Comeback der Center­par­tiet (2/​2): Eine Bauern­partei für Hipster

Center­par­tiet (official) [CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/] via Flickr

Der Konflikt zwischen Auto­ri­tären und Liberalen ist häufig auch ein Konflikt zwischen Land und Stadt. Umso erstaun­li­cher, dass mit der öko-liberalen Zentrums­partei ausge­rechnet eine tradi­tio­nelle Bauern­partei in den schwe­di­schen Groß­städten reüssiert. Ihr Programm spricht libertäre Farmer, konser­va­tive Umwelt­schützer und moderne Groß­städter glei­cher­maßen an. Wie gelingt dieser Brücken­schlag? Und weshalb ist die „Center­par­tiet“ erfolg­rei­cher als die schwe­di­schen Grünen? Antworten im zweiten Teil der Reportage von Sandra Detzer und Sebastian Schaffer.

Unsere Autoren haben Schweden vor der Parla­ments­wahl am 9.September besucht. Die Schwe­den­de­mo­kraten erreichten am Wahltag 17,5 Prozent und wurden dritt­stärkste Kraft, die Regie­rungs­bil­dung gestaltet sich kompli­ziert. Die Zentrumpartei konnte zulegen und erhielt 8,6 Prozent. Sie gelangte auf den vierten Platz.

Der Wieder­auf­stieg der Center­par­tiet kann nicht erzählt werden, ohne den zeit­glei­chen Nieder­gang der schwe­di­schen Grünen mit in den Blick zu nehmen. Miljöpartiet/​De Gröna – abgekürzt MP – nennen sie sich hier. Seit vier Jahren sind sie Teil einer rot-grünen Minder­heits­re­gie­rung. Und sie haben mit den deutschen Grünen neben dem Binde­strich­namen auch viele inhalt­liche Posi­tionen gemeinsam. Doch anders als ihre deutsche Schwes­ter­partei befindet sich die MP in einer schweren Krise. In einem Café im studen­tisch geprägten Stock­holmer Szene­stadt­teil Södermalm treffen wir Maggie Strömberg, Poli­tik­kor­re­spon­dentin und Grünen-Expertin des öffent­lich-recht­li­chen Rundfunks. Direkt um uns herum feierten die schwe­di­schen Grünen vor wenigen Jahren noch große Erfolge. Bei den Kommu­nal­wahlen 2014 wurde man auf Södermalm in manchem Wahllokal stärkste Kraft. Heute hingegen dümpelt die Miljö­par­tiet mit vier Prozent in der demo­sko­pi­schen Todeszone. In der Hälfte aller Wahl­kreise findet die Partei keine Kandi­daten mehr, gleich mehrere Abge­ord­nete haben die Reichs­tags­gruppe verlassen. In der einstigen Hochburg Stockholm messen Umfra­ge­insti­tute teilweise Zustim­mungs­raten, die sogar noch unterhalb des Landes­schnitts liegen. Wie konnte das nur passieren?

Sie wurden wie die anderen

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Schweden machte die Schotten dicht. Von der asyl­po­li­ti­schen Kehrt­wende haben die schwe­di­schen Grünen sich bis heute nicht erholt.

 

Maggie Strömberg hat ein Buch geschrieben, das den Aufstieg und die Krise der Grünen analy­siert. „Wir wurden wie die anderen“ lautet der Titel. Über viele Jahre hat die Führung der Grünen auf eine Regie­rungs­be­tei­li­gung hinge­ar­beitet, erklärt sie. Man überwand die tradi­tio­nell EU-kritische Haltung. Die Wachs­tums­kritik wurde moderater, die Insze­nie­rung gefäl­liger. Doch als dann 2014 nach einem reichlich verstol­perten Wahlkampf der Sprung in eine rot-grüne Minder­heits­re­gie­rung gelang, wirkte die Partei unvor­be­reitet. Es schien fast so, als habe man zwar jeden Schritt in die Regierung genau geplant, aber dabei vergessen, auch den Spagat zwischen grünen Idealen und prak­ti­scher Regie­rungs­ver­ant­wor­tung einzuüben. Dann kam die Flücht­lings­krise 2015. Während sich die deutschen Grünen aus dem Schutz der Oppo­si­tion zaghaft an eine neue Realität heran­tasten konnten, standen die schwe­di­schen Grünen mitten im Sturm. Sie beugten sich unter der Wucht der Ereig­nisse und dem massiven Druck des sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Koali­ti­ons­part­ners. In einem scharfen U‑Turn machten die Schweden die Schotten dicht und schlossen die Grenzen für Asyl­su­chende. Als die Grüne Partei­vor­sit­zende Åsa Romson in einer Pres­se­kon­fe­renz den Kurs­wechsel ihrer Partei erklärte, versagte ihr die Stimme, und Tränen schossen ihr in die Augen. Von dieser asyl­po­li­ti­schen Kehrt­wende haben sich die Grünen bis heute nicht erholt. Sie wurden zum beliebten Gegen­stand sati­ri­schen Spotts. „Wisst Ihr, womit der Chef der rechts­po­pu­lis­ti­schen Schwe­den­de­mo­kraten seine Wahl­kampf­reden beginnt?“, fragt uns Maggie Strömberg. Und sie antwortet selbst: „Er sagt nur ein Wort: Miljö­par­tiet. Dann macht er eine Kunst­pause, und die Menge johlt höhnisch.“

