„Warum ich bei ‚Aufstehen‘ nicht mitmache“ – Eine Absage von links
Michael Bittner versteht sich als links. Mit „Aufstehen“ will er trotzdem nichts zu tun haben. In seinem Kommentar erklärt er, warum die nationale Engführung auf die schiefe Ebene der Volksgemeinschaft führt. „Aufstehen“ hat – wie Syriza in Griechenland und Fünf Sterne in Italien – das Potential, eines Tages mit einer rechtsnationalen Parteien zu paktieren. Der Konflikt zwischen Weltoffenheit und Nationalismus spaltet auch die Linke.
Wenn jemand, der versprochen hat, unser zerschlagenes Porzellan wieder heil zu machen, mit einem Hammer anrückt, dann wundern wir uns. Ähnliche Verwirrung herrscht derzeit um die linke Sammlungsbewegung „Aufstehen“. Deren lauteste Stimme ist bislang Sahra Wagenknecht, die in ihrer Karriere immer wieder aufs Neue das Talent bewiesen hat, die Geister zu scheiden. Die Frau, die alle Linken sammeln möchte, hat es bislang noch nicht einmal geschafft, die eigene Partei hinter sich zu versammeln. Es vergeht kaum ein Tag, an dem Wagenknecht sich nicht mit scharfen Worten für eine strengere Einwanderungspolitik ausspräche. Ihre Forderungen sind inzwischen härter als jene, die man aus den Reihen der Union hört, denn sogar geregelte Arbeitsmigration ist Wagenknecht ein Gräuel. Dass sie mit ihren Deutsche-zuerst-Parolen viele jener Linken verschreckt, die sie doch eigentlich anlocken sollte, scheint sie nicht zu stören.
Die Konversion von links nach rechts verläuft nie ohne einen entscheidenden Bruch: die internationale, humanitäre Solidarität wird ersetzt durch das Bekenntnis zum absoluten Wert des eigenen Volkes.
Man mag die strategische Klugheit von Sahra Wagenknecht anzweifeln, außer Frage steht ihr politisches Gespür. Der Impuls, soziale Anliegen mit nationalen zu verknüpfen, entspricht ganz dem populären Zeitgeist. Parteien, die vorgeben, zugleich für die Interessen der „kleinen Leute“ wie für „nationale Souveränität“ zu kämpfen, feiern überall Erfolge. Donald Trump verdankt dieser Strategie seinen Erfolg in den USA ebenso wie Jarosław Kaczyński in Polen. Meist wird dieser Trend als „Rechtsruck“ bezeichnet. Richtiger wäre es, von einem antiliberalen Rückschlag zu sprechen. In den Jahren nach dem Untergang des Staatssozialismus triumphierte der Liberalismus in doppelter Weise: In politischer Hinsicht setzte sich die Demokratie durch und die Gleichberechtigung von Frauen, Homosexuellen und kulturellen Minderheiten machte Fortschritte. Im Feld der Ökonomie öffneten sich international die Märkte, was durch verschärften Wettbewerb jedoch mancherorts auch Menschen in Armut, Arbeitslosigkeit oder prekäre Lebensverhältnisse stürzte. Aus linker Perspektive war der Prozess der Liberalisierung in den Jahrzehnten nach 1990 also durchaus ambivalent: So sehr man sich über gewonnene politische Freiheit freuen kann, so wenig kann man sich mit der wachsenden sozialen Ungleichheit abfinden.
Ist Wagenknecht jetzt rechts?
So wie der Prozess der Liberalisierung doppelgesichtig war, ist es nun auch der Rückschlag gegen ihn. Mit berechtigter linker Kritik an der Selbstzufriedenheit und der sozialen Sehschwäche des Liberalismus vermischt sich eine rechte Kritik, die nationalistisch, autoritär und antipluralistisch ist. Die merkwürdige Rechts-Links-Verwirrung in den politischen Kämpfen unserer Tage hat hier ihren Ursprung. Dabei ist zumindest theoretisch klar, wie eine linke, progressive Politik auszusehen hätte: Sie müsste für soziale Gerechtigkeit kämpfen, ohne die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte aufzugeben: durchlässige Grenzen, kulturelle Vielfalt und politische Gleichberechtigung.
