„Warum ich bei ‚Aufstehen‘ nicht mitmache“ – Eine Absage von links

Die Linke Nordrhein-Westfalen [CC BY-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/)] via Flickr

Michael Bittner versteht sich als links. Mit „Aufstehen“ will er trotzdem nichts zu tun haben. In seinem Kommentar erklärt er, warum die nationale Engführung auf die schiefe Ebene der Volks­ge­mein­schaft führt.  „Aufstehen“ hat – wie Syriza in Griechenland und Fünf Sterne in Italien – das Potential, eines Tages mit einer rechts­na­tio­nalen Parteien zu paktieren. Der Konflikt zwischen Weltof­fenheit und Natio­na­lismus spaltet auch die Linke. 

Wenn jemand, der versprochen hat, unser zerschla­genes Porzellan wieder heil zu machen, mit einem Hammer anrückt, dann wundern wir uns. Ähnliche Verwirrung herrscht derzeit um die linke Sammlungs­be­wegung „Aufstehen“. Deren lauteste Stimme ist bislang Sahra Wagen­knecht, die in ihrer Karriere immer wieder aufs Neue das Talent bewiesen hat, die Geister zu scheiden. Die Frau, die alle Linken sammeln möchte, hat es bislang noch nicht einmal geschafft, die eigene Partei hinter sich zu versammeln. Es vergeht kaum ein Tag, an dem Wagen­knecht sich nicht mit scharfen Worten für eine strengere Einwan­de­rungs­po­litik ausspräche. Ihre Forde­rungen sind inzwi­schen härter als jene, die man aus den Reihen der Union hört, denn sogar geregelte Arbeits­mi­gration ist Wagen­knecht ein Gräuel. Dass sie mit ihren Deutsche-zuerst-Parolen viele jener Linken verschreckt, die sie doch eigentlich anlocken sollte, scheint sie nicht zu stören.

Die Konversion von links nach rechts verläuft nie ohne einen entschei­denden Bruch: die inter­na­tionale, humanitäre Solida­rität wird ersetzt durch das Bekenntnis zum absoluten Wert des eigenen Volkes. 

Man mag die strate­gische Klugheit von Sahra Wagen­knecht anzweifeln, außer Frage steht ihr politi­sches Gespür. Der Impuls, soziale Anliegen mit natio­nalen zu verknüpfen, entspricht ganz dem populären Zeitgeist. Parteien, die vorgeben, zugleich für die Inter­essen der „kleinen Leute“ wie für „nationale Souve­rä­nität“ zu kämpfen, feiern überall Erfolge. Donald Trump verdankt dieser Strategie seinen Erfolg in den USA ebenso wie Jarosław Kaczyński in Polen. Meist wird dieser Trend als „Rechtsruck“ bezeichnet. Richtiger wäre es, von einem antili­be­ralen Rückschlag zu sprechen. In den Jahren nach dem Untergang des Staats­so­zia­lismus trium­phierte der Libera­lismus in doppelter Weise: In politi­scher Hinsicht setzte sich die Demokratie durch und die Gleich­be­rech­tigung von Frauen, Homose­xu­ellen und kultu­rellen Minder­heiten machte Fortschritte. Im Feld der Ökonomie öffneten sich inter­na­tional die Märkte, was durch verschärften Wettbewerb jedoch mancherorts auch Menschen in Armut, Arbeits­lo­sigkeit oder prekäre Lebens­ver­hält­nisse stürzte. Aus linker Perspektive war der Prozess der Libera­li­sierung in den Jahrzehnten nach 1990 also durchaus ambivalent: So sehr man sich über gewonnene politische Freiheit freuen kann, so wenig kann man sich mit der wachsenden sozialen Ungleichheit abfinden.

Ist Wagen­knecht jetzt rechts?

So wie der Prozess der Libera­li­sierung doppel­ge­sichtig war, ist es nun auch der Rückschlag gegen ihn. Mit berech­tigter linker Kritik an der Selbst­zu­frie­denheit und der sozialen Sehschwäche des Libera­lismus vermischt sich eine rechte Kritik, die natio­na­lis­tisch, autoritär und antiplu­ra­lis­tisch ist. Die merkwürdige Rechts-Links-Verwirrung in den politi­schen Kämpfen unserer Tage hat hier ihren Ursprung. Dabei ist zumindest theore­tisch klar, wie eine linke, progressive Politik auszu­sehen hätte: Sie müsste für soziale Gerech­tigkeit kämpfen, ohne die Errun­gen­schaften der letzten Jahrzehnte aufzu­geben: durch­lässige Grenzen, kultu­relle Vielfalt und politische Gleichberechtigung. 

Portrait von Michael Bittner

Michael Bittner ist Germanist und Philosoph und lebt als freier Autor in Berlin.