Gerade hier in der urbanen Hochburg wirkt der grüne Glaub­wür­dig­keits­ver­lust nuklear. Wohin gehen die Wähler der Grünen, wollen wir wissen? Ein gewisser Teil wandert zur Linken und zu den Sozi­al­de­mo­kraten ab, aber ein großer Teil wechselt auch direkt zur bürger­li­chen Center­par­tiet, meint Strömberg. Die schwe­di­schen Mille­nials von heute wuchsen unter einer bürger­li­chen Regierung auf und seien weit­ge­hend unideo­lo­gisch. Der Sprung über die poli­ti­sche Lager­grenze von Hellgrün zu Dunkel­grün falle da vielen nicht schwer. Zumal die Center­par­tiet sich mit klaren proeu­ro­päi­schen und einwan­de­rungs­freund­li­chen Posi­tionen auch im urbanen Milieu wählbar mache. Bei der letzten Kommu­nal­wahl erreichte die Center­par­tiet hier in der Gegend gerade einmal gut vier Prozent der Stimmen. Die schwe­di­sche Haupt­stadt war tradi­tio­nell ihr schwie­rigstes Pflaster. Nun sagen die Umfragen für Stockholm ihr 10 Prozent und mehr voraus. „Sie gilt vielen mitt­ler­weile als die sympa­thi­schere grüne Groß­stadt­partei“, meint Strömberg.

Dabei entbehrt die Krise der „echten“ schwe­di­schen Grünen nicht einer gewissen Tragik, denn gerade in ihrem Kernthema Umwelt­schutz haben sie durchaus beacht­liche Erfolge wie ein modernes Klima­schutz­ge­setz vorzuweisen.

Die Bezie­hungen zwischen der Miljö­par­tiet und der Center­par­tiet gelten als ange­spannt, aber inhalt­lich ziehen beide Parteien doch in wichtigen Fragen am gleichen Strang. Das gilt beispiel­weise für den Ausbau von Hoch­ge­schwin­dig­keits­stre­cken im Schie­nen­ver­kehr, um die Emis­sionen im Flug- und PKW-Verkehr zu senken. In einer wichtigen Frage wie dem Stopp des schwe­di­schen Uran­ab­baus war man sich ebenso einig wie beim Ausbau der Windkraft. Auch beim Verbot von Mikro­plastik und inner­städ­ti­schen Beschrän­kungen für den Auto­ver­kehr sind die Parteien oft nahe beiein­ander. Das Verbot für die Neuzu­las­sung von Autos mit Verbren­nungs­mo­toren ab 2030 schrieb die Center­par­tiet sich schon lange vor den deutschen Grünen ins Programm.

Gleich­wohl gibt es Unter­schiede. Die Center­par­tiet ist im Kern noch immer eine Bauern- und Forst­wirt­schafts­partei. Wenn es um die Inter­essen ihrer Klientel geht, ist sie knallhart. Die Dunkel­grünen vom Verbot der Wolfsjagd zu über­zeugen ist etwa so erfolg­ver­spre­chend wie der Versuch, Christian Lindner für eine Vermö­gens­steuer zu gewinnen.

Zwischen Hellgrün und Dunkelgrün

Einer, der besser als jeder andere über das Verhältnis zwischen Center­par­tiet und Grünen Bescheid weiß, ist Mattias Goldmann. Der 46jährige Fami­li­en­vater ist der Chef des ökoli­be­ralen Thinktanks FORES. Früher war er Kommu­ni­ka­ti­ons­chef der schwe­di­schen Grünen. Der umtrie­bige Goldmann ist ein inter­na­tional gefragter Redner, und der Klima­schutz ist sein poli­ti­sches Lebens­thema. Wir sitzen mit ihm im Stock­holmer Tradi­ti­ons­lokal Pelikan.

FORES – kurz für Forum for Reforms, Entre­pre­neur­ship and Sustaina­bi­lity – versteht sich selbst als ein über­par­tei­lich arbei­tender Think Tank, der alle poli­ti­schen Parteien und Unter­nehmen in ökolo­gi­schen Fragen berät. Er fühlt sich den Grund­sätzen von Nach­hal­tig­keit und Libe­ra­lismus glei­cher­maßen verpflichtet. Klingt nach Center­par­tiet, und es steckt auch ziemlich viel Center­par­tiet drin. Denn wenn­gleich der Anspruch der Über­par­tei­lich­keit ernst­ge­meint scheint – Haupt­geld­geber ist seit Beginn die Partei von Annie Lööf.