Sahra Wagenknecht hat sich entschieden, einen anderen Weg zu gehen. Einen autoritären Herrscher wie Wladimir Putin behandelt Wagenknecht mit einer Milde, die auffällig absticht gegen die Schärfe ihrer Angriffe auf die westliche „Fassadendemokratie“. Menschen, die mit den Mitteln kultureller Emanzipation gegen Sexismus und Rassismus kämpfen, tollen nach Wagenknechts Meinung bloß auf „Spielwiesen“ herum, ja lenken sogar vom eigentlichen Kampf ab. Am auffälligsten ist der Wandel ihrer Einstellung zur Nation: Träumte sie zu Beginn ihrer Karriere noch von einer Welt ohne Nationalstaaten, hält sie diese inzwischen für unverzichtbar. Mehr noch: Diese Nationalstaaten sollen ihrer neuesten Einsicht zufolge sogar auf sprachliche und kulturelle Homogenität angewiesen sein. Diese Monokultur soll durch Grenzen gegen fremde Einwanderer geschützt werden, der Wohlstand der Einheimischen durch Zölle gegen die Konkurrenz durch Arbeiter in anderen Ländern. Verständlicherweise findet die Europäische Union vor Wagenknechts Augen keine Gnade, sie ist nichts als ein „antieuropäisches Projekt“ von Feinden nationaler Souveränität. Sahra Wagenknecht mag den Vorwurf noch so oft als böswillige Verleumdung zurückweisen, die Nähe ihres Programms zu den Positionen der AfD ist in der nationalen Frage unübersehbar.
Steht „Aufstehen“ das Schicksal von „Syriza“ und „Fünf Sterne“ bevor?
Die argumentativen Tricks der Lobredner der Nation sind nicht sehr subtil. Da werden dem Nationalstaat Verdienste zugeschrieben, die eigentlich dem modernen, demokratischen Rechts- und Wohlfahrtsstaat anzurechnen wären. Da wird – gewiss mit Recht – behauptet, der Nationalstaat sei zurzeit wegen der Schwäche internationaler Institutionen politisch noch unverzichtbar, allerdings verschwiegen, dass er sich auch ganz anders denn als homogene Volksgemeinschaft organisieren lässt. Am dreistesten ist aber die bewusste Verwischung des Unterschieds zwischen Mittel und Zweck: Es mag sein, dass die politischen Kämpfe auf absehbare Zeit vor allem im Nationalstaat ausgefochten werden, aber daraus folgt nicht, dass der nationale Wohlstand letzter Zweck dieser Kämpfe sein müsste. So wie Nationalisten über Grenzen hinweg zusammenarbeiten können, kann man auch auf der Ebene des Nationalstaats für internationale Solidarität eintreten – wenn man denn nur will.
Immer wieder hat es in der modernen Geschichte Politiker gegeben, die aus dem Lager der Linken zu den Rechten überliefen. Georges Sorel, der Ahnherr des Faschismus, ist ein frühes, sein Schüler Mussolini das bekannteste Beispiel. Neoliberale Autoren benutzen Fälle wie diese gerne zur Illustration ihrer These, Sozialismus und Faschismus führten immer auf den gleichen Weg zur Knechtschaft. In Wirklichkeit verläuft die Konversion von links nach rechts nie ohne einen entscheidenden Bruch: Das Bekenntnis zum absoluten Wert des eigenen Volkes ersetzt die internationale, humanitäre Solidarität. Als Symptom fehlt dabei so gut wie nie der Antisemitismus, der Hass also gegen das kosmopolitische Volk schlechthin. Die Art, wie in Wagenknechts Umfeld linker Internationalismus als „Globalismus“ umstandslos mit rechtem Neoliberalismus gleichgesetzt wird, erinnert unangenehm an die Taktik der Faschisten, Marxismus und Kapitalismus propagandistisch im Begriff des „jüdischen Kosmopolitismus“ zu vereinigen. Auch Sahra Wagenknecht selbst entblödet sich nicht, ihre Kritik an der internationalen „Finanzlobby“ mit antisemitischen Klischeebildern vom „Rothschild“ als „Brunnenvergifter“ zu garnieren. Alle Linken, die sich entscheiden, die Interessen der „eigenen Leute“ politisch zur Leitidee zu machen, umarmen über kurz oder lang auch die Rechten der eigenen Nation. Dies zeigt sich deutlich im Schicksal von Protestparteien wie „Syriza“ in Griechenland oder „Fünf Sterne“ in Italien. In nationalen Koalitionen von Populisten werden stets die Fremden zum Feind.
Es gibt aufseiten der Linken wohl niemanden, der sich nicht einen gemeinsamen Aufbruch wünschte. Wer fände es nicht gut, wenn die Linke endlich wieder in Bewegung geriete? Sollte diese Bewegung aber nach rechts marschieren auf einem Weg, der sich historisch stets als Sackgasse erwiesen hat, dann wird man nichts Besseres tun können, als dort zu bleiben, wo man ist.
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