, und eben um die irri­tie­renden inneren Wider­sprüche bei den Christdemokraten.

Die EVP könnte Orbán die Hinter­treppe hinun­ter­schi­cken. Sie könnte mit dem früheren finni­schen Minis­ter­prä­si­denten Alexander Stubb einen Politiker an die Spitze heben, der als Persön­lich­keit eine Ansage an die Natio­na­listen auf dem Kontinent und zugleich ein quali­fi­zierter Kommis­si­ons­chef wäre. Aber noch ist dieser Mut nicht in Sicht.

 

Textende

Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spen­den­tool. Sie unter­stützen damit die publi­zis­ti­sche Arbeit von LibMod.

Wir sind als gemein­nützig anerkannt, entspre­chend sind Spenden steu­er­lich absetzbar. Für eine Spen­den­be­schei­ni­gung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­daten bitte an finanzen@libmod.de

 

Verwandte Themen

News­letter bestellen

Mit dem LibMod-News­letter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.