Als Grünem war ihm die Center­par­tiet früher eher suspekt, gesteht er. Doch natürlich sah sich Goldmann in seiner neuen Funktion bei FORES verpflichtet, dem Geldgeber gele­gent­lich die Aufwar­tung zu machen. „Einmal bin ich zu einer dieser typischen Center-Versamm­lungen auf dem Land gefahren. Einige Leute trugen Trachten, und dann wurden auch noch schwe­di­sche Volks­lieder gesungen. Ich hasse schwe­di­sche Volks­lieder.“ Aber schließ­lich kam er mit einer jener typischen „Center-Muttis“ ins Gespräch. Es war 2015, die Zeit der großen Flucht­be­we­gung. Er fragte sie, wie sie in ihrer Kommune zurecht­kämen mit der Inte­gra­tion der vielen Asyl­su­chenden. Und sie antwor­tete: „So wie wir mit Heraus­for­de­rungen immer umge­gangen sind. Wir spucken in die Hände und packen an. Die gewöhnen sich schon an uns. Wir können ja bei uns auf dem Land die Leute gut gebrau­chen.“ Da begann er, einen neuen Respekt zu entwi­ckeln vor dem inneren Anstand dieser Partei, meint Goldmann. Die Center­par­tiet mag ein von außen nur schwer durch­dring­barer Kosmos sein. Aber sie ist kein Fake. Sie ist eine Partei, die es ehrlich meint. Davon ist er überzeugt. 

Portrait von Sebastian Schaffer

Sebastian Schaffer ist Poli­tik­wis­sen­schaftler und stell­ver­tre­tender Sprecher des Hamburger Senats 

Portrait von Sandra Detzer

Sandra Detzer ist Landes­vor­sit­zende von Bündnis 90/​Die Grünen in Baden-Würt­tem­berg und Stadt­rätin in Heidelberg

Ungeduld als Ökologenpflicht?

Ein Thema, in dem Center­par­tiet und Grüne völlig über Kreuz liegen, ist der Flug­ver­kehr. Binnen zehn Jahren hat sich das Verkehrs­auf­kommen in der schwe­di­schen Luftfahrt verdop­pelt. Diese Entwick­lung trägt damit einen erheb­li­chen Anteil daran, dass die CO2-Emis­sionen des Landes steigen statt zu sinken. Keine ernst­hafte ökolo­gi­sche Partei kann das ruhen lassen. Die Grünen haben deshalb in der Regierung eine Ticket­ab­gabe einge­führt, die Inlands­flüge mit einer moderaten Pauschal­ab­gabe belastet und Passa­giere bei Inter­kon­ti­nen­tal­flügen deutlich spürbar zur Kasse bittet. Die Center­par­tiet leistet erbosten Wider­stand gegen diese Abgabe und verspricht, sie nach der Wahl wieder abzu­schaffen. Im Land der langen Wege haben Inlands­flüge für die Erreich­bar­keit entfernter länd­li­cher Regionen eine hohe Bedeutung. Und diese Regionen wiederum haben bekann­ter­maßen eine hohe Bedeutung für die Centerpartiet.

Statt der Ticket­ab­gabe schlägt die Partei von Annie Lööf vor, einen schritt­weise stei­genden Pflicht­an­teil von Bioke­rosin und synthe­ti­schen Kraft­stoffen im Tank jedes Flug­zeuges vorzu­schreiben, das in Schweden startet oder landet. Die Mittel für die Erfor­schung alter­na­tiver Antriebe will sie dafür deutlich steigern. Gibt es entspre­chende Kraft­stoffe überhaupt in markt­fä­higen Mengen, wollen wir wissen? „Und ob!“, entgegnet Goldmann. Das Unter­nehmen AltAir in Kali­for­nien beliefere bereits mehrere inter­na­tio­nale Flug­ge­sell­schaften mit Bioethanol. Das staat­liche Unter­nehmen Swedavia, das alle wichtigen schwe­di­schen Flughäfen betreibe, plane einen fossil­freien inlän­di­schen Flug­ver­kehr ab 2030 auf der Grundlage realis­ti­scher Zahlen. Das Ziel, sämtliche schwe­di­schen Flughäfen C02-neutral zu betreiben, erreiche Swedavia sogar schon in diesem Jahr. Die schwe­di­sche Flug­ge­sell­schaft SAS habe gerade erst mit dem Mine­ral­öl­kon­zern Preem gemeinsam eine Biotreib­stoff-Fabrik eröffnet. Viele weitere Beispiele ließen sich nennen. „Es gibt nur einen Fakt, den die Center­par­tiet ganz gerne auslässt“, meint Goldmann: „Wenn sie befürchtet, dass eine Ticket­ab­gabe die Flug­ver­bin­dungen in ländliche Gegenden belastet, gehört zur ganzen Wahrheit, dass Bioke­rosin mindes­tens dreimal so teuer ist wie herkömm­li­cher Treib­stoff. Natürlich kann man dies zum Teil durch geringere Start- und Lande­ge­bühren für diese Flüge ausglei­chen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Flug­preise auf diese Weise nicht steigen.“ Bioke­rosin, so meint Goldmann, könne durchaus einen positiven Effekt auf die CO2-Bilanz entwi­ckeln. Aber die echte Zukunft sei elek­trisch. „Die Betrei­ber­ge­sell­schaft aller norwe­gi­schen Flughäfen AviNor hat sich zum Ziel gesetzt, ab 2040 sämtliche Inlands­flüge rein elek­trisch zu betreiben. Da erklären jetzt auch wieder viele Experten, das sei nicht möglich. Aber Boeing, Airbus und andere inves­tieren große Summen in die Entwick­lung von E‑Flugzeugen.“