Sahra Wagen­knecht hat sich entschieden, einen anderen Weg zu gehen. Einen autori­tären Herrscher wie Wladimir Putin behandelt Wagen­knecht mit einer Milde, die auffällig absticht gegen die Schärfe ihrer Angriffe auf die westliche „Fassa­den­de­mo­kratie“. Menschen, die mit den Mitteln kultu­reller Emanzi­pation gegen Sexismus und Rassismus kämpfen, tollen nach Wagen­knechts Meinung bloß auf „Spiel­wiesen“ herum, ja lenken sogar vom eigent­lichen Kampf ab. Am auffäl­ligsten ist der Wandel ihrer Einstellung zur Nation: Träumte sie zu Beginn ihrer Karriere noch von einer Welt ohne Natio­nal­staaten, hält sie diese inzwi­schen für unver­zichtbar. Mehr noch: Diese Natio­nal­staaten sollen ihrer neuesten Einsicht zufolge sogar auf sprach­liche und kultu­relle Homoge­nität angewiesen sein. Diese Monokultur soll durch Grenzen gegen fremde Einwan­derer geschützt werden, der Wohlstand der Einhei­mi­schen durch Zölle gegen die Konkurrenz durch Arbeiter in anderen Ländern. Verständ­li­cher­weise findet die Europäische Union vor Wagen­knechts Augen keine Gnade, sie ist nichts als ein „antieu­ro­päi­sches Projekt“ von Feinden natio­naler Souve­rä­nität. Sahra Wagen­knecht mag den Vorwurf noch so oft als böswillige Verleumdung zurück­weisen, die Nähe ihres Programms zu den Positionen der AfD ist in der natio­nalen Frage unübersehbar.

Steht „Aufstehen“ das Schicksal von „Syriza“ und „Fünf Sterne“ bevor?

Die argumen­ta­tiven Tricks der Lobredner der Nation sind nicht sehr subtil. Da werden dem Natio­nal­staat Verdienste zugeschrieben, die eigentlich dem modernen, demokra­ti­schen Rechts- und Wohlfahrts­staat anzurechnen wären. Da wird – gewiss mit Recht – behauptet, der Natio­nal­staat sei zurzeit wegen der Schwäche inter­na­tio­naler Insti­tu­tionen politisch noch unver­zichtbar, aller­dings verschwiegen, dass er sich auch ganz anders denn als homogene Volks­ge­mein­schaft organi­sieren lässt. Am dreis­testen ist aber die bewusste Verwi­schung des Unter­schieds zwischen Mittel und Zweck: Es mag sein, dass die politi­schen Kämpfe auf absehbare Zeit vor allem im Natio­nal­staat ausge­fochten werden, aber daraus folgt nicht, dass der nationale Wohlstand letzter Zweck dieser Kämpfe sein müsste. So wie Natio­na­listen über Grenzen hinweg zusam­men­ar­beiten können, kann man auch auf der Ebene des Natio­nal­staats für inter­na­tionale Solida­rität eintreten – wenn man denn nur will.

Immer wieder hat es in der modernen Geschichte Politiker gegeben, die aus dem Lager der Linken zu den Rechten überliefen. Georges Sorel, der Ahnherr des Faschismus, ist ein frühes, sein Schüler Mussolini das bekann­teste Beispiel. Neoli­berale Autoren benutzen Fälle wie diese gerne zur Illus­tration ihrer These, Sozia­lismus und Faschismus führten immer auf den gleichen Weg zur Knecht­schaft. In Wirklichkeit verläuft die Konversion von links nach rechts nie ohne einen entschei­denden Bruch: Das Bekenntnis zum absoluten Wert des eigenen Volkes ersetzt die inter­na­tionale, humanitäre Solida­rität. Als Symptom fehlt dabei so gut wie nie der Antise­mi­tismus, der Hass also gegen das kosmo­po­li­tische Volk schlechthin. Die Art, wie in Wagen­knechts Umfeld linker Inter­na­tio­na­lismus als „Globa­lismus“ umstandslos mit rechtem Neoli­be­ra­lismus gleich­ge­setzt wird, erinnert unangenehm an die Taktik der Faschisten, Marxismus und Kapita­lismus propa­gan­dis­tisch im Begriff des „jüdischen Kosmo­po­li­tismus“ zu verei­nigen. Auch Sahra Wagen­knecht selbst entblödet sich nicht, ihre Kritik an der inter­na­tio­nalen „Finanz­lobby“ mit antise­mi­ti­schen Klischee­bildern vom „Rothschild“ als „Brunnen­ver­gifter“ zu garnieren. Alle Linken, die sich entscheiden, die Inter­essen der „eigenen Leute“ politisch zur Leitidee zu machen, umarmen über kurz oder lang auch die Rechten der eigenen Nation. Dies zeigt sich deutlich im Schicksal von Protest­par­teien wie „Syriza“ in Griechenland oder „Fünf Sterne“ in Italien. In natio­nalen Koali­tionen von Populisten werden stets die Fremden zum Feind.

Es gibt aufseiten der Linken wohl niemanden, der sich nicht einen gemein­samen Aufbruch wünschte. Wer fände es nicht gut, wenn die Linke endlich wieder in Bewegung geriete? Sollte diese Bewegung aber nach rechts marschieren auf einem Weg, der sich histo­risch stets als Sackgasse erwiesen hat, dann wird man nichts Besseres tun können, als dort zu bleiben, wo man ist.

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