Erste Unter­su­chungen zeigen laut Mattias Goldmann, dass die derzei­tige Ticket­ab­gabe weder die Hoff­nungen der Grünen erfülle noch die Befürch­tungen der Center­par­tiet. Die Schweden fliegen in etwa so viel wie zuvor. Aber der Konflikt zeigt doch die unter­schied­liche Heran­ge­hens­weise beider grüner Parteien. Wo ökolo­gi­sche Politik unge­müt­lich wird und sich direkt auf den indi­vi­du­ellen Konsum richtet, wird die Center­par­tiet rasch eine unsichere Kanto­nistin. Oft und gerne verweist sie dann auf inter­na­tio­nale Zusam­men­hänge: Was beein­drucke die stei­genden Flug­ver­kehrs­raten in Asien oder Afrika eine schwe­di­sche Ticket­ab­gabe? Nur eine Zwangs­bei­mi­schung von Biokraft­stoffen würde auch Maschinen aus dem Ausland erfassen. Ähnliche Muster gibt es auch in anderen Zusam­men­hängen: Was nütze eine höhere Pesti­zid­be­steue­rung, wenn die land­wirt­schaft­liche Produk­tion dann nach Osteuropa verdrängt würde, wo man mit erheblich höherem Pesti­zid­ein­satz arbeite? Die Hinweise mögen begründet sein. Doch sie werden wohlfeil, wenn keine prak­ti­schen Alter­na­tiven in Sicht sind.

Noch lieber verweist die Center­par­tiet in diesen Momenten auf den tech­ni­schen Fort­schritt. Doch so richtig das auch ist – kann das Weltklima noch länger warten? Geht Umwelt­schutz wirklich ohne Einschrän­kungen beim Konsum? Ist Ungeduld nicht die erste Ökolo­gen­pflicht? Richtig, meint Mattias Goldmann. Aber er weist darauf hin, dass zur ökolo­gi­schen Durch­set­zungs­stra­tegie immer auch die Brei­ten­wirk­sam­keit des ökolo­gi­schen Arguments gehöre. Und hier könnten die Grünen manchmal etwas von der Center­par­tiet lernen. Vor einigen Jahren gab sich die Center­par­tiet ihren aktuellen Slogan: „närodlad politik“. Direkt übersetzt bedeutet es „lokal­pro­du­zierte Politik“. Er fand es ein bisschen spießig. Aber mitt­ler­weile muss er aner­kennen, dass es genau dieser Ansatz sei, der funk­tio­niere. Man könne Menschen erklären, dass sie in der Verant­wor­tung für ihren eigenen „carbon footprint“ bewusst konsu­mieren sollten. Man könne aber auch genauso gut sagen: „Kauf deine Lebens­mittel vor Ort. Dann weißt du, woher sie kommen. Sie sind gesund und schmecken besser.“ Das letztere sei oft erfolg­ver­spre­chender. Und so sei der Ansatz der Center­par­tiet in vielem, erklärt Goldmann. Viel­leicht liege gerade darin auch ein spezi­fisch ökoli­be­raler Ansatz. Annie Lööf würde sagen: „Es muss einfacher sein, das Richtige zu tun. Es muss billiger sein, das Richtige zu tun.“ Und sie wird nicht müde zu erwähnen, dass die CO2-Emis­sionen in Schweden sanken, als die Center­par­tiet noch die Wirt­schafts­mi­nis­terin und Umwelt­mi­nis­terin stellten. Alleine die Wind­ener­gie­er­zeu­gung stieg in den acht Jahren ihrer Regierung um das Siebenfache.

„Ländliche Räume brauchen Freiheit“

ermell [CC BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/)] via Wikimedia

Ein Haus an diesem Fluss in Nord­schweden? Die Center­par­tiet macht’s möglich. Sie will Bauvor­schriften lockern. 

 

Das landes­weite Haupt­quar­tier der Center­par­tiet liegt in einem hübschen Geschäfts­haus in der male­ri­schen Stock­holmer Altstadt. Hier sind wir mit Karin Carlesten und Martin Ådahl verab­redet. Sie ist die Refe­rentin für inter­na­tio­nale Bezie­hungen beim Partei­vor­stand. Er ist der Chef­ökonom seiner Partei. Ådahl gehört zu jener Sorte Intel­lek­tu­eller, die sich selten den Namen ihres Gesprächs­part­ners merken, aber dafür immer dessen relevante Argumente. Carlesten ist die voll­endete liberale Diplo­matin. Wir fragen die beiden, ob sie etwa auch aus Land­wirts­fa­mi­lien stammen. Carlesten schüttelt den Kopf. Sie komme aus einer klas­si­schen schwe­di­schen Mittel­schichts­fa­milie und sei in einer Klein­stadt aufge­wachsen, die aller­dings von Feldern und Bauern­höfen umgeben war. In der Schule besuchten sie regel­mäßig Bauern­höfe. Tatsäch­lich hätten viele ihrer Partei­freunde eine ländliche Sozia­li­sa­tion. Aber es gebe auch eine neue Welle von Partei­mit­glie­dern, die im urbanen Milieu aufge­wachsen seien und in ihrer Kindheit vor allem die Kühe von der  Milch­pa­ckung kannten. Die Zahl der Partei­mit­glieder in Stockholm hat sich in den Lööf-Jahren verdreifacht.

Auch Ådahl kommt nicht vom Bauernhof, sondern ist in Stockholm zuhause. Aber ihm ist wichtig, dass die Partei den prak­ti­schen Bezug zum länd­li­chen Raum nicht verliert: „Nehmen wir ein Beispiel wie den Ufer- und Gewäs­ser­schutz. Die strenge Regu­lie­rung in diesem Bereich ist von urbanem Denken geprägt. Im Norden Schwedens gibt es aber mehr Flüsse als Einwohner. Wer hier zu rigide Bauvor­schriften im Ufer­be­reich erlässt, macht Ansied­lungen im länd­li­chen Raum praktisch unmöglich.“ Durch die städ­ti­sche Brille meine die Politik oft, es bedürfe zusätz­li­cher Regu­lie­rung oder Akti­ons­pro­gramme für den länd­li­chen Raum. Meist sei aber das exakte Gegenteil richtig. Exis­tenz­grün­dungen und Unter­neh­mens­an­sied­lungen seien der Schlüssel zu allem. Und ja – dafür brauche es leis­tungs­fä­hige Breit­band­an­bin­dung im ganzen Land ebenso wie eine gute Verkehrs­in­fra­struktur. Aber vor allem brauche es Freiräume. Wer zum Beispiel eine brach­lie­gende Fläche neu erschließe oder wieder Licht in die kaputten Fenster leer­ste­hender Gebäude bringe, solle steu­er­lich entlastet werden. Mehr „machen lassen“. Mehr Freiheit. Darum gehe es.

Grenzen auf, Arbeits­markt­hürden runter?

Was uns immer wieder faszi­niere an der Center­par­tiet, das sei ihre Position in der Einwan­de­rungs­frage, erklären wir. Für gewöhn­lich gebe es schließ­lich eine höhere Aufge­schlos­sen­heit für kultu­relle Vielfalt in den Städten. Und von einer Partei des länd­li­chen Raums würde man entspre­chende Skepsis erwarten. Wie könne es da sein, dass ausge­rechnet die Center­par­tiet bei der Flücht­lings­po­litik die Speer­spitze der Offenheit bilde? Ådahl wird fast zärtlich in der Stimme, als er sagt: „Diese Partei hat seit jeher eine zutiefst soziale Grund­ori­en­tie­rung. Das ist elementar wichtig, um uns zu verstehen. Wir sind keine sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Umver­tei­lungs­partei, aber in uns steckt die Über­zeu­gung, dass eine Gesell­schaft die Schwä­cheren nicht zurück­lassen darf. Man sieht es auch an unserer Mitglied­schaft. In keiner anderen Partei gibt es ein so hohes Maß an sozialer Verwur­ze­lung. Wer Mitglied der Center­par­tiet ist, der engagiert sich in mindes­tens einem weiteren Ehrenamt, sei es im Roten Kreuz oder in der Nach­bar­schafts­hilfe. Diese Mitmensch­lich­keit trägt auch unsere Asylpolitik.“

Karin Carlesten räumt ein, dass auch die Center­par­tiet sich in Anbe­tracht der Entwick­lungen seit 2015 in Teilen neu sortieren musste. Man spreche heute nicht mehr so leichthin über offene Grenzen wie noch vor einigen Jahren. Man habe sich auch um über­par­tei­liche Eini­gungen in der Flücht­lings­po­litik bemüht und dafür Kompro­misse gemacht. Aber die Center­par­tiet habe schneller als andere Parteien begriffen, dass die Inte­gra­tion der Neuan­kom­menden jetzt die Priorität Nummer eins sei. Man habe zügig und beharr­lich immer neue Vorschläge vorgelegt, um Flücht­linge in den Arbeits­markt zu inte­grieren. Unter anderem habe man ein Konzept für Einstiegs­löhne entwi­ckelt. Arbeits­lose Jugend­liche, Lang­zeit­ar­beits­lose, Menschen mit Behin­de­rungen und Flücht­linge sollen demnach drei Jahre lang zwanzig Prozent unter Tariflohn bezahlt werden können, der Staat übernehme die Arbeit­ge­ber­bei­träge zur Sozi­al­ver­si­che­rung. Nicht zum ersten Mal hören wir den Hinweis auf die deutschen Hartz-Reformen. Hier bewundert man uns dafür.

Die Menschen, die neu nach Schweden kämen, wollten für sich selbst sorgen, sagt Carlesten. Und es müsse ihnen auch ermög­licht werden. Natürlich würden sie weniger verdienen als andere schwe­di­sche Arbeit­nehmer. Aber sie seien in Sicher­heit und könnten ihre Familien versorgen. Manchmal müsse man die Dinge auch durch die Augen derje­nigen betrachten, über die man rede. Und wenn man die frage, ob sie lieber einen schlecht bezahlten oder gar keinen Job wollen, wäre die Antwort klar. Wer Tausenden Syrern die Möglich­keit geben wolle, sich hier ein Leben aufzu­bauen, müsse auch bereit sein, eine größere soziale Ungleich­heit der Gesell­schaft in Kauf zu nehmen. Die Sozi­al­de­mo­kraten meinten, man müsse die Einwan­derer ändern, damit sie ins schwe­di­sche System passen. Die Center­par­tiet spreche offen aus, dass auch das System sich ändern müsse, um die Einwan­derer aufnehmen zu können. Ådahl ergänzt: Man habe jetzt bei den Sozi­al­de­mo­kraten vier Jahre lang den Versuch erlebt, die Inte­gra­ti­ons­pro­bleme einfach mit immer mehr Geld zuzu­schütten. Dieser Versuch habe erkennbar nicht funk­tio­niert. Natürlich sei Schweden kein Land, in dem es eine gesell­schaft­liche Akzeptanz für „trailer parks“ gebe. Aber es sei an der Zeit, es mal mit mehr Freiheit, Eigen­ver­ant­wor­tung, Chancen zu versuchen.

Wer soll ein solches toxisches poli­ti­sches Angebot wählen, fragen wir. Zunächst komme die Center­par­tiet und fordere eine deutlich humanere Asyl­praxis, unter anderem das Recht auf Fami­li­en­nachzug. Alle rechten Wähler liefen weg. Sodann verlange sie eine Flexi­bi­li­sie­rung des Arbeits­markts. Und alle linken Wähler liefen weg. Martin Ådahl antwortet: „Natürlich haben wir das damals auch disku­tiert. Aber wir kamen zum Ergebnis: Es ist in der Sache die richtige Politik, also vertreten wir das auch. Wer die Menschen ins Land lässt, der muss ihnen auch einen Zugang in den Arbeits­markt ermög­li­chen. Einige Wochen später fragte eine große Tages­zei­tung dann in einer Umfrage, was die Schweden von unserem Konzept der Einstiegs­löhne halten. Das Ergebnis war, dass die Mehrheit der Anhänger aller Parteien uns in dieser Forderung unter­stützte. Nur die Wähler der Schwe­den­de­mo­kraten und der Links­partei waren dagegen. Die Mehrheit ist durchaus für vernünf­tige Argumente zugäng­lich. Also muss man auch mal öffent­lich vorangehen.“

„Framåt!”

„Vorwärts“ – „Framåt“, das ist auch der aktuelle Center-Kampa­gnen­slogan. „Wir wollen einen Wahlkampf führen wie Macron“, sagt Ådahl. „Wenn alle nur noch über Probleme reden, muss auch noch jemand da sein, der über Lösungen redet. Man gewinnt keine Wähler, wenn man ihnen nur Angst einjagt.“ Eine zutiefst opti­mis­ti­sche und mitfüh­lende Kampagne wolle man führen. Und im Mittel­punkt stünde die Botschaft: „Schweden darf nicht ausein­an­der­bre­chen.“ Das gelte für Stadt und Land genauso wie für Inländer und Einwanderer.

Schon jetzt ist zumindest eines klar: Die Botschaft der Center­par­tiet verfängt längst nicht mehr nur auf dem Land. Tatsäch­lich entspricht die Wähler­schaft der Partei unter Annie Lööf zunehmend einem „U“. Gute Ergeb­nisse im länd­li­chen Raum und gute Ergeb­nisse in den großen Städten. Nur in den Mittel­zen­tren schwä­cheln die Ökoli­be­ralen weiterhin – wenn­gleich auch hier die Kurve nach oben zeigt.

Wieviel Kraft und Ressource die Partei für ihren Aufstieg in den Städten aufwendet, lässt sich im frisch eröff­neten Wahl­kampf­haupt­quar­tier der Stock­holmer Center­par­tiet besich­tigen. In dem großen Laden­lokal werden in der heißen Wahl­kampf­phase für die kombi­nierte Reichs­tags- und Kommu­nal­wahl bis zu 20 Haupt­amt­liche den Kampf um die Stimmen von 2,4 Millionen Bürgern in Stadt und Umland orga­ni­sieren. Viele junge gutaus­se­hende Leute, die um Papp­auf­steller von Annie Lööf herum­wu­seln. Die Center­par­tiet – sie ist die Partei der „beautiful people“.

„Früher mussten wir in Stockholm noch unsere komplett eigenen Kampagnen stricken, weil die Themen von natio­naler Ebene einfach nicht zu einem Groß­stadt­wahl­kampf passten“, erklärt Karin Ernlund, die junge Stadt­ver­bands­vor­sit­zende der Stock­holmer Center­par­tiet. „Aber heute ist das anders. Wir formu­lieren unsere natio­nalen Haupt­bot­schaften so, dass sie für Stadt und Land glei­cher­maßen anschluss­fähig sind.“

Die Förderung von Exis­tenz­grün­dungen passe zum Beispiel in Stadt und Land glei­cher­maßen. Gesundes regio­nales Essen schätze man auf dem Land, wo man davon lebe, und in der Stadt, wo man ebenfalls davon lebe. „Schweden darf nicht ausein­an­der­bre­chen“ bedeute für den länd­li­chen Raum, dass er nicht abgehängt werden solle. Innerhalb der Großstadt gehe es darum, soziale Problem­be­zirke am Stadtrand aus der Hoff­nungs­lo­sig­keit zu holen.

Auf der Suche nach den Suchenden

Gleich­wohl wäre die Center­par­tiet keine typisch schwe­di­sche Partei, wenn sie nicht hoch­gradig daten­ba­siertes Campaig­ning betreiben würde. Die Fäden der Stock­holmer Kampagne laufen bei den beiden Geschäfts­füh­rern zusammen. Der flachs­blonde Anfang­drei­ßiger Gustaf Arnander betreut den Stadt­ver­band. Sein etwas älterer und situ­ierter wirkender Kollege Patrik Lundholm ist für das länd­li­chere Umland zuständig. Beide könnten optisch für ihre Rollen gecastet sein. Und sie kennen nicht nur ihre Ziel­gruppen, sondern wissen auch, wo sie wohnen und was sie überzeugt. Während für Lundholms Region die Tradi­ti­ons­wähler der Center­par­tiet noch eine wichtige Rolle spielen, sind Arnanders wichtiges Wähler­po­ten­zial die „Suchenden“ – Studie­rende, Krea­tiv­ar­bei­tende, urbane Hipster im Innen­stadt­be­reich. Beide treffen sich schließ­lich wieder bei den „Etablierten“ – den Doppel­ver­diener-Eltern mit Volvo Kombi und Labrador. Botschaften und Wahl­kampf­mittel sind auf die jewei­ligen Ziel­gruppen präzise abge­stimmt. Die liberale Grund­hal­tung verbinde alle Wähler der Partei. Und bestimmte Themen wie der Schutz der Gewässer vor Mikro­plastik oder die Förderung des Radver­kehrs funk­tio­nierten hier wie dort. Aber generell müsse man den Wählern in Land und Stadt die gleiche Politik schon noch etwas anders nahebringen.

Die Schnitt­menge zum Wähler­re­ser­voir der Grünen ist groß, aber nach Einschät­zung von Arnander und Lundholm weitest­ge­hend ausge­schöpft. Der zentrale Kampf um die Stimmen findet im Endspurt zwischen der Center­par­tiet und den konser­va­tiven Moderaten statt. Hier holen die Ökoli­be­ralen über die Hälfte ihrer zusätz­li­chen Stimmen, und gerade diese Gruppe ist wankel­mütig. Ihre Unter­stüt­zung basiert auf der einwan­de­rungs­freund­li­chen und welt­of­fenen Grund­hal­tung, die sie derzeit stärker durch die Center­par­tiet als durch die Moderaten vertreten sehen. Und sie basiert auf Annie Lööf. „Annie ist der Grund, weshalb wir heiß sind“, fasst Arnander zusammen.

Als wich­tigste Themen für die Wähler in Stockholm und Umland hat die Partei den Erhalt von Grün­flä­chen, die Verkehrs­po­litik und die Inte­gra­tion iden­ti­fi­ziert. „Der Schutz des städ­ti­schen Grüns hat für unsere Wähler eine enorme Bedeutung“, erklärt Arnander. Aber natürlich wollten gerade die jüngeren Wähler aus der Gruppe der „Suchenden“ auch bezahl­bare Mieten. „Hier hilft uns, dass wir in Stockholm schon lange als die Partei der Hoch­häuser gelten. Wer Natur und Naherho­lung erhalten will, muss in die Höhe bauen.“ Außerdem gehe es darum, dass die Stadt den Verkauf öffent­li­chen Grunds an Kriterien für bezahl­baren Wohnraum knüpfe.

Die inner­städ­ti­sche Verkehrs­po­litik bleibe für eine ökolo­gi­sche Partei immer ein heißes Eisen, erläutert er: „Je weiter wir uns von unserer Kern­wäh­ler­schaft entfernen, desto mehr lieben die Wähler ihre SUVs.“ Aber oft ginge es auch darum, die Politik einfach richtig zu erklären. So habe die Center­par­tiet erst kürzlich Tempo 30 im gesamten Stock­holmer Innen­stadt­be­reich gefordert. „Natürlich sind damit nicht alle einver­standen. Aber wenn wir fragen: Wäre es nicht schön, wenn in Stockholm so wie früher mal wieder Kinder sicher auf der Straße spielen könnten? – Dann kommt schon so mancher ins Grübeln.“

Bei der Inte­gra­tion gehe es schließ­lich stark um die Werte­ver­mitt­lung und Einhal­tung gemein­samer Regeln. Aber von enormer Bedeutung für die Wähler der Center­par­tiet sei auch die verläss­liche Absage an jede Zusam­men­ar­beit mit den Schwedendemokraten.

Die Center­par­tiet auf dem Weg zur Macht?

Center­par­tiet (official) [CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/] via Flickr

„Vorwärts!“, das Motto der Centerpartiet

 

Wir verlassen die Stock­holmer Kampa­gnen­zen­trale in der Gewiss­heit: Diese Partei hat Rücken­wind. Doch wohin wird er sie führen? Das fragen wir auch den Poli­tik­jour­na­listen Stikkan Andersson, während wir in einem Caféhaus im Geschäfts­viertel Norrmalm zusam­men­sitzen. Die natio­nalen Meinungs­um­fragen machen deutlich, dass keines der tradi­tio­nellen poli­ti­schen Lager auf eine Mehrheit nach der Wahl hoffen darf. Die Rechts­extremen blockieren jede Mehr­heits­bil­dung. Sozi­al­de­mo­kraten, Grüne und Links­partei auf der einen Seite und die bürger­liche Allianz auf der anderen Seite liefern sich ein Kopf an Kopf-Rennen, nur kommen sie niemals über die Ziellinie. „Annie Lööf hat durch ihre Position in der Einwan­de­rungs- und Inte­gra­ti­ons­po­litik an Statur gewonnen“, konsta­tiert Andersson. Aber das bürger­liche Lager wirke dadurch auch zerris­sener als seit vielen Jahren. Insbe­son­dere die klare Absage von Lööf an jede Zusam­men­ar­beit mit den Schwe­den­de­mo­kraten habe den leich­testen Weg der Bürger­li­chen zurück an die Macht versperrt. „Denkbar ist jetzt nur noch eine Minder­heits­re­gie­rung der Moderaten unter Tole­rie­rung der Schwe­den­de­mo­kraten – ohne die Center­par­tiet“, meint Andersson. Aber viel­leicht gelinge es den Sozi­al­de­mo­kraten auch noch, die Center­par­tiet und die Liberalen hinüber­zu­ziehen und sich so eine Mehrheit zu beschaffen. Sie versuchten es zumindest eifrig, auch wenn Lööf ihnen bewusst die kalte Schulter zeige. Und wenn weder das eine noch das andere funk­tio­niere, wollen wir wissen? Dann gebe noch eine dritte Variante, die derzeit wenige auf dem Schirm hätten, erklärt Andersson: „2001 waren wir schon einmal nahe dran an einer Minder­heits­re­gie­rung der kleinen Mitte­par­teien. Grüne, Liberale und Center­par­tiet. Ich halte das auch diesmal nicht für undenkbar, wenn die Lage verfahren sein sollte.“ In einem solchen Bündnis wäre die Center­par­tiet deutlich die stärkste Partei. Eine Staats­mi­nis­terin Lööf in einem grün-grün-gelben Bündnis also? Wahr­schein­lich ist es wohl nicht. Unmöglich aber auch nicht.

Wir spazieren durch das sommer­liche Stockholm zum Nobel­kauf­haus „NK“. Annie Lööf stellt hier ihr neues Buch vor. „Augen­blick der Wahrheit“ heißt es. Es ist eines jener Bücher, die Politiker schreiben, wenn sie wegen der Karriere noch nichts riskieren wollen, aber für den Wahlkampf eine Lesereise gebrau­chen können. In der Buch­hand­lung des Kauf­hauses tragen sie Stühle heran, weil sie von der Zahl der Besucher über­rascht wurden. Nicht nur Lööf liest hier heute. Auch das populäre Urgestein der Liberalen Lars Leijon­borg hat sich mit neuem Buch angekündigt.

Lööf lässt sich routi­niert vom Buch­händler inter­viewen. Sie spricht über die „metoo“-Debatte. Sie spricht über ihre kleine Tochter, ihre Ehe und den Tod der Groß­el­tern. Sie spricht – natürlich – über die Bedeutung des Unter­neh­mer­tums und darüber, dass Schweden nicht ausein­an­der­bre­chen darf. Sie spricht über die Gefahr von Rechts und darüber, dass Schweden seine Werte vertei­digen muss.

Danach kommt ihr liberaler Kollege an die Reihe. Und er bestätigt jedes Klischee von älteren Herren, die sich selbst gerne reden hören. Annie Lööf lächelt höflich und nickt hin und wieder, taxiert immer wieder die Gesichter des Publikums. Niemals würde sie der Versu­chung nachgeben und auf ihre Armbanduhr oder ihr Smart­phone schauen, während hunderte Augen­paare auf sie gerichtet sind. Annie Lööf ist eine Frau mit einem Plan und der Disziplin, ihn bis zum Ziel zu verfolgen. Keine Fehler. Nicht jetzt.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt Leijon­borg dann doch zum Ende. Beide stellen sich neben­ein­ander zum Bücher­si­gnieren an zwei Bistro­ti­sche. Das Publikum springt auf und bildet eine Schlange. Vor dem Tisch von Annie Lööf.

Schweden im Sommer 2018 ist ein Land, in dem viel in Bewegung geraten ist. Wenn es gut läuft, dann bewegt es sich in die Richtung von Annie Lööf und ihrer Center­par­tiet. Framåt. Vorwärts.

Textende

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